Klassik-CD-Kolumnen

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Bach: Die Kunst der Fuge

 

Ich habe gegen die Musik Bachs gele­gent­lich den Ein­wand gehört, sie sei zu mathe­ma­tisch, und ich weiß nicht, ob ich mich über die Gering­schät­zung der Mathe­ma­tik, die aus sol­chen Wor­ten spricht, mehr wun­dern soll, oder über die schie­re Unkennt­nis, was die geschwis­ter­li­che Ver­bin­dung bei­der Sphä­ren betrifft. Und das zwei­ein­halb­tau­send Jah­re nach Pytha­go­ras! Wenn es denn stimmt, dass die Schöp­fung (bzw. das Uni­ver­sum) „klingt”, dann ist Bach ihr bedeu­tends­tes Organ. Mit sei­nem wohl­tem­pe­riert tönen­den Got­tes­lob betre­ten wir die Struk­tur schlecht­hin und ste­hen vor dem rät­sel­haf­ten Ver­hält­nis zwi­schen Deter­mi­niert­heit und Frei­heit, zwi­schen For­men­zwang und Inspiration. 

„Die Kunst der Fuge” ist ein Opus von kris­tal­li­ner Klar­heit, das zu kei­ner Epo­che zu gehö­ren scheint, das immer uralt und modern zugleich ist und nie­mals aus irgend­ei­ner Mode kom­men kann. Zugleich ist es ein Werk unge­heue­rer Ein­sam­keit und Welt­fer­ne; man könn­te es qua­si auf jedem Him­mels­kör­per spie­len. Jede der Fugen – Con­tra­punc­tus gehei­ßen – basiert auf einem ein­fa­chen, aber sug­ges­ti­ven vier­tak­ti­gen Grund­the­ma in d‑Moll, das auf ver­schie­de­ne Wei­se vari­iert wird, um zur ein­fa­chen Fuge, Gegen­fu­ge, Dop­pel­fu­ge, Spie­gel­fu­ge und zum Kanon zu wer­den (soll­te in mei­nem Leben ein­mal alles schief­lau­fen, so wer­de ich immer noch unter einer Brü­cke sit­zen, um die­ses Motiv vor mich hin­zu­brum­men). Es folgt, als Krö­nung des Gan­zen, die kolos­sa­le, unvoll­ende­te 19. Fuge, eine Qua­dru­pel­fu­ge, die sich vom Ursprungs­the­ma gelöst hat und über der Bach gestor­ben ist – sie bricht im Takt 239 ab –, bevor er den auf 24 Tei­le ange­leg­ten Zyklus abschlie­ßen konn­te. Glenn Gould hat die­ses Stück als das Schöns­te bezeich­net, was jemals in Musik gesetzt wur­de, und wo er recht hat, hat sogar der alte Knall­kopf recht. 

Bei Soko­lovs Live-Ein­spie­lung, deren Klang unver­gleich ist, erklingt die­se Fuge nicht am Ende, son­dern es fol­gen ihr die vier Kanons und als Zuga­be die c‑Moll-Par­ti­ta. In einer Rezen­si­on las ich, die­se Auf­nah­me sei „eine gute Alter­na­ti­ve zu Glenn Gould”. Ja, durch­aus – unge­fähr so, wie Moni­ca Bel­luc­ci eine Alter­na­ti­ve zu Audrey Hepb­urn ist.

Johann-Sebas­ti­an Bach: Die Kunst der Fuge, Gri­go­ry Soko­lov, Kla­vier (Opus 111) 

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Juni 2011

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