Strauss’ liebes Zornbrötlein

Richard Strauss, des­sen 150. Geburts­tag die Musik­welt in die­sem Jahr fei­ert, stand zeit­le­bens unter dem Pan­tof­fel sei­ner streit­süch­ti­gen Ehe­frau Pau­li­ne. Für das Werk des Kom­po­nis­ten war sie ein Glücks­fall

Die Urauf­füh­rung des „Rosen­ka­va­lier“ am 26. Janu­ar 1911 war ein Ereig­nis von euro­päi­schem Rang. Über­all auf dem Kon­ti­nent berich­te­ten die Zei­tun­gen über die neue Oper von Deutsch­lands berühm­tes­tem Kom­po­nis­ten. In der Dresd­ner Sem­per­oper bespra­chen Richard Strauss und der Diri­gent Ernst von Schuch gera­de die letz­ten Details der abend­li­chen Auf­füh­rung, als Pau­li­ne Strauss her­ein­mar­schier­te und ver­kün­de­te: „Genug gere­det, Richardl, komm mit in die Pra­ger Stra­ße, ich brauch noch was auf den Kopf!“ Ohne ein Wider­wort folg­te Strauss sei­ner Gat­tin  zum Hutkauf.

Die­se Bege­ben­heit ist sym­pto­ma­tisch für eine der bizarrs­ten Ehen der Kunst­ge­schich­te. Fast sech­zig Jah­re lang stand der Kom­po­nist unter der Fuch­tel sei­ner so her­ri­schen wie lau­ni­schen Frau. 

Pau­li­ne war die Toch­ter des bay­ri­schen Gene­ral­ma­jors Adolf de Ahna. Strauss lern­te sie im August 1887 in der Vil­la der Fami­lie Pschorr am Starn­ber­ger See ken­nen. Pau­li­ne war sehr musi­ka­lisch, ihr Sopran galt als über­durch­schnitt­lich. Spä­ter soll­te sie eini­ge der gro­ßen Par­tien Wag­ners und Mozarts sin­gen, sie debü­tier­te 1890 als Pami­na in Wei­mar und trat bei den Bay­reu­ther Fest­spie­len auf. Als Sän­ge­rin hat­te sie eine soli­de Kar­rie­re vor sich, gleich­wohl zog sie sich mit 34 Jah­ren von der Büh­ne zurück. 

Bei­der Lia­si­on begann damit, dass Strauss ihr Gesangs­leh­rer wur­de. Dass es zwi­schen der Sopra­nis­tin de Ahna und dem Diri­gen­ten Strauss „gefunkt“ hat­te, erfuhr die Öffent­lich­keit auf eine für ihr spä­te­res Ver­hält­nis typi­sche Wei­se: Bei einer Orches­ter­pro­be von Strauss’ ers­ter Oper „Gun­tram“ in Wei­mar – Pau­li­ne sang die weib­li­che Haupt­rol­le, der Kom­po­nist diri­gier­te selbst – gab es einen Streit zwi­schen den bei­den, der damit ende­te, dass die Sän­ge­rin mit dem Kla­vier­aus­zug nach dem Diri­gen­ten warf. Sie traf nur den Zwei­ten Gei­ger und ver­ließ wütend die Sze­ne­rie; Strauss folg­te ihr in die Gar­de­ro­be, aus wel­cher Pau­li­nes Geze­ter ertön­te. Als Strauss wie­der her­aus­kam, erklär­te der Spre­cher der Musi­ker, das Orches­ter sei ent­setzt über das Beneh­men von Fräu­lein de Ahna und sei­nem ver­ehr­ten Diri­gen­ten schul­dig, fort­an die Mit­wir­kung an jeder Oper zu ver­wei­gern, an der ihr eine Par­tie über­tra­gen sei. Das sei scha­de, erwi­der­te Strauss lächelnd, denn er habe sich mit dem Fräu­lein soeben verlobt. 

Als attrak­tiv konn­te Pau­li­ne kaum gel­ten; sie war eher von baju­wa­risch-rus­ti­ka­ler Art. Die meis­ten Fotos zei­gen eine Per­son mit wenig femi­ni­nen Zügen. Es muss etwas ande­res gewe­sen sein, das Strauss an ihr fas­zi­nie­rend fand. 

Pau­li­nes Selbst­be­wusst­sein war kolos­sal. Sie sprach oft mit ver­nich­ten­der Takt­lo­sig­keit aus, was sie gera­de dach­te, und war grob bis brüsk im Umgang mit jedem. Strauss’ kon­ge­nia­ler Libret­tist Hugo von Hof­manns­thal hat­te als über­fei­ner­ter Schön­geist erheb­li­che Schwie­rig­kei­ten mit dem boden­stän­dig-der­ben Natu­rell des Kom­po­nis­ten, aber die Vehe­mez, mit wel­cher er sowohl Besu­che in Gar­misch als auch umge­kehrt Visi­ten des Ehe­paars Strauss bei sich daheim zu ver­mei­den such­te, muss noch ande­re Grün­de gehabt haben. Hof­mannst­hals Nach­fol­ger Joseph Gre­gor, der von sei­nem Glück, für den berühm­ten Meis­ter arbei­ten zu dür­fen, über­wäl­tigt war, zog es bezeich­nen­der­wei­se eben­falls vor, Strauss nicht zu besuchen. 

Pau­li­ne wur­de es nicht müde, alle Welt dar­an zu erin­nern, dass sie, im Gegen­satz zu ihrem Gat­ten, von Stand war. 1926 war das Paar in Ber­lin zu einem Abend­essen ein­ge­la­den. Das Gespräch kam auf Büch­ners „Woy­zeck”, den Alban Berg kurz zuvor ver­tont hat­te, und Frau Strauss äußer­te sich sehr gering­schät­zig über das Stück. Als sie gefragt wur­de, war­um sie das Werk ableh­ne, erklär­te die Gene­rals­toch­ter, dass sie nie­mals auch nur das gerings­te Inter­es­se dar­an auf­zu­brin­gen geden­ke, was sich in der See­le eines arm­se­li­gen Unter­of­fi­ziers abspie­le (im Dienst­grad lag sie falsch, Woy­zeck war Gemeiner).

Anek­do­ten über Pau­li­nes bizar­re Auf­trit­te gibt es zuhauf. Har­ry Graf Kess­ler notier­te am 21. Febru­ar 1910 in sein Tage­buch, er habe nach einer Ber­li­ner „Elektra“-Aufführung mit Hof­manns­thal, Straus­sens und ande­ren im „Kai­ser­hof“ sou­piert. „Frau Strauss hat­te wie­der einen ihrer halb­hys­te­ri­schen Unar­tig­keits-Anfäl­le.“ Wäh­rend er Strauss vom alten Fré­dé­ric Delair erzähl­te, einem berühm­ten Pari­ser Gas­tro­nom, „unter­brach sie mich schrei­end: ‚Der ist ja längst tot, längst tot, bis Sie die Geschich­te zu End’ haben! Na ja, wenn einer eine so fade Geschicht’ so lang­sam erzählt! Seht euch lie­ber das Mast­schwein da an…’ (mit dem Fin­ger auf einen ziem­lich kor­pu­len­ten Leut­nant an einem Nach­bar­tisch zei­gend) ‚Na was denn? Ich will doch nur ein biss­chen mit dem Mast­schwein da koket­tie­ren (…) Nun seht doch, jetzt wirft mir das Mast­schwein ganz ver­lieb­te Bli­cke zu. I glaub wirk­lich, er kommt und setzt sich an unse­ren Tisch.’“ Strauss sei abwech­selnd blass und rot gewor­den, schreibt Kess­ler, habe aber nichts gesagt. „Sie soll ihm ein­mal, als er ihr bei einer ähn­li­chen Sze­ne Vor­wür­fe mach­te, vor allen Anwe­sen­den laut zuge­ru­fen haben: ‚Noch ein Wort, Richard, und ich geh’ auf die Fried­rich­strass’ und nehm mir den ers­ten Besten.’“

Eine Stun­de sei sie mit Frau Strauss zusam­men gewe­sen, ver­trau­te wie­der­um Ida Deh­mel, die Frau des Dich­ters Richard Deh­mel, ihrem Tage­buch an. „Was sie in kur­zer Zeit Wild­frem­den gegen­über an Takt­lo­sig­kei­ten, Indis­kre­tio­nen und Unbil­dung zu Tage för­der­te, das ist der Tief­stand alles des­sen, was ich bei Frau­en erlebt habe. ‚Ja, die Män­ner, die Haupt­sach’ is, daß mer’s an der Strip­pe halt’n.’ Dabei mach­te sie eine Bewe­gung, als hiel­te sie die Zügel in der einen Hand, in der ande­ren eine Peitsche.“

Zuhau­se war Pau­li­ne all­mäch­tig. Sie trug einen gro­ßen Schlüs­sel­bund an einer Ket­te und setz­te alles hin­ter Schloss und Rie­gel. Der Kom­po­nist Edward Elgar, der Strauss in Gar­misch besuch­te, nahm pikiert zur Kennt­nis, dass Pau­li­ne sogar die Manu­skrip­te ihres Man­nes unter Ver­schluss hielt. Pau­li­ne bestimm­te Richards Tages­ab­lauf, wähl­te sei­ne Gar­de­ro­be aus und schrieb sei­ne Ernäh­rung vor. Der Bari­ton Hans Hot­ter war mit sei­ner Frau 1943 zum Essen ein­ge­la­den, die Haus­her­rin kre­denz­te Sup­pe mit den Wor­ten: „Wir leben zwar in schwe­ren Zei­ten, aber ich habe ein gutes Essen gemacht.“ Sie frag­te die Gäs­te, ob sie Nach­schlag wünsch­ten, und füll­te die Tel­ler erneut. Strauss sag­te schüch­tern, er wol­le auch, dar­auf fuhr sie ihn an: „Du kriegst nix mehr – wir haben Krieg!“

Gus­tav Mahler, Strauss in einer heik­len Freund­schaft ver­bun­den, emp­fand des­sen Ehe als Maso­chis­mus. Ein­mal war er maß­los ver­är­gert, weil Strauss ein Kon­zert von ihm nicht besucht hat­te, obwohl er in der Nähe logier­te, bis ihm der wah­re Grund auf­ging: „Höchst­wahr­schein­lich, wie ich es jetzt über­schaue, hat es ihm Pau­li­ne nicht erlaubt!“, schrieb er fas­sungs­los an sei­ne Frau. Bei der Pre­mie­re von Strauss’ Oper „Feu­ers­not“ in Wien saß Pau­li­ne in Mahlers Loge. „Sie tob­te die gan­ze Zeit: Nie­man­dem kön­ne die­ses Mach­werk gefal­len“, notier­te Alma Mahler, nicht ein ein­zi­ger Ton in der Oper sei von Strauss, „alles sei gestoh­len, von Wag­ner, von vie­len ande­ren.“ Nach der Auf­füh­rung woll­te man sich im Restau­rant Hart­mann tref­fen, doch Pau­li­ne wei­ger­te sich und fuhr ihren Mann an: „Ich gehe nicht mit dir, du bist mir zu schlecht.“ Sie wol­le ins Hotel – allein. Ob er sie denn nicht ein­mal beglei­ten dür­fe, habe Strauss gefragt. „Zehn Schrit­te hin­ter mir, sonst nicht!“ Als der Kom­po­nist spä­ter „sicht­lich erschöpft“ in das Restau­rant nach­kam, ent­schul­dig­te er sich mit den Wor­ten: „Mei Frau ist oft arg rup­pig, aber wis­sen S’, i brauch des.“

Nur: Was genau brauch­te er? Viel­leicht ist es sinn­voll, in die­sem Zusam­men­hang Strauss’ Arbeits­wei­se zu betrach­ten. Der Mann, der die har­mo­ni­schen und klang­li­chen Exzes­se von „Salo­me“ und „Elek­tra“ erdacht hat­te, schuf sei­ne Wer­ke mit der gleich­för­mi­gen Unauf­ge­regt­heit eines Hand­wer­kers. Er setz­te sich zu fes­ten Zei­ten an sei­nen Schreib­tisch und mach­te dort wei­ter, wo er am Vor­tag auf­ge­hört hat­te. Das genia­li­sche, in rausch­haf­ten Schü­ben sich voll­zie­hen­de Schaf­fen lag ihm völ­lig fern. Strauss war nicht nur als Mensch, son­dern auch als Kom­po­nist, rein äußer­lich betrach­tet, ein Spie­ßer. Sein Leben bestand aus Diri­gie­ren und Kom­po­nie­ren, ansons­ten ver­lief es eher ereig­nis­arm. Durch ihre Unbe­re­chen­bar­keit durch­brach Pau­li­ne sei­ne Rou­ti­ne und Dis­zi­plin, die sie als sein Zer­be­rus zugleich gewähr­leis­te­te. Sie schirm­te ihn ab und hielt ihn auf Trab. Offen­bar brauch­te er sein „lie­bes Zorn­bröt­lein“ als Sti­mu­lans wie Schil­ler die fau­li­gen Äpfel in sei­nem Schreib­pult. „Er woll­te eine Her­rin in sei­nem Haus, kei­ne Gelieb­te“, schreibt der Strauss-Bio­graph Matthew Boyden. 

Strauss hat dazu eini­ge auf­schluss­rei­che Wor­te gesagt: „Nach mei­ner Erfah­rung setzt bei gro­ßen Erre­gun­gen, Ärger oder Zorn eine beson­ders leb­haf­te Tätig­keit der künst­le­ri­schen Phan­ta­sie ein. Nicht, wie oft geglaubt wird, nach sinn­li­chen Ein­drü­cken, Natur­schön­hei­ten, fei­er­li­chen Stim­mun­gen.“ Der Sän­ge­rin Lot­te Leh­mann gestand er: „Die Bewun­de­rung der gan­zen Welt inter­es­siert mich weni­ger als ein ein­zi­ger Wut­an­fall von Pau­li­ne.“ Die Sopra­nis­tin, die unter ande­rem auch als Chris­ti­ne in Strauss’ Oper „Inter­mez­zo“ auf­trat, eine Rol­le, die ganz ein­deu­tig Pau­li­ne abbil­det, erin­ner­te sich mit Erstau­nen an die gewal­ti­gen und absur­den Stim­mungs­um­schwün­ge von Frau Strauss-de Ahna. Pau­li­ne habe ihren Mann wegen allem Mög­li­chen beschimpft und kri­ti­siert, doch wenn der sich nach einem die­ser Wut­an­fäl­le schier über­gangs­los ans Kla­vier setz­te und sei­ne Lie­der spiel­te, umarm­te sie ihn „schluch­zend in einem hef­ti­gen Aus­bruch von Zärt­lich­keit“. Es wur­de Lot­te Leh­mann in sol­chen Momen­ten klar, dass sie ein­an­der „wie ein jun­ges Paar liebten“. 

Wahr­schein­lich ver­dan­ken wir Strauss’ Gefüh­len für Pau­li­ne eini­ge sei­ner schöns­ten Lie­der, etwa „Ständ­chen“ und „Traum durch die Däm­me­rung“. Über­haupt geis­tert die Gemah­lin per­ma­nent durch das Werk des letz­ten Roman­ti­kers, der in Sachen Selbst­por­trä­tie­rung und Selbst­zi­tat alle sei­ne Kol­le­gen um Län­gen über­traf. Im „Hel­den­le­ben“ gehört Pau­li­ne ein gan­zer Abschnitt. „Ich woll­te mei­ne Frau dar­stel­len”, erklär­te er Romain Rolland. „Sie ist sehr kom­plex, sehr weib­lich, ein wenig per­vers, ein wenig kokett, nie­mals sie selbst, jede Minu­te anders.“ In der „Sin­fo­nia Dome­sti­ca“ betritt der Hörer nicht nur das Haus des Maes­tros, son­dern zuletzt auch das ehe­li­che Schlaf­ge­mach. Pau­li­ne kommt auf die­se oder jene Wei­se in meh­re­ren sei­ner Opern vor, unter ande­rem war sie das Vor­bild für die Fär­be­rin in „Die Frau ohne Schat­ten“. Man kön­ne für die­se Figur „sehr wohl Ihre Gat­tin mit aller Dis­kre­ti­on Modell ste­hen las­sen“, schrieb Hof­manns­thal wäh­rend der Arbeit am Libret­to an Strauss, „es ist halt eine bizar­re Frau mit einer sehr guten See­le im Grund, unbe­greif­lich, lau­nisch, her­risch, und dabei doch sym­pa­thisch“. Franz Wer­fel gegen­über soll der Kom­po­nist über die Aus­wahl sei­ner Opern­stof­fe erklärt haben: „Vor allem brauch ich eine star­ke, merk­wür­di­ge Frau­en­fi­gur – alles ande­re inter­es­siert mich in zwei­ter Linie. Von da aus wer­de ich inspi­riert.“ Ein inter­es­san­tes Bekenntnis.

In „Inter­mez­zo“ spie­len ein gut­mü­ti­ger Hof­ka­pell­meis­ter namens Robert Storch und des­sen zän­ki­sche Frau Chris­ti­ne die Haupt­rol­len, das Libret­to ver­fass­te Strauss selbst. Nach der Urauf­füh­rung soll Pau­li­ne sehr unge­hal­ten gewe­sen sein, als sie ent­deck­te, dass sie in dem Werk als Drach­in ver­ewigt wor­den war. Als Lot­te Leh­mann sie coram publi­co frag­te: „Ist die­se Oper nicht ein wun­der­ba­res Geschenk Ihres Man­nes an Sie?“, ver­setz­te Pau­li­ne unwirsch: „Das ist mir völ­lig Wurscht!“ Es herrsch­te pein­lich berühr­tes Schwei­gen. Nur Strauss lächelte. 

Hof­manns­thal hat­te sich dies­mal gewei­gert, das Text­buch zu ver­fas­sen, weil ihm die Pro­ble­ma­tik der bür­ger­li­chen Ehe, wie sie dem Kom­po­nis­ten als The­ma vor­schweb­te, zu tri­vi­al erschien. An ihn schrieb Strauss: „So harm­los und unbe­deu­tend die Anläs­se zu die­sem Stück sind, so sind doch, was durch sie her­vor­ge­ru­fen wird, schließ­lich immer noch die schwers­ten See­len­kon­flik­te, die in einem Men­schen­her­zen sich bewe­gen kön­nen.“ Das muss man wohl hin­neh­men, so wie es auch bloß der Schrei­ber­bach in Grin­zing gewe­sen sein soll, der Beet­ho­ven zum zwei­ten Satz sei­ner Sechs­ten Sin­fo­nie inspirierte. 

Vie­le Zeit­ge­nos­sen hat­ten Schwie­rig­kei­ten, den genia­len Künst­ler und die bür­ger­li­che Per­son Strauss unter einen Hut zu brin­gen. Er gab von sei­nem Innen­le­ben nichts preis und küm­mer­te sich nicht um das ande­rer. Außer­halb sei­ner Opern schei­nen ihn Men­schen nicht son­der­lich inter­es­siert zu haben. Sein halb bäu­ri­sches, halb bank­di­rek­to­ren­haf­tes, aber immer dick­fel­li­ges Auf­tre­ten, sei­ne spöt­ti­sche Schläf­rig­keit, sein Nicht­re­agie­ren auf Kri­tik, sein Arbeits­ei­fer, sei­ne Gleich­mut, sei­ne Distanz zu allen Moden und Schu­len, sei­ne Geld­gier, sei­ne Kar­ten­spie­le­rei, das „Kri­sen­freie“, igno­rant-Kern­ge­sun­de sei­nes Wesens, das völ­li­ge Feh­len von Selbst­zwei­feln, die Unfä­hig­keit, sich in das Gemüt zum Bei­spiel eines Hof­manns­thal auch nur eine Minu­te lang ein­zu­fin­den, all das hat etwas sacht Autis­ti­sches. Er reagier­te im Grun­de nur auf Pau­li­ne – und auch das nur, weil sie extrem war; womög­lich hät­te sie es sonst nicht in sein Leben geschafft. Er hat sie übri­gens, wie es scheint, nie­mals betrogen.

Für eine gewis­se Empa­thie­ar­mut spricht auch die Wahl sei­ner kom­po­si­to­ri­schen Sujets. So schrieb er mit­ten im Ers­ten Welt­krieg sei­ne „Alpen­sin­fo­nie“ und wid­me­te sich, wäh­rend der Zwei­ten Welt­krieg tob­te, in „Capric­cio“ der Fra­ge, ob in der Oper die Musik oder der Text den Vor­rang ver­die­ne. Die Tra­gö­di­en in sei­ner Umge­bung lie­ßen ihn offen­bar eher kalt. Er leb­te fast aus­schließ­lich für die Kunst und teil­te Men­schen gemein­hin ein in „sol­che, die Talent besit­zen, sowie die­je­ni­gen, die kei­nes haben“; Letz­te­re besa­ßen immer­hin noch die Mög­lich­keit, in sei­ner Gunst zu stei­gen, wenn sie imstan­de waren, den vol­len Kas­sen­preis für sei­ne Kon­zer­te zu zah­len. Gegen Ende des Zwei­ten Welt­kriegs wei­ger­te er sich, sei­ne Vil­la für aus­ge­bomb­te Lands­leu­te zu öff­nen. Anschei­nend konn­te er nur in Tönen (mit)empfinden, und Pau­li­ne war womög­lich der ein­zi­ge Mensch, der immer wie­der durch sein dickes Fell drang.

Strauss starb am 8. Sep­tem­ber 1949 und wur­de drei Tage spä­ter unter gro­ßer Anteil­nah­me der Bevöl­ke­rung auf dem Münch­ner Ost­fried­hof begra­ben. Wie er es sich gewünscht hat­te, erklang der Trau­er­marsch aus Beet­ho­vens „Eroi­ca“, und nach den Reden folg­te das Schluss­ter­zett aus dem „Rosen­ka­va­lier“. Am Ende sank Pau­li­ne schluch­zend von ihrem Stuhl und rief immer wie­der: „Richard!  Richard!” Alle Ver­su­che, Pau­li­ne zu trös­ten, waren ver­geb­lich. Sie beschwer­te sich nie mehr über irgend­je­man­den. Eines Nachts wur­de sie unter­kühlt und halb bewusst­los im Ster­be­zim­mer ihres Man­nes gefun­den. Am 13. Mai 1950, acht Mona­te nach Strauss’ Tod, folg­te sie ihm nach. Neun Tage spä­ter fand in Lon­don die Urauf­füh­rung der „Vier letz­ten Lie­der“ statt. Wie vie­le sei­ner Lie­der waren auch die vier letz­ten eine Hul­di­gung des Kom­po­nis­ten an die Frau sei­nes Lebens.

Erschie­nen (gekürzt) in: Die Welt­wo­che 19/2014


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