27. November 2023

Heu­te fällt, da ges­tern etwas dazwi­schen kam, der Sonn­tag auf den Montag.

Unlängst offen­bar­te ich einer lie­ben Bekann­ten, dass ich jeden Teil der Film­tri­lo­gie „Der Herr der Rin­ge” von Peter Jack­son min­des­tens zehn­mal gese­hen habe, was sich bei drei alters­mä­ßig etwas von­ein­an­der ent­fern­ten Söh­nen recht ein­fach erklärt. Sie befand sich auf der Suche nach kine­to­ma­to­gra­phi­scher Unter­hal­tung für die älte­ren ihrer fünf Spröss­lin­ge, aber mei­ne Emp­feh­lung kam nicht gut an, zumin­dest bei der Mama, die sich schreck­lich gelang­weilt hat­te. (Viel­leicht hat­te sie auch bloß ver­ab­säumt, sich eine Fla­sche Wein zu öff­nen; epi­sche Drei­stün­der mit viel Breit­wand ver­lan­gen gera­de­zu gebie­te­risch danach.) So wie die bis­wei­len sprö­de Maid bei den Fil­men aus­stieg, kön­nen Sie, geneig­te Lese­rin, jetzt natür­lich auch aus die­sem Text aus­stei­gen, denn er wird von J. R. R. Tol­ki­en han­deln, und ich habe kei­ne Ahnung, wie die Besu­cher des Klei­nen Eck­la­dens zu die­sem Gen­re stehen.

Was mich betrifft: Die Fil­me lös­ten mit ihrer Bild­ge­walt, ihrem Sagen­ton, ihren kolos­sa­len Schlach­ten­sze­nen und ihrem Pathos – wer (m/w/d) kann die Kaval­le­rie­at­ta­cke der Rohir­rim zum Ent­satz von Minas Tirith anschau­en, ohne eine Gän­se­haut zu bekom­men? – etwas ein, wovon ich als Kind immer geträumt hat­te, auch tech­nisch; zu mei­ner Zeit war ein Film­dra­che ja ent­we­der eine ver­grö­ßert ein­ge­spie­gel­te Eidech­se oder ein lächer­lich bewe­gungs­un­fä­hi­ges Stück Pappmaché.

Lan­ge­wei­le hin, Mit­ge­ris­sen­heit her: Das Gen­re Fan­ta­sy gilt als ähn­lich unse­ri­ös wie der his­to­ri­sche Roman, und auch ich hat­te (und habe) erheb­li­che Vor­be­hal­te (gegen bei­de, obwohl ich selbst einen his­to­ri­schen Roman geschrie­ben habe), die meis­ten his­to­ri­schen Roma­ne nei­gen ja eben­falls gen „Fan­ta­sy”, und es steht zu befürch­ten, dass Fan­ta­sy die Zukunft der Ver­gan­gen­heit sein wird, in einer gewis­sen Kon­kur­renz zum his­to­rio­gra­phisch ver­bräm­ten Schuld­kult und zur uni­ver­si­tä­ren wei­ßen Ver­bre­chen­s­kun­de. Womit hier schon mal der Gedan­ke der rela­ti­ven Sub­ver­si­vi­tät die­ses anrü­chi­gen Gen­res auf­tau­chen soll, allein der dar­in wal­ten­den Hete­ro­nor­ma­ti­vi­tät wegen.

Ich hät­te von allein wohl nie Tol­ki­en gele­sen, doch die Buben inter­es­sier­ten sich nach den Fil­men auch für die Bücher, und mein Jüngs­ter, der lese­fauls­te der drei, brach­te es soweit, dass ich ihm den gesam­ten „Herr der Rin­ge” vor­las. Als Kor­rek­tiv zur dra­ma­tur­gisch geschlos­se­ne­ren, aber zugleich glat­te­ren Kino-Ver­si­on ist das geschrie­be­ne Ori­gi­nal unver­zicht­bar. Die ers­te Lek­ti­on lau­tet: Tol­ki­en hat ein Gen­re (mit)begründet, zu dem er selbst nur am Ran­de, ja viel­leicht über­haupt nicht gehört. Das Werk des 1892 in Süd­afri­ka gebo­re­nen Bri­ten, im Haupt­be­ruf Phi­lo­lo­ge und Pro­fes­sor für Sprach­wis­sen­schaft in Oxford, ist viel­mehr ein eige­nes Gen­re, was weni­ger mit sei­nem arche­ty­pisch-gen­re­ty­pi­schen Per­so­nal zu tun hat – Zau­be­rer, Feen, Elben, Zwer­ge, Trol­le, Dra­chen, Orks, Rit­ter; die Hob­bits oder der Balrog sind sei­ne eige­nen Krea­tio­nen –, son­dern vor allem mit sei­ner Pro­fes­si­on. Der ers­te Reiz, der ers­te Zau­ber, die Fas­zi­na­ti­ons­leim­ru­te gewis­ser­ma­ßen, ent­steht, sogar in der Film­ver­si­on, durch die geheim­nis­vol­le Poe­sie der Namen, sowohl jene der Prot­ago­nis­ten – Gan­dalf, Sar­uman, Galadri­el, Thé­o­den, Den­ethor, Sme­agol, die Naz­gûl, die Uruk-hai –, als auch der Orte: Gon­dor, Rohan, Mordor, Isen­gart, Minas Tirith, Minas Mor­gul, Amon Sûl, Kazad-Dûm, Barad-Dûr, Edo­ras, Lóri­en, Dol Gul­dur… – wobei „Mit­tel­er­de”, wo die Hand­lung von „Der Hob­bit” und „Der Herr der Rin­ge” spielt (alt­nor­disch Mid­gard), kei­ne erdach­te Welt ist, son­dern „it was”, wie der Ver­fas­ser beton­te, „alre­a­dy there“.

Im Anfang war das Wort: Das wäre das rech­te Lebens­mot­to eines Phi­lo­lo­gen. Die­ser wei­land zu Oxford noch nicht mit der Dritt­mit­te­lein­wer­bung beläs­tig­te Pro­fes­sor (er)fand in sei­ner Muße gan­ze Rei­che, Land­schaf­ten, Völ­ker, Mythen und die Geschich­te drei­er Zeit­al­ter mit all ihren Herr­schern und Heim­su­chun­gen, und dies geschah nicht aus dem Geis­te der Musik, aus wel­chem ein deut­scher Kol­le­ge die anti­ke Tra­gö­die hob – obgleich im Tol­ki­en­schen Schöp­fungs­be­richt die Erde (Arda) durch den Gesang der Ainur, engels­glei­cher Wesen, erschaf­fen wird –, son­dern Tol­ki­ens Welt ent­steht aus Wor­ten, so wie im Mythos der Alten Ägyp­ter der Schrift­gott Thot die Schöp­fung spricht. Der eska­pis­ti­sche Phi­lo­lo­ge hat sich erst die Spra­chen erdacht und danach die Völ­ker, ihre Län­der und Geschich­ten dazu.

So heißt die berühm­te Gra­vur im Einen Ring – „One ring to rule them all, one ring to find them, one ring to bring them all, and in the dark­ness bind them” – in der Dunk­len Spra­che Sau­rons und der Orks: Ash nazg dur­ba­tulûk, ash nazg gim­ba­tul, ash nazg thra­ka­tulûk agh burz­um-ishi krim­pa­tul. Die Spra­che des Ster­nen­volks der Elben – es gibt zwei elb­i­sche Hauptidio­me: Que­nya und Sin­da­rin – klingt dage­gen wei­he­voll: Na-chared palan-díri­el o galadhrem­min ennorath, Fanui­los, le lin­nathon nef aear, sí nef aearon! („Von der baum­be­wach­se­nen Mit­tel­er­de habe ich ent­fern­te Län­der geschaut, und nun will ich zu dir sin­gen, Fanui­los, auf die­ser Sei­te, hier auf die­ser Sei­te des Gro­ßen Meeres.”)

War­um erzäh­le ich das alles? Will ich Sie viel­leicht ani­mie­ren, Elb­isch zu ler­nen, damit Sie ein Idi­om ken­nen, mit dem Sie in der Öffent­lich­keit unbe­hel­ligt schö­ne Gesprä­che füh­ren kön­nen? Nicht wirk­lich. Auch die Dunk­le Spra­che bringt Sie kaum wei­ter, denn die heu­ti­gen Orks spre­chen ande­re. Der Anlass ist ein soeben erschie­ne­nes Buch zur 50. Wie­der­kehr von Tol­ki­ens Todes­tag am 2. Sep­tem­ber 1973 – Exege­ten des Legen­den­dich­ters haben die­ses Datum übri­gens mit der Ver­tei­lung der Rin­ge der Macht in Zusam­men­hang gebracht:

Drei Rin­ge den Elben­kö­ni­gen hoch im Licht,
Sie­ben den Zwer­gen­herr­schern in ihren Hal­len aus Stein,
Den Sterb­li­chen, ewig dem Tode ver­fal­len, neun,
Einer dem Dunk­len Herrn auf dunk­lem Thron
Im Lan­de Mordor, wo die Schat­ten drohn.

Besag­tes Buch ist ein Kom­pen­di­um von zehn Auf­sät­zen und trägt den Titel „Aurë entu­lu­va!”, zu deutsch: „Der Tag soll wie­der kom­men!” Das war der Kampf­schrei Húrins, eines gro­ßen Krie­gers aus dem Ers­ten Zeit­al­ter, der sich allein gegen eine buch­stäb­lich erdrü­cken­de Fein­des­über­macht stell­te und sein Leben opfer­te; es ist ein Ruf nach der Neme­sis. Her­aus­ge­ge­ben hat es der geschätz­te David Engels, Pro­fes­sor für Römi­sche Geschich­te in Brüs­sel und Prä­si­dent der Oswald Speng­ler Socie­ty, der auch das Eröff­nungs­ka­pi­tel bei­steu­er­te, in wel­chem er sich als inti­mer Ken­ner und Lieb­ha­ber des Tol­ki­en­schen Uni­ver­sums offenbart.

„Tol­ki­en ver­ste­hen und lie­ben bedeu­tet recht eigent­lich, das Abend­land ver­ste­hen und lie­ben”, schreibt der His­to­ri­ker im Vor­wort, des Bri­ten Werk sei heu­te „eine Art Wider­stands­li­te­ra­tur“. Sozu­sa­gen eine kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on, die vor unse­rer Zeit spielt. Dass der Eng­län­der kein Lin­ker war, ist klar; man erkennt es allein dar­an, dass er authen­ti­sche Sagen, Mythen, Legen­den erdach­te – wenn ein Lin­ker eine Legen­de schreibt, nennt er das Ergeb­nis ja „Theo­rie” oder „Dis­kurs”. Der Schöp­fer von Mit­tel­er­de heg­te einen Wider­wil­len gegen Welt­ver­bes­se­rer, Maschi­nen – es ist der auf die dunk­le Sei­te über­ge­lau­fe­ne Zau­be­rer Sar­uman, der eine Art Indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on in Gang setzt –, gegen Natur­zer­stö­rung, jede Art von Ega­li­ta­ris­mus – in sei­ner Welt akzep­tiert man Rän­ge und Stän­de als wesens­ge­recht, „anstatt zum Scha­den der Ord­nung eine künst­li­che Gleich­ma­che­rei ein­zu­for­dern“, wie Engels (David, nicht Fried­rich) schreibt –, gegen über­haupt alles Moder­ne. Dar­in ähnelt er sei­nen Lands­leu­ten Gil­bert K. Ches­ter­ton (der auf Tol­ki­en gro­ßen Ein­fluss aus­üb­te) und Eve­lyn Waugh, bei­des bril­lan­te, ori­gi­nel­le Autoren und – Katholiken.

Das Auen­land (im Ori­gi­nal: the Shire), die Welt der Hob­bits, die von allen Tol­ki­en-Cha­rak­te­ren die meis­ten Sym­pa­thien auf sich ver­ei­nen, ist das länd­li­che Eng­land vor der Indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on: boden­stän­dig, ultra­kon­ser­va­tiv, ver­än­de­rungs­un­wil­lig, splee­nig; in die­sen gemüt­li­chen Cot­ta­ges und Gär­ten gibt es kei­ne Maschi­nen, kei­nen Stress, kei­ne Füh­rer, Guts­her­ren, Prä­si­den­ten, Gene­rä­le oder Gewerk­schafts­funk­tio­nä­re, dafür aber Kami­ne, beque­me Ses­sel, Pfei­fen und fünf Mahl­zei­ten am Tag (hier muss man sich die eng­li­sche Küche viel­leicht weg­den­ken), es ist ein „Schlupf­win­kel der Ahnungs­lo­sen“, wie einer der Bei­trä­ger schreibt, ein deut­scher Schul­lei­ter, sie­ben­fa­cher Vater und „Besit­zer von knapp sechs Regal­me­tern Tolkien’scher Pri­mär- und Sekun­där­li­te­ra­tur sowie unzäh­li­ger Ter­ti­är­wer­ke” namens Micha­el Hageböck.

Für Rohan wie­der­um, die Hei­mat der Rohir­rim, der „Pfer­de­men­schen” oder, wie Homer sie nen­nen wür­de (Voß’sche Über­set­zung): der Ros­se­bän­di­ger, stand die Welt der alten Angel­sach­sen Modell; die Hal­le des Königs Thé­o­den heißt „Medu­sed” wie jene von Beowulf, des Gren­del­be­zwin­gers. Und Gon­dor? Der ame­ri­ka­ni­sche Autor und His­to­ri­ker Charles A. Cou­lom­be, Ver­fas­ser des Buchs „Vicars of Christ: A Histo­ry of the Popes“ und für sei­ne Ver­diens­te um den Hei­li­gen Stuhl zum Rit­ter­kom­man­deur des Ordens des Hei­li­gen Syl­ves­ter ernannt, deu­tet es so: „Für mich waren die Dúne­da­in (die Men­schen aus dem West­land Núme­nor, die nach dem Unter­gang ihres Rei­ches nach Mit­tel­er­de zurück­kehr­ten – M. K.) in gewis­sem Sin­ne die Römer. Arnor ist das unter­ge­gan­ge­ne West­li­che Reich, die Rohir­rim sind die chris­tia­ni­sier­ten Ger­ma­nen (Fran­ken, Angel­sach­sen, Dänen usw.), und Gon­dor ist das pre­kär über­le­ben­de Byzan­ti­ni­sche Reich – mit Minas Tirith als Kon­stan­ti­no­pel. Mordor sieht geo­gra­phisch für mich vage wie die Tür­kei aus, und natür­lich tun die Ost­lin­ge und Har­a­d­rim ihren Dienst an der Stel­le der Hun­nen, Mon­go­len und Sara­ze­nen. Die Bela­ge­rung von Minas Tirith beginnt als Kon­stan­ti­no­pel im Jahr 1453, endet aber tri­um­phal als Wien im Jahr 1683 – Rohan und sei­ne Prin­zen neh­men den Platz von Jan Sobie­ski und sei­nen geflü­gel­ten Husa­ren ein.”

Tat­säch­lich ste­he Gon­dor „für Rom”, sekun­diert der eben erwähn­te Tol­ki­en-Sach­ver­stän­di­ge Hage­böck. Bezeich­nen­der­wei­se sei Minas Tirith auf einem sie­ben­fa­chen Hügel errich­tet. „Mit dem wie­der­ver­ei­nig­ten Gon­dor ent­steht das Reich neu.” Und Bruch­tal (im Ori­gi­nal: Riven­dell), der Sitz des Herrn Elrond, eines Elben­herr­schers, sei „eine Stät­te des wachen Wider­stan­des, wo im Gegen­satz zum ver­träum­ten Auen­land allen glas­klar vor Augen steht, dass die Welt gefal­len ist und der Kampf nie­mals enden wird”. Die Welt ist gefal­len – das ist die Grund­stim­mung in Tol­ki­ens Kos­mos. Die Geschich­te der Drei Zeit­al­ter voll­zieht sich als lan­ger Ver­falls­pro­zess, beglei­tet von der Sehn­sucht nach dem ver­lo­re­nen Para­dies der (elb­i­schen) Früh­zeit. In David Engels Wor­ten: „Mit­tel­er­de ist durch­zo­gen von einer ste­tig wach­sen­den Sehn­sucht nach der Ver­gan­gen­heit; ein ech­ter Kon­ti­nent für His­to­ri­ker.“ Und Geschich­ten­er­zäh­ler. Zugleich wächst aus die­ser roman­ti­schen Rück­schau immer wie­der die Hoff­nung auf eine Neu- oder Wiedergeburt.

Frü­her oder spä­ter bemerkt der auf­ge­weck­te Leser – außer mir; ich muss­te dar­auf gesto­ßen wer­den –, dass er es mit einem christ­lich inspi­rier­ten Werk zu tun hat. Die „eigent­li­che Essenz des Tolkien‘schen Uni­ver­sums”, sta­tu­iert Engels, sei „das per­ma­nen­te Stre­ben des Hel­den nach dem Wah­ren, Schö­nen und Guten, das aller­dings auf­grund der Unzu­läng­lich­keit aller irdi­schen Geschöp­fe zum Schei­tern ver­ur­teilt ist, wenn es nicht in letz­ter Sekun­de von oben mit dem Sieg belohnt wird – frei­lich ein bit­ter­sü­ßer Sieg, ist die­ser doch immer ver­bun­den mit der Ein­sicht, den Erfolg als Gna­de, nicht aber als Anrecht errun­gen zu haben. Der Sieg des Tolkien’schen Hel­den ist daher auch nur eine Beloh­nung sei­nes Stre­bens, nicht aber das unmit­tel­ba­re Resul­tat der eige­nen heroi­schen Tat – ein zutiefst christ­li­cher, ja genu­in katho­li­scher Gedanke.“

Der exem­pla­ri­sche Fall eines sol­chen „von oben”, vom Schick­sal, ver­füg­ten Tri­um­phes, der auch das stre­ben­de Bemü­hen eines eigent­lich Geschei­ter­ten krö­nen kann, mani­fes­tiert sich in der Figur des Fro­do. Die­ser gänz­lich unhe­roi­sche Hob­bit hat die unmög­li­che Mis­si­on auf sich genom­men, den Ring der Macht ins dunk­le Reich sei­nes Besit­zers Sau­ron zu tra­gen, heim­lich am tau­send­äu­gi­gen Feind vor­bei, um das fata­le Geschmei­de dort in den Feu­ern des Schick­sals­ber­ges zu ver­nich­ten – der ein­zi­ge Ort, an dem es aus der Welt geschafft wer­den kann. Der Zau­ber­kraft des Rings immer mehr ver­fal­lend, ver­sagt Fro­do in letz­ter Sekun­de und will ihn für sich behal­ten; ein­zig dem Ein­grei­fen Goll­ums, der den Schmuck eben­falls in sei­nen Besitz brin­gen will, ver­dankt sich des­sen schluss­end­lich zufäl­li­ge Zer­stö­rung. Fro­do, der als Ret­ter Mit­tel­er­des vor der Macht Sau­rons in die Anna­len ein­ge­hen wird, hat eigent­lich ver­sagt, aber eine „Euka­ta­stro­phe“ – eine Begriffs­schöp­fung Tol­ki­ens, die „gute Kata­stro­phe” oder „gute Wen­dung” bedeu­tet – hat bewirkt, dass sei­ne Mis­si­on doch gelingt. Die größ­te aller Euka­ta­stro­phen ist Tol­ki­en zufol­ge die Pas­si­on Chris­ti. Wie ich nun aus der Lek­tü­re des Sam­mel­ban­des erfah­ren habe, wird der Ring der Macht an einem 25. März zer­stört, am Tag von Mariä Ver­kün­di­gung, an dem, wie die Chris­ten­heit glaubt, das Wort Fleisch und Gott Mensch wur­de; nach der Tra­di­ti­on ist es auch das Datum der Kreu­zi­gung. Das heißt, die Erb­sün­de und der Eine Ring enden am sel­ben Tag. Das ist natür­lich kein Zufall. „Actual­ly”, schrieb Tol­ki­en, „I am a Chris­ti­an and inde­ed a Roman Catholic.”

Als er nach dem Erschei­nen sei­nes Buchs „Auf dem Weg ins Impe­ri­um” unter den „größ­ten­teils offen anti­christ­lich und links­li­be­ral ein­ge­stell­ten Kol­le­gen” an der Uni­ver­si­tät Brüs­sel „zuneh­mend zur Per­so­na non gra­ta” wur­de, habe er Tol­ki­en „(wieder)entdeckt”, bekennt Her­aus­ge­ber Engels; neben Mar­tin Mose­bachs „Häre­sie der Form­lo­sig­keit“ und Joseph Ratz­in­gers „Ein­füh­rung in das Chris­ten­tum“ sei es das „Sil­ma­ril­li­on” noch vor „Der Herr der Rin­ge” gewe­sen, das sei­nen „(Rück)weg ins Chris­ten­tum” mar­kiert habe. Ein bemer­kens­wer­tes State­ment. Aus mei­ner Erst­le­ser-Per­spek­ti­ve hat­te der Ver­fas­ser des „Herrn der Rin­ge” nicht viel mehr getan, als nor­disch-kel­ti­sche Sagen wie­der­zu­be­le­ben, umzu­dich­ten sowie mit neu­em Per­so­nal und neu­en Hand­lungs­strän­gen zu berei­chern. Eine christ­li­che „Bot­schaft” – die­ser amu­si­sche Begriff in gebo­te­ner Zurück­hal­tung ver­wen­det – war mir, wie gesagt, nicht aufgefallen.

Nahe­zu alle Bei­trä­ger des Sam­mel­ban­des ver­tre­ten frei­lich die­se Ansicht, und das kei­nes­wegs nur im theo­re­ti­schen Sin­ne; für eini­ge war die Tol­ki­en-Lek­tü­re ein soge­nann­tes Erwe­ckungs­er­leb­nis, ja eine Met­a­noia. Der ame­ri­ka­ni­sche Autor Joseph Pear­ce etwa, Direk­tor des „Cen­ter for Faith and Cul­tu­re” am Aqui­nas Col­lege in Nash­ville, Ten­nes­see, Mit­her­aus­ge­ber der St. Aus­tin Review, Ver­fas­ser zahl­rei­cher Bio­gra­phien (Shake­speare, Oscar Wil­de, C.S. Lewis, Ches­ter­ton, Sol­sche­ni­zyn und natür­lich Tol­ki­en), war in sei­nem frü­he­ren Leben Mit­glied der bri­ti­schen „Natio­nal Front” und Her­aus­ge­ber des NF-Peri­odi­kums Natio­na­lism Today, prak­tisch ein Rechts­extre­mer. Wegen sei­ner Schrif­ten wur­de er zwei­mal, 1981 und 1985, nach dem „Race Rela­ti­ons Act” ange­klagt und schließ­lich wegen „Hass­ver­bre­chen“ zu einem Jahr Haft ver­ur­teilt. Im Gefäng­nis ent­deck­te er den „Herrn der Rin­ge“, ein Buch, „das mein Leben ver­än­der­te“. Es war „die Welt der Moral, in die ich ein­trat“, erin­nert sich Pear­ce, ein „edles Werk, in dem sich der Edel­mut in muti­gen Taten der Selbst­auf­op­fe­rung ange­sichts schein­bar unüber­wind­li­cher Hin­der­nis­se mani­fes­tier­te“. Danach kon­ver­tier­te er zum Katho­li­zis­mus. „Ich sage euch: Also wird auch Freu­de im Him­mel sein über einen Sün­der, der Buße tut, vor neun­und­neun­zig Gerech­ten, die der Buße nicht bedür­fen” (Lukas, 15,7). Dies Grund­stür­zen­de, Lebens­ver­än­dern­de der Lek­tü­re bezeugt auch ein ande­rer Bei­trä­ger, ein nie­der­län­di­scher Orga­nist, der über einen Freund und Musi­ker­kol­le­gen erzählt, den die Tol­ki­en-Lek­tü­re „vom lin­ken Revo­luz­zer und Jako­bi­ner­ver­herr­li­cher zum reak­tio­nä­ren Mon­ar­chis­ten und tra­di­tio­nel­len Katho­li­ken” bekehrte.

Offen­bar ver­stand bzw. ver­steht es der Schöp­fer von Mit­tel­er­de, mit sei­nen Wer­ken Men­schen zum Glau­ben zu füh­ren, ohne spi­ri­tu­ell unmu­si­ka­li­schen Lesern etwas auf­zu­drän­gen. Schau­en wir des­halb auf ihre „Bot­schaft”. Da wäre zunächst die von Pear­ce erwähn­te Welt der Moral, und zwar einer abso­lu­ten, gleich­sam tran­szen­den­ta­len Moral, die weder Iro­nie noch Rela­ti­vis­mus kennt. Statt­des­sen eig­net ihr ein „ein anti-auf­klä­re­ri­scher Anklang, dem zugrun­de liegt, daß Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten wie Mut, Güte, Glau­be, Demut und Treue einen höhe­ren Wert haben kön­nen als ver­meint­li­che Ver­nunft“ (so der His­to­ri­ker und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Mar­co Gal­li­na in sei­nem Bei­trag). Die Lis­te sol­cher erstre­bens­wer­ten Eigen­schaf­ten wäre noch zu ergän­zen mit der Barm­her­zig­keit – sowohl Bil­bo als auch Fro­do scho­nen Goll­ums Leben, obgleich er nach dem ihren trach­tet –, außer­dem mit “Lau­ter­keit und Rein­heit“ (Hage­böck). Eine eben­falls recht christ­lich anmu­ten­de „Ver­herr­li­chung der Beschei­den­heit, die ein Lieb­lings­the­ma Tol­ki­ens gewe­sen zu sein scheint“, ent­deckt Dami­en Bador, ein fran­zö­si­scher Luft­fahrt­in­ge­nieur, Spe­zia­list für die von Tol­ki­en erfun­de­nen Spra­chen, (Mit-)Herausgeber bzw. Autor von „L’En­cy­clo­pé­die du Hob­bit” und „Le mon­de des Hob­bits”; von ihm stammt übri­gens der tref­fen­de Begriff „Rea­li­täts­il­lu­si­on“ für Tol­ki­ens Welt. Mit­tel­er­de, fasst Her­aus­ge­ber Engels zusam­men, sei „ein Auf­ruf zum inne­ren Wachstum“.

Als wei­te­re kryp­to­christ­li­che Indi­zi­en wer­den von den Autoren ange­führt: die Imi­ta­tio Chris­ti in der Gestalt Fro­dos, die Auf­er­ste­hung Gan­dalfs, der durch­aus erlö­ser­haf­te Züge trägt, die wie­der­keh­ren­de Mari­en­sym­bo­lik, etwa bei Galadri­el, der Fall der Engel und die luzi­fe­ri­sche Auf­leh­nung Mor­goths in den Sagen der Früh­zeit, das Tol­ki­ens eige­nen Wor­ten zufol­ge an die Eucha­ris­tie erin­nern­de Lem­bas-Brot … – Ich mache hier einen Schnitt. Ob christ­lich oder nicht, über den Tol­ki­en­schen Mythen­tep­pich führt jeden­falls kein Weg in die Moder­ne. Der erfin­dungs­rei­che Pro­fes­sor hat sich denn auch eine Leser­schaft gewünscht, die „eine Art heim­li­che roman­ti­sche Sehn­sucht nach Kava­lie­ren” („a sort of lur­king roman­tic lon­ging for ‘cava­liers’”) hegt.

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Wie bedeu­tend aber ist Tol­ki­en als Autor? Da ich für die Ant­wort selbst noch zu unent­schie­den bin, hole ich mir einen Kron­zeu­gen. „Wenn sich die mor­bi­den Nebel­schwa­den der kraft­lo­sen Avant­gar­den erst ein­mal ver­zo­gen haben, wird das 20. Jahr­hun­dert viel­leicht als das gol­de­ne Zeit­al­ter der epi­schen und phan­tas­ti­schen Lite­ra­tur erschei­nen. Es hat bereits das Auf­tau­chen von Howard, Love­craft und Tol­ki­en erlaubt. Drei völ­lig ver­schie­de­ne Wel­ten. Drei Säu­len einer Traum­li­te­ra­tur, die von der Kri­tik im glei­chen Maße ver­ach­tet wer­den, wie sie vom Publi­kum geschätzt wer­den. Das macht aber nichts. Die Kri­tik gesteht letzt­end­lich doch immer ihre Feh­ler ein, oder genau­er gesagt, die Kri­ti­ker ster­ben irgendwann.“

Die­se Wor­te ste­hen in Michel Hou­el­le­becqs Essay „Gegen die Welt, gegen das Leben”, der ers­ten Ver­öf­fent­li­chung des bedeu­tends­ten fran­zö­si­schen Autors der Gegen­wart, einem erstaun­li­chen Debüt, das sich mit der phan­tas­ti­schen Schre­ckens­li­te­ra­tur H. P. Love­crafts beschäf­tigt. Love­craft ver­ab­scheu­te die Rea­li­tät und erklär­te rea­lis­ti­sche Lite­ra­tur für unver­ein­bar mit dem Schö­nen (was bei einem Ver­fas­ser von aus­schließ­lich Hor­ror­ge­schich­ten etwas schrill wir­ken mag, aber immer­hin schrieb er nie für ein Publi­kum). Der frü­he Hou­el­le­becq sah es ähn­lich: „Das Leben ist schmerz­haft und ent­täu­schend. Folg­lich ist es nutz­los, neue rea­lis­ti­sche Roma­ne zu schrei­ben. Was die Rea­li­tät im All­ge­mei­nen betrifft, so wis­sen wir bereits, wor­an wir sind; und wir haben kei­ne Lust, noch mehr dar­über zu erfah­ren.“ Glück­li­cher­wei­se hielt er sich nicht daran.

Zutiefst lite­ra­risch bei Tol­ki­en ist das Schrei­ben auf eige­ne Rech­nung und zum eige­nen Plä­sier. Der bereits zitier­te Dami­en Bador schätzt, dass die Gesamt­heit der Manu­skrip­te, in denen er sich sei­nen erfun­de­nen Spra­chen und Alpha­be­ten wid­met, den Umfang sei­ner Erzähl­tex­te erreicht, und bereits das „Sil­ma­ril­li­on” war ja nicht unbe­dingt für ein Publi­kum gedacht.

Mein Vor­be­halt gegen „Fan­ta­sy”, auch die­ses Levels, lässt sich leicht aus­he­beln mit dem Hin­weis, dass ja rea­lis­ti­sche Roma­ne eben­falls nicht die Wirk­lich­keit abbil­den, dass Dich­ter immer zugleich fin­den und erfin­den, dass Rea­lis­mus nicht „wah­rer” ist als Sym­bo­lis­mus, dass der Bedürf­ti­ge in jedem Gen­re gestillt wer­den kann. Noch­mals Kame­rad Hou­el­le­becq, noch­mals aus sei­ner Erst­lings­ver­öf­fent­li­chung: „Dem Leben in all sei­nen For­men eine Alter­na­ti­ve zu bie­ten, eine stän­di­ge Oppo­si­ti­on gegen­über dem Leben, eine stän­di­ge Zuflucht vor dem Leben zu sein: Das ist die höchs­te Mis­si­on des Dich­ters auf die­ser Erde.”

Na gut, einverstanden.

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Mit­tel­er­de ist heu­te ein lite­ra­ri­sches Welt­reich, „Der Herr der Rin­ge” einer der erfolg­reichs­ten Roma­ne des 20. Jahr­hun­derts, und inso­fern war es nicht ver­wun­der­lich, dass auch unse­re Lin­ken dort Fuß zu fas­sen such(t)en. Ohne gewis­se zeit­geis­ti­ge Ver­ren­kun­gen und trend­kon­for­me Umdeu­tun­gen konn­te das selbst­ver­ständ­lich nicht gesche­hen. Zwei Ten­den­zen sind zu beob­ach­ten: die Adap­ti­on, das heißt Über­nah­me durch Ver­fäl­schung, und die Denun­zia­ti­on, bei kla­rer Bevor­zu­gung von Ver­si­on eins; der Autor ist ein­fach zu popu­lär. Im Gegen­satz zu Frau Row­ling kann er auch nichts mehr twit­tern, das sich gegen ihn ver­wen­den lässt. Wenn Tol­ki­en heu­te noch leb­te und sich öffent­lich so äußer­te wie zum Bei­spiel in sei­nen Brie­fen, ver­lö­re er in kür­zes­ter Zeit sei­nen Lehr­stuhl und sein Anse­hen, aber das trä­fe ja auf nahe­zu jeden bedeu­ten­den Autor der Ver­gan­gen­heit zu; dafür leben wir schließ­lich in der bes­ten aller Gegenwarten.

Wie die Adap­ti­on an den Zeit­geist läuft, zeig­te am bis­lang anschau­lichs­ten und zugleich beknack­tes­ten ein Som­mer­se­mi­nar der Tol­ki­en Socie­ty anno 2021, das unter dem Mot­to „Tol­ki­en and Diver­si­ty“ stand; die Vor­trä­ge behan­del­ten The­men wie „The Que­ers in The Lord oft the Rings“, „Trans­gen­der Rea­li­ties in The Lord of the Rings“, „The Invi­si­ble Other: Tolkien’s Dwarf-Women and the ‘Femi­ni­ne Lack’” oder “Desta­bi­li­zing Cis­he­te­ro Ama­to­nor­ma­ti­vi­ty in the Works of Tol­ki­en”. Fro­do und Sam sind von die­sem Schlag „For­schen­der” natür­lich längst als Schwu­len­paar iden­ti­fi­ziert wor­den. Die Gleich­schal­tung Mit­tel­er­des an den Wokis­mus ist im vol­len Gan­ge, wie auch die durch­di­ver­si­fi­zier­te Ama­zon-Serie „Der Herr der Rin­ge: Die Rin­ge der Macht” demons­trier­te, die von der Kri­tik in den ver­heu­chelts­ten Tönen gelobt wur­de, aber beim ras­sis­ti­schen Publi­kum durch­fiel. Das Ziel ist eine Über­for­mung und schließ­li­che kor­ri­gie­ren­de Umschrei­bung der Tol­ki­en­schen Geschich­ten und ande­rer Klas­si­ker, so wie par­al­lel dazu ja auch die tat­säch­li­che Geschich­te im woken Sin­ne über­formt und umge­schrie­ben wird. Da man die Wer­ke selbst (noch) nicht ein­schnei­dend kor­ri­gie­ren kann – bei Kin­der­buch­klas­si­kern wur­den ers­te Zen­sur­er­fol­ge bereits ver­mel­det –, geschieht es in Ver­fil­mun­gen und in der Sekundärliteratur.

Der pol­ni­sche Poli­to­lo­ge Rys­zard Derd­ziń­ski beschreibt, wie er, elf­jäh­rig, im kom­mu­nis­ti­schen Polen in einem Anti­qui­tä­ten­ge­schäft den „Hob­bit” und das „Sil­ma­ril­li­on” ent­deck­te. „Damit begann das lite­ra­ri­sche Aben­teu­er mei­nes Lebens.“ Derd­ziń­ski wur­de spä­ter Tol­ki­en-Über­set­zer und ist der­zeit damit beschäf­tigt, die gesam­te Geschich­te Mit­tel­er­des ins Pol­ni­sche zu über­tra­gen. Auch hier ertönt das Leit­mo­tiv: „Das Wachs­tum mei­nes Tol­kie­nis­mus war auch vom Wachs­tum mei­nes eige­nen Glau­bens beglei­tet.“ Im Kom­mu­nis­mus hat­te er den Gesin­nungs­ter­ror der staat­li­chen Zen­sur erlebt, und ent­spre­chend bestürzt zeigt er sich heu­te über des­sen Wie­der­kehr im Namen des Wokis­mus. Bis vor kur­zem war Derd­ziń­ski Mit­glied der bri­ti­schen Tol­ki­en-Gesell­schaft, ver­ließ sie aller­dings „mit der bit­te­ren Erkennt­nis, daß der wah­re Tol­ki­en den Akti­vis­ten in den west­li­chen Län­dern zuneh­mend im Wege steht“. So sei­en christ­li­che Inhal­te im Forum der Socie­ty gelöscht oder unter­drückt wor­den; bei fort­ge­setz­ter Zuwi­der­hand­lung sei­en Foris­ten gesperrt worden.

Ein Bei­spiel wie­der­um für die Denun­zia­ti­ons­va­ri­an­te ist das Buch „Jung­frau­en im Nacht­hemd – Blon­de Krie­ger aus dem Wes­ten. Eine motiv­psy­cho­lo­gisch-kri­ti­sche Ana­ly­se von J.R.R. Tol­ki­ens Mytho­lo­gie und Welt­bild” aus dem Jahr 2003, des­sen Autor Tol­ki­en ein in wei­ten Tei­len faschis­ti­sches Welt­bild attes­tiert. Die Vor­wür­fe kann sich jeder an den Fin­gern abzäh­len: die man­gel­haf­te Frau­en­eman­zi­pa­ti­on, der angeb­li­che Ras­sis­mus – das Böse ist äußer­lich erkenn­bar, die ver­schie­de­nen Völ­ker haben eine Rang­ord­nung –, die Tat­sa­che, dass jedes Volk einer Bestim­mung folgt, die Tren­nung von Gut und Böse, die Dar­stel­lung eines sau­be­ren Krie­ges, die Ver­herr­li­chung des Kämp­fers und der­glei­chen Anstö­ßig­kei­ten mehr.

Der Kri­tik ver­fal­len vor allem die Frau­en­ge­stal­ten im „Herrn der Rin­ge”, zunächst ein­mal, weil es dort nur weni­ge nament­lich genann­te Frau­en­zim­mer gibt, sodann weil zwei davon, Arwen und Rosie, aus­schließ­lich die Beloh­nung für den Hel­den dar­stel­len, und eine drit­te, Eowyn, sich zwar gegen jene Rol­le wehrt, die der struk­tu­rel­le Sexis­mus der Rohir­rim ihr zuweist, sie aber am Ende durch die Hei­rat mit einem Hel­den aus Gon­dor doch annimmt, statt eine Band/ein Frauenbataillon/eine Zeit­schrift zu grün­den und eine „Mein-Bauch-gehört-mir”-Kampagne zu star­ten. Eowyn zog davor übri­gens in den Krieg und töte­te Sau­rons stärks­ten Kämp­fer, den Hexen­kö­nig von Ang­mar. Galadri­el wie­der­um, ihrer sozia­len Zuschrei­bung nach eine Elfe, ist unter allen Zau­be­rern Mit­tel­er­des der (!) mäch­tigs­te. Und weit und breit nie­mand, der sie unterdrückt…

Die schö­ne Frau als Tro­phäe oder Errun­gen­schaft des erfolg­rei­chen Man­nes ist aller­dings eine anthro­po­lo­gi­sche Grund­tat­sa­che, nicht aus der Welt zu schaf­fen, da von bei­den Sei­ten gewünscht. Ver­fas­ser femi­nis­ti­scher und „anti­fa­schis­ti­scher” Agit­pro­pli­te­ra­tur gehen bei die­sem Wett­be­werb frei­lich leer aus und müs­sen gemein­hin mit Wei­bern vor­lieb neh­men, um die sie nur in sel­te­nen Fäl­len benei­det wer­den. Um das wenigs­tens erwähnt zu haben.

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John Rhys-Davis, der in Peter Jack­sons Tri­lo­gie den Zwerg Gim­li ver­kör­pert – er ist, by the way, in der Rea­li­tät einen hal­ben Kopf grö­ßer als die Dar­stel­ler von Ara­gon und Lego­las, die ihn im Film weit über­ra­gen –, erklär­te in einem Interview:

„Ich glau­be, Tol­ki­en sagt, dass eini­ge Gene­ra­tio­nen her­aus­ge­for­dert wer­den – und wenn sie die­ser Her­aus­for­de­rung nicht gewach­sen sind, wer­den sie ihre Zivi­li­sa­ti­on ver­lie­ren. Das hat bei mir einen ech­ten Wider­hall gefun­den. Es ist skru­pel­los, dass zu vie­le Ihrer Jour­na­lis­ten­kol­le­gen nicht ver­ste­hen, wie gefähr­det die west­li­che Zivi­li­sa­ti­on ist und was für ein Juwel sie ist… Die Abschaf­fung der Skla­ve­rei ist das Ergeb­nis der west­li­chen Demo­kra­tie. Wah­re Demo­kra­tie kommt aus unse­rer grie­chisch-jüdisch-christ­li­chen west­li­chen Erfah­rung. Wenn wir die­se Din­ge ver­lie­ren, dann ist das eine Kata­stro­phe für die Welt.

In Euro­pa fin­det eine demo­gra­phi­sche Kata­stro­phe statt, über die nie­mand spre­chen will, die wir uns nicht zu erwäh­nen trau­en, weil wir so vor­sich­tig sind, um nie­man­den ras­sis­tisch zu belei­di­gen. (… ) Aber wenn es dar­um geht, die west­li­che Zivi­li­sa­ti­on durch eine ande­re Zivi­li­sa­ti­on mit ande­ren Kul­tu­rel­len Wer­ten zu erset­zen, dann ist das etwas, wor­über wir wirk­lich dis­ku­tie­ren soll­ten – denn ich bin für die Kul­tur der toten, wei­ßen Männer!“

Da hat ein Mime sehr viel verstanden.

Ich zitier­te vor­hin Tol­ki­en mit den Wor­ten: „Actual­ly I am a Chris­ti­an and inde­ed a Roman Catho­lic.” Der Pas­sus geht aller­dings wei­ter: „So I do not expect ‘histo­ry’ to be any­thing but a ‘long defeat’ – though it con­ta­ins (and in a legend may con­tain more cle­ar­ly and movin­g­ly) some samples or glim­p­ses of final victory.”

Im drit­ten Teil des „Herrn der Rin­ge” spricht Gan­dalf Ähn­li­ches zu Den­ethor, dem Truch­sess von Gon­dor: „The rule of no realm is mine, neither of Gon­dor nor any other, gre­at or small. But all wort­hy things that are in peril as the world no stands, tho­se are my care. And for my part, I shall not whol­ly fail of my task, though Gon­dor should peri­sh, if any­thing pas­ses through this night that can still grow fair or bear fruit and flower again in days to come.” Zu deutsch: „Kein Reich beherr­sche ich, weder Gon­dor noch irgend­ein ande­res, ob groß oder klein. Doch alles, was Wert hat in die­ser Welt, so wie die Din­ge jetzt lie­gen, steht unter mei­ner Obhut. Und ich für mei­nen Teil wer­de mit die­ser Auf­ga­be nicht völ­lig schei­tern, auch wenn Gon­dor unter­ge­hen soll­te, wenn irgend etwas die­se Nacht über­steht, das in kom­men­den Tagen noch wach­sen, Früch­te tra­gen und blü­hen kann.“

Mordor exis­tiert. Die frei­en Völ­ker Mit­tel­er­des aber auch.

(Das Buch ist hier bestellbar.)

PS: Es wer­den kei­nes­wegs nur Kin­der­buch­klas­si­ker zensiert:

 

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