Wenn Bach „pure Mathematik” ist, warum hat dann niemand ganz mathematisch weiterkomponiert?
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„Sie können mich in Falle eines nationalen Notfalls jederzeit wecken. Auch während der Kabinettssitzung.”
Ronald Reagan
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Neues Delikt: verfassungsschutzrelevante Delegitimierung der Opposition.
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Ich kann mich nicht entsinnen, ob ich’s schon mal geschrieben habe: Es war ein Satz – im Grunde nur ein einziges Wort darin –, der Thilo Sarrazin in Verruf brachte und ihn zugleich durchaus wohlhabend gemacht hat. Hätte er ihn im Interview mit Lettre International anno 2009 nicht gesagt (und damit den ersten mit seinem Namen verbundenen Skandal ausgelöst, auf dem sämtliche Folgeskandale und vor allem die Niederschrift seines Buches „Deutschland schafft sich ab” beruhen), er wäre heute ein eher unbekannter pensionierter Berliner Politiker bzw. Beamter. Er gälte als bisweilen scharfzüngiger, aber honoriger Zeitgenosse, würde auf SPD-Partys eingeladen und könnte im Tagesspiegel schreiben. Sein Œuvre wäre freilich deutlich schmaler, sein Kontostand erheblich niedriger. Die Ächtungsmechanik hat in seinem Fall, wenn auch mit erheblichem Verzug, zwar so verlässlich wie immer funktioniert, doch noch verlässlicher und vor allem schneller wirkten die Mechanismen der Marktwirtschaft. An deren Beseitigung müssen die Linken noch arbeiten. Die Ächtungsbeschleunigung gelingt ja immer besser.
Der besagte Satz, falls Sie ihn nicht erinnern, lautete übrigens: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.”
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Drei Millionen später so ein Kommentar.
Das sind Bankrotteure – ich könnte ein härteres Wort wählen –, die guten Gewissens fremder Leute Geld durchbringen.
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Man kann goldene Kälber oder gescheite Esel anbeten; der Idolatrie ist es gleich.
„Der letzte Idealist”: Das stimmt insofern, als der arme Habermas jeden Tag in den Nachrichten hören muss, wie wenig sich die Wirklichkeit um seine kommunikationstheologischen Entwürfe schert. Das desillusioniert den härtesten Transzendentaldemokraten, obwohl der als echter Idealist noch weniger an die reale Demokratie glaubt als z.B. meiner Mutter zweiter Sohn.
Korrekt muss es heißen: der Debattenzerstörungs- bzw. ‑verhinderungsgeschichte. Charakterlich ist dieser Intrigant ein legitimer Enkel Rousseaus. An seine Theorie des herrschaftsfreien Diskurses glaubt Habermas ja nicht einmal bei schönstem Zentralgestirnschein überm Starnberger See, wo er sich, finanziell so erfolgreich wie seine idealistische Theorieschwester Judith Butler (und stilistisch vergleichbar begnadet), in stillem Behagen niedergelassen hat, um die verzerrte Kommunikation andernorts zu kommentieren; auch hierin ein typischer Progressist. Habermas ist der geistige Wegbereiter des rotgrünen Restdeutschlands, er verdient es also, desillusioniert zu sein, wenngleich er es ja nicht wegen der Grünen, des WEF oder Sleepy Joes lustiger Debattenbeiträge sein dürfte, sondern wegen der Abwehrreaktionen darauf, wegen der Populisten, wegen des tumben Widerstandes nationaler MG-Nester gegen die welt- und diskursrettende Luftwaffe der Globalisten.
Immerhin: Wenn es stimmt, dass St. Jürgen endlich desillusioniert ist, zum zweiten Mal nach dem Zusammenbruch 1945, wäre das ja mal eine gute Nachricht. Aber ist er dann noch ein Idealist? Desto schlimmer für die Wirklichkeit und so?
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Deutscher – bzw. passdeutscher – Bundestag, 81. Sitzung, Mittwoch, 25. Januar 2023 (bitte richten Sie Ihr besonderes Augenmerk auf den Zwischenruf einer erkennbaren Optimistin):
Ich deutete in meinem letzten Eintrag an, dass der Kanzler mit dieser Antwort sämtliche im Ausland lebenden Quasi- oder nunmehr eben einstigen Deutschen ethnisch-kulturell ausgewildert hat. (Über die neofeudal-honeckerhafte Formulierung „Wir haben” statt z.B. „Wir sind” oder „Es gibt” heute kein Wort.) Dann winken wir noch einmal zum Abschied nach Kasachstan, Usbekistan, Polen, Ungarn, Dänemark und, hui!, Russland. Ethnie ade, scheiden tut weh! Lebt wohl, ihr Passfernen!
Wer sich jetzt fragt, wie es möglich war, dass Kohl damals die Russlanddeutschen heim ins geläuterte Restreich holte und nach welchen Kriterien er sie auswählen ließ – deutsche Pässe besaßen sie ja nicht –, bezähme sich, sonst holt ihn sogleich der Fehlhaldenwang! Und wer naseweis wissen will, warum die Medien regelmäßig von „ethnischen Säuberungen” irgendwo außerhalb der deutschen Passzone berichten, sei belehrt, dass es sich bei der in Rede stehenden um eine ethische Säuberung handelt.
PS: „Ich muß Ihnen in einem Punkt widersprechen: Die Rußlanddeutschen waren deutsche Staatsbürger – durch Abstammung. Sie hätten also jederzeit in die deutsche Botschaft in Moskau gehen und dort die Ausstellung eines deutschen Passes beantragen können. Und die Nationalität oder Volksgruppe stand sogar im sowjetischen Paß: Russe, Jude, Deutscher usw.”
(Leser ***)
Wenn das stimmt: q.e.d.
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Womit ich beim Thema wäre: dem „ethnischen Volksbegriff”. Um den geht es nämlich in einem Buch, das eigentlich ganz anders heißt.
Ich fand es früher, als ich noch beim Focus dem Herrn die Tage stahl, ziemlich beknackt, wenn in Rezensionen die Cover der Bücher abgebildet wurden, jetzt tu’ ich’s selbst; da können Sie sehen, wie der „Iconic Turn” (Hubert Burda) auch bei mir reinhaut. Bzw. durchschlägt. Andererseits: Auf diese Weise findet man das Buch im Laden leichter. Sofern es ausliegt – was bei meinen Empfehlungen eher unwahrscheinlich ist. Dieses Buch sollte ausliegen. In ihm verschränkt sich die Fähigkeit, Texte, auch sinnlose, sinnerfassend zu lesen und luzide auszulegen, mit einem angenehmen Freisinn und dem Mut zur sogenannten klaren Ansage, obwohl der Verfasser einer Partei angehört, deren zumindest im medial sichtbaren Segment agierenden Vertretern solche Eigenschaften offenbar verlorengegangen sind.
Was das mit dem „ethnischen Volksbegriff” zu tun hat? Ich komme darauf.
Der intellektuelle SPD-Einzelfall Mathias Brodkorb, studierter Philosoph und von 2011 bis 2019 Bildungs- sowie Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern, hat sich zuletzt wiederholt über die Meinungsfreiheitsbekämpfungs- und Oppositionsdelegitimierungsmaßnahmen der Bundesregierung mokiert, sowohl im Cicero als auch leibhaftig im TV. Besagte Maßnahmen werden bekanntlich mit dem orwellschen Terminus „Demokratieförderung” gelabelt, und dem Bundesamt für Verfassungsschutz kommt die edle Aufgabe zu, der Regierung Belege für die Demokratiefeindlichkeit der Opposition zu verschaffen. Beziehungsweise zu konstruieren. Notfalls: zu behaupten.
Brodkorb eröffnet seine Analyse mit dem schönen Aphorismus: „Verfassungsschützer sind Verschwörungstheoretiker im Auftrag des Staates.“ Das führe zu einer „mimetischen Rivalität“ (die Wendung stammt von René Girard) mit ihren Beobachtungssubjekten, die in der Figur des V‑Mannes (V‑Menschen?) wohl ihren sinnfälligsten Ausdruck findet. Das schreibt Brodkorb nicht explizit, er spricht aber vom „Versuch, den gerissenen Verfassungsfeind durch noch mehr Gerissenheit zu entschlüsseln und zu übertrumpfen“, wodurch es „zur Anverwandlung an das eigentlich zu bekämpfende Objekt kommen“ könne. So wie der sagenhafte König Midas alles in Gold verwandelte, was er berührte, verwandelt der Verfassungsschützer alles in Verfassungsfeindschaft, womit er auftragsgemäß in Berührung kommt. Bei rechtem Zwielichte besehen ist nämlich so gut wie jeder Mensch ein Fall für den Verfassungsschutz, gerade in ‘schland, wo nach Günter Maschkes geflügeltem Wort „jeder zum Verfassungsfeind des anderen werden kann“. Es verhält sich ja nicht nur so, dass die Regierung der Opposition Verfassungsfeindlichkeit vorwirft, sondern auch umgekehrt. Nur kontrolliert eben die Regierung den Inlandsgeheimdienst.
Ich weiß nicht, ob Brodkorb den Verfassungsschutz (fortan: VS) genau deshalb abschaffen will. Jedenfalls will er es überhaupt – „und das”, um Gunnery Sergeant Hartman aus „Full Metal Jacket” zu zitieren, „genügt uns”. Der Sozialdemokrat hält den VS für ein historisch überholtes deutsches Spezifikum, gewissermaßen den Blinddarm des guten alten „Sonderwegs“, für eine Behörde zudem, die ihre Befugnisse geradezu methodisch überschreite und sich „immer mehr zu einer Sprach- und Gedankenpolizei“ erhebe. Das ergebe sich zum einen aus der parteipolitischen Instrumentalisierung des Bundesamts. Die VS-Behörden sind dem Bundesinnenminister (w) sowie den Landesinnenministern (m/w/d) unterstellt, ihre Chefs sind politische Beamte, denen jederzeit gekündigt werden könne, wenn sie nicht das Gewünschte lieferten (man hat es am Fall Hans-Georg Maaßen studieren können), was sich naturgemäß auf die präsentierten Resultate auswirke; in Diederich Haldenwang ist das Apportieren Person geworden.
Zum anderen wohne dem Auftrag des VS ein Kardinalwiderspruch inne: Eigentlich bestehe dessen Mission nicht darin, sich mit politischen Ansichten zu beschäftigen; vielmehr sei auch verfassungsfeindliches Denken durch das Grundgesetz gedeckt. Der VS habe sich ausschließlich mit Bestrebungen – und das heißt: Handlungen – zu befassen, die sich gegen das Grundgesetz richten, wobei als zusätzliches Kriterium noch ein Minimum an Erfolgswahrscheinlichkeit anzusetzen sei. Die Behörde soll also verfassungsfeindliche Handlungen vorausahnen und im Keim ersticken, ohne zugleich ungerechtfertigt bloße Ansichten zu verfolgen. Nun geht der Gedanke bekanntlich der Tat voraus, und in der Grauzone zwischen beiden müssen sich unsere braven Verfassungsschützer unter einem schier übermenschlichen Differenzierungsdruck bewegen. Kaum ein Schlapphut hält ihm auf Dauer stand – insbesondere wenn ein Innenminister den VS auf ein gesamtes politisches Milieu ansetzt und mit dem entlastenden Freibrief ausstattet, auch Äußerungen zu ächten (und demnächst bereits drohende Äußerungen), wie es Brodkorbs Genossin N. Faeser seit ihrem Amtsantritt mit wachsendem Elan tut.
Das twitterte die Bundesinnenministerin übrigens am Tag neun nach ihrem Amtsantritt.
Eine Innenministerin, die vorgibt, nicht zu wissen, dass die Strafverfolgung der Justiz und nicht der Polizei obliegt, hat den Rechtsstaat verlassen. Eine Innenministerin, die mit schwammigen, juristisch undefinierbaren Begriffen wie „Hass” und „Hetze” eigentlich Regierungskritik meint, die Bevölkerung einschüchtern und das Grundrecht auf Meinungsfreiheit abbauen will, ist reif für jede Art Diktatur. Eine Innenministerin, die dem Volk für Gesinnungsdelikte mit der Polizei droht, ist eine Verfassungsfeindin.
Hier ist aber nicht der Ort, das Verfassungsverständnis der Innenministerin und die Politisierung der Polizei zu thematisieren, denn das Buch behandelt den VS. Der darf bekanntlich niemanden verhaften oder Gefährderansprachen z.B. an Schulen durchführen und Hausbesuche allenfalls elektronisch abstatten. Seine einzige Waffe war bislang der jährliche Bericht (die Innenministerin arbeitet an der Ausweitung der Befugnisse). Wen der VS für verfassungsfeindlich hält, darüber informiert er die Öffentlichkeit – und hier, so Brodkorb, „beginnt das Problem. Es berührt den Kern der repräsentativen Demokratie.“ Denn die Öffentlichkeit sei das Alpha und Omega der demokratischen Willensbildung. „Ohne Öffentlichkeit”, zitiert Brodkorb Carlo Schmid, „fehlt der besten sachlichen Arbeit die Weihe und die Legitimität demokratischer Geburt.“
Umgekehrt ist die soziale Exkommunikation ebenfalls ein öffentlicher Akt. „Erst die nachhaltige Beschädigung des öffentlichen Rufes führt zum Verlust des gewohnten menschlichen Umgangs.“ Gerade weil moderne Demokratien „Gesellschaften mit allumfassenden Öffentlichkeiten sind”, notiert der Autor, „kann die Informationsarbeit des Verfassungsschutzes schärfere Einschnitte in das Leben von Menschen hervorrufen als ordnungs- oder gar strafrechtliche Maßnahmen”, denen selten eine vergleichbare Resonanz zuteil wird. Die berühmten prophetischen Worte von Tocqueville über die unblutige Waffe der sozialen Isolation in demokratisch verfassten Gesellschaften setze ich als bekannt voraus. Was der VS durch seinen Bericht – und neuerdings auch zunehmend durch Statements seines Präsidenten – vornehme, seien, so Brodkorb, „innerstaatliche Feinderklärungen”. Es handelt sich um einen modernen Pranger. Wer dort steht, kann allerdings durchaus zu den Gerechten gehören. In diesem Falle handelt es sich um nicht weniger als sozialen Rufmord. „Die durch die Maßnahmen des Verfassungsschutzes eintretenden Folgen sind keine Kollateralschäden, die sich zugunsten höherer Zwecke nicht vermeiden ließen. Sie sind durch und durch beabsichtigt.” Wie der Verfassungsrechtler Professor Dietrich Murswiek feststelle, erwarteten die Verfassungsschutzbehörden „von allen Bürgern, dass sie sich an der Ausgrenzung der Verfassungsfeinde beteiligen“. Es geht bei den Bewertungen des VS also „nicht um ein intellektuelles Glasperlenspiel”, schreibt Brodkorb. „Die Begriffe sind jene Messer, mit deren Hilfe der Verfassungsschutz gedanklich in den Volkssouverän schneidet, um die vermeintlich Guten von den vermeintlich Bösen zu scheiden. Und präzise Begriffe” – bzw. eben unpräzise – „sind beim Verfassungsschutz keine lässliche Sünde, sondern der erste entscheidende Schritt auf dem Weg zum Rechtsbruch unter staatlicher Verantwortung.”
Der einstige Minister beschäftigt sich anhand von sechs Fallbeispielen mit der Arbeitsweise des VS, und nach der Lektüre kann kein Verständiger mehr an der Stichhaltigkeit seines Rufes nach Auflösung des Amtes zweifeln. In zwei Fällen geht es um Linke: die jahrelange Überwachung von Bodo Ramelow sowie jene des (mir bislang unbekannten) Juristen Rolf Gössner. Diese beiden Exempel verdeutlichen immerhin eines: Gegen links schneidet, um im Bilde zu bleiben, das „Messer” des VS weniger gut als gegen rechts. Ramelow ist bekanntlich Ministerpräsident, Gössner war zuletzt stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof Bremen. Deswegen will ich hier nicht weiter darauf eingehen. Nur zwei bezeichnende Nebeneffekte seien erwähnt.
Zum einen: Der einzige Ministerpräsident der Linkspartei hat aus seinen Erfahrungen mit dem VS keineswegs den Schluss gezogen, dem Inlandsgeheimdienst Fesseln anzulegen, sondern mit Stephan Kramer einen Mann zum Chef des Verfassungsschutzes Thüringen erhoben, dem die ideologische Voreingenommenheit gegen alles, was er für „rechts” hält, aus jedem Statement trieft. Man darf Ramelow also getrost als einen Unbelehrbaren bezeichnen.
Zum anderen: Nach Ansicht des Haldenwang-Vorgängers Hans-Georg Maaßen – ich folge Brodkorbs Darlegung – ist Ramelow ein Kommunist, der nicht bloß mehr soziale Gerechtigkeit, sondern eine „totalitäre Herrschaftsform“ anstrebe. Sein Ziel sei der „Systemwechsel“. Dennoch hat das Bundesamt für Verfassungsschutz am 18. April 2013 unter dem damals neuen Präsidenten Maaßen dem Bundesverfassungsgericht mitgeteilt, man habe die Beobachtung der Linkspartei als Gesamtpartei eingestellt. „Der Verfassungsschutz ist ein gefährliches Instrument, wenn er in die falschen Hände gerät, nämlich in die Hände von Politikern”, zitiert Brodkorb Maaßen. „Deshalb habe ich auch immer gesagt: Der Verfassungsschutz darf keine Parteien beobachten. Ich habe mich damals auch gegen die Beobachtung der Linken ausgesprochen, weil das nicht Aufgabe eines Geheimdienstes sein kann.“ Es sei also ausgerechnet Hans-Georg Maaßen gewesen, dem Bodo Ramelow und die Linkspartei ihre verfassungsrechtliche „Entkriminalisierung“ zu verdanken haben. „In der DDR”, kommentiert Brodkorb süffisant, „hätte man das für einen Fall von Dialektik gehalten.” (Eine umgekehrte Causa linker Kulanz gegen Rechte muss man vermutlich ebenso mit der Laterne suchen wie einen Stasi-Offizier, der sich in der Realität so verhalten hat wie der von Ulrich Mühe gespielte Hauptmann Gerd Wiesler im Film „Das Leben der Anderen”.)
Vier Fallbeispiele handeln in jenem Teil der Gesellschaft, den die Bundesinnenministerin zum eigentlichen oder zumindest größten Problembezirk erklärt hat. Ein Kapitel widmet sich den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen – das lasse ich heute aus –, ein anderes behandelt ein gewisses Rittergut im sachsen-anhaltinischen Schnellroda, jenem 145-Seelen-Nest, das landesweite Bekanntschaft dadurch erlangte, dass sich dort der einzige gefährliche deutsche Rechtsintellektuelle niedergelassen hat, den sich sämtliche deutschen Journalisten mit Kampf-gegen-Rechts-Expertise bei ihrer Berichterstattung seither teilen müssen. Brodkorb wurde übrigens persönlich im Epizentrum der Neuen Rechten vorstellig und beschreibt seine Erlebnisse dortselbst, als handele es sich um einen Ort wie andere auch, also quasi ohne jedes Problembewusstsein. Zusammen mit den Kapiteln über die AfD sowie den geschassten und in den Acta mehrfach gewürdigten BND-Ausbilder Professor Martin Wagener bildet jenes über Schnellroda den Kern des Buches – Brodkorb wird womöglich widersprechen –, und im Kern des Kernes wiederum stoßen wir auf den „ethnischen Volksbegriff”.
Ich habe hier mehrfach ausgeführt, dass der „ethnische Volksbegriff” der Passepartout des VS im Kampf gegen „Rechts” ist. Ein (potentieller) Verfassungsfeind ist demnach, wer die Ansicht vertritt, es gebe neben dem deutschen Staatsvolk und als dessen bislang noch größte Teilmenge ein ethnisch-kulturelles deutsches Volk. So erklärte der VS in seinem Gutachten zur AfD anno 2018 zum Beispiel die Aussage des damaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland: „Wir wollen Deutsche bleiben, damit sind wir Weltbürger genug” als zumindest im Ansatz verfassungsfeindlich, da sie „ein ethnisch-biologisch bzw. ethnisch-kulturell begründetes Volksverständnis” zum Ausdruck bringe, „das gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verstößt”. Es ist nicht allein grotesk, dass solche Argumente Verfassungsfeindlichkeit begründen sollen, sondern sie dürften selbst verfassungswidrig sein. Sie demonstrieren, wie sehr der angebliche Verfassungsschutzdienst zum Instrument einer politischen Tendenz herabgesunken ist. Spätestens seit diesem sogenannten Gutachten kann jeder wissen, dass sich Verfassungsschutztexte über die AfD auch für den geübtesten Blindverkoster nicht von einem Spiegel- oder Zeit-Kommentar unterscheiden lassen.
Verfassungsschutzchef Haldenwang hat über das Institut für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda gesagt, es sei ein „Superspreader von Hass, Radikalisierung und Gewalt“, und dessen Mitarbeiter seien „geistige Brandstifter“. Diese Aussage ist ein radikaler Ausgrenzungs- und sozialer Vernichtungsversuch. Dafür muss ein VS-Chef sehr gute Gründe haben. Womit begründet der VS diese Vorwürfe? „Blickt man in die Unterlagen des Verfassungsschutzes im Fall Kubitschek und Schnellroda, sind gleich mehrere Dinge bemerkenswert. Auf mehr als tausend Seiten findet sich fast nichts, was auf relevante geheimdienstliche Erkenntnisse schließen lässt. Auffällig ist stattdessen, wie viele Widersprüche die internen Akten und Schriftsätze vor Gericht aufweisen”, schreibt Brodkorb. Der dissidente Sozialdemokrat – der diese Bezeichnung wohl zurückweisen würde; nennen wir ihn meinethalben einen Sozi alter Schule – rückt den Papieren des VS mit dem analytischen Besteck eines Hermeneutikers zu Leibe und legt deren begriffliche und argumentative Schwächen schonungslos offen. Er weist nach, dass sich der VS nicht nur unfähig oder unwillig zeigt, eine saubere Unterscheidung zwischen Radikalismus und Extremismus zu treffen, sondern im Zweifelsfalle nicht einmal imstande ist – oder es sachdienlich fingiert –, zwischen einer originalen und einer lediglich referierten Ansicht zu differenzieren. So zitierte das Innenministerium vor dem Verwaltungsgericht Köln auf der Basis der Akten des Verfassungsschutzes einen wahl- und wahlrechtskritischen Text des IfS, bei dem es sich „im Wesentlichen (um) eine im Konjunktiv verfasste Wiedergabe und Interpretation der Theorien Max Webers” handelte – „ein Umstand, über den das Gericht jederzeit im Unklaren gelassen wird” (womit wir immerhin wissen, dass Max Weber heute vom VS beobachtet würde).
In einem anderen Zusammenhang wird dem IfS einfach etwas unterstellt, was überhaupt nicht stimmt – der tumbe Volksmund kennt ein Wort dafür. Dem Gericht gegenüber behauptete das Innenministerium, die Unholde aus Schnellroda träumten von einem „Führer”, der die „ethnisch oder rassisch homogene Volksgemeinschaft” herstellen solle. „Allerdings”, so Brodkorb, „fehlt hierfür jeglicher Beleg.” Vielmehr habe der Verfassungsschutz ausdrücklich festgestellt, das IfS lasse den Wunsch nach einem starken Führer in „keinem der analysierten Texte erkennen”. Was ja nicht heißt, dass die verschlagenen Schnellrodianer ihn nicht heimlich hegen.
Sind das bloße Ausnahmen? Ganz und gar nicht. In seinem Gegengutachten zum AfD-Gutachten des VS kommt der erwähnte Verfassungsrechtler Professor Murswiek zu dem Schluss, dass von den rund 400 als „unvereinbar mit einem Element der freiheitlich-demokratischen Grundordnung” gelisteten Zitaten von AfD-Politikern und ‑Organisationen weniger als 20 Prozent „verfassungsschutzrechtlich relevant” seien, und von diesen 20 Prozent nach seiner Auffassung nur sechs Äußerungen als „tatsächliche Anhaltspunkte” für verfassungsfeindliche Bestrebungen gewertet werden könnten. Für die Einstufung einer aus 30.000 Mitgliedern bestehenden Partei, in der überdies zahlreiche V‑Leute mit Lizenz zur Provokation agieren, ist das keine besonders repräsentative Zahl.
Zurück zum Vorwurf des „ethnischen Volksbegriffs”, der in dreien der sechs Fallbeispiele die Hauptrolle spielt: Sowohl der Schwefelpartei als auch dem IfS als auch Professor Wagener wirft der VS vor … – ja was eigentlich? An die Existenz eines ethnisch-kulturellen deutschen Volkes als Bestandteil des deutschen Staatsvolkes beziehungsweise überhaupt zu glauben? Ich habe im letzten Eintrag bereits diesen Abschnitt aus Brodkorbs Opus eingerückt.
Verfassungsfeindlich und menschenwürdewidrig, wenngleich nicht ganz klar ist, wessen Würde genau auf dem Spiel steht, dürfte auch diese Behauptung eines Regierungsbeauftragten sein.
Die oben erwähnten Russlanddeutschen waren nach Ansicht keineswegs nur der damaligen Bundesregierung ethnisch-kulturelle Deutsche. War der Kanzler der Einheit ein Verfassungsfeind, der „ein ethnisch-biologisch bzw. ethnisch-kulturell begründetes Volksverständnis” zum Ausdruck brachte, „das gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verstößt”? Und nicht nur Helmut Kohl: „Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass der Begriff des deutschen Volkes in gewissem Umfang auch auf ethnischen Kategorien basiert. Würden ‚Ethnos’ und ‚Rasse’ dasselbe bedeuten, müssten ausgerechnet im Bundesverfassungsgericht mehrheitlich Extremisten sitzen.” Ethnos bedeutet aber nicht „Rasse”, sondern der Begriff bezeichnet eine Großgruppe von Personen, die durch Faktoren wie Abstammung, Kultur, Tradition und territoriale Bindung eine Einheit bilden, in der Regel auch in ihrem Selbstverständnis. Weltweit gibt es über 1000 Ethnien, und außer dem VS, den Grünen, den Feuilletons und Freiburgs Trainer Christian Streich scheint niemand ein Problem damit zu haben, dass auch… Aber es soll nicht sein, zum Höcke! „Im Kern läuft alles darauf hinaus, die Kategorie der Ethnizität für rein biologisch und insgesamt für illegitim zu erklären”, resümiert Brodkorb. Man müsse wohl alle ethnologischen Lehrstühle an Deutschlands Hochschulen fortan unter den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit stellen – oder am besten ganz abschaffen.
Im Grunde dürfte auch dem VS klar sein, dass er sich in den schwankenden Gefilden des Spaltungsirreseins bewegt, wie Brodkorb an folgendem Beispiel verdeutlicht: „Menschenwürdewidrig sei ein politisches Programm dann, wenn es ‚mit einem biologisch-rassistischen oder ethnisch-kulturellen Volksbegriff verbunden wird, der bestimmte Menschen qua Geburt und ihrer Natur nach aus dem Volk ausschließt‘. Dieses kurze Zitat ist aus ganz verschiedenen Gründen sehr bemerkenswert: Erstens wird man am Schluss des Zitates das Wort ‚Volk‘ wohl als ‚Staatsvolk‘ lesen müssen. Anders ergibt der Satz keinen Sinn. Wenn man das aber tut, unterscheidet der Verfassungsschutz plötzlich selbst zwischen einem ethnisch definierten deutschen Volk und dem rechtlichen Staatsvolk. Verschiedene Autoren, teils auch Gerichte und Verfassungsschutzbehörden halten aber bereits dies für verfassungswidrig. Zweitens unterscheidet der Verfassungsschutz hier definitorisch strikt zwischen zwei ethnischen Volksbegriffen: einem biologischen und einem kulturellen. Und beide sind erst dann verfassungswidrig, wenn auf sie sachlich ungerechtfertigte und damit letztlich willkürliche rechtliche Diskriminierungen gestützt werden. Das ist zwar völlig korrekt, widerspricht allerdings in der Sache zahlreichen Veröffentlichungen der Verfassungsschutzbehörden.“ Ein weiteres Mal seien „begriffliche Inkohärenzen offenkundig“.
Das betrifft nicht allein den Verfassungsschutz, sondern auch Teile der Justiz, beipielsweise das Verwaltungsgericht Köln, welches bei der Verhandlung AfD contra VS ausführte, das „Konzept” des „ethnischen Volksbegriffs” beruhe „auf völkisch-ethnischen Vorstellungen eines ethnisch vorhergehenden deutschen Volkes” (Hervorhebung von mir – M.K.) – es geht dem seit 1871 bestehenden deutschen Staatsvolk also ethnisch kein Volk vorher; weder Walter von der Vogelweide noch Luther, weder Goethe noch Heine noch Beethoven waren demzufolge Deutsche (Nietzsche wollte ja eh nicht) –, was „einen tatsächlichen Anhaltspunkt für gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen” darstelle. „Immer wieder”, notiert Brodkorb, „wirft das Gericht Vertretern der AfD vor, überhaupt von einem ‚ethnischen Volksbegriff’ auszugehen.”
Ungefähr wie die Elter I und Elter II des Grundgesetzes, die das deutsche Volk als ethnisch-kulturelle Einheit einfach voraussetzten.
Quelle:
Man sieht und ahnte es: Das Grundgesetz war von Anfang an verfassungsfeindlich. Es verstößt in seiner Gesamtheit gegen Artikel 1.
Dass sich ein Gericht und die vor ihm stehende Staatsbehörde ideologisch blendend verstehen – an welches Land erinnert mich das bloß?
Der Versuch des Verfassungsschutzes, jedweden „ethnischen Volksbegriff“ zu delegitimieren und allein jenen des Staatsvolks noch für zulässig zu erklären, fährt Brodkorb fort, „läuft nicht nur auf eine widersprüchliche intellektuelle Anmaßung hinaus. Es handelt sich zugleich um den Versuch, zulässige Meinungen zu diskreditieren und bereits das begriffliche Erfassen objektiver Tatsachen unter den Verdacht der Staatsfeindlichkeit zu stellen. Es ist eine objektive Tatsache, dass sich menschliche Gruppen anhand ihrer Abstammungsverhältnisse, kulturellen Tradition und ihres Selbstverständnisses voneinander unterscheiden lassen.”
Auf den nun u.a. in jeder Talkshow stracks erfolgenden Einwand, dass sich die Völker immer wieder vermischt haben und eine Abgrenzung unmöglich (oder faschistisch) sei, erteilt der Sozialdemokrat die Antwort: „Die Behauptung, dass sich Menschengruppen in kultureller Hinsicht voneinander unterscheiden, ist jedoch nicht gleich bedeutend mit der Behauptung, dass sich diese in jeder Hinsicht voneinander unterscheiden müssen.” Das begriffliche Erfassen von Menschengruppen stößt automatisch an Grenzen, ohne dass die Gruppen unseren Linken den Gefallen täten, ebenso automatisch zu verschwinden. „Soweit man auf eine vielgestaltige Wirklichkeit mit einem Begriff Bezug nimmt, gefährdet man nicht die Verfassung, sondern erfasst bloß, was der Fall ist. Man kann von den Theorien über die Welt keine größere Eindeutigkeit verlangen, als ihre Erkenntnisgegenstände selbst zulassen”, notiert Brodkorb (übrigens mit einem latent suprematistischen Verweis auf die Nikomachische Ethik des Aristoteles).
Eigentlich liegen die Dinge so einfach, dass ich beim besten Unwillen nicht glauben mag, dass der VS es nicht genau weiß: „Verfassungsfeindlich wäre ein ethnischer Volksbegriff dann und nur dann, wenn auf ihn rechtlich ungerechtfertigte Ausgrenzungen und Benachteiligungen gestützt würden” (Brodkorb). Nur darum müsste es also gehen. Der Rest taugt allenfalls zum Gegenstand intellektueller Debatten.
Der VS ist aber kein „Debattenteilnehmer”. Er kann Grundrechte einschränken – zum Beispiel vermittels von Abhörmaßnahmen – und durch seine Öffentlichkeitsarbeit Existenzen vernichten. Wenn eine solche Behörde statt juristisch fundierter Einschätzungen nicht nur linkslastige politikwissenschaftliche Statements abgibt, zu denen auch Gegenmeinungen existieren, sondern darüber hinaus zu spekulieren beginnt, was wer eigentlich denken könne, der tatsächlich etwas ganz anders gesagt hat, sind wir bei der Inquisition. Oder bei der Stasi. Und das tun die Schlapphüte. Bereits 2001 hat der Bundestag das sogenannte Artikel-10-Gesetz zur Beschränkung des Brief‑, Post- und Fernmeldegeheimnisses dahingehend geändert, dass die Tatbestände des Volksverhetzungsparagraphen die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel rechtfertigen können. „Das heißt konkret: Der Verfassungsschutz darf schon dann zur Überwachungmaßnahmen nach diesem Gesetz greifen, wenn ‚tatsächliche Anhaltspunkte’ dafür bestehen, dass jemand volksverhetzende Äußerung auch nur ‚plant’ ”, notiert Brodkorb. „Als dies beschlossen wurde, ahnten die Abgeordneten wohl kaum, wie der Volksverhetzungsparagraph einst aufgebläht werden würde.”
Im Sommer 2021 legte der Bundestag mit der Neufassung des Bundesverfassungsschutzgesetzes nach. Durften Einzelpersonen bislang nur dann observiert werden, wenn von ihnen Gewalt drohte, kann seither jeder zum Beobachtungsobjekt werden, wenn der VS glaubt, er verfolge Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung. „Das provoziert einen ständigen Konflikt mit dem Gebot der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit”, konstatiert Brodkorb. „Wieder einmal musste der ‚Kampf gegen Rechts’ dafür herhalten, den Freiheitsraum der Demokratie zu schrumpfen.” Inzwischen strebe der VS danach, zu einer Art volkspädagogischer Behörde aufgewertet zu werden, die auch Arbeitgeber, Universitäten oder Schulleiter über unterstellte verfassungswidrige Bestrebungen von deren Mitarbeitern, Studenten oder Schülern unterrichten kann – dann müssten, wie in Ribnitz-Damgarten, nicht mehr Gesinnungsgouvernanten in Polizeiuniform zur „Gefährderansprache” anrücken, sondern es würden, wie zu DDR-Zeiten, unauffällig gekleidete Herren vorstellig. Im schlimmsten Fall, unkt der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek, könnte sich der VS „zum Lieferanten von Informationen an NGOs oder an die Medien” entwickeln, „denen er Recherchearbeit abnimmt”.
Es gibt Zeitgenossen, die das offenbar in Ordnung fänden. In ihrem Buch „Der Verfassungsschutz: Grundlagen. Gegenwart. Perspektiven?” (Leverkusen 2019) plädieren Thomas Grumke, Professor für Politik und Soziologie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Gelsenkirchen, und Rudolf van Hüllen, Freiberuflicher Dozent und Extremismusforscher, dafür – ich folge Brodkorbs Darlegung –, das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei als auch den „Fetisch Datenschutz” aufzuweichen, um die Effektivität des Inlandsgeheimdienstes zu erhöhen. Sie wünschten die Ausdünnung der bestehenden gesetzlichen Regelungen, um den VS zumindest teilweise der richterlichen Kontrolle zu entziehen – wortwörtlich eine „Restitution des Geheimen”. Man müsse sich das „auf der Zunge zergehen lassen”, kommentiert Brodkorb: „Der Verfassungsschutz bricht, wie wir gesehen haben, nachweislich geltendes Recht, seine analytischen Werkzeuge sind auch nach Jahrzehnten seiner Gründung auf bedauernswerte Weise widersprüchlich und untauglich, er entzieht sich gezielt der öffentlichen Kontrolle und wird politisch gelenkt – und van Hüllen und Grumke wollen den Werkzeugkasten dieser Behörde nicht nur ausweiten und die Rechte der Bürger dadurch nicht nur weiter einschränken. Das alles soll am besten auch noch hinter verschlossenen Türen geschehen, damit Gerichte mit dem Verweis auf den Rechtsstaat nicht unnötig bei der Arbeit stören.” Damit werde dem Souverän faktisch das Recht abgesprochen, den Staat und die Herrschenden zu kontrollieren.
Zu diesem Zwecke wünschen die beiden universitären Atlanten des „Verfassungsschutzstaates” (Brodkorb) außerdem, dass die Behörde mehr Politikwissenschaftler und weniger Juristen beschäftigt. Letztlich geht es darum, den juristischen Begriff der Verfassungsfeindlichkeit in einen politikwissenschaftlichen umzuwandeln, und wie man an den Berichten und Gutachten des VS leicht erkennt, läuft dieser Prozess längst. Das würde praktisch bedeuten, dass Leute, die besser im Feuilleton der taz arbeiten sollten, künftig über Ihre Grundrechte entscheiden. Es wäre zwar immer noch kein Geheimdienst nach dem Geschmack Dzierzynskis, aber immerhin nach dem von Gramsci.
Ich frage mich, wie unsere Musterdemokraten, die angeblich Bammel vor einer rechten Machtübernahme haben, dem dann ja einer rechten Regierung dienenden Inlandsgeheimdienst solche Kompetenzen verschaffen können wollen. Es gilt schließlich eine einfache Regel: Die dir sympathischste und in ihren Zielen angenehmste Regierung sollte niemals Mittel in die Hände bekommen, mit denen eine dir unsympathische und in ihren Zielen wesensfremde Regierung dich in Angst versetzen würde.
Ich muss es aus Gründen der sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie, wenn auch ungern, hierbei bewenden lassen. Brodkorbs Buch ist eine Fundgrube von Argumenten gegen einen Inlandsgeheimdienst und ein kluges, ausgewogenes, oft lakonisches Plädoyer für die freiheitlich-demokratische Ordnung, die der VS eigentlich verteidigen sollte. Um der besagten Ausgewogenheit willen sei noch angemerkt, dass der Autor keineswegs sämtlichen Mitarbeitern der Behörde die Kompetenz abspricht und sich auch explizit nicht auf die Seite derer stellt, die er als „Fälle” aufführt.
Sollte es illusionsbedürftige Zeitgenossen geben, die tatsächlich glauben, dass der Verfassungsschutz die Verfassung schützt, werden sie es nach der Lektüre von Brodkorbs Buch wohl nicht mehr tun. Es sei denn, sie glauben auch daran, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.
(Das Buch können Sie hier bestellen.)
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Zum Vorigen.
„Schon vor Erscheinen des Buchs wird indes in der politischen Szene Schwerins gemutmaßt, ob Brodkorb, das ehemalige politische Wunderkind der SPD, ein Thilo Sarrazin der MV-SPD und in die rechtsextreme Ecke abgedriftet sei. Im Grunde bestätigen diese Munkeleien Brodkorbs Thesen.“
Ostsee-Zeitung, 7. März 2024
Womit sich für heute auch der Kreis zu Sarrazin schließt.
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Noch zum Vorigen.
In einem perfekten ’schland sollte ein Politikwissenschaftler auch Richter werden dürfen.
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PS. Wen’s interessiert: Bordkorb interviewt Klonovsky, vor nunmehr 15 Jahren. An der Webseite werden Sie sehen, dass wir kein Zitierkartell bilden.
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Immer noch zum Vorigen.
Die wissen leider gar nicht, wie recht sie haben.
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Auf meine Preisfrage „Welche historische Streitschrift ließe sich mit der Zeile ‚Bekannter Bandenchef gegen renommierten Physiker’ hinreichend beschreiben?” erhielt ich mehrfach die korrekte Antwort: Gemeint war natürlich Lenins „Materialismus und Empiriokritizismus”. Leser ***, der nach der Höhe des Preisgeldes fragt, muss ich an Günther Jauch verweisen; wenn überhaupt jemand, weiß der Genaueres. Leser *** indes, wahrscheinlich Protestant, lag knapp daneben mit seiner Antwort: „Mir will nichts anderes als Papst gegen Galilei einfallen. Also wäre ‚Dialogo’ die Antwort auf ihre Frage.” Schwer erschüttert hat mich die Version von Leser ***: „Trotz gelinder Zweifel (Bandenchef) tippe ich auf Goethes Farbenlehre.”