Acta diurna

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Sämt­li­che Tex­te in die­sem Dia­ri­um geben aus­schließ­lich pri­va­te Mei­nun­gen des Autors wie­der bzw. schil­dern Ereig­nis­se aus des­sen ganz pri­va­ter Sicht. 

Zur Wochenendlektüre

In sei­ner Juni­aus­ga­be ver­öf­fent­lich­te das (zwei­mo­nat­lich, also die­ser Tage wie­der) in Graz erschei­nen­de Maga­zin Frei­lich ein Inter­view mit mir. Das Gespräch führ­te Kon­rad M. Weiß.

Herr Klo­novs­ky, das Bild nächs­te Sei­te stammt (es han­delt sich um das Foto aus mei­nem Wehr­pass von 1986 – M.K.) aus der dahin­ge­gan­ge­nen DDR und zeigt Sie, etwas fülliger als heu­te, als Wehr­pflich­ti­gen in der Uni­form der Natio­na­len Volks­ar­mee; die Ver­pfle­gung dort scheint also aus­rei­chend gewe­sen zu sein …

Wenn es stimmt, dass sich der Erfolg einer Spe­zi­es am Wach­sen ihrer Bio­mas­se mes­sen lässt, dann hat­te die DDR am Evo­lu­ti­ons­er­folg teil. Die­ses Foto ist an einem der ers­ten Tage bei der NVA auf­ge­nom­men wor­den, man sieht also zivil gewach­se­nes Fett. Bei der Trup­pe habe ich dann abge­nom­men, viel Bewe­gung an fri­scher Luft und eine zwar reich­li­che, aber eher unge­nieß­ba­re Kost erle­di­gen das schon.

Und wie war es dort sonst?

Ich kann mich an kei­ne Zeit mei­nes Lebens erin­nern, in der ich so viel gelacht hät­te. Inso­fern müssten die 18 Mona­te bei der NVA die vergnüglichste Zeit mei­nes Lebens gewe­sen sein. Man nahm als DDR-Insas­se ja täg­lich an einer Gro­tes­ke teil, und die Armee war gewis­ser­ma­ßen ein Extrakt die­ser Gro­tes­ke. Alles, was die­ses Länd­chen so bekloppt und das Leben dar­in zumin­dest für unser­ei­nen so uner­sprieß­lich mach­te, gab es dort noch ein­mal in kon­zen­trier­ter Form – ich mei­ne das nicht pazi­fis­tisch, das Her­um­bal­lern mit Kalasch­ni­kow und Sta­lin­or­gel war schon ganz vergnüglich. Aber die eigent­li­che Auf­ga­be der NVA war nicht Lan­des­ver­tei­di­gung, son­dern Bevöl­ke­rungs­dres­sur. Ich lach­te mich jeden Abend bei der Reka­pi­tu­la­ti­on des täg­li­chen Schwach­sinns buch­stäb­lich in den Schlaf. Das war eine Art Kathar­sis. Die ande­ren elf Insas­sen mei­ner Stu­be war­te­ten schon dar­auf. Und natürlich war die Armee ein Bil­dungs­er­leb­nis ers­ten Ranges.

Spä­ter saßen sie an der Quel­le, buch­stäb­lich: als Gabel­stap­ler­fah­rer im zen­tra­len Spi­ri­tuo­sen­la­ger der DDR …

Es war chro­no­lo­gisch anders­her­um: erst das Schnaps­la­ger, dann des­sen Ver­tei­di­gung gegen den Kapi­ta­lis­mus mit der Waf­fe. Erst die Kür, dann die Pflicht. Die Quel­le war unrein, aber es gab nur diese.

An die­ser Stel­le sei erwähnt, dass FREILICH auch in habi­tu­ell trink­freu­di­gen Kor­po­rier­ten­krei­sen ger­ne gele­sen wird; aus­ge­schlos­sen also, dass Sie sich gleich wie­der aus dem Schnaps­la­ger davon­ma­chen, ohne eine klei­ne ent­spre­chen­de Schnur­re dazulassen!

Eine Schnur­re. Der Betriebs­di­rek­tor, übrigens ein tro­cke­ner Alko­ho­li­ker, stieß bei sei­ner Pirsch durchs Lager – es war rie­sig – auf einen Kol­le­gen, der sich zwi­schen die Schnaps­pa­let­ten­ber­ge zurückgezogen hat­te und dort mit einer Fla­sche Likör am Hals stand, als bei­der Bli­cke sich trafen.
Lang­sam setz­te der Ertapp­te die Fla­sche ab.
„Was soll ich bloß mit Ihnen machen (jetzt folg­te der Name)?“
„Na drücken Sie ein Auge zu.“
„Ich kann bei Ihnen nicht schon wie­der ein Auge zudrücken.“
„Na denn nich.“
Und schwupps hat­te er die Fla­sche wie­der am Hals und leer­te sie ohne Hast, denn dass man ihn nach Hau­se schi­cken, ihm einen Ver­weis ertei­len und den Tag samt Rech­nung für die Fla­sche vom Lohn abzie­hen würde, war sowie­so klar; da wäre es doch töricht gewe­sen, etwas übrig zu lassen.

Die Quan­ti­tät war also nicht das Pro­blem; ein nicht unbe­trächt­li­cher Teil Ihrer Abnei­gung gegen die DDR speist sich viel­mehr aus der Qua­li­tät von deren Kost: gas­tro­no­misch, aber auch was Bücher und Schall­plat­ten anging …

O ja. Der Mensch soll­te nur trin­ken, was ihm schmeckt, und er soll­te nur aus einem ein­zi­gen Grund trin­ken: aus Begeis­te­rung. Das war mit der Ost- Plör­re nicht mög­lich. Der ekla­tan­te Man­gel an Schön­heit und an schö­nen Din­gen gehör­te zu den Kenn­zei­chen des Real­so­zia­lis­mus, die Mädels natürlich aus­ge­nom­men. Aber wie man sich klei­den muss­te, wenn man kein West­geld hat­te, was man essen und trin­ken muss­te, wie die Städ­te aus­sa­hen, wie die Woh­nun­gen und Restau­rants ein­ge­rich­tet waren, das war alles recht trost­los. Der glei­che Man­gel herrsch­te bei den Büchern: Die Klas­si­ker aus­ge­nom­men, war fast alles ent­we­der direkt ver­bo­ten oder eben nicht erhält­lich, und von den DDR-Gegen­warts­au­toren konn­ten min­des­tens genau­so vie­le nicht schrei­ben wie von denen heute.

Ihr „Land der Wun­der” ist, schnö­de verkürzt gesagt, ein auto­bio­gra­phi­scher Wen­de­ro­man, mit „davor“, „danach“, Ihrem cha­rak­te­ris­ti­schen Gal­gen­hu­mor – und ist ein sel­te­nes Lesevergnügen.

Unter­schla­gen Sie bit­te nicht den gele­gent­lich aus dem Unter­holz her­vor­bre­chen­den Sexismus!

Über den Prot­ago­nis­ten schrei­ben Sie im Pro­log: „Schön­bach hat­te sich damit abge­fun­den, dass die Hori­zont-Imi­ta­te sei­nes Hei­mat­lan­des mit Sta­chel­draht mar­kiert waren, wie man sich irgend­wann mit einer chro­ni­schen Krank­heit abfin­det: Er litt dar­un­ter, aber kämpf­te nicht dage­gen an“. Anders als Ihr alter ego im Buch wur­den Sie auch nicht aus poli­ti­schen Gründen von der Hoch­schu­le ver­wie­sen – wie und womit haben Sie Ihre jun­gen Jah­re in der DDR zu- bzw. her­um­ge­bracht? Anders gefragt: Wie kommt einer wie Sie in ein Schnapslager?

Ich habe bis­wei­len Schwie­rig­kei­ten damit zu ver­ste­hen, was ich vor einer Woche getan habe, und hier lie­gen fast 40 Jah­re dazwi­schen. Die meis­ten Men­schen arran­gie­ren sich mit den Ver­hält­nis­sen, in die sie hin­ein­ge­ra­ten sind, aber ein paar Que­ru­lan­ten gibt es immer. Ich woll­te mir nach der mar­xis­tisch-leni­nis­ti­schen Pro­pa­gan­da­mast in der Schu­le – ich war in einer Rus­sisch-Klas­se, einer Aus­le­se der Bes­se­ren, die Schüler die­ser Klas­sen gin­gen nahe­zu kom­plett zum Stu­di­um – nicht auch noch den Gesin­nungs­ter­ror an der Uni­ver­si­tät antun. Also ging ich auf den Bau. Im Grun­de war das eine roman­ti­sche Ent­schei­dung. Hät­te ich gewusst, dass die DDR eines Tages zusam­men­bre­chen wird, hät­te ich irgend­ein Orchi­deen­fach stu­diert, klas­si­sche Phi­lo­lo­gie am bes­ten, und abge­war­tet. Es wäre auch für den Kopf bes­ser gewe­sen als der Weg ins Schnaps­la­ger. Im Gegen­satz zur DDR, die immer­hin eine Plan­wirt­schaft hat­te, besaß ich nie einen Plan.

Dann kam „die Wen­de“. Wie haben Sie die­se Zeit erlebt?

Ich wur­de Ende 1988 Kor­rek­tur­le­ser bei einer Block­par­tei­zei­tung namens „Der Mor­gen“ und schrieb auch ein paar Arti­kel über unver­fäng­li­che The­men für den Kul­tur­teil. Als dann im Herbst 1989 das Regime sei­nen letz­ten Seuf­zer tat und das Unters­te zuoberst gekehrt wur­de, schlug die Stun­de eines staats­feind­li­chen Klug­schei­ßers aus dem Kor­rek­to­rat. Irgend­wann 1990 erhielt ich mei­nen ers­ten Redak­teurs­ver­trag. Ich schrieb mir damals sozu­sa­gen die DDR vom Hal­se. Für unse­re Recher­chen über die Sta­si und die SED-Jus­tiz beka­men zwei Kol­le­gen und ich 1991 die­sen „Wäch­ter­preis der Tages­pres­se”, den ich zuerst wegen des Namens für einen Kar­ne­vals­preis hielt. Kurz dar­auf mach­te Sprin­ger den „Mor­gen“ dicht, und die kal­te Luft des frei­en Mark­tes umfä­chel­te mich.

Es folg­ten Ihre Jah­re beim „Focus“ im media­len „Main­stream“ der wie­der­ver­ei­nig­ten BRD, oder woll­te bzw. konn­te man die­sen dort noch her­aus­for­dern, mit eini­ger Reichweite?

Was ich beim „Focus“ im Lau­fe der bestürzend vie­len Jah­re schrei­ben konn­te, die ich dort verlümmelte, hät­te ich in kei­nem ande­ren Main­stream­blatt ver­öf­fent­li­chen dürfen. Dafür hat­te ich aber schnell mei­nen Ruf weg als der Rech­te oder der „Haus­deut­sche“, wie ein früher lin­ker Ver­eh­rer schrieb, und wur­de nir­gends ein­ge­la­den. Ansons­ten war „Focus“ zunächst vor allem Par­ty – wel­ches Blatt hat jemals in ein paar Jah­ren der­ma­ßen viel Geld ver­dient? In den Hoch­zei­ten waren die Hef­te 400 Sei­ten dick, das kann sich heu­te nie­mand mehr vor­stel­len. Dafür konn­te man gewis­se intel­lek­tu­el­le Unzu­läng­lich­kei­ten getrost in Kauf neh­men. Wie ich es dort so lan­ge aus­ge­hal­ten habe, ist mir inzwi­schen trotz­dem rät­sel­haft. Mir ist überhaupt ziem­lich vie­les in mei­nem Leben rät­sel­haft, vor allem unter dem Aspekt der Ver­plem­pe­rung desselben.

Waren das aber immer­hin, auch was das Land ins­ge­samt angeht, die poli­tisch frei­es­ten Jah­re Ihres Lebens?

Ja. Aller­dings wur­de mir nach der kur­zen Eupho­rie, die dadurch ent­stand, dass ich plötz­lich rich­ti­ges Geld ein­ste­cken hat­te und gar nicht wenig davon, ziem­lich schnell klar, dass die­ses West­deutsch­land mit Wohl­stand einen schwe­ren see­li­schen Knacks kaschier­te. Der hing natürlich mit den Nazi­jah­ren zusam­men. Deutsch­land ist ein Psy­cho­path – ich mei­ne das im umgangs­sprach­li­chen, nicht im kli­ni­schen Sin­ne. Also im Sin­ne einer Geis­tes­krank­heit, die im Fal­le Deutsch­lands ent­schie­den auto­ag­gres­siv aus­fällt. Das war auch damals schon in den Debat­ten deut­lich zu spüren. Ich habe mich oft gefragt, wann die ritua­li­sier­ten Laub­sä­ge­ar­bei­ten am eige­nen Ast in ein rich­ti­ges Amok­sä­gen umschla­gen würden. 2015 war es dann soweit.

War Ihr Bruch mit dem „Focus” diesbezüglich ein Mene­te­kel? Wie kam es dazu?

Ich mag das nicht näher ausführen. „Focus“ ist mir heu­te so fern wie das Ost­ber­li­ner Schnapslager.

Seit 2009 betreibt der „blog­ger-nove­list“ („New York Times”) Micha­el Klo­novs­ky mit sei­nen eige­nen Wor­ten den „Klei­nen Eck­la­den“, auf klonovsky.de. Wir bit­ten um Zah­len, Daten, Fak­ten. Und wie kom­men Ihre dor­ti­gen „Acta diur­na“ zustan­de? Ver­ab­rei­chen Sie sich den ganz nor­ma­len Wahn­sinn der bun­des­deut­schen Main­stream­pres­se und Sozia­len Medi­en Tag für Tag? Hält man das lan­ge unbe­scha­det durch?

Die „Acta“ haben bis zu eine Mil­li­on Sei­ten­ab­ru­fe im Monat, ich ver­fol­ge das nicht wei­ter, ich habe mit dem Lesen der Mails genug zu tun. Ein klei­ner Eck­la­den eben, Mit­tel­stand. Ihre Nie­der­schrift hat für mich inzwi­schen etwas Phy­sio­lo­gi­sches. Ich rei­ni­ge mich coram publi­co von all dem, was ich glossiere.

Mein Exem­plar von „Land der Wun­der“ haben Sie mir jüngst „mit einem Gruß aus der Zukunft“ gewid­met. Warum?

Weil ich aus der Zukunft kom­me. Die Sozia­lis­ten sind ja wie­der da. Sie haben nur 30 Jah­re gebraucht, ich hät­te nicht geglaubt, dass ich sie zwei­mal ertra­gen muss. Aus den Bol­sche­wi­ken sind die Bol­sche­wo­ken gewor­den – der Begriff stammt übrigens von einem „Acta“-Leser. Sie sind stär­ker denn je, denn sie haben sich mit den Mil­li­ar­därs­so­zia­lis­ten verbündet, deren Auf­tau­chen übrigens schon Speng­ler pro­phe­zeit hat. Es ist die bizarrs­te Alli­anz seit jener zwi­schen dem Kai­ser­reich und Lenins Ter­ror­trup­pe, sie wird nur weit län­ger hal­ten, denn bei­de brau­chen ein­an­der nicht für einen kur­zen Krieg, son­dern für eine lan­ge Trans­for­ma­ti­on. Was sie eint, ist die kul­tu­rel­le Ver­ach­tung der natio­na­len Pro­le­ta­ri­ats­res­te, der Sess­haf­ten, der Unter­schich­ten, der ein­fa­chen Leu­te, die nichts ande­res haben als ihre Hei­mat und ihre Fami­lie. Die­se Ver­ach­tung ist so stark, dass ein „Zeit“-Volontär in sei­ner von den Eltern finan­zier­ten Ein-Zim­mer-Woh­nung meint, er gehö­re zu den Glo­ba­lis­ten, und sich stär­ker mit einem Mul­ti­mil­li­ar­där wie Bill Gates iden­ti­fi­ziert als mit dem bio­deut­schen Nach­barn, der weder gen­dert noch die Grünen wählt.

Soweit als Ken­ner der DDR, der als sol­cher frei­heits­be­dro­hen­de Alarm­si­gna­le früher ver­nimmt. Wel­che Hebel bedro­hen heu­te kon­kret die Frei­heit des BRD-Otto-Normalbundesbürgers?

Das wäre ein Gegen­stand für ein mehr­tä­gi­ges Pri­va­tis­si­mum. Es kommt ja von allen Sei­ten: aggres­si­ve Gesund­heits­kon­trol­le, Mobi­li­täts­ein­schrän­kun­gen, Angrif­fe aufs Eigen­tum, Angrif­fe auf die Ener­gie­ver­sor­gung, Bar­geld­ab­schaf­fung, staat­lich finan­zier­te Oppo­si­ti­ons­be­kämp­fung, Kon­trol­le der pri­va­ten Ener­gie­bi­lanz mit Wohl­ver­hal­tens­punk­ten und Kli­ma­to­ken, Umwand­lung der Grund­rech­te in staat­li­che Kon­zes­sio­nen. Im Wesent­li­chen ist es die miss­brauch­te künstliche Intel­li­genz, die unse­re Frei­heits­res­te bedroht. Also die Totalüberwachung. Das Ein­falls­tor war die Coro­na-Pan­de­mie, die sich im Nach­hin­ein als nicht ganz so schreck­lich erwie­sen hat, wie man uns ein­re­den woll­te, und wie sich eben­falls her­aus­ge­stellt hat, kann es an der Imp­fung nicht gele­gen haben. Aber die glo­ba­lis­ti­sche Klas­se hat gese­hen, was geht und wie leicht es geht, wenn man nur tag­ein, tag­aus auf allen Kanä­len Angst ver­brei­tet. Zur Schan­de unse­res armen Men­schen­ge­schlechts muss man fest­stel­len, dass sich eine moder­ne Groß­stadt so leicht einschüchtern lässt wie ein mit­tel­al­ter­li­ches Dorf. Wenn sich, wie der­zeit in Chi­na, der Wider­stand der Gepei­nig­ten, Hun­gern­den und Ver­hun­gern­den gegen den Staat regt, der unter dem Vor­wand der Seu­chen­be­kämp­fung das Volk ter­ro­ri­siert, ist es oft zu spät. Die angeb­li­che Kli­ma­ret­tung wird die nächs­te Eska­la­ti­ons­stu­fe begründen. Und natürlich bedroht die fort­ge­setz­te Migra­ti­on von Trans­fer­emp­fän­gern und künftigen Get­to­be­woh­nern nicht nur den Wohl­stand, son­dern auch die Frei­heit, denn in je mehr Seg­men­te die Bevöl­ke­rung zer­fällt, je mehr Grup­pen ich gegen­ein­an­der aus­spie­len oder als Droh­kol­lek­ti­ve ein­set­zen kann, des­to bes­ser kann ich das Gan­ze beherr­schen. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat mit ent­spre­chen­den Urtei­len der Abschaf­fung des deut­schen Rechts­staa­tes den Weg bereitet.

Mit wel­chen Urtei­len konkret?

Zunächst ein­mal gibt es Kla­gen, die das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt gar nicht erst annimmt, etwa die Organ­kla­ge der AfD-Bun­des­tags­frak­ti­on gegen die unbe­grenz­te ille­ga­le Ein­wan­de­rung aus dem Jahr 2018 oder mehr als 200 Ver­fas­sungs­be­schwer­den von Betrof­fe­nen gegen die ein­rich­tungs­be­zo­ge­ne Impf­pflicht in die­sem Frühjahr. Dann fällt es Urtei­le, mit denen die Grund­rech­te schritt­wei­se und durch­aus sys­te­ma­tisch aus­ge­he­belt wer­den. Im Janu­ar 2017 hat Karls­ru­he den Menschenwürde-Grundsatz aus Arti­kel 1 GG von einem Schutz­recht des Bürgers gegen den Staat – das war ja die Lek­ti­on der Nazi­zeit – in eine Ver­hal­tens­an­wei­sung des Staa­tes an den Bürger umge­deu­tet, was vor allem Kri­tik an wei­te­rer Mas­sen­ein­wan­de­rung unter­bin­den soll. Als deut­scher Staatsbürger dürfen Sie nichts mehr sagen, was sich als Ver­let­zung der Menschenwürde Nicht­deut­scher inter­pre­tie­ren lässt, dann sind Ihre Grund­rech­te dahin und die Poli­zei wird zur Haus­durch­su­chung vor­stel­lig. Der kras­ses­te Fall von Gesin­nungs- und Umer­zie­hungs­jus­tiz war die soge­nann­te „Klima”-Entscheidung vom April 2021, mit der die Rich­ter einen Blan­ko­scheck für staat­li­che Repres­sa­li­en gegen jeg­li­ches Ver­hal­ten aus­ge­stellt haben, das künftig von der Regie­rung für kli­ma­schäd­lich erklärt wird. Und dann wären da noch die „Corona”-Beschlüsse vom Novem­ber 2021. Seit­her ste­hen den Bürgern die Grund­rech­te als Abwehr- und Anspruchs­rech­te gegenüber dem Staat nicht mehr kraft Ver­fas­sung zu, son­dern wer­den nur noch staat­lich gewährt. Alle die­se Ent­schei­dun­gen fal­len in die Zeit nach der Eta­blie­rung des Merkel-Günstlings Ste­phan Har­barth zum Prä­si­den­ten des Bundesverfassungsgerichts.

Sie haben sich auf Ihrem Blog jah­re­lang, und oft mit Schaum vor dem Mund, an Ange­la Mer­kel abge­ar­bei­tet. „Es kommt nichts Bes­se­res nach“ oder „es kommt nichts Schlim­me­res nach“? Bedau­ern Sie, kei­nen intel­lek­tu­ell würdigeren Geg­ner gehabt zu haben?

Ich schrei­be nicht mit Schaum vor dem Mund. Wohl aber gele­gent­lich mit Ekel. Der Grund für die ver­gleichs­wei­se Beliebt­heit der „Acta diur­na“ dürfte dar­in bestehen, dass der Ekel dort ästhe­ti­siert wird. Wie auch immer for­mu­liert, mein Urteil über Mer­kel lau­tet: Die­ses Ver­häng­nis im Hosen­an­zug hat Deutsch­land so nach­hal­ti­gen Scha­den zugefügt wie kein zwei­ter Poli­ti­ker nach Satan. Ande­rer­seits: Wenn sie nicht, dann hät­ten es womög­lich ande­re getan, das Per­so­nal dafür regiert schließ­lich gera­de. Das Depri­mie­ren­de am moder­nen Typus Poli­ti­ker ist ja sei­ne Aus­tausch­bar­keit, so dass sich Atten­ta­te erübrigen, weil sie nichts ver­än­dern würden. Wenn einer wie der ande­re ist, ist jeder ent­behr­lich, solan­ge nur der Appa­rat wei­ter­läuft. Auch der ohne­hin rare Typus Poli­ti­ker, der einen intel­lek­tu­ell würdigen Geg­ner abgä­be, wie Sie es nen­nen, exis­tiert nicht mehr. Mir fällt zumin­dest kei­ner ein. Das Inter­es­san­te an Mer­kel war immer nur die Fra­ge, war­um sie tut, was sie tut. Weil sie eine Rode­or­ei­te­rin ist, die um jeden Preis oben blei­ben will und nichts außer­dem? Weil sie als eine Ten­ta­kel des glo­ba­lis­ti­schen Kra­ken agiert? Weil sie als spä­tes klei­nes Licht zu einer bereits von Andro­pow ins Leben geru­fe­nen Grup­pe gehör­te, die den Sozia­lis­mus geord­net abwi­ckeln und in den Wes­ten überführen soll­te? Weil sie also vom KGB aufs Gleis gesetzt wur­de? Bis zum Ukrai­ne-Krieg klang das irre, inzwi­schen wirkt es fast plausibel.

Frei­lich gibt es hier kein fast – bit­te die­se Plau­si­bi­li­tät zu erläutern.

Nichts ist für das Funk­tio­nie­ren eines Lan­des wich­ti­ger als die Ener­gie­ver­sor­gung. Wenn Län­der Krieg gegen­ein­an­der führen, ver­su­chen sie sofort, den Geg­ner von sei­nen Ener­gie­quel­len abzu­schnei­den. Unter Mer­kel ist Deutsch­land schritt­wei­se aus der Atom­ener­gie und der Koh­le­ver­stro­mung aus­ge­stie­gen, wäh­rend die Ener­gie­im­por­te aus Russ­land kon­ti­nu­ier­lich anstie­gen. Sie hat also die aut­ar­ken Optio­nen geschwächt und uns von Russ­land abhän­gig gemacht. Das war eine von meh­re­ren lan­des­ver­rä­te­ri­schen Taten die­ser Per­son. Donald Trump hat mehr­fach vor den Fol­gen gewarnt, und nun haben wir den Salat. Deutsch­land wird öko­no­misch zu den gro­ßen Ver­lie­rern die­ses Krie­ges gehören.

Auch wenn man die Regie­rungs­par­tei­en der BRD betrach­tet, scheint „Land der Wun­der“ für den Laden ins­ge­samt immer stim­mi­ger. SPD und Grüne, ein­schließ­lich ihrer Wäh­ler, plötz­lich kriegs­be­geis­tert und rüstungsgeil – wie war die­ses Wun­der so rasch und wider­spruchs­los möglich?

Es ist doch nor­mal, dass sich Pro­sti­tu­ier­te den Wünschen ihrer Kund­schaft fügen. Die Poli­tik der Grünen wird ver­ständ­lich, wenn man Anna­le­na ein­fach als ame­ri­ka­ni­sche oder glo­ba­lis­ti­sche Außen­mi­nis­te­rin Deutsch­lands betrach­tet, wobei ich immer ganz verblüfft darüber bin, dass die Glo­ba­lis­ten trotz ihrer enor­men Mit­tel nichts Bes­se­res gefun­den haben als die­ses Sim­pel­chen. Bei den Sozis beob­ach­te ich ein gewis­ses Lavie­ren und Ver­zö­gern, das ich kei­nes­wegs kri­tisch sehe – es ist ja nicht unser Krieg. Ande­rer­seits ist es seit dem 24. Febru­ar völ­lig legi­tim, kriegs­geil gegen Putin zu sein.

Von der Ampel zur AfD, der „Schwe­fel­par­tei“, wie Sie es nen­nen. Nach dem „Focus“ waren Sie für Petry, de fac­to für Meu­then und so rich­tig für Gau­land tätig. Sie haben damit für prä­gen­de, aber dras­tisch diver­gie­ren­de Expo­nen­ten der Par­tei gear­bei­tet. Wie geht das unter einen Hut? Und begeg­net man unter­wegs nicht dem einen oder ande­ren Gesslerhut?

Gesslerhüte gibt es in dem Ver­ein nicht, aber per­sön­li­che Ani­mo­si­tä­ten. Auch wenn es syn­chron geschah, habe ich mich doch in ers­ter Linie einer Par­tei ange­dient, deren Exis­tenz ich für drin­gend not­wen­dig hielt, und danach einer Ein­zel­per­son, in die­sem Fall Frau Petry. Zwei der drei Par­tei­chefs, für die ich gear­bei­tet habe, gehö­ren heu­te nicht mehr dazu. Dar­aus kön­nen Sie schlie­ßen, dass ich mich ent­we­der für die Fal­schen ent­schie­den habe oder poli­tisch eine ziem­li­che Pfei­fe bin, was im Grun­de auf das­sel­be hinausläuft.

Für wel­che Stra­te­gie, wel­chen Stil und wel­che Zie­le stan­den bzw. ste­hen die­se drei?

Petry woll­te allein herr­schen, Meu­then die Radi­ka­len los­wer­den, Gau­land den Laden zusam­men­hal­ten. Die Tra­gik, aber auch die Komik der AfD liegt dar­in, dass sie im Grun­de aus zwei Par­tei­en besteht, aber jede Führungsfigur, die sich für eine der bei­den Optio­nen ent­schei­det, sofort von der Basis ent­mach­tet wird. Das ist so per­fekt dys­funk­tio­nal, dass unmög­lich jemand direkt dafür ver­ant­wort­lich sein kann. Es wäre nicht nur idio­tisch, son­dern auch humor­los, wenn die Hal­den­wang-Trup­pe durch noch mehr Stig­ma­ti­sie­rung die­ses Gleich­ge­wicht in Rich­tung der Radi­ka­len kip­pen würde.

Schwe­re inner­par­tei­li­che Diver­gen­zen, in den alten Bun­des­län­dern eine Wahl­nie­der­la­ge nach der ande­ren. Die gerupf­ten West­ler kla­gen die zu „extre­me“ Ost-AfD an, die Wäh­ler ver­grault; die dras­tisch erfolg­rei­che­ren Mit­tel­deut­schen ver­bit­ten sich Hand­rei­chun­gen von Lan­des­ver­bän­den an der Wahr­neh­mungs­schwel­le. Ist ein Ende des Haders abseh­bar? Oder bloß ein neu­er­li­ches Abspren­gen der Min­der­heit? Oder, nach­dem der Wäh­ler nichts so sehr ver­ab­scheut wie inner­par­tei­li­chen Hader, ein lang­sa­mes Ende der AfD?

Nein. Ja. Ja. – Was soll ich mehr dazu sagen? Bei der Land­tags­wahl in Nord­rhein-West­fa­len im Mai waren die Nicht­wäh­ler die mit Abstand stärks­te Par­tei. Eine rela­ti­ve Mehr­heit würde also gern anders wäh­len, aber die ein­zi­ge Oppo­si­ti­ons­par­tei ist für die­se Leu­te nicht attrak­tiv. Zum einen, weil sie es wohl tat­säch­lich nicht ist, zum ande­ren, weil sie auf allen Kanä­len maß­los ver­teu­felt wird. Das hängt auch mit der Unei­nig­keit zusam­men – der Deut­sche mag doch so gern den Kon­sens, die Baum­schu­le und den Marsch­block. Die AfD soll­te nach mei­ner Ansicht einer Einer­spit­ze haben, aber ich ver­ra­te Ihnen nicht, wen ich dort gern sähe, zumal ich ja nicht ein­mal Mit­glied bin. Das wäre ein Anfang.

Sie haben bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl den Sprung aus den Kulis­sen auf die Bühne gewagt und selbst kan­di­diert. Wie ver­lief die Adventüre, im Wahl­kampf und dann an der Urne?

Mei­nen Enkeln wer­de ich ein­mal erzäh­len: Wisst ihr, dass ich damals, als es die BRD noch gab, für den Bun­des­tag kan­di­diert habe? Ich habe an Wahl­kampf­mit­teln fast 100.000 Euro­nen ein­ge­wor­ben und am Ende von den 39 Chem­nit­zer Wahl­krei­sen 33 geholt. Mei­ne Wahl­kampf­slo­gans hie­ßen: „Ver­trau­en Sie mir, ich bin kein Poli­ti­ker“ und: „Die ande­ren Par­tei­en wol­len nur Ihr Geld. Ich will, dass Sie es behal­ten.“ Die Brief­wahl hat mich erle­digt. Der SPD-Kan­di­dat hat am Ende gewon­nen und dem Bun­des­tag eine letz­te Chan­ce genom­men, sei­nen Amüsementwert zu erhöhen.

Im Vor­feld gab es unfreund­li­ches „fri­end­ly fire“, auch weil Sie früher geäu­ßert hat­ten, die AfD sol­le poten­zi­el­le Wäh­ler mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund nicht gänz­lich igno­rie­ren. Die­se wer­den nun aber von allen ande­ren Par­tei­en ins Land geholt, mit Trans­fer­leis­tun­gen besto­chen und hofiert – gera­de­zu Staats­rä­son der BRD. Wie könn­te eine „Alter­na­ti­ve“ für Deutsch­land es blei­ben, wenn sie dabei mittut?

Ich würde selbst­re­dend nicht um Migran­ten wer­ben, die unse­re Art zu leben per se ableh­nen und hier nur Sozi­al­hil­fe abgrei­fen und sich aus­brei­ten wol­len. Um alle ande­ren schon. Vor allem um die­je­ni­gen, die spe­zi­ell die aktu­el­le west­li­che, ich sträu­be mich, Kul­tur zu sagen, ableh­nen. Die meis­ten Ein­wan­de­rer haben für die gehirn­ge­wa­sche­nen Mus­ter­deut­schen, für ihre Welt der Selbst­be­zich­ti­gung und der Woke­ness, nur ein Kopfschütteln übrig. Sie legen Wert auf Fami­lie, Eigen­tum, Tra­di­ti­on, Sicher­heit und Pri­vat­sphä­re. Sie sind immun gegen den deut­schen Eska­pis­mus, sie wol­len nicht das Welt­kli­ma ret­ten und ihre Kin­der zwi­schen 33 Geschlech­tern wäh­len las­sen. Die­se Leu­te ste­hen mir doch näher als die aggres­si­ven bio­deut­schen Exo­ten aus der grünen Bun­des­tags­frak­ti­on, die heu­te als eine Art Viren­pro­gramm das defi­nie­ren, was Sie Staats­rä­son nennen.

Apro­pos Staats­rä­son: Ver­dam­mung des Natio­nal­so­zia­lis­mus, ein­ver­stan­den – sie wird aber umso alar­mis­ti­scher, je unwahr­schein­li­cher des­sen „Wie­der­erstar­ken“ ist; Ver­dam­mung des Holo­caust, ein­ver­stan­den – der den Deut­schen aber umso stär­ker um die Ohren gehau­en wird, je län­ger er zurückliegt; Anti-Anti­se­mi­tis­mus, ein­ver­stan­den – aber dazu ein Zwangs-Phi­lo­se­mi­tis­mus, neben­bei die Blau­pau­se für überschießende poli­ti­sche Kor­rekt­heit gegenüber jeder Min­der­heit. Lan­ge Vor­re­de, jetzt aber: Wie wird ein lei­den­schaft­li­cher Kämp­fer gegen die poli­ti­sche Kor­rekt­heit, ein are­li­giö­ses Kind der DDR, zum Philosemiten?

Ich bin kein Phi­lo­se­mit – die­se Rol­le überlasse ich gern in die Jah­re gekom­me­nen Klez­mer-Törin­nen mit „Zeit“-Abo, die sich noch nicht zur Isla­mo­phi­lie durch­ge­läu­tert haben –, son­dern Zionist.

Was ist der Unterschied?

Der Phi­lo­se­mit mag die toten Juden, der Zio­nist die leben­den. Wobei ich natürlich auch vie­le tote Juden lie­be, mein Bücherregal ist voll von ihnen.

Zu Ihrem Bücherregal spä­ter. Zio­nist also. Sel­be Vor­re­de wie oben – wie wird jemand mit Ihrem Hin­ter­grund Zionist?

Wer Völ­ker mag, muss dem beharr­lichs­ten von allen – und, neben­bei, auch dem wit­zigs­ten – sei­ne Reve­renz erweisen.

Der Anti­se­mi­tis­mus zählt also zu den weni­gen der gän­gi­gen ‑ismus- Keu­len, mit denen man Ihnen nicht kom­men kann. Ist das nicht sehr ange­nehm, wenn man aus­nahms­wei­se zu den Guten gehört? Umge­kehrt: Wie lebt es sich auf Dau­er­kriegs­fuß mit sei­ner Epo­che, erst recht in einem Staat wie der BRD?

Das sind noch die Kri­te­ri­en der alten BRD. Nach­dem sich die Mer­kel-Jun­ta als größ­te Anti­se­mi­ten­im­port­spe­di­ti­on zumin­dest der deut­schen Geschich­te ver­wirk­licht hat, sind die­se Kri­te­ri­en ins Rut­schen gera­ten. Die Schon­zeit für Juden ist vor­bei in Deutsch­land, in Frank­reich sowie­so. Lin­ke Anti­zio­nis­ten, die Isra­el als „rech­ten“ Staat bekämp­fen, haben sich längst mit radi­ka­len Mos­lems verbündet, und auch von rech­ten Anti­se­mi­ten ver­neh­me ich ers­te Signa­le in die­se Rich­tung. Sie wis­sen ja, was auf deut­schen Stra­ßen inzwi­schen so gebrüllt wird, ohne dass sich eine Nan­cy Fae­ser bemüßigt sieht, dage­gen vor­zu­ge­hen. Die Innen­mi­nis­te­rin muss schließ­lich gegen „rechts“ kämp­fen und ihre lin­ken Gesin­nungs­kum­pa­ne mit Steu­er­mil­lio­nen ver­sor­gen. Das ist alles so tie­fen­ver­lo­gen und wider­lich – es ist ja nur ein Bei­spiel von vie­len –, dass sich Ihre Fra­ge nach dem Dau­er­kriegs­fuß von selbst beant­wor­tet. Es bleibt einem ekel­ge­steu­er­ten Men­schen wie mir ja gar kei­ne Wahl.

In einem Land, das immer ungemütlicher wird, wenn man nicht zum Jus­te­mi­lieu zählt, spre­chen Unan­ge­pass­te immer öfter vom Aus­wan­dern. Nicht unbe­dingt nach Isra­el, das vor allem für Zio­nis­ten wie Sie die ers­te Wahl sein dürfte, aber gene­rell. Was hal­ten Sie davon?

Las­sen Sie mich mit den letz­ten bei­den Sät­zen aus dem Roman „Sab­baths Thea­ter“ von Phil­ip Roth ant­wor­ten: „Wohin soll­te er gehen? Alles, was er hass­te, war hier.“

Neben den Vari­an­ten Aus­wan­de­rung und Wider­stand ist häu­fig von einer Art Wagen­burg die Rede, die auf­fal­lend oft in Ihrer alten Hei­mat Sach­sen ima­gi­niert wird. Sinn­ge­mäß: „Auf­ga­be“ der west­deut­schen Groß­städ­te, ret­ten, was und wo es zu ret­ten ist?

Wenn ich irgend­ei­ne Zukunfts­pro­gno­se für plau­si­bel hal­te, dann die­se. Viel­leicht in Ver­bin­dung mit einer Sepa­ra­ti­on gro­ßer Tei­le Ost- und Südosteuropas. Ande­rer­seits wird die glo­ba­lis­ti­sche Klas­se Städ­te wie Paris, Brüssel und Ber­lin nicht auf­ge­ben. Dort wer­den sich die Men­schen eben dar­an gewöh­nen, so zu leben wie die Israe­lis in den Hoch­zei­ten der Inti­fa­da, also dass überall Bewaff­ne­te patrouil­lie­ren und jeder Super­markt­ein­gang aus­sieht wie ein Gate am Flug­ha­fen. Um die Städ­te schlie­ßen sich die Get­tos wie ein Bela­ge­rungs­ring – Paris ist dafür exem­pla­risch. Wer es sich leis­ten kann, wird drin­nen aber ganz kom­mod und halb­wegs geschützt leben, wahr­schein­lich oft auf Staats­kos­ten, also auf Rech­nung ande­rer Leu­te. Und wer es sich nicht leis­ten kann, wird sich ent­we­der in den schlech­ten Gegen­den mit den impor­tier­ten Unter­klas­sen her­um­schla­gen oder aufs Land zie­hen müssen.

Bleibt vier­tens eine Art neu­es Bie­der­mei­er, ein Rückzug ins Pri­va­te vor Ort, wo einem dann der Main­stream den Buckel run­ter­rut­schen kann. Kann das klap­pen mit die­ser Art von Weltenflucht?

Zumin­dest tem­po­rär. Es gibt ja nur die­ses eine Leben, und man muss sich nicht ganz­tä­gig mit den Idio­ti­en her­um­är­gern, die eine unter­ge­hen­de Hoch­kul­tur pro­du­ziert. Zuviel Gro­ßes und Schö­nes ist geschaf­fen wor­den, als dass man sich nicht regel­mä­ßig dort­hin zurückziehen sollte.

Jetzt sind wir bei Ihrem Bücherregal, neh­men wir das Plat­ten­re­gal gleich dazu. Wel­che Ihrer Schät­ze sind unent­behr­lich? Was hat Sie geprägt und soll­ten jun­ge Leu­te daher auf gar kei­nen Fall lesen oder hören, wenn Sie nicht so wer­den wol­len wie Micha­el Klonovsky?

Ich mach‘s ganz kurz. Fürs Leben: Prousts „Recher­che“ und den Josephs­ro­man von Tho­mas Mann. Zum Schädelausspülen: Frie­dell, Ches­ter­ton, Hen­ry Lou­is Men­cken, Rudolf Bor­chardt. Uner­läss­lich: die fran­zö­si­schen Mora­lis­ten. Tschechow. Der „Gat­to­par­do“. Die „Odys­see“. Die größ­ten Sprach­meis­ter hei­ßen Nabo­kov und Nietz­sche. Das Krö­nungs­werk der deut­schen Lyrik ist der „West-öst­li­che Divan“. Man darf nicht ster­ben, ohne die Meni­nas, die Hof­zwer­ge und das Papst­por­trät des Veláz­quez, alle Gemäl­de von Ver­meer und die Him­mel von Clau­de Lor­rain gese­hen, ach was: durch die Augen ein­ge­at­met zu haben. Und natürlich wer­den Sie ohne die Kennt­nis gro­ßer Tei­le der Wer­ke von Bach, Rameau, Cou­perin, Mozart, Beet­ho­ven, Schu­bert, Cho­pin und Richard Wag­ner als Kul­tur­mensch nicht zu hal­ten sein.

Von der Tages­zei­tung im Abend­rot der DDR über das reich­wei­ten­star­ke Wochen­ma­ga­zin in der jun­gen wie­der­ver­ei­nig­ten BRD bis zu Ihrem schrift­stel­le­ri­schen Werk – Sie nähr­ten sich stets von Dru­cker­schwär­ze, wie Fried­rich Tor­berg zu sagen pfleg­te. Wel­che Zukunfts­chan­cen geben Sie Gedruck­tem, ein­schließ­lich Zeit­schrif­ten wie dieser?

Das soge­nann­te Rie­plsche Medi­en­ge­setz behaup­tet, dass ein Medi­um, wel­ches von neu­en Medi­en ver­drängt wird, nie voll­stän­dig ver­schwin­det, son­dern in einer Nischen- und Lieb­ha­ber­exis­tenz fort­dau­ert. Wir erle­ben zur Zeit eine gewis­se Renais­sance der Schall­plat­te, weil sie eben doch bes­ser klingt als die mas­sen­taug­lich zurecht­ge­stutz­te CD oder Spo­ti­fy. Auch ein Buch und eine gut gemach­te Zeit­schrift bie­ten einen sinn­li­chen, hap­ti­schen, sogar olfak­to­ri­schen Reiz, den das Tablet eben nicht erzeu­gen kann. Da es sich aber um Qua­li­täts­kri­te­ri­en han­delt und die Mehr­heit der Men­schen für so etwas kein Organ besitzt – was übrigens das schla­gen­ds­te Argu­ment gegen die Demo­kra­tie ist –, wird es wohl nur eine Zukunft an der Peri­phe­rie sein.

Vor Jah­ren geis­ter­ten Plä­ne von einer gedruck­ten rech­ten Tages­zei­tung durch die Sze­ne. Wäre es trotz des digi­ta­len Zeit­geists den Ver­such noch wert? Oder zumin­dest digi­tal? Bzw., wenn es nur um die Wir­kungs­macht geht – was sehen Sie als das wich­tigs­te Desi­de­rat der zuletzt ja erblühenden nicht-lin­ken Medi­en­land­schaft? Was fehlt?

Geld. Viel Geld, weil die öffent­li­chen Laut­spre­cher sofort Wer­be­boy­kot­te erzwän­gen. Aber die rech­ten deut­schen Mil­lio­nä­re sind zu fei­ge. Sie haben Angst vor den üblichen Denun­zia­tio­nen, die auto­ma­tisch fol­gen würden. Ein Sen­der wäre aber weit bes­ser als eine gedruck­te Zei­tung. Bei den Ame­ri­ka­nern funk­tio­niert so etwas noch, dort lebt die Idee der Frei­heit in robus­ter Form fort, wozu ich unbe­dingt auch den pri­va­ten Waf­fen­be­sitz zäh­le, und es gibt unter den Super­rei­chen nicht nur woke Mil­li­ar­därs­so­zia­lis­ten wie Gates und Zucker­berg, son­dern auch Republikaner-Unterstützer wie Musk und Thiel. Und immer noch rich­tet sich die Hoff­nung der frei­en Völ­ker Mit­tel­er­des auf die Wie­der­wahl Donald Trumps.

Machen wir‘s zum Abschluss kurz: Sie sind ein gro­ßer Ver­eh­rer des Apho­ris­ti­kers Nicolás Gómez Dávila, haben selbst meh­re­re Bän­de mit mes­ser­schar­fen Apho­ris­men ver­öf­fent­licht. Erken­ne die Lage! Wel­cher Apho­ris­mus scheint Ihnen am geeignetsten?

Für nichts wirk­lich Wich­ti­ges ist es je zu spät.

 

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