In diesem Fall Leser *** aus der Schweiz zu den Unruhen in mehreren englischen Städten bzw. meinem Kommentar dazu (Acta vom 6. August).
„Was die Chancen der Parteien in einem etwaigen Bürgerkrieg in Grossbritannien angeht, bin ich anderer Meinung als Sie. Sie schreiben, es müsste ein Riss durch Militär und Polizei gehen, so dass auch auf Seiten der aufbegehrenden Bürger gut Bewaffnete zu finden seien. Das ist nicht unbedingt der Fall. Jedenfalls nicht von Beginn an. Solche Vorgänge stellen dynamische Entwicklungen dar, man kann nicht Ausgangspositionen absolut setzen.
Grossbritannien hat ungefähr 150.000 Polizisten (Deutschland eher etwas um die 330.000). Die werden sich mit Sicherheit nicht alle in den Dienst der Regierung stellen, wenn es um die Niederschlagung einer Revolte geht. Das professionelle Militär erst recht nicht. Die werden abschätzen, wer die besseren Chancen hat, zu gewinnen. Und das ist nicht die Regierung!
Zu viele Institutionen und Orte müssten durch die Polizei geschützt werden, das bindet Kräfte. Und Revolten können ganz spontan an unvorhersehbaren Orten entstehen. Das wäre ein erhebliches logistisches Problem für die Regierung. Ob das Militär eingreifen würde, ist ohnehin höchst zweifelhaft. Die dürften von Rechts wegen den Befehl verweigern, denn für Einsätze in einem Bürgerkrieg sind sie nicht vorgesehen. Und wie in allen Berufsarmeen sind auch wohl in der britischen Menschen mit eher konservativer Haltung in der Mehrheit. Ohnehin wären das nur etwa 180.000 Leute. Die Regierung würde wahrscheinlich gar nicht erst versuchen, diese einzusetzen, da ihre Loyalität zweifelhaft wäre.
Bliebe also, bei flächendeckender Revolte, die Frage der Bewaffnung. Ein Teil der Polizei würde sicherlich von Anfang an überlaufen und ihre Waffen mitbringen. Aber auch, wenn das nicht der Fall wäre, es würde keinen allzu grossen Unterschied ausmachen. Die relative Manpower der Parteien würde die unterschiedliche Bewaffnung wahrscheinlich wettmachen. Bei der Schlacht von Isandlwana 1879 (britische Kolonialarmee gegen Zulus) waren die Briten gut und modern bewaffnet, die Zulus hatten überwiegend nur Speere. Trotzdem wurden die Briten von der etwa zehnfachen Übermacht der Zulus vernichtend geschlagen.
Erschwerend käme für britische Polizisten hinzu, dass Kämpfe wahrscheinlich spontan auf sehr kurze Distanz ausbrechen würden. Die Revolutionäre also mit Schusswaffen ‚auf Distanz zu halten’ wäre kaum ein plausibles Szenario. In den Kämpfen könnten Polizeikräfte also die Seite wechseln – sie sind ja auch normale Bürger. Ein britisches ‚Tian’anmen’-Szenario ist extrem unwahrscheinlich, da die Voraussetzungen ganz verschieden sind.
Ein Musterbeispiel, wie eine zunächst unbewaffnete Bevölkerung eine bewaffnete Regierungsmacht besiegen kann, wenn auch unter relativ (!) hohen Opferzahlen, stellt die Rumänische Revolution gegen das Ceausescu-Regime von 1989 dar. Damals liefen bewaffnete Kräfte mehr und mehr zu den Aufständischen über, bis diese eigentlich am Ende fast nur noch der regierungstreuen Securitate gegenüberstanden.
Sollte es wirklich zu revolutionären Zuständen in Grossbritannien kommen, wären die Kämpfe wohl recht schnell beendet, da die Regierenden wahrscheinlich schon ab einem relativ frühen Zeitpunkt das Weite suchen würden. Die Briten wissen, was mit den Unterlegenen in einem Bürgerkrieg passiert. Auch das gehört dort zur Tradition.”
Leser *** widerspricht:
„Natürlich glaubt ein Schweizer daran, seine Freiheit ggf. auch mit der eigenen Gatling-Gun aus der Garage verteidigen zu können. Wie die Realität in England aussieht, ist eine völlig andere Geschichte und lässt sich wohl am schönsten am Beispiel Schottlands in der ‚Battle of George Square’ 1919 aufzeigen. Damals wurden genau die Panzer gegen die Bevölkerung eingesetzt, für die man noch wenige Jahre zuvor mit Spenden geworben hatte. Ironie der Geschichte? Nein, knallharte Realpolitik.
Die analoge Situation in den USA war der Marsch der ‚Bonus Army’ auf Washington im Jahre 1932. Damals kamen natürlich auch Panzer zum Einsatz.”