Im Dezember 2018 beschloss ich, einen Gesprächsroman, an dem ich damals arbeitete – ein germanophiler Chinese, der während der Merkeljahre in Deutschland studierte, erzählt seinem Enkel vom „erstaunlichsten Volk der Erde”; es sollte eine Art Jugendbuch aus der Zukunft werden –, nicht weiterzuschreiben (über die Gründe siehe Acta diurna vom 27. Dezember). Hier folgt ein Auszug aus dem Fragment, der keiner Einführung bedarf
„Meine Aufzeichnungen sind nach der Jahreszahl geordnet”, begann Chen Hongcai. „Gehe davon aus, dass es in dieser Liste etwas durcheinander geht und dass sie höchst unvollständig ist. Um mit der für die europäische Neuzeit wichtigsten Entdeckung zu beginnen: 1440 erfand der Deutsche Johannes Gutenberg den Buchdruck. Ich weiß, du wirst jetzt einwenden, dass das Papier in China erfunden worden ist, dass erste Druckplatten schon während der Tang-Dynastie verwendet wurden, dass Bi Sheng unter den Song-Kaisern, also vier Jahrhunderte früher als der Deutsche, ein Druckverfahren mit austauschbaren Zeichen erfunden hat. Alles richtig. Und doch löste Gutenbergs Erfindung eine Wissensexplosion aus, der bei uns nichts entsprochen hat. Die Ausbreitung des gedruckten Buches bedeutete für die Geschichte der Informationsübermittlung einen ähnlichen Einschnitt wie die Erfindung der Schrift und die Erfindung des Computers. Das waren drei fundamentale Sprünge in der Entwicklung der Menschheit, und zweimal hatte Deutsche dabei ihre Hände im Spiel.”
„Ich lese jetzt einfach meine Liste vor”, fuhr der Alte fort. „Im Jahr 1427 erfand ein Mann namens Heinrich Arnold die Uhrfeder. Der Nürnberger Peter Henlein konstruierte 1510 die erste tragbare Uhr. Der Astronom und Arzt Nikolaus Kopernikus hinterließ bei seinem Tod 1543 eine vollständige Theorie vom Umlauf der Planeten um die Sonne und der Erddrehung. Was er zu Papier gebracht hatte, stieß das gesamte damalige Weltbild um, in dem die Erde den Mittelpunkt des Universums bildete. Hans Lipperhey, Brillenmacher aus Wesel, führte 1608 das erste Fernrohr der Welt vor. Galileo Galilei benutzte dieses Teleskop unter anderem bei seiner Entdeckung der Jupitermonde. 1609 publizierte der Astronom und Mathematiker Johannes Kepler die ersten beiden seiner drei Keplerschen Gesetze für die Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne. 1650 bewies der Magdeburger Bürgermeister Otto von Guericke die Existenz des Vakuums. Er pumpte die Luft aus zwei stählernen Halbkugeln, die daraufhin der Kraft zweier Pferdegespanne widerstanden und sich nicht voneinander trennen ließen. Dieser Mann erfand außerdem die Luftpumpe, das Manometer und das Wasserbarometer. Am bemerkenswertesten scheint mir, dass er der Bürgermeister einer Stadt gewesen ist, die kurz zuvor in einem grässlichen Krieg schwer zerstört und nahezu vollständig entvölkert wurde.
Ebenfalls 1650 erfand der Mönch und Gelehrte Athanasius Kircher das erstes Hörgerät, ein Hörrohr. 1665 konstruierte Stephan Farfler, ein gelähmter Uhrmacher, den ersten Rollstuhl, mit dem sich ein Mensch aus eigener Kraft fortbewegen konnte; mit einer Handkurbel trieb er über ein Zahnrad das Vorderrad an. 1756 schuf Philipp Pfaff den ersten Zahnersatz nach der Vorlage eines Kieferabdrucks. 1767 konstruierte der Regensburger Jacob Christian Schäffern die erste Waschmaschine mit Rührflügeln. 1811 präsentierte der Schneider Albrecht Ludwig Berblinger, in Deutschland bekannt als der Schneider von Ulm, der Öffentlichkeit den ersten Hängegleiter, mit dem er zuvor bereits erfolgreiche Flugversuche unternommen hatte. Bei seinem Schauflug stürzte Berblinger in die Donau. Drei Jahre zuvor hatte dieser erstaunliche Mann übrigens die erste Beinprothese mit beweglichem Gelenk gebaut.”
Ein getigerter Kater kam würdevoll vom Garten ins Haus geschritten.
„Seit wann hast du denn eine Katze?”, fragte der Junge.
„Das ist ein Kater”, erklärte Chen Hongcai. „Er ist mir vor kurzem zugelaufen und will mich anscheinend nicht mehr verlassen. Ich habe ihn Kater Murr genannt.”
„Murr?”
„Ja, Murr. Aber lass uns fortfahren. 1817 konstruierte Karl Freiherr von Drais das Fahrrad – damals noch als Laufrad ohne Pedale. 1823 erfand der Chemiker Johann Wolfgang Döbereiner das erste Feuerzeug. 1834 erschuf der Berghauptmann Wilhelm August Julius Albert das erste Drahtseil. 1835 nahm Johann Georg von Ruehl den ersten Brutkasten für Frühgeborene in Betrieb. 1851 stellte der Ingenieur Wilhelm Bauer das erste U‑Boot der Welt vor. Nachdem der Physiker Johann Heinrich Schulze schon 1725 entdeckt hatte, dass sich eine bestimmte Silberlösung unter Lichteinfluss dunkel färbte, stellte der Dresdner Friedrich Wilhelm Enzmann 1839 die ersten Fotoapparate her. Für die weitere Entwicklung der Fotografie sorgte übrigens ebenfalls ein Deutscher: 1925 stellte Oskar Barnack auf der Leipziger Frühjahrsmesse den Fotoapparat ‚Leica’ vor. Mit ihm begann das Zeitalter der Kleinbildfotografie, das erst um die Jahrtausendwende von den Digitalkameras beendet wurde. 1843 entdeckte Friedrich Gottlob Keller Holzfaser als Papier-Rohstoff und entwickelte ein Verfahren zur Massenproduktion von Papier. 1854 erfand Heinrich Göbel die Glühbirne. 1858 konstruierte der Glasbläser Heinrich Geißler eine Glasröhre zur chemischen Analyse von Gasen, in der er verdünnte Gase durch Strom zum Leuchten brachte. Er gilt als der Vater der Energiesparlampe. 1859 erfand der Physiklehrer Philip Reis das Telefon. Ihm gelangt es als erstem, Töne in elektrischen Strom und wieder zurück zu verwandeln. ‚Das Pferd frisst keinen Gurkensalat’, lautete der erste telefonisch übermittelte Satz der Geschichte. Reis gab seinem Apparat auch den Namen Telephon. 1875 meldete der Amerikaner Graham Bell die Erfindung zum Patent an; er gilt bis heute irrigerweise als der Erfinder des Telefonierens. Eine weitere Erfindung des Johann Philipp Reis waren die Rollschlittschuhe, die als Vorläufer der Inlineskates gelten können. 1866 entdeckte Werner von Siemens das dynamoelektrische Prinzip und konstruierte den ersten Generator; er ist der Vater des Elektromotors. 1876 erfand Carl von Linde den Kühlschrank mit Wärmepumpe. Im selben Jahr konstruierte Nikolaus August Otto den Benzinmotor. Ebenfalls im selben Jahr entdeckte der Arzt Robert Koch unter dem Mikroskop erstmals Bakterien und verblüffte die Wissenschaft mit der These, dass Krankheiten von ihnen verursacht werden. 1878 stellte Werner von Siemens ein Telefon für Schwerhörige her, Vorläufer des Hörgeräts, das auch von seiner Firma entwickelt wurde.”
„Das hört ja gar nicht auf”, wunderte sich der Junge.
„Nein, noch lange nicht. Auch wenn die erste U‑Bahn in London fuhr, 1863 war das – wobei man in Wien bereits 20 Jahre früher mit den Planungen einer Untergrundbahn begonnen hatte –, darf als Erfinder der Metro der bereits erwähnte Werner von Siemens gelten, der 1879 die erste elektrische Lokomotive vorstellte. Die war für den Tunnelbetrieb selbstverständlich ungleich besser geeignet als die englische Dampflokomotive. 1881 fuhr in Berlin die erste elektrische Straßenbahn der Welt. Ebenfalls 1881 führte der Heidelberger Frauenarzt Adolf Kehrer die Entbindung durch einen waagerechten Schnitt ein, später Kaiserschnitt genannt. 1882 erfand Carl Paul Beiersdorf das Pflaster. Im selben Jahr löste die erste elektrische Straßenbeleuchtung von Sigmund Schuckert in Nürnberg die Gaslaternen ab. 1886 gelang dem Physiker Heinrich Hertz die Übertragung elektromagnetischer Wellen von einem Sender zum Empfänger. Damals begann die Nutzung dieser Wellen zur menschlichen Kommunikation, ohne die Entdeckung von Hertz hätte es nie Smartphone, Internet und WLAN gegeben.”
Chen Hongcai sah auf und sagte:
„Gewiss, wenn es ihm es nicht gelungen wäre, hätte es irgendein anderer getan, das unterscheidet den Wissenschaftler, dessen Entdeckungen und Erfindungen mit einer gewissen Notwendigkeit stattfinden, vom Künstler, dessen Werke niemand sonst schaffen kann. Aber natürlich entscheidet das geistige Klima eines Landes darüber, welche Leistungen dort möglich sind.”
Der Alte fuhr fort:
„Ebenfalls 1886 absolvierte Carl Benz in Mannheim die erste Fahrt mit einem Automobil, kurz darauf folgten Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach in Cannstadt bei Stuttgart und Siegfried Marcus in Wien mit ihren ersten Autos. 1896 konstruierte Gottfried Daimler den ersten Lastkraftwagen – ich rede nach wie vor von Weltpremieren. 1887 erfand der Ingenieur Emil Berliner den Schallplattenspieler. 1891 begann der Flugpionier Otto Lilienthal mit seinen Gleitflügen, von denen er mehr als tausend absolvierte, bis er 1896 tödlich verunglückte. Er gilt als der eigentliche Erfinder des Flugzeugs. 1893 konstruierte Rudolf Diesel den Dieselmotor. Die Liste deutscher Motorenerfinder ist imposant: Ludwig Elsbett, Felix Wankel, Hugo Junkers, Nicolaus Otto, Eugen Langen, Wilhelm Maybach, Siegfried Marcus. Die Deutschen konstruierten mehr Motoren als die Bewohner aller anderen Kontinente zusammen. 1895 entdeckte Conrad Röntgen die nach ihm benannten Strahlen. 1897 erfand der Chemiker Felix Hoffmann das Aspirin. Im selben Jahr konstruierte der Physiker Karl Ferdinand Braun den Bildschirm, die sogenannte Kathodenstrahlröhre oder ‚Braunsche Röhre’. Der Flachbildschirm, der später die Röhre ersetzte, wurde ebenfalls von einem Deutschen erfunden: Es war der Physiker Otto Lehmann, der 1904 seine Arbeit über ‚Flüssige Kristalle’ publizierte. 1900 erfand der Unternehmer Emil Rathenau, Gründer der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft oder AEG, den Föhn.”
Der Kater sprang auf den Schoß des Alten und begann zu schnurren, als dieser ihm den Nacken kraulte.
„1904 wurde der Radar von einem Deutschen erfunden. Bereits der Physiker Heinrich Hertz, von dem ich vorhin sprach, hatte entdeckt, dass elektromagnetische Wellen von metallischen Gegenständen reflekiert werden, und 1904 meldete der Techniker Christian Hülsmeyer sein sogenanntes Telemobiloskop zum Patent an. Der Apparat meldete entfernte metallische Gegenstände mittels elektrischer Wellen an den Beobachter. Im selben Jahr stellte Hermann Anschütz-Kaempfe den ersten Kreiselkompass vor. Da wir aus einem Land stammen, in dem der Magnetkompass erfunden wurde, sollten wir uns das einprägen.”
„Das nimmt ja wirklich kein Ende!” rief Chen Li.
„Der Chirurg Ferdinand Sauerbruch erprobte zu Anfang des 20. Jahrhunderts den sogenannten ‚Sauerbruch-Arm’, eine Prothese, die die Muskelreflexe des Armstumpfs zur Bewegung nutzte. 1902 erfand Robert Bosch die Zündkerze, 1907 Ottmar Heinsius von Mayenburg die Zahnpasta, 1909 der Chemiker Fritz Hofmann den synthetischen Kautschuk. 1912 führte der deutsche Psychologe Wilhelm Louis Stern den Intelligenzquotienten in die Wissenschaft ein. 1916 ließ der Physiker Alexander Behm das erste Echolot patentieren. Das Mobiltelefon wurde ebenfalls in Deutschland erfunden. Bereits 1918 führte die Deutsche Reichsbahn Experimente mit Funktelefonen durch. 1926 bot sie Reisenden der Ersten Klasse einen mobilen Telefondienst an. Auch das Fernsehen kommt aus Deutschland. Der Student Paul Nipkow ließ sich 1883 die Idee patentieren, ein Bild in Punkte und Zeilen zu zerlegen. Da niemand Interesse an der Erfindung zeigte, verfiel das Patent, doch 1926 führte das Telegraphentechnische Reichsamt erste Fernsehversuche durch, und 1931 präsentierte Manfred von Ardenne das erste vollelektronische Fernsehen. Das regelmäßige öffentliche TV-Programm gab sein Debüt am 22. März 1935 im Berliner Haus des Rundfunks. Auch die Geburt des Kinos fand in Deutschland statt: Am 1. November 1895 gaben die Brüder Max und Emil Skladanowsky die erste öffentliche Vorführung vor zahlendem Publikum im Berliner ‚Wintergarten’.”
„Großmutter hat mir erzählt, dass ihr euch das erste Mal in einem Kino getroffen habt”, sagte der Junge. „Ich kenne das ja nicht mehr.”
„Die Kinos sind verschwunden, wie so vieles”, sagte Chan Hongcai. „Leider hat auch ein Deutscher das Windrad erfunden, der Physiker Albert Betz im Jahr 1920. Viele der wunderschönen deutschen Landschaften, die ich von Gemälden und Fotografien kannte, sind längst durch diese monströsen Windmühlen verunstaltet gewesen, als ich dort war. 1928 erfand Hans Klenk das Toilettenpapier auf der Rolle.”
Chen Li lachte. Der Alte stimmte ein. „Dieser Mann war ein Wohltäter der Menschheit! Es war übrigens auch ein Deutscher, der ein Patent auf das erste Papiertaschentuch anmeldete. Ja, sie konnten wirklich sehr praktisch sein, diese Deutschen. Aber weiter. 1928 erfand Fritz Pfleumer das Tonband, eine Speichertechnik, die uns heute wie ein Dinosaurierskelett vorkommt. Mitte der 1930er Jahre präsentierten Heinrich Focke und Georg Wulf den ersten Hubschrauber der Welt. Er erreichte 2500 Meter Flughöhe, das war damals eine Weltsensation. Auch das Elektronenmikroskop ist eine deutsche Erfindung. Die erste auf magnetischen Kräften beruhende Linse wurde 1926 vom Physiker Hans Busch entwickelt. 1931 konstruierten der Physiker Ernst Ruska und der Elektrotechniker Max Knoll das erste Elektronenmikroskop. Die Magnetschwebebahn hat der Deutsche Hermann Kemper erfunden, 1934 ließ er seine Idee patentieren. Die Deutschen – die späten Deutschen, die Deutschen meiner Zeit – lehnten die Magnetbahn übrigens ab, in Deutschland fuhr sie nie, aber sehr schnell bei uns. 1936 erfand Hans von Ohain das Düsentriebwerk. Das erste Strahlflugzeug, die Heinkel He 178, flog am 27. August 1939. Der erste Überschall-Düsenjäger hieß Messerschmidt Me 262, er absolvierte 1941 seine ersten Flüge. Der deutsche Rüstungsminister Albert Speer plante für 1945 auch den ersten Passagierflug der Welt mit einer Düsenmaschine, aber der Krieg verhinderte solche Pläne.”
Der Alte nahm einen Schluck Tee und fuhr fort:
„1938 entdeckten Otto Hahn und sein Assistent Fritz Straßmann im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin die Kernspaltung. Als Hahn Uran mit Neutronen beschoss, stellte er fest, dass die Zahl der Spaltungen sich vervielfacht und enorme Energien freigesetzt werden. Mit dieser Entdeckung ebnete er sowohl der Kernenergie als auch der Atombombe den Weg. Es waren übrigens überwiegend Deutsche, die diese Bombe schließlich in den USA konstruierten. – 1940 schenkte der Konstrukteur Heinrich Wöhlk der kurzsichtigen Menschheit die Kontaktlinse. 1941 erfand der Ingenieur Konrad Zuse den ersten Computer, Z3 genannt. Z3 war programmierbar und besaß Speicher und Prozessor. 1942 stieß der deutsche Ingenieur Wernher von Braun, wie man so schön sagt, das Tor ins Weltall auf. In diesem Jahr überschritt ein Prototyp seiner V2-Rakete erstmals die Höhe von 80 Kilometern. Die von ihm konstruierte Rakete ‚Aggregat 4’ war das erste von Menschenhand geschaffene Objekt, das den Weltraum erreichte. Später baute von Braun den Amerikanern die ersten Trägerraketen für ihre Weltraummissionen. Übrigens stammt auch der Countdown aus Deutschland, der Regisseur Fritz Lang hat ihn in seinem Film Frau Luna eingeführt. Im April 1945 entdeckten US-Soldaten in Thüringen ein Düsenflugzeug, das anders aussah, als alle Maschinen, die sie je gesehen hatten: die Horten 229. Es bestand nur aus einem Flügel bestand und nahm die sogenannten Tarnkappenbomber vorweg, die in den USA erst vierzig Jahre später in Dienst gingen. Dieser Jäger wäre allen alliierten Typen überlegen gewesen.
1951 erfand der Elektrotechniker Rudolf Hell den Scanner. 1958 präsentierte die Firma Miele den Wäschetrockner. 1963 gelang dem Chemiker Helmut Zahn die erste synthetische Herstellung von Insulin. 1969 erfanden Jürgen Dethloff und Helmut Gröttrup die Chipkarte. 1971 wurde der Airbag in Deutschland patentiert; 1980 fuhr eine Limousine von Mercedes-Benz als erstes Auto mit Airbag. Die heute fast vergessenen Speichermedien CD, DVD und MP3 sind Anfang der 1980er Jahre allesamt in Deutschland erfunden worden.
Übrigens, habe ich mir noch notiert, kommt auch der Bikini aus Deutschland, der heute in einigen Gebieten Europas nicht mehr getragen werden darf, der Freiburger Valentin Lehr hat ihn um 1900 erfunden, und sogar die typisch amerikanische Baseballkappe hat sich ein Deutscher ausgedacht.”
Der Kater verließ mit einem Sprung seinen Platz und strich jetzt um die Beine des Jungen.
„In dieser Liste nicht geführt”, fuhr Chen Hongcai fort, „sind die zahllosen Erfindungen der deutschen chemischen Industrie, die am Anfang des 20. Jahrhunderts der gesamten Welt um Jahrzehnte voraus war. Selbst die Beschlagnahmung deutscher Industriepatente nach dem Krieg nutzten den Konkurrenten nichts. Die besten amerikanischen und englischen Chemieingenieure starrten in die deutschen Forschungsergebnisse wie Gymnasiasten in die Gleichungen der Relativitätstheorie. Auch die ganze westliche Industriespionage war sinnlos, weil niemand verstand, was die Spione da lieferten. Man musste noch die Wissenschaftler dazu kaufen. Da waren wir aber später auch nicht besser.”
Der Alte strich sich durch den Bart und lächelte.
„Nicht enthalten in meiner Liste sind berühmte wissenschaftliche Theorien, etwa die der Plattentektonik, die Alfred Wegener 1915 aufstellte, oder das erste Periodensystem der Elemente, das Chemiker Julius Lothar Meyer 1864 aus den damals bekannten 63 Elementen entwarf. Nicht erwähnt sind aber auch die vielen deutschen Physiker, die das moderne Weltbild erschaffen haben, von Max Planck, dem Entdecker des Wirkungsquantums, bis zu Albert Einstein, dem Schöpfer der Allgemeinen und der Speziellen Relativitätstheorie und Werner Heisenberg, dem Enecker der Unschärferelation. Nicht erwähnt habe ich, dass Deutschland 84 Chemie‑, Physik- und Medizin-Nobelpreisträger hervorgebracht hat, die meisten vor dem zweiten Weltkrieg, dazu 18 österreichische und eine Reihe deutschsprachige Schweizer Nobelpreisträger in den naturwissenschaftlichen Sparten. Nicht erwähnt habe ich den Arzt Paracelsus, Entdecker des Wasserstoffs und Erneuerer der Medizin im Spätmittelalter. Nicht erwähnt habe ich Gottfried Wilhelm Leibniz, den deutschen Leonardo da Vinci. Leibniz war der letzte Universalgelehrte. Er lebte an der Grenze vom 17. zum 18. Jahrhundert, erfand unabhängig von Isaac Newton die Differentialrechnung, entwickelte ein duales Zahlensystem, machte chemische Experimente, beschäftigte sich mit Geologie, Bergbau und Mechanik, konstruierte Taschenuhren, Türschlösser, einen Windgeschwindigkeitsmesser, eine Rechenmaschine und entwarf Pläne für Schiffe, die unter Wasser fahren konnten. Er schrieb mathematische, philosophische, historische, sprachwissenschaftliche, juristische und naturgeschichtliche Abhandlungen und unterbreitete dem französischen König Ludwig XIV. in einer Denkschrift den Plan, Ägypten zu erobern. Der Franzosenkaiser Napoleon hat es später getan. Nicht erwähnt habe ich den berühmtesten Mathematiker des 19. Jahrhunderts, Carl Friedrich Gaus. Und viele andere auch nicht.”
„Das sind alles Ereignisse, die ziemlich weit zurückliegen”, wandte Chen Li ein.
„Gewiss. Diese Nation, die so viele bedeutend Erfinder, Forscher und Konstrukteure hervorgebracht hatte, erzeugte zuletzt ganze Scharen von Technikfeinden und Naturwissenschaftsverleumndern. Als ich dort studierte, ging schon die Klage um, dass sich so wenige Studienbewerber in Mathematik, Physik, Chemie, Pharmazeutik oder Biotech einschrieben. In den Schulen sanken die Leistungen in den naturwissenschaftlichen Fächern kontinuierlich, was nur deshalb nicht weiter auffiel, weil auch immer weniger deutsche Abiturienten ein fehlerfreies Deutsch sprechen und schreiben konnten. Ganze Scharen von Nichtskönnern verließen die Schulen und schrieben sich in Fächern wie Politikwissenschaften, Sozialpsychologie, Soziologie oder Gender-Studies ein.”
„Was-Studies?”
Und so weiter…