Ein Leser zum „Compact”-Verbot

„Lie­ber Herr Klo­novs­ky, zu Ihrer Leser­zu­schrift: ‚Aus Sicht der AfD soll­te das Ver­bot von Com­pact zu begrü­ßen sein, denn wer sol­che ‚Freun­de’ hat, braucht kei­ne Fein­de. Com­pact hat durch radi­ka­li­sier­te Posi­tio­nen libe­ra­le Wäh­ler ver­schreckt...’
Nun ja, der Leser hat schlicht­weg Recht. War­um krie­gen ‚Außen’-Parteien, ob rechts oder links, nor­ma­ler­wei­se beim Wäh­ler unter halb­wegs nor­ma­len Umstän­den kei­ne Mehr­hei­ten? Ganz ein­fach, weil es der poli­ti­schen Nor­mal­ver­tei­lung wider­spricht. Carl Fried­rich Gauß (1777–1855) hat mehr über Poli­tik aus­ge­sagt, als uns heu­te bewusst ist. Je wei­ter man sich auf die Rän­der einer Nor­mal­ver­tei­lung zube­wegt, des­to klei­ner wer­den die sta­tis­ti­schen Kohorten.
Poli­ti­sche Ein­stel­lun­gen machen da kei­ne Aus­nah­me, sie sind im Grun­de das­sel­be wie die simp­le Ver­tei­lung von Kör­per­grö­ßen. Man kann rechts und links Nischen beset­zen und ‚Reprä­sen­ta­ti­ons­lü­cken’ aus­nut­zen. Wenn man aber als Par­tei groß wer­den will – und muss, weil ande­re nicht mit den Schmud­del­kin­dern spie­len wol­len –, dann muss man auf die Mit­te zuge­hen, nicht auf den Rand.
Schau­en Sie sich an, wie die Labour Par­ty unter Jere­my Cor­byn per­formt hat, oder Le Pen, bevor sie sich auf mit­ti­ge Posi­tio­nen zube­wegt hat. Und jetzt? Labour unter dem rela­tiv (!) mode­ra­ten Star­mer regiert, Le Pen hat immer­hin die meis­ten Stim­men bei den Wah­len zur Assem­blée gewon­nen und ist nur durch das Bünd­nis von Macro­nis­ten und Lin­ken bei der Zahl der Sit­ze geschla­gen wor­den. Sie hat bes­te Aus­sich­ten bei den nächs­ten Prä­si­dent­schafts­wah­len (dafür wer­den die Lin­ken schon sorgen).
Das heißt kei­nes­wegs, dass ich das Com­pact-Ver­bot bil­li­ge. Das ist ein Angriff auf die Pres­se­frei­heit, das ist völ­lig klar.  Aber das ist das eine – der poli­ti­sche Effekt ist etwas ande­res. Viel­leicht war die Ver­sen­kung der Lusi­ta­nia in WK1 ver­gleich­bar mit die­sem Ereig­nis. Natür­lich hat Chur­chill die­se Kata­stro­phe nicht her­bei­ge­führt (anders­lau­ten­de Ver­schwö­rungs­theo­rien sind ziem­lich albern – er hät­te gar nicht die Mög­lich­keit gehabt), aber er froh­lock­te über den Effekt, die öffent­li­che Mei­nung in den USA zu drehen.
Mit machia­vel­lis­ti­schen Grüssen,
*** ”
PS:
19. Novem­ber 1988
(Ich dan­ke Leser *** für die Zusendung.)
***
Immer noch zum Vori­gen. Der Leser, auf den Leser *** reagier­te, hat sei­ner­seits reagiert und schreibt, das sei „bemer­kens­wert und wich­tig, aber den­noch füh­le ich mich immer noch miss­ver­stan­den. Natür­lich geht es um Anschluss­fä­hig­keit, denn offen­bar benö­tigt man die abso­lu­te Mehr­heit, um etwas zu errei­chen (vgl. Nie­der­lan­de, Frank­reich). Natür­lich sucht man Anschluss­fä­hig­keit an die Mit­te der Gauß’schen Glo­cken­kur­ve. Dazu muss man ggf. auch das Over­ton-Fens­ter ver­schie­ben. Dar­um ging es mir hier aber nicht. Bei Com­pact geht es mir um die
kon­kre­ten Inhal­te. Ich neh­me Bei­spie­le, die man noch im Inter­net finden
kann:
Com­pact-Geschich­te 14: Das okkul­te Reich
Com­pact-Spe­zi­al 23: Frei­mau­rer. Über die Ver­schwö­rung der größten
Unter­grund­ar­mee der Welt
Com­pact-Spe­zi­al 25: Krieg, Lügen, USA: Die Blut­spur einer Weltmacht
Com­pact-Spe­zi­al 30: Gehei­me Mäch­te, Gre­at Reset und neue Weltordnung
Com­pact-Spe­zi­al 33: Feind­bild Russland
Com­pact Edi­ti­on 10: Putin verstehen
Com­pact 09/2021: Die Ufo-Ver­schwö­rung. Mythen, Fak­ten, Gehei­me Pläne
Com­pact 12/2022: Wagen­knecht – Die bes­te Kanzlerin
Das ist ein Mix aus QAnon, Ver­schwö­rungs­halb­wahr­hei­ten, Anti­ame­ri­ka­nis­mus, rus­si­scher Pro­pa­gan­da und hane­bü­che­nem Schwach­sinn. Eigent­lich kom­plett lächer­lich, wird aber vom Ver­fas­sungs­schutz her­an­ge­zo­gen, um das Argu­ment zu stüt­zen, Krei­se der AfD pro­pa­gier­ten dies. Wenn die­ses Erzeug­nis von einem Kom­mu­nis­ten kommt, was unstrei­tig sein dürf­te, steigt die Wahr­schein­lich­keit, dass es der AfD scha­den soll. Das ist übri­gens auch der Grund, war­um diver­se kom­mu­nis­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen auf der Unver­ein­bar­keits­lis­te der AfD ste­hen. Ein guter Grund!”
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