21. Dezember 2024

Der soge­nann­te Auf­re­ger des gest­ri­gen Tages bescher­te der lin­ken Twit­te­ria den Ein­druck, zwi­schen rus­si­schen Hackern bzw. Bots und einem ame­ri­ka­ni­schen Mil­li­ar­där ein­ge­keilt zu sein wie Hoths 4. Pan­zer­ar­mee zwi­schen Watu­tin und Rokossowski.

„Unwür­dig und hoch­pro­ble­ma­tisch“, fand Bild zufol­ge unser wür­di­ger und ent­zü­ckend unpro­ble­ma­ti­scher Gesund­heits­mi­nis­ter Karl Lau­ter­bach (SPD) die­sen Tweet, die Regie­rungs­spre­che­rin Chris­tia­ne Hoff­mann, eine Jour­na­lis­tin (FAZ, Spie­gel), die von den Grü­nen in die­sen Job gehisst wur­de, zeig­te sich „besorgt über die Ent­wick­lung auf X“, wäh­rend Elmar Brok (CDU), „der frü­he­re Chef-Außen­po­li­ti­ker des EU-Par­la­ments” (Bild), erklär­te: „Das sind die Welt­be­herr­schungs-Fan­ta­sien der ame­ri­ka­ni­schen Tech-Könige.“

Mit der AfD zur Welt­herr­schaft. Klar soweit (Sav­vy)?

Apro­pos.

Frei­lich hat die gesam­te Ber­li­ner poli­ti­sche (und media­le) Klas­se mit Aus­nah­me einer Par­tei gegen Donald Trump get­wit­tert, gepfif­fen und getrö­tet, 2016 wie heu­er, nur käme eben nie­mand in Über­see auf die Idee, dass die­se Deut­schen sich damit in den ame­ri­ka­ni­schen Wahl­kampf ein­ge­mischt haben könn­ten, denn kein Mensch dort weiß, wer die­se Typen sind. Was sie wie­der­um selbst wissen.

Klar soweit (Sav­vy)?

Ein Exem­pel will ich gleich­wohl herausgreifen.

„Ken­nen Sie Kowal­c­zuk? Völ­lig gaga, was die AfD betrifft”, schreibt Leser ***, der mir die­sen Aus­schnitt sandte.

Selbst­ver­ständ­lich kennt ein zum Sehen gebo­re­ner und zum Schau­en bestell­ter Dia­rist auch Geschöp­fe, die sich in geheg­ten Gär­ten nor­ma­ler­wei­se irgend­wo unter Stei­nen ver­ste­cken. Ich wür­de aber sacht wider­spre­chen, was das gaga betrifft. Der tut nur so. Er muss ja irgend­wie ver­su­chen, aus der Schar derer her­vor­zu­ste­chen, die mit ihrem Enga­ge­ment gegen „Rechts” Auf­merk­sam­keit, Pos­ten, Prei­se und vor allem Staats­kne­te abgrei­fen wol­len, und das dabei ent­ste­hen­de Gegrö­le mag auf zar­te­re Gemü­ter gele­gent­lich ein biss­chen gaga wir­ken. Ken­nern der neue­ren deut­schen Geschich­te aber ist die­ser Typus urvertraut.

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Gewiss, der eigent­li­che Auf­re­ger ges­tern war der Ein­zel­fall von Mag­de­burg, auch wenn der Musk-Tweet in the long run weit mehr Todes­op­fer for­dern (aber nicht bekom­men) wird.

Um mich als gewalt­be­rei­ter Islam­kri­ti­ker zu offen­ba­ren, käme mir unter den mög­li­chen Anschlags­zie­len nach dem Peters­dom, Not­re-Dame und den Neu­köll­ner Frei­bä­dern auch recht schnell ein mit­tel­deut­scher Weih­nachts­markt in den Sinn.

Das klingt zunächst etwas ver­wir­rend bzw. nach einem schwe­ren Dach­scha­den, doch ich las im Netz, der Mann wer­de bereits als „AfD-Anhän­ger” gela­belt. Damit ent­fie­le die psy­chi­sche Stö­rung als Motiv. AfD-Anhän­ger sind immer bei Trost.

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Ungern wider­spre­che ich dem geschätz­ten Kame­ra­den Wal­l­asch, der den rus­si­schen Staats­chef unter die Kri­mi­nel­len rei­hen will.

Putin ist aus zwei Grün­den kein Verbrecher.

Der ers­te, sen­ti­men­ta­le – unter Deut­schen immer mit den Gemüts­ar­gu­men­ten begin­nen! –, lau­tet: Wenn Putin, weil er einen Krieg begon­nen hat, bei dem auch Zivi­lis­ten ster­ben, ein Ver­bre­cher wäre, dann wären ja Geor­ge W. Bush, Bill Clin­ton, Made­lei­ne Alb­right, Barack Oba­ma oder Hil­la­ry Clin­ton, um eine höchst lücken­haf­te Auf­zäh­lung ein­zu­rü­cken, eben­falls Ver­bre­cher, und das geht ja nicht, denn es sind unse­re Verbündeten.

Der zwei­te, staats­recht­lich-nüch­ter­ne: Krieg ist kein Ver­bre­chen, son­dern ein legi­ti­mes Mit­tel eines sou­ve­rä­nen Staa­tes, sei­ne poli­ti­schen Zie­le durch­zu­set­zen. Ist schei­ße, ist aber so. Es gibt Ver­bre­chen im Krieg, der Krieg selbst ist kei­nes. Für Kriegs­ver­bre­chen haf­tet, im Fal­le des Sie­ges der beschul­dig­ten Sei­te, nie­mand, im Fal­le der Nie­der­la­ge für gewöhn­lich der­je­ni­ge, der sie ange­ord­net hat. Was uns zum Unter­punkt 2.1. führt: Putin ist schon allein des­halb kein Ver­bre­cher, weil man mit einem Ver­bre­cher kei­nen Frie­den schlie­ßen kann. Des­we­gen muss man der Kri­mi­na­li­sie­rung des Fein­des – bei gleich­zei­ti­ger Nicht­kri­mi­na­li­sie­rung des das­sel­be ver­an­stal­ten­den Ver­bün­de­ten, was auf Drit­te ver­lo­gen wirkt – aus dem Wege gehen. Das alte euro­päi­sche Völ­ker­recht war so orga­ni­siert, dass ein Frie­dens­schluss jeder­zeit mög­lich war. Die Sie­ger von Ver­sailles und vor allem die USA haben es mit ihrer „Wen­dung zum dis­kri­mi­nie­ren­den Kriegs­be­griff” (Carl Schmitt) zer­stört und aus dem Feind den Ver­bre­cher gemacht, mit dem man kei­nen Frie­den schlie­ßen kann. Dass sie ein­mal recht hat­ten – damals aller­dings als Ver­bün­de­te eines ande­ren Dik­ta­tors und Mas­sen­mör­ders, was auf Drit­te ver­lo­gen wirk­te, aber der Zweck hei­lig­te die Mit­tel –, ändert nichts an der Ver­werf­lich­keit der mora­li­schen Auf­la­dung des Feindbegriffs.

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Die Neue Zür­cher Zei­tung, näher­hin der Chef­re­dak­teur der Deutsch­land-Aus­ga­be Marc Felix Ser­rao, hat den His­to­ri­ker Karl­heinz Weiß­mann inter­viewt, den als rech­ten His­to­ri­ker vor­zu­stel­len von weit grö­ße­rer Dring­lich­keit ist als bei­spiels­wei­se Ilko-Sascha Kowal­c­zuk als lin­ken Narren.

Mein inne­rer Theo­lo­ge lug­te und lins­te natür­lich nach dem The­ma Num­mer eins, und ver­läss­lich, wenn auch mit gesetz­ter Ver­zö­ge­rung – in der Zeit wäre sein Auf­tritt bei Fra­ge zwei oder drei fäl­lig gewe­sen –, betrat es das Podium.

Und zwar nach­dem Weiß­mann den SPD-Mann Peter Glotz zitier­te, der in den 1990ern vor­aus­ge­sagt hat­te, dass in Deutsch­land eine Par­tei ent­ste­hen wer­de, die dafür ein­tre­te, „dass Deutsch­land genau­so agie­re wie ande­re Natio­nen auch” – Glotz habe dafür den Begriff „Nor­ma­li­sie­rungs­na­tio­na­lis­ten” geprägt. „Die­se Vor­stel­lung”, fährt Weiß­mann fort, „hat eine beson­de­re Reso­nanz im Osten des wie­der­ver­ei­nig­ten Deutsch­land gefun­den, weil dort zwei Vor­stel­lun­gen nie ver­an­kert wer­den konn­ten, auch wenn man das nach 1990 von west­li­cher Sei­te inten­siv ver­sucht hat. Das eine ist die Vor­stel­lung von der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung als Pro­zess ad infi­ni­tum. Und das Zwei­te ist damit verknüpft: die Vor­stel­lung von einer Kol­lek­tiv­schuld, die alles mora­lisch in den Schat­ten stellt, was ande­re Völ­ker in der Ver­gan­gen­heit getan haben.”

Dar­auf repli­ziert der Inter­view­er: „ ‚Kol­lek­tiv­schuld’ ist ein Kampf­be­griff. Damit han­tie­ren vor allem Rech­te, um das Geden­ken an den Holo­caust zu dis­kre­di­tie­ren. Ich ken­ne nie­man­den, der den Deut­schen von heu­te eine Schuld an den Ver­bre­chen der Nazis gibt. Was – zu Recht – gefor­dert wird, ist ein Bewusst­sein für die his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung des Lan­des, damit sich so etwas nie wie­der­holt. Es waren Deut­sche, die im Ras­sen­wahn zwei Drit­tel aller damals in Euro­pa leben­den Juden ermor­det haben. Das bleibt singulär.”

Weiß­mann: „ ‚Kol­lek­tiv­schuld’ ist genau das, was den Alli­ier­ten zur Recht­fer­ti­gung ihrer Kriegführung gegen die deut­sche Zivil­be­völ­ke­rung, der Abtren­nung der Ost­ge­bie­te und der Mas­sen­ver­trei­bun­gen dien­te, aber auch zur Begründung für die Art und Wei­se, wie sie das Besat­zungs­re­gime ausgeübt haben.”

Inter­view­er: „Den Krieg gegen die Zivil­be­völ­ke­run­gen Euro­pas haben die Nazis geführt. Es ist, mit Ver­laub, ver­stö­rend, wie Sie die Not­wen­dig­keit der Zer­stö­rung des Hit­ler-Regimes und sei­nes Rückhalts im Volk hier zu einem Ver­bre­chen an den Deut­schen umdeu­ten. Die Alli­ier­ten haben kei­nen Krieg gegen die deut­sche Zivil­be­völ­ke­rung geführt.”

Weiß­mann: „Das ist in der Sache falsch, aber bevor wir unser The­ma ganz aus dem Blick ver­lie­ren: Rudolf Aug­stein, der Ihnen poli­tisch sicher näher­steht als mir, hat ein­mal fest­ge­hal­ten, dass nach den Mass­stä­ben des Nürnberger Kriegs­ver­bre­cher­pro­zes­ses nicht nur Sta­lin, son­dern auch Chur­chill und Tru­man hät­ten hän­gen müssen. Darüber hin­aus sei dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich in der Geschich­te noch nie irgend­et­was wie­der­holt hat, es sei denn, Sie mei­nen jene Kon­stel­la­tio­nen im ele­men­tars­ten Sinn, die aus der Anthro­po­lo­gie selbst her­vor­ge­hen: Feig­heit, Kor­rup­ti­on, Sadis­mus, Macht­miss­brauch und alles, was Macht ‚böse’ wer­den lässt. Im Übri­gen: Ich habe noch nie gehört, dass irgend­ein ande­res Volk für die Ver­bre­chen ‚his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung’ übernehmen muss­te, die in sei­nem Namen unter einem dik­ta­to­ri­schen Regime verübt wurden.”

Inter­view­er: „Noch ein­mal: Der Holo­caust mit sei­nem Ras­sen­wahn und sei­ner indus­tri­el­len Dimen­si­on ist ein sin­gu­lä­res Ver­bre­chen. Es gab nichts Ver­gleich­ba­res. Und das Regime war auch nicht los­ge­löst von den Deut­schen. Wei­te Tei­le des Vol­kes lagen Hit­ler zu Füssen. Wofür plä­die­ren Sie hier eigent­lich? Soll Deutsch­land mit der Erin­ne­rung an die Ver­bre­chen der Nazis aufhören?”

Hier muss ich denn erst­mals ein­ha­ken, und zwar nicht wegen Weiß­mann. Der­je­ni­ge, der mit dem Begriff der „Sin­gu­la­ri­tät” außer­halb der rela­ti­vis­ti­schen Phy­sik her­um­han­tiert, muss drin­gend dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den, dass nicht nur die Shoa oder Moni­ca Bel­luc­ci, son­dern jede Schnee­flo­cke und jeder Hun­de­hau­fen sin­gu­lär sind; sin­gu­lär ist alles. Ähn­lich wie der im sel­ben Zusam­men­hang gern her­bei­ge­wuch­te­te Ter­mi­nus „Rela­ti­vie­rung” ist „sin­gu­lär” ein Euphe­mis­mus, der nur des­halb im Raum steht, weil sich des­sen Benut­zer nicht recht trau­en, das aus­zu­spre­chen, was sie offen­bar mei­nen, näm­lich: Die Shoa – oder der Holo­caust – war das schlimms­te Ver­bre­chen aller Zei­ten und Völ­ker, wes­halb ein Ver­gleich mit ande­ren Ver­bre­chen es rela­ti­vie­ren wür­de. Das Gegen­teil von rela­tiv ist abso­lut, und abso­lut ist nur Gott. Sol­che Begrif­fe illus­trie­ren, wenn auch ver­druckst, die sakra­le Dimen­si­on der Sache. Vom logi­schen Kabolz, dass ein Ver­gleichs­ver­bot den Ver­gleich zwin­gend vor­aus­setzt, kün­de ich ein ander­mal. Außer­dem setzt Sakra­les die Logik ver­läss­lich außer Kraft.

Der NZZ-Inter­view­er meint also offen­bar, die Shoa sei das schlimms­te aller jemals in der Welt­ge­schich­te ver­üb­ten Ver­bre­chen, das man mit kei­nem ande­ren Ver­bre­chen ver­glei­chen kön­ne, wes­halb man es mit kei­nen ande­ren Ver­bre­chen ver­glei­chen dür­fe. Ich bin zwar bereit, Gevat­ter Ser­rao auf hal­bem Wege ent­ge­gen­zu­kom­men und zu sagen: Die­je­ni­gen Deut­schen (und deren Hiwis), die das ver­bro­chen haben, vom Denun­zi­an­ten bis zum SS-Ober­grup­pen­füh­rer, sol­len an der Spit­ze der Ver­fluch­ten ste­hen bis zum jüngs­ten Tag, aber ich bin nicht bereit, das Ver­gleichs­ver­bot bezüg­lich der Opfer zu akzep­tie­ren. Des­halb muss die Fra­ge gestellt wer­den, wes­halb der eine Mas­sen­mord schänd­li­cher sein soll als die ande­ren. Das ele­men­tars­te Kri­te­ri­um, jenes der schie­ren Zahl, spricht gegen eine „spe­zi­el­le” Sin­gu­la­ri­tät der NS-Mas­sen­mor­de. Unter der Herr­schaft Lenins und vor allem Sta­lins wur­den min­des­tens eben­so vie­le Kula­ken, ukrai­ni­sche Bau­ern und „Staats­fein­de” umge­bracht wie Juden unter Hit­ler, Kin­der, Alte und Frau­en ein­ge­schlos­sen, und Mao Zedong opfer­te bei­spiels­wei­se beim „Gro­ßen Sprung nach vorn” ein damit ver­gli­chen Mehr­fa­ches an chi­ne­si­schen Bau­ern samt ihren Fami­li­en. Auch die bevor­zug­te Todes­art, wel­che die jewei­li­gen Regimes ihren Opfern zuma­ßen, spricht gegen eine alle ande­ren überbietende Bru­ta­li­tät der Nazis; Gevat­ter Ser­rao muss in die­sem Zusam­men­hang nur das maka­bre Gedan­ken­ex­pe­ri­ment anstel­len, ob er sei­nen Kin­dern lie­ber beim tage­lan­gen qual­vol­len Ver­hun­gern zusä­he oder beim ver­gleichs­wei­se schnel­len Ersti­cken in einer Gaskammer.

Ansons­ten pferch­ten sowohl die Natio­nal- als auch die Inter­na­tio­nal­so­zia­lis­ten ihre Opfer in Lagern zusam­men, um sie durch Krank­hei­ten, Arbeit, Hun­ger, Käl­te und see­li­sche Qual suk­zes­si­ve aus der Welt zu schaf­fen, oder sie lie­ßen die­se Arbeit durch Genick­schuss­kom­man­dos erle­di­gen. Das Argu­ment, dass nur die Nazis Lager betrie­ben haben, die ein­zig und allein der Men­schen­ver­nich­tung dien­ten, ver­liert an Aus­sa­ge­kraft vor dem Hin­ter­grund der roten Hun­ger­mas­sen­mor­de, für die nicht ein­mal Lager nötig waren. Über­dies wird man schwer­lich der Tat­sa­che wider­spre­chen kön­nen, dass die Mas­sen­mor­de der Sowjets jenen der Nazis zeit­lich und in gewis­sem Sin­ne auch kau­sal vor­aus­gin­gen, letz­te­res zumin­dest inso­fern, als die NS-Führer das rote Schreck- und Vor­bild bei ihren Taten stets vor Augen hat­ten, wie die berüchtigte Pose­ner Rede Hein­rich Himm­lers bezeugt.

Da alle his­to­ri­schen Fak­ten gegen eine „unver­gleich­ba­re” Qua­li­tät der NS-Ver­bre­chen spre­chen, wur­de schließ­lich die „Singularitäts”-Letztbegründung sta­tu­iert, dass die Natio­nal­so­zia­lis­ten ten­den­zi­ell sämt­li­che Juden auf dem Pla­ne­ten umbrin­gen woll­ten, wäh­rend bei den Kom­mu­nis­ten der unter fal­schem Klas­sen­s­tern­bild Gebo­re­ne zumin­dest gele­gent­lich die Chan­ce erhielt, zu überleben – und sei es nur, um nach einer aus­gie­bi­gen Gehirn­wä­sche in einem Umer­zie­hungs­la­ger als roter Kämp­fer auf das eige­ne Her­kunfts­mi­lieu gehetzt zu wer­den. Damit hät­ten wir aber die Per­spek­ti­ve der Opfer wie­der mit jener der Täter ver­tauscht, an deren Ver­flu­chung ich, wie gesagt, gern teil­ha­be, sofern sie nicht all­zu öffent­lich statt­fin­det; dazu gleich. Das gan­ze Sin­gu­la­ri­täts-Gefuch­tel und Zer­knir­schungs-Getue – „Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung als Pro­zess ad infi­ni­tum”, weil die deut­sche Schuld „alles mora­lisch in den Schat­ten stellt, was ande­re Völ­ker in der Ver­gan­gen­heit getan haben” (Weiß­mann), mögen die Wort­füh­rer die Schuld auch zur „Ver­ant­wor­tung” schrump­fen – dient ja höchst pro­fa­nen Zwe­cken, wes­halb es mich so anwi­dert. Die­se Ver­ant­wor­tung exis­tier­te schließ­lich vor allem gegen­über den Nach­fah­ren der Opfer der Shoa, wes­halb es kei­nem Grü­nen ansteht, sie zum Bei­spiel mir gegen­über im Mun­de zu füh­ren oder gar zu for­dern. Wobei ich die Fra­ge hier zwar stel­len, wenn auch nicht wei­ter erläu­tern will, war­um die Rus­sen, die im Zwei­ten Welt­krieg allein unter der Zivil­be­völ­ke­rung mehr Men­schen ver­lo­ren haben als alle ande­ren betei­lig­ten Natio­nen auf dem euro­päi­schen Kriegs­schau­platz zusam­men, dem eins­ti­gen deut­schen Kriegs­geg­ner nicht stän­dig mit des­sen Schuld und Ver­ant­wor­tung in den Ohren liegen.

Aber wei­ter im Interview.

Weiß­mann: „Ich glau­be, dass die Kon­zen­tra­ti­on auf die­sen Aspekt unse­rer Geschich­te been­det wer­den muss und mit der ‚His­to­ri­sie­rung’ end­lich Ernst gemacht wer­den soll­te, die Mar­tin Bros­zat – einst Direk­tor des Insti­tuts für Zeit­ge­schich­te und frag­los ein Lin­ker – schon vor vier Jahr­zehn­ten ange­mahnt hat. Und um noch ein­mal auf Gauck zu kom­men: Der hat davon gespro­chen, dass die Beschäf­ti­gung mit der NS-Zeit längst ’neu­ro­ti­sche Dimen­sio­nen’ ange­nom­men habe und man die Nach­ge­bo­re­nen zu ‚Qua­sischul­di­gen’ mache. Was – kaum überraschend – die gerin­ge Selbst­ach­tung und ein ver­min­der­tes Ja zur eige­nen Nati­on bei den Deut­schen erklä­re. Ich bin ganz sei­ner Mei­nung: Die Fixie­rung der kol­lek­ti­ven Erin­ne­rung auf die­sen Punkt hat mei­ner Mei­nung nach die nach­tei­ligs­ten psy­chi­schen Fol­gen für das, was man ein­mal ‚Volks­see­le’ nann­te. Mehr noch: Es ist ein Instru­ment, mit dem man die Men­schen fügsam hält.”

Inter­view­er: „Herr­je. Und wer hält die­ses Instru­ment in den Hän­den? Die bösen Amerikaner?”

Weiß­mann: „In ers­ter Linie ist das unse­re poli­tisch-media­le Klas­se – oder wie immer Sie das nen­nen wollen.”

Inter­view­er: „Das ist doch eine Ver­schwö­rungs­er­zäh­lung. Kön­nen Sie sich allen Erns­tes nicht vor­stel­len, dass es vie­len Deut­schen ein Anlie­gen ist, die Erin­ne­rung an die Ver­bre­chen der Nazis wach­zu­hal­ten – nicht fremd­ge­steu­ert, son­dern aus eige­ner Überzeugung?”

Weiß­mann: „Natürlich gibt es die ehr­lich Über­zeug­ten. Aber um die geht es nicht. Johan­nes Gross, bei dem Sie wohl kaum bestrei­ten wer­den, dass er ein inti­mer Ken­ner unse­rer poli­ti­schen Klas­se war, hat ein­mal gesagt, dass die ‚Ver­wal­tung der deut­schen Schuld und die Pfle­ge des deut­schen Schuld­be­wusst­seins’ vor allem ‚Herr­schafts­in­stru­men­te’ sei­en. Es gab Zei­ten einer offe­nen Debat­te, heu­te kaum vor­stell­bar, da konn­ten sie der­lei sogar in der ‚Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung’ lesen.

Inter­view­er: „Wenn eine The­se ver­schwin­det, liegt das nicht immer an der man­geln­den Offen­heit der Debat­te. Manch­mal setzt sich auch die Erkennt­nis durch, dass es sich um dunk­les Gerau­ne handelt.”

Sie sehen, der NZZ-Mann bedient die Tas­ta­tur der deut­schen Trig­ger­wor­te mit der­sel­ben Sicher­heit, mit wel­cher ein guter Aku­punk­teur sich an den Meri­dia­nen sei­ner Kli­en­ten ent­lang­na­delt. Bei der All­prä­senz des Drit­ten Reichs und der deut­schen Schuld in der ’sch­län­di­schen Öffent­lich­keit han­delt es sich also nach sei­ner – fin­gier­ten – Mei­nung einer­seits um dunk­les Gerau­ne, ande­rer­seits um ein Her­zens­an­lie­gen der meis­ten indi­ge­nen Almans, aber kei­nes­wegs um eine Instru­men­ta­li­sie­rung der Geschich­te im poli­ti­schen Tages­ge­schäft bzw. dem mit jenem nahe­zu iden­ti­schen „Kampf” gegen „Rechts”. Obwohl allein sei­ne Inter­view­füh­rung die­se The­se schon wider­legt. Er bestrei­tet den zen­tra­len Staats­kult der BRD und behaup­tet, die­ser sei eine Pri­vat­re­li­gi­on der bra­ven Bür­ger. Das ist selbst­ent­lar­vend gro­tesk. Dass die ein­zi­ge Oppo­si­ti­ons­par­tei, ob nun im Bun­des­tag oder auf allen Büh­nen, Podi­en, Kan­zeln und Kanä­len, prak­tisch täg­lich in NS-Ver­bin­dung gebracht wird, dass bei jeder Bun­des­tags­de­bat­te oder Talk­show A. Hit­ler mit im Raum sitzt, dass im Aus­land regel­mä­ßig die NS-Jah­re poli­tisch gegen Deutsch­land instru­men­ta­li­siert wer­den, sei es, dass Polen neue Repa­ra­tio­nen for­dert oder La Repu­bli­ca ein Inter­view mit einem deut­schen Poli­ti­ker mit Fra­gen nach der SS beginnt, ist den meis­ten Deut­schen also ein Her­zens­an­lie­gen; die demo­kra­tisch über­stimm­ten dunk­len Rau­ner (= Nazis) natür­lich aus­ge­nom­men. Ich glau­be das kei­ne Sekun­de; viel­mehr hat mir mei­ne nun­mehr vier­und­drei­ßig Jah­re wäh­ren­de ento­mo­lo­gi­sche Beob­ach­tung des Homo sapi­ens bun­des­re­pu­bli­ka­nen­sis die Erkennt­nis beschert, dass es sich fast immer um Lip­pen­be­kennt­nis­se, sei es aus Kar­rie­ris­mus, sei es aus Anpas­sung, also um Zer­knir­schungssimu­la­ti­on zu Fort­kom­mens- und Herr­schafts­zwe­cken han­delt. Dass sich über­haupt die­ser Typus zwar gern hoch­mo­ra­lisch und end­auf­ge­klärt gibt, aber so per­fi­de, miss­güns­tig, hass­erfüllt, nie­der­träch­tig, feind­se­lig und vor allem fei­ge ist wie der alte Adam seit eh und je. Mit dem­sel­ben Eifer wie an der Juden­ver­fol­gung betei­ligt sich Diede­rich Heß­ling eben am „Kampf” gegen Rechts (oder gegen Unge­impf­te, Mas­ken­ver­wei­ge­rer, Kli­ma­leug­ner, Trum­pis­ten etc.). Allein dar­an kann man stu­die­ren, dass die Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung (VB) für die Mehr­heit, von den ehren­wer­ten oder auch när­ri­schen Aus­nah­men abge­se­hen, bloß eine kon­for­mis­ti­sche Show war und ist, aus der buch­stäb­lich nichts folgt.

Der Letz­te übri­gens, der für die Offen­le­gung des kul­ti­schen Cha­rak­ters der VB pos­tum von habi­tu­el­len Nazis bis hin­auf in die Pro­fes­so­ren­rie­ge die­ses tie­fen­ver­lo­ge­nen Lan­des mit den übli­chen Invek­ti­ven geschmäht und bespuckt wur­de, war Rolf Peter Sie­fer­le, er ruhe in Frieden.

Wenn es „den” guten Deut­schen und deut­schen Guten wirk­lich ernst wäre mit ihrer soge­nann­ten Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung und einer dar­aus resul­tie­ren­den per­sön­li­chen Zer­knir­schung – gegen die ich, wie gesagt, nichts ein­zu­wen­den hät­te, solan­ge sie sich nicht bei­fal­lerhei­schend umschau­en –, dann wür­den sie, ers­tens, nicht jeden x‑beliebigen Anders­mei­nen­den jen­seits von Gut und Höcke als „Nazi” schmä­hen (und damit, um der Dep­pen­ter­mi­no­lo­gie zu fol­gen, die NS-Ver­bre­chen rela­ti­vie­ren); dann wür­den sie, zwei­tens, nicht laut­hals und fort­kom­mens­dien­lich mit ihrer Bewäl­ti­gungs­ge­sin­nung hau­sie­ren gehen wie zum Bei­spiel der Genos­se H. Maas, SPD, der, als eine Obs­zö­ni­täts­pro­tu­ber­anz sui gene­ris, für sich rekla­miert hat, er sei „wegen Ausch­witz in die Poli­tik gegan­gen”; dann wären sie, drit­tens, nicht von einem der­art mons­trö­sen Des­in­ter­es­se an den Opfern und Tätern des Kom­mu­nis­mus. Und sie wür­den sich, vier­tens, nicht vor­ran­ging für tote Juden inter­es­sie­ren, für Herrn und Frau Stol­per­stein, son­dern für die leben­den, doch denen wer­fen die Wie­der­gut­ma­chungs­deut­schen eher vor, dass sie ihren Staat all­zu rus­ti­kal ver­tei­di­gen, wäh­rend sie zugleich Hun­dert­tau­sen­de Juden­fein­de ins Bewältigungs’schland holen bzw. ihrer Her­ho­lung applau­die­ren, was zu den erle­sens­ten Per­ver­sio­nen die­ses see­lisch ver­krüp­pel­ten Vol­kes gehört.

Damit haben wir den Glut­kern unse­res The­mas erreicht. Wel­chem Zweck näm­lich dient die beharr­li­che Erin­ne­rung an die NS-Ver­bre­chen, wofür wird die Wun­de immer schön offen und eiternd gehal­ten? Um die deut­schen Täter­nach­kom­men dar­auf zu kon­di­tio­nie­ren, dass sie nicht nur ihren Wohl­stand abge­ben, son­dern auch ihr Land, dass sie die nicht enden­de, ihre gene­ti­sche Wolfs­sub­stanz letzt­lich aus der Welt til­gen­de Mas­sen­ein­wan­de­rung als Süh­ne für die Taten ihrer Vor­fah­ren klag­los hin­neh­men. Des­we­gen ist jeder ein Nazi, der gegen neue Asy­lan­ten­her­ber­gen in sei­ner Kom­mu­ne pro­tes­tiert, denn es ist gar nicht sei­ne. Die gesam­te Ideo­lo­gie des Post­ko­lo­nia­lis­mus funk­tio­niert übri­gens so – Deutsch­land ist nur ein Fall beson­de­res inni­ger Auto­ag­gres­si­vi­tät –, und des­halb gilt Isra­el heu­te bei den post­ko­lo­nia­lis­ti­schen Lin­ken als „rech­ter” Staat, das heißt, der Anti­zio­nis­mus gehört inzwi­schen zum „Kampf” gegen „Rechts”.

Und der Inter­view­er soll­te sich die Fra­ge stel­len, ob er nicht ein ganz klei­nes biss­chen dabei mit­tut, die Hit­ler­ver­gel­tungs­an­ti­se­mi­ten ins sturm­reif mora­li­sier­te Land zu lot­sen, indem er die­sen Zeit­geist bedient. Doch womög­lich muss­te er die­se Lita­nei­en nur absin­gen, um über­haupt ein Inter­view mit einem rech­ten His­to­ri­ker ins Blatt zu bekom­men; auch die NZZ wird ja zwi­schen den Kon­den­sa­tor­plat­ten des Zeit­geis­tes produziert.
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Es hat all­mäh­lich den Cha­rak­ter einer Kampagne.

Wie eigent­lich in jedem Fal­le, wenn deut­sche Volks­päd­ago­gen ein neu­es Erzie­hungs­kol­lek­tiv gefun­den zu haben meinen.

Bereits die sum­ma­ri­sche Reduk­ti­on auf den Begriff „Alko­hol” ist bar­ba­risch. Es gibt kei­ne Gemein­sam­keit zwi­schen einem Becks-Bier, einem Jäger­meis­ter und einem Châ­teau d’Yquem.

Das ist ja in Ord­nung – aber war­um nicht mal andersherum?

Die­se Über­schrift ist so blitz­däm­lich, dass es sogar einen Jean-Clau­de Jun­cker graust. Selbst­re­dend bedarf es zum Ent­kor­ken einer Fla­sche Wei­nes nur wenig mehr Mutes als zur Teil­nah­me am „Kampf” gegen Rechts. Aber viel­leicht soll­te er es mal, für den Kick, coram publi­co in Mek­ka oder Islam­abad versuchen?

Außer­dem: Wem der Kick bil­lig erscheint, der spart bloß an der fal­schen Stelle.

Zuletzt: Ich fand es immer trau­rig, dass Namens­wit­ze im Focus ver­pönt waren; schau­en Sie auf den Interviewer.

 

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18. Dezember 2024

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