Im Traum sah ich einen Saal voller junger Menschen, die alle T‑Shirts trugen, auf welchen „I am unique” stand.
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In Berlin haben inzwischen die ersten U‑Bahnhöfe feste Bewohner. Das mag besser sein, als wenn die Obdachlosen draußen in der Kälte leben, bringt aber das Problem mit sich, dass reguläre Wohnungen gemeinhin mit Toiletten ausgestattet sind und Bahnhöfe in der Regel nicht.
Ein Hundehaufen – ach, möge er von einem Hund gestammt haben! – lag gestern auf der Treppe des kombinierten U- und S‑Bahnausganges Brandenburger Tor; im „Reichshauptslum” (Don Alphonso) macht man so etwas nicht zwingend weg. Doch schon am nächsten Morgen hatten Tausende von Füßen die Exkremente in klitzekleine Klümpchen, Fleckchen und Schlieren zerlegt und auf der gesamten Treppe sowie, in immer kleineren, dem bloßen Auge nicht mehr sichtbaren Portionen, über den Bahnhof verteilt. Gewiss fanden sogar ein paar Moleküle an den Fußsohlen von Bundestagsmitarbeiter*:innen ihren Weg in die Teppiche einer der angrenzenden Kemenaten des Hohen Hauses.
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Zu gern träfe ich einmal einen Menschen, der mehr wiegen und weniger verdienen möchte.
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Der Deep State ist eine Verschwörungstheorie gegen den Deep State.
Zitat: „Fox News Digital überprüfte stichprobenartig über 20 Exekutivanordnungen aus den Jahren 2021 bis 2024 und fand auf allen dieselbe Signatur. Vergleichbare Dokumente von Donald Trump hingegen sollen deutliche Unterschiede in der Handschrift aufweisen, da dieser seine Anordnungen meist öffentlich unterzeichnete. Besonders brisant: Als der damalige Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, Biden 2024 auf einen Stopp von Flüssiggasexporten ansprach, soll Biden verwundert geantwortet haben: ‚Ich habe das nicht gemacht.’ Johnson äußerte daraufhin schwere Bedenken: ‚Ich verließ das Treffen mit der Frage: Wer regiert dieses Land eigentlich?’ ”
Haben Sie diese immerhin erstaunliche Nachricht schon in Ihrer Tageszeitung gesucht? Viel Glück dabei!
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Das Platzen von Blasen bleibt innerhalb derselben offenkundig zuweilen unbemerkt.
Was selbstzerstörerische Dynamiken betrifft, hat der Pressstrolch gewisse publizistische Erfahrungen.
Zitat: „Sie sind jung, mutig, mobil, hungrig, risikobereit, initiativ. Solche Menschen braucht das Land.“
Solche Journalistenblasenbewohner aber nicht.
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„Der Esel kommt mir vor wie ein ins Holländische übersetztes Pferd.“
Lichtenberg
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Themenwechsel.
Warum wurde Friedrich Nietzsche wahnsinnig? Im Allgemeinen hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass eine syphilitische Infektion den Philosophen um den Verstand brachte. Zugezogen habe er sie sich als Student in einem Kölner Bordell. In der Latenzzeit habe sich die Krankheit in seinen körperlichen Leiden offenbart, bis sie schließlich sein Gehirn zerstörte und ihn für zehn Jahre in geistige Umnachtung versetzte, aus der ihn schließlich der Tod erlöste.
Die Geschichte vom Bordellbesuch hat Paul Deussen überliefert, späterer Ordinarius für Indologie in Kiel und mit Nietzsche seit ihrer gemeinsamen Zeit als Schüler in der königlich-preußischen Landesschule Pforta bei Naumburg freundschaftlich verbunden. In seinem Buch „Erinnerungen an Friedrich Nietzsche“, das 1901 erschien, ein Jahr nach dem Tod des „Umwerters aller Werte”, beschreibt er Nietzsches offenbar versehentlichen Abstecher in das anrüchige Etablissement. Nietzsche war damals Student in Bonn und hatte einen Fremdenführer gebeten, ihm ein Restaurant zu zeigen. Der Cicerone soll ihn stattdessen, die Wünsche des „Touristen” offenbar frivol fehlinterpretierend, in das besagte Freudenhaus geführt haben, wo der düpierte Student seine Verlegenheit überspielte, indem er sich ans Klavier setzte, kurz improvisierte und sodann entschieden das Weite suchte.
Das ist nicht viel an biographietauglicher Substanz. Wir befinden uns im Hörensagen. Die Infektion wäre also eine Spekulation aufgrund des Hörensagens, gewissermaßen Hörensagen vom Hörensagen. Die dahinterstehende Logik lautet: Wenn ein zeitlebens unverheirateter, ja keuscher Mann an Syphilis stirbt, kann er sich eigentlich nur bei einer Prostituierten infiziert haben. Die Diagnose „Progressive Paralyse auf syphilitischer Basis“ war in der Psychiatrischen Universitätsklinik in Jena unter Leitung Otto Binswangers gestellt worden, wohin man Nietzsche nach einem Zwischenaufenthalt in der Irrenanstalt Friedmatt in Basel gebracht hatte. Der späte diagnostische Donner vertrug sich im Nachhinein mit dem anekdotisch überlieferten Blitz. Seither galt Nietzsche als Syphilitiker.
Thomas Mann hat Deussens Buch für die Recherche für seinen „Doktor Faustus”, dessen Hauptfigur, der Komponist Adrian Leverkühn, biographische Züge Nietzsches trägt, natürlich gelesen. Das beweist auch die Szene vom späten Besuch des Erzählers bei dem in völliger Apathie versunkenen Leverkühn, welcher lediglich den mitgebrachten Blumen kurze Aufmerksamkeit schenkt, bis auch sie unbeachtet liegen bleiben – so berichtet es Deussen im Buch über seinen letzten Besuch bei Nietzsche. Mann übernahm auch die Bordell-Szene. Am Tag seiner Ankunft in Leipzig wird Adrian Leverkühn von einem „teuflischen Dienstmann” in ein Bordell geführt. In den Mädchen dort erkennt er erschrocken die „Esmeralden”, durchsichtige Hautflügler aus der Schmetterlingssammlung seines Vaters: „Nymphen und Töchter der Wüste, sechs oder sieben, wie soll ich sagen, Morphos, Glasflügler, Esmeralden, wenig gekleidet, durchsichtig gekleidet, in Tüll, Gaze und Glitzerwerk” (Nietzsche soll von „Erscheinungen aus Flitter und Gaze“ gesprochen haben). Eines der Mädchen geht auf ihn zu und streichelt seine Wange. Leverkühn tritt, wie angeblich Nietzsche, ans Klavier und schlägt ein paar Akkorde an, dann ergreift er die Flucht.
Doch der Pfeil hatte Adrian getroffen, schreibt der Erzähler Serenus Zeitblom. Nach etwa einem Jahr sucht der bis dato so nietzscheartig Keusche diese Esmeralda in Preßburg auf. Sie ist geschlechtskrank und warnt ihn, aber den jungen Mann verlangt es nach der Vereinigung mit dem Giftfalter. Liebe und Vergiftung werden eins. Der Teufel verkauft Leverkühn Genialität um den Preis, dass der durch Krankheit „Illuminierte” fortan nicht lieben darf. Wen er liebt, der muss sterben. Der Name „Hetaera Esmeralda” taucht in der Folge in vielen seiner Kompositionen als Klangchiffre h – e – a – es auf.
Thomas Mann bedient die geläufige Vorstellung von Wahnsinn und Genie. Erst die Krankheit versetzt den Künstler in den genialen Zustand. Der Teufel spricht zu Leverkühn: „Und ich wills meinen, daß schöpferische, Genie spendende Krankheit, Krankheit, die hoch zu Roß die Hindernisse nimmt, in kühnem Rausch von Fels zu Felsen sprengt, tausendmal dem Leben lieber ist als die Fuße latschende Gesundheit.”
Ungefähr zur selben Zeit schreibt Gottfried Benn: „Genie ist eine bestimmte Form reiner Entartung unter Auslösung von Produktivität.” In seinem Essay „Das Genieproblem” heißt es unter Berufung auf den Psychiater Karl Birnbaum, der psychopathologisches Material von genialen Persönlichkeiten sammelte: „Es litten an ausgesprochen klinischer Schizophrenie: Tasso, Newton, Lenz, Hölderlin, Swedenborg, Panizza, van Gogh, Gogol, Strindberg, latent schizophren waren: Kleist, Claude Lorrain. An Paranoia: Gutzkow, Rousseau, Pascal. Melancholie: Thorwaldsen, Weber, Schubert, Chopin, Liszt, Rossini, Molière, Lichtenberg (…) Hysterische Anfälle hatten: Platen, Flaubert, Otto Ludwig, Molière. Es starben an Paralyse: Makart, Manet, Maupassant, Lenau, Donizetti, Schumann, Nietzsche, Jules Goncourt, Baudelaire, Smetana. Es starben an arteriosklerotischer Verblödung: Kant, Gottfried Keller, Stendhal, Linné, Böcklin, Faraday. Es starben durch Selbstmord: Kleist, van Gogh, Raimund, Weininger. Es hatten Triebvarianten in homoerotischer Richtung: vierzig. Es waren ihr Leben lang asexuell: Kant, Spinoza, Newton, Menzel.”
Und weiter: „Fast alle waren ehelos, fast alle kinderlos, über glückliche Ehen weiß man eigentlich nur von einem halben Dutzend Musikern, dann von Schiller und Herder. Viele körperliche Mißbildungen (…) das Produktive, wo immer man es berührt, eine Masse, durchsetzt von Stigmatisierungen, Rausch, Halbschlaf, Paroxysmen; ein Hin und Her von Triebvarianten, Anomalien, Fetischismen, Impotenzen –: gibt es überhaupt ein gesundes Genie?”
Die Geburt des schöpferischen Geistes aus dem Kampf mit Krankheit und Leiden: das ginge auch oder jedenfalls als Leitmotiv bei Nietzsche durch. Sein gesamtes Erwachsenenleben lang litt der Philosoph unter starken, von Übelkeit und Erbrechen begleiteten Kopfschmerzen. Sie traten periodisch auf und machten ihn oft tagelang arbeits- und ausgehunfähig. Die Ärzte interpretierten das Hauptweh als Migräne. Nietzsche war von Hause aus kurzsichtig, vor allem sein rechtes Auge verlor immer mehr an Sehschärfe, bis es um sein dreißigstes Lebensjahr nahezu blind war. Einen Zusammenhang zwischen beiden Erscheinung stellte damals niemand her. Nietzsche selbst beschlich eine Ahnung: Im Jahr 1876 äußerte er einem Arzt gegenüber den Verdacht, einen Gehirntumor zu haben. Darauf wurde bei ihm eine Neuralgie diagnostiziert.
Die chronischen Leiden haben die Biographie des spätgeborenen Dionysos-Vortänzers entscheidend geprägt. Als 25jähriger war Nietzsche 1869 als außerordentlicher Professor für Klassische Philologie nach Basel berufen worden. Wegen seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung sah er sich erstmals im Wintersemester 1875/1876 gezwungen, Urlaub vom Lehrbetrieb zu nehmen. 1879 legte er die Professur nieder. Fortan nomadisierte er auf der Suche nach für ihn verträglichen Klimabedingungen durch die Schweiz, Frankreich und Italien. Im Sommer hielt er sich meist in Sils-Maria im Oberengadin auf, die Winter verbrachte er vorwiegend in Norditalien und in Nizza. Die zehn Jahre der Wanderschaft bis zu seinem Zusammenbruch anno 1889 in Turin waren eine Zeit großer und zuletzt wilder Produktivität. Die „Götzen-Dämmerung“ brachte er nach eigener Auskunft in zwanzig Tagen zu Papier. Während er sprachlich Höhen erklomm, für die es in der Geistesgeschichte kaum ein Gegenstück gibt, wurde sein Ton immer schriller; es war, als wenn eine Saite immer stärker gespannt werde. Von „Ecce homo” führt ein Weg in seine sogenannten Wahnsinnszettel, aber doch ist ein deutlicher Bruch feststellbar. Irgendwann ist die Saite gerissen.
Aber war es wirklich die Syphilis, die seinen Geist am Ende zerstörte?
Ich lernte vor kurzem einen Hirnchirurgen kennen, der mir von einer anderen Deutung berichtete. Sie ist nicht brandneu – was scheren in diesem Zusammenhang Aktualitäten? – und wurde anno 2007 im Fachjournal Neurosurgery dargelegt, also praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Aufsatz erschien unter dem Titel „The madness of Dionysus: a neurosurgical perspective on Friedrich Nietzsche”. Dessen Hypothese lautet: Es war nicht die Syphilis, sondern ein Hirntumor. (Der Aufsatz ist online nicht aufrufbar; hier finden Sie den Abstract.) Ich referiere hier kurz die Argumente der Autoren, alle drei übrigens Hirnchirurgen.
Zunächst: Es gibt überzeugende Argumente, dass Nietzsche überhaupt kein Luetiker war: etwa sein noch recht langes Leben nach dem Zusammenbruch – zehn Jahre – sowie die Tatsache, dass er nie den charakteristischen syphilitischen Tremor (Zittern) entwickelte. Nietzsches Freund Heinrich Köselitz alias Peter Gast hörte ihn Ende 1890 in der Anstalt auf dem Klavier improvisieren und stellte verblüfft fest: „Nicht eine falsche Note!“ Eine solche Virtuosität, notieren die Autoren, wäre bei einem Patienten mit fortgeschrittener Neurosyphilis eher unwahrscheinlich. Wenn sich Nietzsche tatsächlich als Student infiziert hätte, würde dies bedeuten, dass er eine 23-jährige Latenzzeit durchmachte (während der er oft krank war), gefolgt von einer zehnjährigen Überlebenszeit nach dem Einsetzen fulminanter neurologischer Symptome. Das sei zwar keineswegs ausgeschlossen, liefe allerdings auf „die äußerste Lebenserwartung bei Fällen tertiärer Syphilis” hinaus. Der Philosoph galt aufgrund seiner begrenzten finanziellen Mittel in Jena als Patient zweiter Klasse – sein Weltruhm hub etwa zehn Jahre später an –, weshalb sich die Ärzte- und assistierende Studentenschaft mit der erstbesten Diagnose „Progressive Paralyse auf syphilitischer Basis“ zufriedengab. Immerhin einer der Studenten brachte später seine Zweifel zu Papier: „Aber er lebte noch fast ein Dutzend Jahre in erträglicher körperlicher Verfassung. War er wirklich syphilitisch?“
Erste Vermutungen, dass Nietzsches Symptome durch einen Gehirntumor verursacht worden sein könnten, wurden bereits in den 1920er Jahren geäußert. In Rede stand auch ein Sehnervenmeningiom, also ein Tumor am Sehnerv. Die in den wenigen Photographien dokumentierte Veränderung des rechten Auges im Laufe von Nietzsches Lebens ist das zentrale Argument der Tumortheorie.
(Abbildung aus dem Aufsatz)
Nietzsches erste neurologische Untersuchung nach seiner Einlieferung in Basel ergab folgenden Befund: „Pupillendisparität, rechts größer als links, Reaktion träge. Konvergenter Strabismus – akute Myopie (Augenfehlstellung und Kurzsichtigkeit – M.K.). Zunge stark belegt, keine Abweichung, kein Zittern! (Was, wie gesagt, für einen Luetiker im Finalstadium ungewöhnlich wäre – M.K.) Gesichtsnerv fast normal; rechte Nasolabialfalte leicht kontrahiert. Übertriebener Patellarreflex (der jedermann bekannte Reflex im Oberschenkel, wenn der Doktor mit dem Hämmerchen aufs Vorderknie pocht – M.K.).“ Seine körperliche Untersuchung bei der Ankunft in Jena ergab: „Pupillen rechts weit, links etwas enger, links leicht unregelmäßig kontrahiert, alle Reaktionen links normal, rechts nur Reaktion auf Konvergenz, konsensuelle Reaktionen nur links.“
Der Tumor müsste sich also oberhalb des rechten Auges befunden haben. Die drei Autoren notieren: „Nietzsches langjährige Krankengeschichte mit lateralisierten Kopfschmerzen, damit verbundenen Hirnnervenlähmungen und kontralateraler Hyperreflexie (der erwähnte übersteigerte Patellarreflex – M. K.) deutet eher auf eine intrakranielle Massenläsion (eine Raumforderung innerhalb des Schädels – M. K.), insbesondere auf eine Raumforderung in der Nähe des Sehnervenkanals, der oberen Augenhöhlenspalte.” Da aber 1889 „die Kunst der neurologischen Lokalisierung noch in den Kinderschuhen steckte”, sei die potenzielle Bedeutung vieler von Nietzsches Symptomen erst im Nachhinein erkannt worden.
Sogar nach Nietzsches Nervenzusammenbruch Anfang 1889 vermerken die Aufzeichnungen seiner Ärzte, dass der Patient „häufig über eine supraorbitale (im Stirnbein gelegene – M. K.) Neuralgie auf der rechten Seite klagt“. Ein sich allmählich vergrößernder Tumor passe auch zur psychiatrischen Entwicklung, führen die drei „Hirnschlosser” (zunftübliche Selbstbezeichnung) weiter aus. Obwohl sich solche Frontaltumore typischerweise in Form von negativen Symptomen äußern – Depression, Angstzustände, Antriebsarmut, emotionale Abstumpfung, Einengung des Interesses –, gebe es auch „gut dokumentierte Reihen” von frontalen Raumforderungen, „die sich als Manie präsentieren“.
Ein großer, langsam wachsender frontaler Tumor tauge durchaus als Erklärung für Nietzsches rechtsseitige Stirnkopfschmerzen, den Pupillendefekt und den Verlust der Sehschärfe im rechten Auge. „Ein Schädelbasistumor könnte groß genug werden, um psychiatrische Symptome, einschließlich Manie, zu verursachen, und könnte auch für die emotionale Labilität, Depression und Abulie verantwortlich sein, die Nietzsche zwei Jahre nach seiner manischen Präsentation entwickelte und bis zu seinem Tod beibehielt.” Es könne aber nicht überraschen, dass die Bedeutung dieser Befunde zum Zeitpunkt von Nietzsches Einlieferung in die Psychiatrie im Jahr 1889 nicht erkannt wurde.
Diese Hypothese sei sogar überprüfbar, schließt der Aufsatz. Ein Tumor, der groß genug war, um Nietzsches Symptome zu erklären, müsse bleibende Spuren entlang der Schädelbasis hinterlassen haben und könnte durch Röntgenuntersuchungen des Schädels nachgewiesen werden.
Peter Gast, der Intimus des Philosophen, schrieb am 13. Januar 1889 in einem Brief: „Nun, für Den, der Nietzsches Ziele nicht kannte, mußte das Crescendo seines Selbstgefühls etwas Bedenkliches, ja Unheimliches haben. Aber Nietzsche hatte das Recht zum ‚Größenwahn’. Das schauerliche Faktum ist nur, daß Nietzsches Gehirn im letzten Halbjahr so über alle menschlichen Begriffe arbeitete, daß jedenfalls eine Erschöpfung der Vernunft eingetreten ist, und große Empfindung und regulierende Vernunft einander nun nicht mehr die Waage halten.”
Daneben ist ein Hirntumor natürlich prosaisch.
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Noch zum Vorigen und apropos prosaisch. Als Geistesmensch liest man die psychiatrische Krankenakte Nietzsches mir Erschütterung. Darin stehen Sätze wie „Nietzsche trinkt Urin aus seinem Schuh”, „Nietzsche schmiert mit Kot”. Anfangs erinnert er sich noch daran, dass er früher einmal Bücher geschrieben hat. Franziska Nietzsche, die Mutter, die den Umnachteten abholt, schildert einen üblen Ausbruch während einer Bahnfahrt von Basel nach Jena. Sie fürchtet sich vor seinem „flackernden Blick“ und seinem plötzlich wiederholt ausbrechenden Exhibitionismus. Immer wieder zeigt Nietzsche sich nackt und fantasiert von „vielen Weibern“. Die Dionysos-Dithyramben waren das Letzte, das er bei wachem Bewusstsein schrieb. Nun, so scheint es, stellt er sie nach.
Die Mutter ist Pastorenwitwe. Ihr Sohn, der sich jetzt entblößt und wilde Schreie ausstößt, hatte in seinem früheren Leben verkündet, dass Gott tot sei und wollte den Gekreuzigten gegen Dionysos austauschen. Sie hat keine Vorstellung und keine Ahnung davon, welcher Sturm durch diesen Kopf getobt ist. Aber sie hat ihr Kind wieder – –