Der Beitrag von Leser ***, der „sein gesamtes Berufsleben in der Investmentindustrie verbracht hat”, zur Entdiabolisierung von BlackRock hat zustimmende, aber auch ablehnende Reaktionen ausgelöst. Ich habe ihm die Zuschriften weitergeleitet (wie bei mir üblich anonymisiert) und gefragt, ob er antworten möchte. Dankenswerterweise wollte er.
Seinen Ausführungen vorangestellt sei eine der kritischen Zuschriften als Pars pro toto (die anderen werden sich hoffentlich in seiner Antwort wiederfinden):
„Das ist eine nette Lavierung. Ja, BlackRock ‚verwaltet’ das Geld seiner Kunden. Aber ‚Verwalten’ heißt hier ‚Investieren’. Deshalb werden diese Firmen auch als Finanzinvestoren bezeichnet. Es ist also immer BlackRock, die investieren, und erst in zweiter Instanz deren Kunden. Genau das ist es, worin die kaum mehr begrenzte Macht dieser Firmen wie aller großen Banken besteht. Es ist deshalb ein grob falscher Eindruck, der entsteht, wenn man argumentiert, BlackRock würde ’nur das Geld seiner Kunden verwalten’. Die Kunden sind passiv, aktiv ist der Investor.
Da BlackRock sowohl in klimafreundliche als auch in fossile Energien investiert, halte ich das für Augenwischerei. Dort gibt es überhaupt keine moralische oder sonstige Richtschnur. Es zählt nur, was Geld bringt. Und jeder Bankkunde weiß: Er vertraut der Bank sein Geld an, damit die ihren Job macht und Rendite erzielt. Niemand macht mir weis, dass die Kunden BlackRock sagen, wo hinein investiert werden soll. Dann könnten die Kunden das praktischerweise auch selbst erledigen.”
Es folgt die Antwort von Leser ***:
„Okay, ‚verwalten’ ist vielleicht ein zu behäbiger Begriff für das, was BlackRock und vergleichbare Unternehmen betreiben. Einigen wir uns darauf: ‚Investor’ ist derjenige, der das Geld bereitstellt (Versicherungen, Pensionskassen, Versorgungswerke, Stiftungen, Kleinsparer usw.), und ‚Manager’ ist derjenige, der im Auftrag des Investors das Geld – üblicherweise im Rahmen eines Fonds – anlegt, in Aktien, Anleihen aller Art, Geldmarktpapieren, Währungen, Immobilien. Hier also, pars pro toto, BlackRock.
Es wird in der Öffentlichkeit grob unterschätzt, wie sehr dieses Management von Wertpapieren heutzutage reguliert ist. Da sind zunächst die Investoren selbst, die von allerlei staatlichen Aufsichtsbehörden kontrolliert werden, der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) oder den Finanzbehörden der Bundesländer. Eine Versicherung bsp. unterliegt strengen Limitationen bezüglich der Anlage ihrer Mittel in Anlageklassen, Qualitäten und Risiken aller Art, und auch hinsichtlich der Art und Weise, wie sie die Entwicklung ihrer Investments kontrollieren muss. Dann haben diese Investoren ihre eigenen Regularien, ihre eigenen Gremien, die regelmäßig Bericht verlangen über die Entwicklung der Kapitalanlagen. Für die Manager, in Deutschland ‚Kapitalverwaltungsgesellschaften’ genannt (sorry, schon wieder ‚Verwaltung’), gibt es wiederum ein eigenes Regelwerk, das sog. Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB; furchtbar trockene Materie, wer mal reinschauen will, bitte sehr; für meinen Geschmack völlig überreguliert das Ganze). Für jeden Fonds, den ein Investor bei einem Manager in Auftrag gibt, existieren überdies eigene Richtlinien, die den Anlageauftrag, oft bis in kleinste Details, regeln. Ein Investor kann den Manager verklagen, wenn er sich zum Schaden des Investors nicht an diese Richtlinien hält, deshalb unterhalten die Manager riesige Controllingapparate, um die laufende Übereinstimmung mit den Fondsrichtlinien sicherzustellen.
Dass die Macht von Banken ‚kaum mehr begrenzt’ sei, stimmt nicht. Auch die Aufsicht über die Banken ist heute strenger denn je. Schauen Sie sich doch nur einmal den Aktienkurs der Deutschen Bank seit 1990 an (und das ist noch der Branchenprimus in Deutschland!):
Ich muss hier immer an eine Anekdote aus meiner frühen Berufszeit denken: Als Uni-Absolvent, der gerade frisch in einer Bank angefangen hatte, glaubte ich meine linken Überzeugungen an den Mann bringen zu müssen und erklärte einem älteren Mitarbeiter, die Banken hätten doch viel zu viel Macht und erzielten viel zu hohe Gewinne. Er gab mir kühl zurück: ‚Dann müssen Sie halt Bankaktien kaufen.’ Nun, wie man sieht, hätte ich damit ein denkbar schlechtes Geschäft gemacht. Bedenken Sie doch nur, wie sehr z.B. das Internet dem klassischen Kreditgeschäft zusetzt: Ein Kreditinstitut lebt von der Differenz zwischen Soll- und Habenzins (‚Kreditmarge’). Jeder Häuslebauer kann sich heute auf Finanzportalen über die besten Kreditkonditionen informieren, und jeder, der eine Festzinsanlage sucht, findet leicht die Institute, die den höchsten Einlagenzins bieten. Diese völlige Transparenz über Soll- und Habenzinsen setzt der Kreditmarge der Banken sehr enge Grenzen, um das Mindeste zu sagen. Es gibt keine bessere Begrenzung wirtschaftlicher Macht als den Wettbewerb.
Dass, wie der Leser schreibt, BlackRock ’sowohl in klimafreundliche als auch in fossile Energien investiert’, ist nur zum Teil richtig, denn wiederum sind es die Kunden von BlackRock, die (über die erwähnten Anlagerichtlinien der Fonds) die dazu relevanten Vorgaben machen. Richtig ist aber, dass in den von BlackRock (und anderen) gemanagten Fonds sich Investments aller Art befinden, sowohl Aktien der Öl- und Gaskonzerne als auch der Hersteller von Windkraftturbinen und Solarmodulen. Inwieweit das eine oder das andere zulässig oder gewünscht ist, darüber entscheidet der Kunde, also der Investor! Das Brot- und Buttergeschäft von BlackRock ist dienstleistungsorientiert, und keineswegs ist der Manager dieser Fonds der große Zampano. (Anders sieht es bei Hedgefonds aus – dort haben die Manager tatsächlich sehr viele Freiheiten –, aber das ist nicht das Kerngeschäft von BlackRock.)
‚Dort gibt es überhaupt keine moralische oder sonstige Richtschnur.’ Ausführungen über die Moral in der Finanzwelt erspare ich mir. Schlechter als in der Politik ist sie bestimmt nicht. Es mag bei den Banken keine moralische Richtschnur geben, aber, wie ausgeführt, gesetzliche und regulatorische Richtschnüre gibt es in Hülle und Fülle.
‚Und jeder Bankkunde weiß: Er vertraut der Bank sein Geld an, damit die ihren Job macht und Rendite erzielt.’ Ich glaube, dass sich hinter diesem Satz eine Mystifikation verbirgt. Eine Bank kann nicht aus eigener Kraft Renditen erwirtschaften; sie ist immer nur der Mittler zwischen Kunde und Kapitalmarkt. Renditen – an Aktien‑, Anleihen- oder Immobilienmärkten – entstehen aus volkswirtschaftlichem Wachstum und aus unternehmerischer Wertschöpfung. Wenn Sie weder das eine noch das andere haben, dann wird Ihnen auch die beste Bank nichts nutzen. Vergleichen Sie einmal die Renditen, die Sie an der US-Börse in den letzten Jahren erzielen konnten, mit denen in Europa. Die riesige Diskrepanz, die sich da auftut, resultiert letztlich aus der viel höheren Innovationskraft und dem höheren Wachstum der US-Volkswirtschaft.
‚Niemand macht mir weis, dass die Kunden BlackRock sagen, wo hinein investiert werden soll. Dann könnten die Kunden das praktischerweise auch selbst erledigen.’ Tatsächlich haben institutionelle Investoren (zumindest in Deutschland) bis vor ca. 30 Jahren den Großteil ihrer Anlagen selbst verwaltet. Das professionelle Niveau dieser in Eigenregie verwalteten Anlagen war jedoch vielfach sehr bescheiden, vor allem in komplexeren Anlagemärkten. Aus diesem Grund sehen wir seit ca. 1990 einen massiven Trend zur Auslagerung von Kapitalanlagen an professionelle Vermögensmanager. Das ist der wesentliche Treiber hinter dem Wachstum der Fondsindustrie.
Wenn wir einmal unterstellen, dass Sie einen Index ‚passiv’ abbilden wollen und Sie es mit einem einfachen Index zu tun haben, sagen wir dem DAX 30, dann können Sie dessen 30 Werte, samt ihrer jeweiligen Gewichte, zur Not selbst zusammenbauen. Schwieriger wird es schon, wenn Sie im europäischen Aktienuniversum investieren, sagen wir im Stoxx Europe 600. Sie müssen dann 600 Aktien verfolgen und die laufenden Kapitalmaßnahmen im Portfolio abbilden: Dividendenzahlungen, Kapitalerhöhungen, Aktiensplits, Fusionen. Außerdem gibt es in jedem Indexuniversum Fluktuation: Aktien fliegen aus dem Index, andere kommen rein. Wenn Sie das alles nachhalten wollen, dann werden Sie irgendwann merken, dass ihre Performance mit der des Index nicht Schritt hält, denn jeder Aktienkauf und ‑verkauf ist mit Transaktionsgebühren verbunden. Aus diesem Grund bedient man sich bei allen komplexeren Indices statistisch-mathematischer Modelle, die es erlauben, mit einer relativ geringen Zahl an Wertpapieren die Performance des Index zu approximieren. Dass Sie dafür ein besonderes Know-how benötigen und riesige Datenmengen bewältigen müssen, liegt auf der Hand. Das können Sie in Eigenregie nicht leisten. Erst recht nicht, wenn Sie es statt mit einem Aktien- mit einem Anleihenmandat zu tun haben, das nicht nur Staatsanleihen, sondern auch Unternehmensanleihen umfasst. Jedes größere Unternehmen hat mindestens 5–10 Anleihen der verschiedensten Ränge am Markt emittiert, dazu Anleihen in fremder Währung, die Sie dann in EUR hedgen müssen, um das Fremdwährungsrisiko auszuschließen… Sorry, das kriegen Sie als deutsche Versicherung oder Pensionskasse einfach nicht gebacken!
Wir könnten noch ewig Debatten dieser Art führen. Auf jede gegebene Antwort kommen zwei neue kritische Fragen. Das ist auch legitim; ich will überhaupt nicht leugnen, dass es an den Kapitalmärkten immer wieder auch Fehlentwicklungen gibt (siehe 2008/09!). Was ich mich aber frage, ist: Woher kommt dieses grimmige Ressentiment, mit dem die Finanzmärkte hierzulande bedacht werden? Dieser Generalverdacht, der über allem lastet?
In den achtziger Jahren hatten wir in Westdeutschland eine Debatte um das Thema ‚Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand’. Es waren die Gewerkschaften, die damals verhindert haben, dass Arbeitnehmer in staatlich geförderte Aktiensparprogramme einzahlen (so wie in den USA). Ganz klar, an finanziell unabhängigen Arbeitnehmern hatten die Gewerkschaftsbosse kein Interesse! Aber wenn Sie sich die Entwicklung der Aktienmärkte seit dieser Zeit ansehen, dann steht es außer Frage, dass wir uns heute um das Thema Altersarmut keine Gedanken mehr machen müssten, wenn man damals die Weichen richtig gestellt hätte.
Die antikapitalistischen Affekte in Deutschland sind riesig. Sie politisch zu bedienen, ist immer eine Versuchung. Nur weit kommen wird man damit nicht. Mir begegnete vor einiger Zeit ein Zitat des großen Lyrikers Gottfried Benn, der zeitlebens selbst nicht frei von starken antikapitalistischen Impulsen war. Aber immerhin gelangte er in einem lichten Moment zu der folgenden Einsicht:
‚Sie wissen ja, dass es zu meinen Ansichten gehört, dass der Kapitalismus erst beginnt und er es sich sogar leisten kann, den Sozialismus, oder was sich so nennt, ganz gemütlich sein Wesen treiben zu lassen.’ ”
Um der Augenfreundlichkeit willen folgen drei Sternchen.
***
Leser *** fährt fort:
„Das Misstrauen, das einige Ihrer Leser mit Verweis auf das Thema ‚Depotstimmrechte’ der Banken formuliert haben, ist durchaus nachvollziehbar. In der Praxis glaube ich aber, dass die Einflüsse von Depotstimmrechten auf börsennotierte Unternehmen überschätzt werden. Einer Ihrer Leser schrieb: ‚Wenn Larry Fink keinen Einfluss auf die größten Industrieunternehmen der westlichen Welt hat, dann hat der Papst keinen Einfluss auf die Entwicklung des Katholizismus.’ Das ist geistvoll formuliert, aber die Analogie ist völlig schief. Denn die katholische Kirche ist straff hierarchisch gegliedert, es gilt das vom Oberhirten ex cathedra gesprochene Wort, und seine Macht reicht, wenn er will, bis zum Dorfpfarrer in Posemuckel. Die Chefs von Daimler, SAP und BASF haben aber nicht auf Larry Fink ein Gehorsamsgelübde abgelegt, sondern sie sind ihren Aktionären verantwortlich. Ihre üppigen Boni zahlt nicht Larry Fink oder BlackRock, sondern das Unternehmen, dem sie vorstehen. Gleiches gilt übrigens auch für den guten Larry: Auch der ist in erster Linie daran interessiert, dass sein eigener Laden läuft! Welchen Nutzen hat BlackRock davon, wenn bei Siemens die Regenbogenfahne hängt?
(‚Trillion’ bedeutet hier – in unserer Nomenklatur – wieder: Billionen.) Was heißt das konkret? BlackRock müsste sich, sofern die Mehrheitsverhältnisse nicht von vornherein feststehen, in jedem Fall der Mitwirkung der Depotbanken versichern, um bei Kampfabstimmungen ein kritisches Gewicht in die Waagschale werfen zu können. Das ist aber gar nicht so einfach. Denn unter diesen Banken wird es immer etliche Institute geben, die mit den besagten Industrieunternehmen gern ins Geschäft kommen würden, auf Feldern wie Kredit, Wertpapieremissionen, Exportfinanzierung, Übernahmen. Und da wäre es ihren Ambitionen überhaupt nicht förderlich, wenn sie bei der Hauptversammlung mit ihren Depotstimmrechten gegen den Vorstand votierten… Palastrevolutionen kommen auf Hauptversammlungen nur sehr selten vor. So einfach, wie die BlackRock-Gegner sich die Sache vorstellen, liegen die Dinge nicht.”