Immer, wenn ich mich in den Acta irgendeiner Sportart widme, bekomme ich Mails von Zeitgenossen, die mir zunächst ihre generelle Sympathie für mein Geschreibs versichern, sodann aber einschränkend anmerken, dass Reflexionen über Sport entweder das hier üblicherweise in der Wahl des Sujets herrschende Niveau unterschritten oder aber ich mit der Traktierung solcher Themen der Panem et circenses-Logik der Herrschenden folgte – oder gleich beides zusammen. Ich sehe das ein bisschen anders, vor allem was den erstgenannten Vorwurf betrifft. Immerhin schreibe ich hier mitunter auch über Parteitage, Talkshows oder auf Theoriemüllhalden herumturnende Intellektuelle, also über ein Personal, neben dem sich Schwergewichtsboxer oder Tour-de-France-Profis in vielerlei Hinsicht, ästhetisch zumal, recht vorteilhaft ausnehmen. Ja und erst die Leichtathletinnen! Stellen Sie sich vor, Pindar würde vor die Wahl gestellt, entweder eine Ode auf Olaf Scholz oder eine auf Tadej Pogačar zu schreiben, eine auf Ricarda Lang oder auf Femke Bol (lieber noch Natalia Kaczmarek). Und selbstverständlich hätte der Aegide, lebte er als unser Zeitgenosse, längst Lionel Messi in einem Preislied besungen.
Mit diesem Namen wäre der Übergang zum Fußball hergestellt, der Leibesübung, um die es heute, am letzten Spieltag der Bundesligasaison 2023/24 und einen knappen Monat vor Beginn der Europameisterschaft in Deutschland, gehen soll – allerdings weniger im sportlichen Sinne, sondern in jenem der immer umfassenderen Kommerzialisierung und politischen Indienstnahme. Gerade im modernen Fußball werden wir mit dem erwähnten „Brot und Spiele“-Aspekt konfrontiert, die Fußballarenen sind die Amphitheater der Gegenwart. Der Kaiser- oder Herrscherkult ist ja seit der Antike ein fester Bestandteil von „Panem et circenses”, heute halten sportliche Großveranstaltungen die Massen bei Laune wie ehedem, während der Herrschaftskult inzwischen in der Kostümierung eines nicht minder totalen Zeitgeistdienstes zelebriert wird, mit Regenbogeneckfahnen, Antirassismuskampagnen und öffentlichen Lippenbekenntnissen sogenannter Führungsspieler. Was mich betrifft, funktioniert die circensische Ablenkungsmechanik übrigens bisweilen, und ich erwische mich dabei, dass ich am PC allzu komplizierte oder lange Texte wegklicke, um mir stattdessen die Zusammenfassung eines Fußballspiels oder einen Boxkampf anzuschauen (oder eben die prachtvollen Leiber der Leichtathletinnen). Allerdings erleben wir derzeit speziell beim Fußball, wie sich die Propagandaabteilungen so weit in den Vordergrund drängeln, dass vielen Mitbürgerinnen, Mitbürgern und Mitbürgenden die gesamte Sportart vergällt wird. Mir – dies ist ja mein Diarium, hier red i – ist es mittlerweile vollkommen gleichgültig, ob die zur „Mannschaft“ downgegradete und ständig politische „Zeichen setzende“ Nationalmannschaft ein Spiel oder Turnier gewinnt, ich schaue mir das entweder überhaupt nicht mehr oder voller Schadenvorfreude an.
Um zu beschreiben, was sich in den vergangenen ungefähr zwei Jahrzehnten verändert hat, ist zunächst ein Rückblick fällig. Ich zähle zu einer Alterskohorte, deren Angehörige ihre ersten Länderspiele noch im Schwarz-weiß-Fernseher gesehen haben (meine früheste Erinnerung gilt einem Herren namens Eusébio), die den Anblick einer Frau im Fußballstadion als etwas eher Außergewöhnliches empfanden (und ich spreche nicht von Frauen auf dem Rasen; das lag außerhalb der Vorstellungskraft), weil sie nämlich Fußball mit einigem Recht für einen Malocher- und Proletensport hielten, bei dem sich auch der akademische Teil des Publikums dem Gegner gegenüber recht unzivilisiert benahm, einer Kohorte denn also, deren Angehörige die Ränge als einen Ort betrachteten, wo man sich gehenlassen konnte, wo sich rigide Parteinahme, Enthemmung und das Bedürfnis nach Triebabfuhr zum temporären Menschenrecht verbanden, zu fluchen, zu höhnen und dem Gegner Beleidigungen zuzubrüllen, und die zugleich den Fußball und überhaupt den Sport als etwas völlig Unpolitisches empfanden, die sich, wenn die Parzen es über einen verhängten (wie z.B. über mich durch Rickens 3:1 in der letzten Minute der Verlängerung BVB gegen La Coruña anno 1994), mit einem Verein „identifizierten“, mit ihm litten, triumphierten oder unterlagen, als stünden sie selbst auf dem Platz, in ihrer emotionalen Teilnahme am Geschick einer Mannschaft allerdings anders als heutzutage in den Ersten Ligen davon ausgehen konnten, dass diese Truppe halbwegs zusammenblieb und nicht zwei Jahre später aus völlig anderen Spielern bestehen würde, und die mit der Nationalmannschaft (fast) genauso mitfieberten wie mit ihrer favorisierten Vereinsmannschaft.
Kurzum: Der Fußball war zu meiner Zeit eher eine Männersache, ob nun als Stadionbesucher oder als Spieler (ich war zum Leidwesen meines Vaters und zur Belustigung meines Bruders, beide Amateurfußballer, ein miserabler Kicker), das Stadion galt als ein Ort relativer Freiheit, aber auch des archaischen Rudelverhaltens, und mit Politik hatte das alles nichts zu tun – wenn ich davon absehe, dass in der DDR, wo ich ja aufwuchs, der BFC Dynamo ständig Meister wurde, weil das der Lieblingsverein von Stasi-Chef Erich Mielke war (legen Sie das „weil“ ruhig auf die Goldwaage). Später erlebte ich als Zaungast der Bundesliga und des Europapokals zwischenzeitlich die schöne Freiheit der Marktwirtschaft, hier wie da gab es immer eine Reihe von Klubs, die imstande waren, den Titel zu holen, während heute beinahe wieder eine Monokultur herrscht wie zu späten DDR-Zeiten, was die Fans merkwürdigerweise kaum beirrt, weil sie oft nichts anderes haben, woran sie ihr Herz hängen können. Den Champions-League-Sieger machen inzwischen drei, vier Teams untereinander aus – der BVB hat gegen Real Madrid kaum den Hauch einer Chance und in einem CL-Finale eigentlich nichts zu suchen –, und deutscher Meister wird in neun von zehn Fällen der FC Bayern – sofern der Bayer-Konzern nicht jährlich mindestens 200, 300 Millionen extra locker macht, wird die Meistermannschaft dieser Saison inclusive Trainer in zwei Jahren schlicht nicht mehr vorhanden sein. Da der Teufel bekanntlich stets auf den größten Haufen scheißt, dürfte die Tendenz zur Konzentration der Erfolgswahrscheinlichkeit auf wenige Vereine trotz gelegentlicher erfreulicher Ausnahmen immer weiter zunehmen.
Die Übertragungen der wichtigen Partien im Europapokal oder bei den großen Turnieren der Nationalmannschaften waren früher Gelegenheiten, sich mit Freunden zu treffen, um gemeinsam zu schauen, sich zu amüsieren, zu echauffieren und herumzublödeln, ohne aus dem Fernseher mit Vielfaltspropaganda, Antirassismuskampagnen und Gleichstellungsgedöns behelligt zu werden, mit einem gehörigen Vorrat an Bier und ohne Frauen, weil den Schönen erfahrungsgemäß die volle Konzentration für neunzig oder gar 120 Minuten abging und sie ungefähr ab Mitte der ersten Halbzeit wieder reden wollten. Während der EM 1996 – die Vorrundenpartie gegen Italien stand kurz vor dem Anpfiff, wir hatten uns in meiner Schwabinger Wohnung versammelt – stellte jemand die Scherzfrage: „Was würdest du sagen, wenn es jetzt klingelt, und vor der Tür steht Pamela Anderson?“
Antwort: „Sind Sie wahnsinnig, jetzt hier zu klingeln?!“
Tempi bekanntlich passati. Was weiland während dieser Spiele gesprochen, geflachst, geflucht und geschimpft wurde, zöge inzwischen den Abbruch von Freundschaften und die Kündigung von Arbeitsverhältnissen nach sich. Heute ist der Fußball ideologisch auf Zeitgeistlinie gebracht, diversifiziert, pazifiziert, sprachgereinigt und effeminiert. Vor dreißig Jahren spielten auch schon Schwarze, Asiaten oder Schwule in allen Ligen, nur kümmerte das niemanden, es war einfach kein Thema, das irgendwer volkspädagogisch und gewinnträchtig ausschlachtete; der Schwarze in der eigenen Truppe wurde bejubelt, der gegnerische beleidigt und ausgepfiffen, fertig. Doch ausgerechnet heute, wo es in den Stadien so friedlich und zahm zugeht wie nie zuvor und die Mannschaften, zumindest die europäischen, ethnisch ungleich „bunter” sind als die Gesellschaft – zu bunt, wie manche finden, die sich am Ende wohl auch daran stießen, wenn Nigeria mit sieben Weißen zum WM-Spiel aufliefe –, ausgerechnet jetzt also wächst angeblich der Rassismus der Fans ins Unerträgliche, ungefähr wie der Feinstaub an Innenstadtkreuzungen und die Mikroaggressionen an Universitäten.
Zugleich ist inzwischen „gefühlt“ jeder zweite Fußballmoderator eine Moderatorin, mitunter auch Moderatörin, und unter den Spielfeldrand-Kommentatoren bei Live-Übertragungen muss zwanghaft eine Fußballerina platziert werden, damit sie ihren emanzipationsverstetigenden Senf zum Männersport beisteuern kann. Der Frauenfußball, den kaum jemand guckt, wird unter hohem moralischen Druck multimedial in alle Kapillaren der Gesellschaft gepresst. Schwule Kicker sind gehalten, sich zu „outen“, um „Vielfalt” zu bezeugen. Spieler, Funktionäre, Fanbeauftragte und große Teile des Publikum überbieten sich beim Wettstreit darum, möglichst unanstößig, langweilig und politisch korrekt zu sein. Vereinschefs mit fragwürdigster Reputation bekennen sich mit einer aggressiven Beflissenheit zur Regierung und gegen die Opposition wie sonst nur am Staatstropf hängende Künstler in Autokratien. Über den Bekenntnisslapstik der Nationalmannschaft, sei es das Niederknien vor dem Anstoß wegen irgendwelcher Vorfälle auf amerikanischen Straßen, sei es das – symbolisch gar nicht mal so falsche – kollektive Sich-das-Maul-zuhalten bei der letzten Weltmeisterschaft, muss ich nichts weiter ausführen.
Ehe jetzt der juvenile Gast des Kleines Eckladens spricht: „Ok Boomer, deine Zeit ist eben abgelaufen, du verstehst die Welt nicht mehr, weil du nicht mehr zu ihr gehörst”, will ich auf zweierlei hinweisen. Erstens, dass der Boomer in Italien „Dottore“ genannt wird, sofern er sich angemessen kleidet (und viele dieser Dottores verstehen etwas von Fußball).
Und zweitens, dass ich den Fußball heutzutage weit schöner, kunstvoller und spannender finde als jemals zuvor. Sowohl was die A‑, als auch die B‑Note betrifft, ist das Niveau enorm gestiegen. Der FC Augsburg würde die brasilianische Fußballweltmeistermannschaft von 1970 mit einer hohen zweistelligen Niederlage in die Kabine schicken (und auch die von 1994 klar besiegen), die Brasilianer kämen, außer mit Befreiungsschlägen, wahrscheinlich nicht mal über die Mittellinie. Das liegt weniger am sogenannten Spielermaterial als vielmehr an der vollkommen anderen Art, Fußball zu spielen, welche man heute pflegt. Durch kluge Regeländerungen – drei Punkte statt zwei für den Sieg, das Verbot für den Torwart, den Ball bei Rückpässen der eigenen Spieler mit der Hand aufzunehmen (früher eine notorische Quelle des Zeitspiels), Abseitsentscheidung erst bei der Ballannahme – wurde das Spiel viel schneller und folglich intensiver. Dazu kamen Materialverfeinerungen wie Kunstrasen, leichtere Schuhe und Bälle. Die Spieler sind nicht nur taktisch unendlich besser geschult als unsere Altvorderen, sie sind auch beweglicher, reaktionsschneller, geistesgegenwärtiger und ausdauernder. Technisch agieren heute fast alle Profis auf einem Level, das ehedem nur wenigen Stars vorbehalten war; kein Ball springt mehr vom Fuß, und sogar Innenverteidiger schlagen so präzise Pässe über das halbe Feld wie vor 50 Jahren allenfalls die Spielmacher. Ein Mittelfeldspieler muss heute mindestens dreimal so viele spontane Entscheidungen pro Partie treffen, für die er jeweils nur Sekundenbruchteile zur Verfügung hat, als vor 30, 40, 50 Jahren. Möglicherweise könnten sich unsere 1970er Brasilianer mit den aktuellen Augsburgern messen, nachdem sie ein Jahr lang intensiv vor allem Taktik trainiert, sich an die Bälle, Schuhe, den Rasen und das Pressing gewöhnt und mit dem Rauchen aufgehört hätten.
Umgekehrt muss man fairerweise fragen: Welche Figur gäbe das aktuelle Team von Real Madrid, zurückversetzt in den Juli 1954 ins Berner Wankdorf-Stadion, gegen die deutsche Nationalmannschaft um Fritz Walter ab? Auf diesem tiefen Rasen, mit diesen Töppen und dem damaligen Ball möchte ich die Bellingham, Kroos und Vinicius Junior mal zaubern sehen…
Wie auch immer, jedenfalls gibt es nach wie vor kaum eine Möglichkeit, als Zuschauer spannendere und aufregendere neunzig Minuten zu verbringen als bei einer Partie elf gegen elf im gehobenen Segment der Ligen. Nie waren das spielerische Niveau und das Tempo so hoch wie heute. Und trotzdem lässt mich der Fußball mittlerweile kalt, eben weil er zwischen Kommerz und Propaganda zerrieben wurde und wird und werden wird, weil eigentlich immer klar ist, wer am Ende gewinnt – wer soll Real noch schlagen, wenn auch Mbappé in Madrid spielt? wie sollen die Bayern nicht Meister werden, wenn die besten Spieler der Konkurrenz immer nach München gehen? –, weil die Mannschaften aus Legionären bestehen, die zwar phantastisch spielen, aber eben heute hier und morgen dort, die allesamt „Berater” haben, die auf den nächsten Mehrbietenden lauern, weil sie bei jedem Wechsel mitkassieren, und während die Stars vor der Fankurve ostentativ mit der Hand auf das Vereinsemblem auf ihrer Brust klopfen, stehen sie schon in Verhandlungen mit ihrem neuen Club. Ich sah zuletzt das Spiel Dortmund gegen Paris St. Germain, ein im Ruhrpott siedelnder internationaler Ausbildungsverein gegen eine aus Katar finanzierte Plastiktruppe, toller Fußball, ohne Frage, doch von den Schwarzgelben kannte ich fast niemanden mehr. Warum sollte man mit einem solchen Bäumchen-wechsle-dich-Ensemble sympathisieren, das zufällig gerade in Dortmund zusammenspielt, dem aber jeder Kicker weggekauft wird, der das Zeug zum Star besitzt? (Das Publikum im geilsten Stadion der Welt hat keine Wahl, die Armen leben ja in Dortmund, und außer dem Westfalenstadion, das inzwischen einen grotesken kommerziellen Namen trägt, gibt es dort nicht viele Vergnügungsstätten.)
Angesichts der enormen Zahl von Fußballaffizierten dürften noch einige andere Zeitgenossen existieren, und sei es nur unter den Boomern bzw. Dottores, denen es ähnlich geht wie mir. Die Kommerzialisierung oder Monopolisierung dieses Sports können sie immerhin öffentlich beklagen, dabei spielen viele Medien mit, allerdings auf vergiftete Weise, indem sie zum Beispiel Fanproteste gegen den Vereinsseelenverkauf für ihre generelle antikapitalistische Agenda vereinnahmen. Die Popularität von Clubs wie dem SC Freiburg oder dem FC St. Pauli unter linken Journalisten (Pleonasmus, ich weiß) hat damit ebenso zu tun wie die Unpopularität etwa von RB Leipzig oder der TSG Hoffenheim. Heikel wird es indes, wenn nicht die ausufernde Vermarktung des Sports, sondern die woke Propaganada, die heute zum Fußball gehört wie Eckfahne und Mittelkreis, auf den Rängen Proteste auslöst – etwa wenn Fans, wie in mehreren Stadien geschehen, ein Spruchband mit den Worten „Es gibt nur zwei Geschlechter!” entrollen –; dann schieben der DFB und die Öffentlichkeitsverweser schnell, wie ein Qualitätssportjournalist schriebe, einen Riegel vor, der Verband, indem er die Vereine mit Geldstrafen überzieht, und die Genossen Medienschaffenden, indem sie die Denunziationsbegriffe dazu liefern („transphob”, „rechte Provokateure” etc.).
Wir haben es mit einem ziemlich verrückten Paradox zu tun: dem Verfall der Attraktivität einer Sportart, die immer besser wird. Zugleich offenbart sich im Spitzenfußball jenes symbiotische Zusammenwirken von Wirtschaft und Wokeness, das zu den prägenden Phänomenen unseres Epöchleins gehört und dem meine Expektorationen hier immer wieder gelten. Während es eine Reihe Publikationen gibt, in denen die Verflechtung von Sport und Kommerz kritisch betrachtet wird, ist die immer stärkere Politisierung der europaweit populärsten Leibesübung ein Bestandteil der Großen Transformation der westlichen Gesellschaften in Fragen-Sie-nicht und hat deshalb als positiv zu gelten, was konkret so ausschaut, dass die meisten Sportjournalisten sie begrüßen und befördern, etwa indem sie Bücher gegen „Rassismus”, „Homophobie” und andere „rechte” Tendenzen im Fußball schreiben; ich hatte neulich einen dieser Autoren im Sortiment (hier, ein bisschen scrollen).
Ein Buch aus der eben skizzierten verfallsdiagnostischen Perspektive lag also, wie man sagt, in der Luft, und nun ist es erschienen.
„Eine toxische Allianz aus Kommerz und Ideologie gefährdet die ’schönste Nebensache der Welt’ in ihrer Substanz”, heißt es in der Ankündigung. „Von dieser Bedrohung durch Geschäftemacher, Politiker und ihre journalistischen Handlanger, die sich der Attraktivität des Fußballs parasitär bedienen, handelt dieses Buch.”
Der Verfasser ist Literaturhistoriker und emeritierter Professor, was in diesem Zusammenhang nicht unwichtig ist, denn er muss kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Günter Scholdt, Jahrgang 1946, hat – auch das ist in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtig – früher selbst gekickt, beim UFC Wacker 73 in der Kreisliga Saarbrücken. Was mir Gelegenheit zu einer kleinen Abschweifung verschafft. Wie im Saarland damals üblich, habe seine Mannschaft häufig auf „Brascheplätzen” gespielt, erinnert sich Scholdt, „mit der Folge, dass man jedes zweite bis dritte Spiel erhebliche Abschürfungen auf Knien oder Oberschenkeln nach Hause brachte, gesprenkelt mit etlichen roten Pünktchen. Man wachte auf, wenn die Bettdecke zu sehr auf lädierten Körperteilen lastete.” Ich weiß übrigens noch, was ein Schotter- bzw. Schlackeplatz, wie sie in Berlin genannt wurden, war; ich trage noch immer ein paar schwarzblaue Schlackekrümel vom Kissingenstadion in Berlin Pankow sichtbar unter der Haut an meinen Knien. Damals erklärte mir ein Bezirksklasse-Kicker der technisch beschlageneren Sorte, er spiele lieber auf Schotter als auf dem Rasen, weil der Gegner sich dort dreimal überlege, ob er eine Grätsche riskiere. In seiner Mannschaft, sekundiert Scholdt, seien damals Wetten darauf abgeschlossen worden, wie lange es dauern werde, „bis ein Rasenplätze gewohnter Neuling sich das Grätschen abgewöhnte”. Abschweifung beendet.
Verweilen wir gleichwohl noch im Nostalgischen. Womöglich, ach was: mit Sicherheit hat der Fußball in den schlimmen präwoken Zeiten seine integrative Kraft weit besser bewiesen als heutzutage. „In unseren Reihen waren alle Fakultäten, Urteile und Vorurteile vertreten. Praktizierende Christen und Atheisten, klassische Wirtschaftsliberale mit FDP- oder CDU-Prägung oder Linke, von den Jusos bis zur DKP”, erinnert sich Scholdt. „Übrigens waren wir auch multikulturell aufgestellt. Ohne lange nachzudenken, fallen mir als Mannschaftskameraden Türken, Tunesier, etliche Schwarzafrikaner, ein Algerier, Grieche und Argentinier ein – das Ganze ohne spezifische Absicht oder Verhaltensideologie. Unsere fremdstämmigen Mitspieler beanspruchten keine ‚korrekte’ Sprache, weil daran schlicht kein Bedarf bestand. Ich erinnere mich an eine ausgiebige Kneipenfeier nach einem für unsere Verhältnisse grandiosen Sieg. Auch unser Mittelfeldtalent Modou aus dem Senegal feierte tüchtig mit. Als Moslem des dabei üblichen Bierkonsums ungewohnt, machte er bald schlapp, worüber beim nächsten Training ausgiebig gelästert wurde. (…) In Sachen Völkerverständigung via Fußball erinnere ich mich an ein spannendes Match mit jungen afrikanischen Deutschlehrern. Sie waren im Rahmen eines Kulturaustauschs nach Saarbrücken gekommen, und ich habe sie eine Woche lang per ‚Sommeruniversität’ unterrichtet. Als krönenden Abschluss verabredeten wir ein Match zwischen unserem UFC und den Gästen, die hochbegabte Spieler in ihren Reihen hatten. Wir verloren 1:2, was keine freiwillig-diplomatische Niederlage war. (…) Es folgte ein rauschendes Fest in unserer Wohnung.”
Von Fremdenfeindlichkeit, fährt Scholdt fort, habe er in Jahrzehnten aktiver Fußballtätigkeit „praktisch kaum etwas verspürt”, und er sei auch nie auf Antisemitismus gestoßen. „Erst gegen Ende meiner aktiven Zeit zeigten sich Probleme in Matches gegen eine fast homogene Türkenmannschaft mit einer erkennbaren Steigerung der Brutalität. Wohlgemerkt galt das nicht für Einzelne, sondern für das ethnische Kollektiv. Einer meiner Nachfolger im Traineramt war übrigens Türke. Das klappte so reibungslos, dass darüber niemand ein Wort verlor. Gleichwohl wollen uns heute ideologiebesoffene Schnösel in ihren Diskriminierungsämtern nachträglich belehren, dass schon zu dieser Zeit zumindest unterschwelliger Rassismus am Werke war. Eher wurde mehrheitlich Multikulti gelebt, bevor der Begriff in Mode kam.”
Tempi abermals passati. Aber als Hintergrundfolie und Kontrastmittel sind solche Erinnerungen recht hilfreich, speziell für jene Bleichgesichter, die sie aus Altersgründen nicht teilen können und den aktuellen Gängelbetrieb für etwas Naturgegebenes halten. Inzwischen läuft unter Schlagworten wie „Viefalt”, „Buntheit” und „Diversity” eine Dauerwerbesendung für Gesellschaftsspaltung. Blicken wir mit Scholdt nochmals zurück, diesmal indes nur auf die vorhin erwähnten gesamtklimaverwandelnden zwei Jahrzehnte:
„2006 bereits verlas Philipp Lahm als Spielführer vor Länderspielbeginn eine vorgefertigte Erklärung gegen den Gummibegriff ‚Rassismus‘, eine Kundgebung, die an DDR- oder FDJ-Losungen erinnert. Auch Ballack, Metzelder, Mertesacker oder Hitzlsperger wie die Nationalelf warben im ‚Netz gegen Nazis‘ und etlichen anderen Plattformen dieser Art. Leon Goretzka trug zudem einen albernen ‚Kein Fußball den Faschisten‘-Sticker. Auch ließ er sich fürs Bundesbahn-Magazin DB mobil mit Antifa-Devotionalien auf dem DFB-Trikot fotografieren. Und der Tapfere schwenkte auch noch eine Fahne ‚Gegen Nazis‘. Zur Unterstützung von Merkels Flüchtlingspolitik dienten Bundesligatrikots mit ‚Refugees Welcome‘-Aufschriften. Es folgten DFB-gestützte Kampagnen gegen CO2-Verbrauch oder für das regierungsamtliche Corona-Management. Zuweilen knieten deutsche Nationalspieler im Auftrag von Black Lives Matter oder beteiligten sich an diversen Lobbyaktivitäten für LGBTQ oder ‚Fußball kann mehr‘ zur Verstärkung von Frauenquoten im Verband und Anhebung der Spitzengehälter von Spielerinnen.“
Akribisch beschreibt der sachkundige Emeritus, wie die „schönste Nebensache” in den vergangenen zwanzig Jahren für die politischen Propaganda vereinnahmt wurde. Der Fußball ward auf Linie gebracht wie die Universitäten, der Kulturbetrieb, die Kirchen und große Teile der Wirtschaft. Das handelnde Personal ist genreübergreifend so identisch wie austauschbar. „Man blicke auf unsere Sportfunktionäre und ihre typischen Karrieren: DFB-Präsident Bernd Neuendorf (SPD, früher Staatssekretär in NRW), der 1. Vizepräsident Hans-Joachim Watzke (CDU, alte JU-Freundschaft mit Friedrich Merz und etlichen politisch einflussreichen Lobbygruppen attachiert), Reinhard Rauball (SPD, Ex-NRW-Justizminister), Vizepräsident Hermann Winkler (CDU, der sein halbes Leben in der Politik verbrachte). Oder die grüne Freiburg-Connection mit etlichen Vorstandsämtern und Jogi Löw als Steinmeier-Wahlmann. Der neue DFB-Geschäftsführer Sport, Andreas Rettig, war zuvor bereits bei St. Pauli, Freiburg und Köln mit überschaubarem sportlichen Erfolg, aber einschlägigen ‚Werte‘-Sprüchen tätig. (…) Man könnte weitermachen mit Vereinschefs wie Frankfurts Peter Fischer mit besten (auch für ihn selbst äußerst hilfreichen) Verbindungen zu Frau Faeser und dem grünen Bundesvorsitzenden Nouripour.”
Im Zentrum allen Gleichschaltungsfurors steht natürlich die NationalMannschaft. „Der DFB ist kolonisiert wie etliche Institutionen in unserem Staat“, konstatiert Scholdt – und wer würde ihm da widersprechen? Nachdem der peinliche Auftritt der Deutschen sowohl auf dem Rasen als auch auf der Tribüne bei der WM in Katar aufgrund des hochverdienten Ausscheidens in der Vorrunde wenigstens eine zeitliche Begrenzung und viel noch verdientere Häme erfuhr, droht bei der Europameisterschaft das Weiterkommen samt Agitprop-Begleitung sämtlicher Spiele: „Im Januar wurde von Staatsministerin Claudia Roth und Philipp Lahm ein begleitendes ‚Kulturprogramm‘ vorgestellt, wofür die Regierung – warum wohl? – 13 Millionen unserer Steuergelder berappt. In 300 Veranstaltungen werden uns – es graust einen bereits bei dieser wohlklingenden Etikettierung – Fußballwerte wie ‚Fair Play, Respekt und Toleranz‘ vermittelt, von musikalischen und tänzerischen Darstellungen bis zu Grundschul Events. Um welche Art versteckter Wahlkampfhilfe es sich handelt, verriet der notorisch mainstreambeflissene Turnierdirektor Lahm, indem er auf die jüngsten Demonstrationen gegen die AfD verwies, in deren Geist die Initiative verlaufe. Eine Offenherzigkeit, die sich von Schamlosigkeit nicht mehr unterscheidet.“
Der Verfasser erinnert daran, dass anno 2015 der damalige Teammanager Oliver Bierhoff im Kicker ausgeplaudert hatte, „dass der Anstoß für die Begriffskastration der Nationalmannschaft zur bloßen ‚Mannschaft‘ auf Anregung Merkels erfolgte. Auch der Austausch von Schwarz-Rot-Gold zu Weiß-Weiß-Weiß Plus ist auf politischem Mist gewachsen. Derartiges fördere laut Bierhoff angeblich ‚die Identifikation von Fans und Spielern mit unserer Mannschaft‘.”
„Kann man”, fragt Scholdt, „ahnungsloser sein?” (Ich glaube nicht an Ahnungslosigkeit, by the way; die symbolische Denationalisierung ist wohl eher ein dem Großen Austausch sekundierender Designwechsel.)
Ein Kapitel des Buches widmet sich dem „gehypten” Frauenfußball. „Es muss für Feministinnen besonders lustvoll sein”, spekuliert der Autor, „sich nicht auf Sportarten zu beschränken, in denen der ‚Mehrwert‘ sich von selbst ergibt (Gymnastik, Tanz, Eiskunstlauf etc.), sondern in eine milliardenschwere Männerdomäne einzubrechen, die sie bestens nährt, während frau sich zugleich in der Opferpose gefällt, unterstützt von domestizierten Funktionärs- und Propagandamännchen. Schon in den späten 1950ern hatten wir Jungs übrigens bei unserer dörflichen Kickerei nichts dagegen, dass sich ein begabtes, nicht wehleidiges Mädchen anschloss. Und heute gibt es im DFB Mädchen- wie Jungenteams, die bis zu einer bestimmten Altersstufe sogar gemeinsam antreten. Aus der F‑Jugend-Zeit meines Sohnes erinnere ich mich bewundernd eines beachtlichen weiblichen Talents, das manche Jungs alt aussehen ließ. Eine meiner Enkelinnen spielt Fußball.” Misogyn scheint der Herr Professor jetzt nicht unbedingt zu sein.
Der Qualitätsunterschied zwischen Fußball und Frauenfußball lässt sich gleichwohl nicht aufheben. Scholdt erinnert an die Binsenwahrheit, dass die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen im Fußball keine Frage der Gerechtigkeit ist, sondern eine von Angebot und Nachfrage. Im Schnitt verzeichne die Bundesliga der Frauen pro Spiel 1000 Zuschauer. „Ein einziger Drittligist wie Dynamo Dresden zählte in seinen Heimspielen 456.409 Zuschauer, das heißt rund 28 Prozent mehr als die ganze Frauenliga.“ Und alle Frauenförderung, die Etablierung von Fußballfunktionärinnen, weiblichen Fühungskräften in den Vereinen, Schiedsrichterinnen, Kommentatorinnen etc., die eine der letzten Männerdomänen aufbrechen sollen (bevor die Moslems oder die Faschisten hier wieder für Geschlechtertrennung sorgen), sind nicht imstande, das Gekicke der Schwestern als sogenannten Publikumsmagneten zu etablieren. Was die Holden aber keineswegs daran hindert, die Öffentlichkeit mit Klagen wegen ihrer angeblichen Unterbezahlung und ihres generellen, wahrscheinlich strukturellen Benachteiligtwerdens zu behelligen.
Ich rücke im Folgenden einen längeren Abschnitt aus dem Frauenfußballkapitel ein, der illustriert, mit welcher Hydra man es zu tun hat.
„Vielleicht sähen manche Frauenfußball-Gläubige die Dinge anders, wüssten sie, wie umfassend sie manipuliert werden, noch dazu in einer für die meisten schlicht unvorstellbaren finanziellen Dimension. Denn was angeblich Volkes Wille ist, wurde durch systematische politisch-kommerzielle Lobbyarbeit erst erzeugt – von weltumspannenden Organisationen bzw. Initiativen zur Durchsetzung von Gleichheitsdogmen. (…) Da gibt es ‚Feminist Futures for Football!?‘ (natürlich gegen jede Art von Diskriminierung), ‚Discover Football‘, ein ‚Frauen*-Fußball-Kultur-Festival‘ (seit 2017 Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund). Beide gestützt durch die Friedrich-Ebert-Stiftung sowie Politik und Wirtschaft. Die DFB-Kulturstiftung unterhält im höchsten Gremium die Arbeitsgemeinschaft Vielfalt und besoldet zusätzlich einen Botschafter dafür. Leiterin ist bezeichnenderweise die St.‑Pauli-Mitgliedin Claudia Wagner-Nieberding. Zur Agenda wurde die Initiative spätestens unter Merkel. Baerbock fördert ‚Discover Football‘, wobei überall ‚Geschlechterrollen aufgebrochen‘ oder demaskiert werden zugunsten von gelebter Diversität. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung, die Linkspartei, VW und Claudia Roth sind im Frauenboot, oder Michelle Müntefering, die schon vor Jahren eine feministische Außenpolitik proklamieren half.
Die regelmäßig als DFB-Chefin ins Spiel gebrachte Katja Kraus, liiert mit der Ex-Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium Katrin Suder, erstrebt per Netzwerk einen Systemwechsel im deutschen Fußball. Das Ganze als Teil der neunköpfigen Feminismus-Initiative ‚Fußball kann mehr‘. Es geht um Frauenquoten in Sportgremien und Fan-Organisationen, ‚geschlechtergerechte, diskriminierungsfreie Sprache‘, ‚Sanktionierung jeder Form von Sexismus und Diskriminierung auch außerhalb des Platzes‘. Und schon sind wir bei Maulkörben und frau zeigt Krallen. Im Zeit-Interview vom Mai 2021 präsentierte sie ein ‚Diversity-Programm‘ als Teil des Lizenzierungsverfahrens der DFL. Das bedeutet schlicht: Bundesligavereine, die sich nicht gendergerecht verhalten oder die Frauenquote ignorieren, riskieren Lizenzentzug (Hervorhebung von mir – M.K.).
So viel Entschiedenheit imponiert natürlich Michael Horeni (FAZ-Sportredakteur, Physiognomisten klicken bitte hier): Kraus bringe alles mit, um den DFB zu führen. Im Fußball- und Sportbusiness habe sie längst ihr Talent bewiesen, unter anderem als geschäftsführende Gesellschafterin der Sportmarketing-Agentur Jung von Matt/sports oder als langjährige Aufsichtsrätin bei Adidas. Sie sei ‚eng vernetzt mit dem politischen und medialen Betrieb‘. Was wir gerne glauben, denn ohne solche Beziehungen fiele ihr Image oder Einfluss erheblich bescheidener aus. So kann sie denn auch, Verbindungen von Kommerz, Politik und Sport offenlegend, die weitere Förderung des Frauenfußballs als Gemeininteresse feiern: ‚Immer mehr Entscheider verstehen, dass es wichtig ist, nicht nur im Hinblick etwa auf die gesellschaftliche Verantwortung, sondern auch weil es ein Gewinn für die Marke ist und somit das Geschäftsmodell stärkt.‘
Zu weiteren Aktivistinnen gehören Jana Bernhard, Claudia Neumann (ZDF), ran-Moderatorin Gaby Papenburg, Bibiana Steinhaus-Webb, die Aufsichtsratsvorsitzende von St. Pauli, Sandra Schwedler, Almuth Schult und die Bundesvorsitzende der Fan-Vereinigung Unsere Kurve, Helen Breit. Sie sind eng vernetzt mit dem Bündnis Aktiver Fußballfans, entstanden aus dem Bündnis antifaschistischer Fanclubs und Faninitiativen, zudem Teil des Netzwerks Football Against Racism in Europe. Die Vereinigungen sind in die Gremien der Fußballverbände integriert und beeinflussen DFB und DFL mehr, als einem lieb sein kann. Weitere Verbindungen bestehen zur Initiative F_in Netzwerk Frauen im Fußball, einer Vereinigung meist weiblicher Fans mit Wissenschaft und Medien. Kopf des Netzwerks ist Antje Hagel, eine radikale Feministin der 1980er, Ko-Autorin des Linkspamphlets ‚Tatort Stadion. Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball‘.
Hinzu kommt das (von der Fußballerin Chantal Hoppe und dem ehemaligen Bundessprecher der Grünen Jugend Andreas Gebhard gegründete) DFB-nahe Netzwerk Female Football Academy als weitere Lobbygruppe für Frauenquoten und Gender. Unter gemeinsamer Berliner Adresse operiert die Newthinking Communications GmbH des Ex-Grünen-Funktionärs und ‚Netzaktivisten‘ Markus Beckedahl. Unterstützung aus dem grünen Milieu erhalten die Netzwerke zudem von Claudia Roth, die in zahlreiche DFB-Projekte eingebunden ist, unter anderem als Mitglied der DFB-Kulturstiftung. Ex-Weltmeisterin Ariane Hingst wiederum gehört zu den Gründerinnen eines Frauenfußball-Projekts bei Viktoria Berlin, in dem sich viele prominente Frauen engagieren, wie Franziska van Almsick, Maria Höfl-Riesch, Carolin Kebekus oder Dunja Hayali.“
Das einzig Kritikwürdige am Buch ist das Fehlen eines Registers. Dann hätte man die Opportunisten und Lobbyisten, Zertrümmerfrauen und Absahner*:_innen alle nachschlagegerecht beisammen.
In einem anderen Kapitel beschäftigt sich Scholdt, durch seinen Freizeitkickerhintergrund empirisch im Bilde, mit den Gewalttätigkeiten, die nicht erst seit den Tagen des freundlichen Gesichts im Amateurfußball immer häufiger hervorbrechen, sich in Schlägereien, Verletzungen, Angriffen auf Schiedsrichter, Polizeieinsätzen und Spielabbrüchen manifestieren und weniger der Politisierung dieses Sports geschuldet als vielmehr eine direkte Folge der Politik sind. Unter Politisierung fällt lediglich das offizielle Beschweigen des Problems.
Zuletzt ein Gedankenspiel. Der eine oder andere Boomer wird sich noch an Paul Breitner erinnern, der zur Zeit von Maos chinesischer Kulturrevolution „aus Spaß an der Provokation mit der Peking Rundschau posierte” (Scholdt). Wenn man das alte Photo gugelt, wird es noch delikater: Der „rote Paul” sitzt sogar unter einem Konterfei des größten Massenmörders der bisherigen Geschichte, was in der so linken wie entspannten BRD der 1970er Jahre niemanden kümmerte; es war ja nicht Hitler (oder Strauß). „Aber kein Bundestrainer überlebte es heute, wenn er sich öffentlich mit der Jungen Freiheit oder Compact erwischen bzw. fotografieren ließe”, notiert der Emeritus. Um zu ermessen, in welchem Maße sich diese Republik seit Breitners aktiven Zeiten in Richtung Gesinnungsstaat entwickelt hat, male man sich nur aus, der Leverkusener Spieler Florian Wirtz, Deutschlands momentan größtes Talent und teuerster Kicker, ließe sich unter einem Plakat von Björn Höcke (oder Donald Trump) ablichten oder spräche sich für die Wahl der Schwefelpartei aus: Der Gute dürfte niemals wieder in der Bundesliga oder für die Nationalmannschaft, nein: die „Mannschaft” auflaufen, die öffentliche Bestie würde seinen Kopf fordern, und Leverkusen könnte kaum noch rechtfertigen, den Gedankenverbrecher gegen eine hohe Summe ins Ausland abgeschoben zu haben.
Das ist der Stand der Dinge.