11. Juni 2023

Die Sonn­ta­ge … !

Immer mal wie­der fiel, fällt und wird in die­sem Tage­buch der Name Peter Hacks fal­len. Das hier etwa ist von ihm:

„Wer kann die Pyra­mi­den überstrahlen?
Den Kreml, Sans­sou­ci, Ver­sailles, den Tower?
Von allen Schlös­sern, Bur­gen, Kathedralen
Der Erden­wun­der schöns­tes war die Mauer.
Mit ihren schmu­cken Tür­men, fes­ten Toren.
Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.”

Als ein Mensch, den die Kom­mu­nis­ten 28 Jah­re ver­mit­tels die­ser Mau­er von nahe­zu allen schö­nen Din­gen des Lebens weg­be­to­niert haben, könn­te ich dem Ver­fas­ser für sol­che Ver­se gram sein, aber dafür sind sie zu gut. Außer­dem hie­ße das, die Gen­res zu ver­mi­schen und mei­ner Auf­fas­sung von Kunst untreu zu wer­den. Die Kunst ist ein eige­nes Reich, kein welt­li­cher Herr­scher hat dort hin­ein­zu­re­gie­ren, der Künst­ler darf tun, was er will, er ist nie­man­dem gegen­über recht­fer­ti­gungs­pflich­tig außer den Musen. Wenn Gott mir die Kraft gibt, wer­de ich noch zu mei­ner letz­ten Stun­de mur­meln: „Ter­ro­ir schlägt Reb­sor­te bezie­hungs­wei­se: Die Form ist wich­ti­ger als der Inhalt.”

Des­we­gen kann ein sta­li­nis­ti­scher, faschis­ti­scher, ras­sis­ti­scher, sexis­ti­scher, fana­tisch reli­giö­ser, ja sogar ein grü­ner Autor ein gro­ßer Dich­ter sein. Und wenn er ein gro­ßer Dich­ter ist, dann ist es völ­lig egal, als was er sich neben­her poli­tisch emp­fin­det. Oder ver­or­tet. Der Dich­ter soll schrei­ben, was er will.

In der Odys­see wird Phe­mi­os, der Sän­ger, der den Frei­ern beim Mah­le die Zeit ver­trieb, von Odys­seus bei sei­ner Rache als ein­zi­ger ver­schont, und zwar auf sei­ne Wor­te hin:

„Fle­hend bit­te ich dich, erbar­me dich mei­ner, Odysseus,
Spä­ter wird dir die Reue kom­men, wenn du den Sänger
Tötest, der für die Göt­ter und für die Men­schen ich singe.
Selbst­un­ter­rich­tet bin ich; der Gott aber pflanz­te mir Lieder
Aller­lei Art in den Sinn; mir scheint, ich kön­ne vor dir hier
Sin­gen wie vor einem Gott; drum schla­ge mir nicht das Haupt ab.”

Im „West-öst­li­chen Divan” steht geschrieben:

„Der Muf­ti las des Mis­ri Gedichte,
Eins nach dem andern, alle zusammen,
Und wohl­be­däch­tig warf sie in die Flammen,
Das schön­ge­schrieb­ne Buch es ging zu nichte.
Ver­brannt sei jeder, sprach der hohe Richter,
Wer spricht und glaubt wie Mis­ri — er allein
Sei aus­ge­nom­men von des Feu­ers Pein:
Denn Allah gab die Gabe jedem Dichter.
Miß­braucht er sie im Wan­del sei­ner Sünden,
So seh’ er zu mit Gott sich abzufinden.”

Hacks, der gebür­ti­ge Nie­der­schle­si­er, der 1955 Mün­chen ver­ließ, um sich für immer in Ost­ber­lin anzu­sie­deln – im Gegen­satz zu mir durf­te er (wei­ter­hin) rei­sen und besaß ein schö­nes Haus am Ran­de der DDR-Haupt­stadt, wobei er sich zumin­dest das Letz­te­re red­lich ver­dient hat­te –, Hacks war ein Kom­mu­nist, wahr­schein­lich sogar Sta­li­nist (jeden­falls irr­lich­tert der вождь, und nie mit einem soge­nann­ten nega­ti­ven Zun­gen­schlag, durch sei­ne Schrif­ten); er glaub­te, das Ende der DDR habe mit der Ent­mach­tung Ulb­richts begon­nen (tat­säch­lich war die DDR schon am 17. Juni 1953 am Ende), er moch­te die Sowjet­uni­on und ver­ab­scheu­te die USA („Zwi­schen zwei Welt­ge­wäs­sern liegst du da/Heimstatt des Ter­rors: Mord­ame­ri­ka”), begrüß­te die Aus­bür­ge­rung Wolf Bier­manns und hielt den schließ­li­chen Zusam­men­bruch des Arbei­ter- und Bau­ern-Lauf­ställ­chens von Mos­kaus Gna­den im Spät­herbst 1989 für eine „Kon­ter­re­vo­lu­ti­on” (was im Wort­sin­ne des Um- oder Zurück­wäl­zens ja nicht ver­kehrt ist). Vie­le ken­nen das Dik­tum von Ador­no, man dür­fe nach Ausch­witz kei­ne Gedich­te mehr schrei­ben, und eini­ge die Replik von Johan­nes Gross, Ador­no habe schon vor Ausch­witz kei­ne Gedich­te schrei­ben kön­nen. Bei Hacks ver­hielt es sich so, dass er bereits vor dem Mau­er­fall Gedich­te schrei­ben konn­te, aber die schöns­ten, bit­ters­ten und böses­ten schrieb er danach.

Ich den­ke jetzt weni­ger an jenes Couplet:

„Gut, das Jahr­tau­send war nichts, spre­chen wir
Von Num­mer drei, Genos­sen, oder vier.”

Oder die Verse:

„Von zwei Mil­lio­nen blieben
Nur eine Hand­voll grad,
Es hat sie aufgerieben
Gor­bat­schows Verrat.”

Son­dern etwa – regel­mä­ßi­ge Besu­cher des Klei­nen Eck­la­dens wer­den die gemüts­ver­wandt­schaft­li­chen Bezie­hun­gen, die ich zu Hacks unter­hal­te, sofort verstehen –:

„Bes­tes Herz, auf mei­nem Weg zum Grabe
Bin ich wirk­lich froh, daß ich dich habe.
Unter unsern hei­mat­li­chen Dächern
Lei­den wir die Herr­schaft von Verbrechern.

Ja, sogar die mit­tel­ho­hen Stellen
Sind durch­aus besetzt mit Kriminellen.
Kurz, mir ward das Vater­land zur Fremde.
And­rer­seits, gern heb ich dir das Hemde,

Wo das ange­neh­me Braun ich ahne
Dei­ner weib­li­chen Geschlechtsorgane.
Das ist, wie der Mensch das Leben aushält.
Und bis zu dem Tag, wo sich herausstellt,
Ob ich dei­nen Sarg beglei­te oder
Du den mei­nen, trot­zen wir dem Moder.”

Oder:

„Seit der gro­ßen Schreckenswende
Sieht des Dich­ters erns­tes Haupt
Sich durch neue Zeitumstände
Aller Hoff­nung jäh beraubt.

Und er harrt in Wartestellung
Auf des Hori­zonts Erhellung.
Und er denkt in sei­nem Sinn:
Wo nichts drin ist, ist nichts drin.

Zwar beim Nichtbeteiligtbleiben
Am gesit­te­ten Verkehr
Muß er sich die Zeit vertreiben,
Und er tut, wie wenn nichts wär.

Feilt sich wöchent­lich die Nägel,
Nicht aus Lust, doch nach der Regel,
Küsst bis­wei­len Cloes Brust,
Nach der Regel, nicht aus Lust.

Früh beim Kaf­fee, kaum bekümmert,
Liest er, wie das Kapital
Neger­staa­ten niedertrümmert,
Mor­dend ohne Zahl und Wahl,

Grei­se, Kin­der, Frau­en, Männer,
Und er nickt befrie­digt, wenn er
Fest­stellt, daß der Zeitungsmann
Kei­nen deut­schen Satz mehr kann.

Auf der höchs­ten finanziellen
Ebe­ne unangepaßt,
Nähert er sich wohl den Quellen
Der Natur als Feriengast.

Liebt den Som­mer, haßt den Winter,
Tie­fe­res steckt nicht dahinter.
Hin und wie­der ein Gedicht
Schreibt er noch aus Dichterpflicht.”

Und:

„Nicht bläst der Wind den unge­mei­nen Ärger
Aus mei­nem Schä­del fort. Das Barometer
Und das Niveau des Den­kens fal­len seit Jahrzehnten.
Die Pap­pel­blät­ter sind, schon wenn sie jung sind, gelb.
Erd­farb­ne Vögel ren­nen auf den Steinen.
Ein Reh­pint­scher ver­tritt das Edle noch.

Wann wer­de ich es so satt sein,
Daß ich es satt bin, auf­zu­schrei­ben, wie
Satt ich es bin?”

Er ver­stieg sich kei­nes­wegs nur ins Ele­gi­sche. „Tamer­lan in Ber­lin” ist eine pracht­voll gal­li­ge Sati­re auf die Über­nah­me sei­ner DDR durch die BRD (wobei das Stück zur heu­ti­gen Situa­ti­on – und erst recht zur mor­gi­gen – womög­lich noch weit bes­ser passt).

„Timur der Hin­ker, Fürst der Transoxanen,
Durch Got­tes Zorn gesetzt auf sei­ne Bahnen,

Nach­dem er Per­si­en an sich gerissen,
Bag­dad zer­stört, Ruß­land in Staub geschmissen,

Fiel ihm noch bei, mit sei­nen Steppensöhnen
In uns­rer Haupt­stadt sei­nen Zug zu krönen.

Des Hin­kers Heer kam rasch wie ein Gedanke
Her­ein­ge­bro­chen über Spree und Panke.

Ein aus­ge­stopf­ter Zie­gen­bock, den Horden
Vor­an­ge­tra­gen, ruft zu tau­send Morden,

Und gräß­lich dün­gen des Tyran­nen Diener
Die Lin­den mit dem Blu­te der Berliner.

Drei Tage litt das Volk Gewalt und Schatzung.
Doch noch viel schwe­rer drück­te die Besatzung.

Drum hört, was vom Besat­zer uns für Leid
Geschah in unse­rer Usbekenzeit.

In Schin­kels Wache tränkt er sei­ne Gäule.
Ein Pfer­de­jun­ge pißt an eine Säule.

Im Stü­ler­bau ver­ehrt er sei­ne Götzen,
Gemacht von Filz, sie stin­ken wie die Plötzen.

Er badet nie, der from­me Steppenreiter.
Die Sack­laus ist sein stän­di­ger Begleiter.

Vor der polier­ten Gneis­scha­le aus Rauen
Soll­te man ihm beim Hüt­chen­spiel mißtrauen.

Wall­stra­ße. Auf­ge­schnürt an einem Drahte
Die Köp­fe uns­rer grei­sen Magistrate.

Bei Auf­bau sitzt ein lei­ten­der Usbeke
Und druckt nun sein usbe­ki­sches Gequäke,

Bei Auf­bau! Dort, wo mei­ne eig­nen Dramen
Erschie­nen, ehe die Usbe­ken kamen.

Fried­hof Chaus­see­stra­ße. Ein Fettschwanzschaf
Rupft sich ein Kraut von Hegels Epitaph.

Im Schau­spiel­haus ver­sam­meln sich die Großen,
Um auf den lah­men Emir anzustoßen.

Sie trin­ken grü­nen Zie­gel­tee mit Butter
Und Stu­ten­bier und and­res Hundefutter.

Nur in der Volks­büh­ne, wo man zu Hauf
Polo mit Schä­deln spielt, fällt gar nichts auf.

Die Son­ne fliegt. Natür­lich wird die Nacht
In dem Poe­ten­vier­tel zugbracht.

Ihr blon­den Frau­en vom Torpedokäfer:
Der Sex mit Turk­ta­ta­ren ist kein safer.

Von Fackeln zuckt ein Abglanz ums Gemäuer.
Am Stra­ßen­rand, auf einem off­nen Feuer,

Wird mit Hal­lo von Tamerlans Soldaten
Der lin­ke Dich­ter Papen­fuß gebraten.

Drin inder­weil, den Glatz­kopf auf die Theke
Gesun­ken, schläft ein fur­zen­der Usbeke.”

Sie haben es längst bemerkt, geneig­te Lese­rin, der Mann kann bzw. konn­te was (er ist ja lei­der schon vor zwan­zig Jah­ren zu sei­nen Gene­ral­se­kre­tä­ren ein­be­stellt wor­den). Hacks exzel­lier­te in sämt­li­chen lyri­schen Formen.

„Mei­ne jun­ge Frau Gemahlin,
Fast ein Kind noch, Messalina
Führt vor mei­nem Thro­ne Klage
Daß Sie zögern, sie zu ficken.

So der Kai­ser Claudius
Zu dem Büh­nen­künst­ler Mnester.
Majes­tät, erwi­dert jener,
Wäre das nicht unanständig?

– Unan­stän­dig! Sah nicht Rom,
Wie mein Vor­gän­ger, der Gott
Gajus Cae­sar, ohne Hemmung
Sie umarm­te im Theater,

Wie er, die zehn Fin­ger Ihnen
In den Hin­tern eingegraben,
Ihnen tief dabei die Zunge
Sau­gend umge­wälzt im Munde?

Unter unver­hüll­ter Sonne
Tat ers und vor allem Volke.
Der Cali­gu­la, sagt Mnester,
Das war wenigs­tens ein Mann.

Ah, Sie ekelt leicht. Der Kaiser
Winkt. Auf­tritt ein Centurione.
Mit der Gei­ßel kerbt er blutig
Clau­di­us‘ Wunsch in Mnes­ters Rücken.

–  Auf mein Weib zurückzukommen,
Fin­den Sie sie noch zu weiblich?
–  Majes­tät, ich lie­be sie,
Wie als wenn ein Mann sie wäre.”

„Ehret, rat ich, die Frau, doch ent­zieht ihr die Fernsprecherlaubnis.
Wie von jeder, von der macht sie, des Redens Gebrauch.
Und die Geduld miß­ken­nend des all­zu will­fäh­ri­gen Trichters,
Schwatzt sie, durch nie­man­des Weh, nie­man­des Bläs­se belehrt.”

Eines der schöns­ten deut­schen Lie­bes­ge­dich­te ist das Folgende.

„Sie sind die Art von Wie­sen nicht, die locken
Wie Him­mels-Aun, die Wie­sen in der Mark.
Das Gras ist schüt­ter und die Kru­me trocken,
Nicht jedes wächst hier, und was wächst, ist karg.
Blaß­gel­be Blu­men stehn an selt­nen Stellen.
Der wie­der­kehrt, kennt sie als Immortellen.

Sie war ein Kind des Havel­lands, Adele,
Mit Wei­her­augen und mit Heidehaar.
Ich schwör, sie hat­te Sand in ihrer Seele,
Bis sie ein wenig aus­ge­schüt­telt war.
Ich nahm sie auf mich, fast wie eine Bürde,
Ich wuß­te nicht, daß ich sie lie­ben würde.

Sie sind die Art von Wie­sen nicht, die locken
Wie Him­mels-Aun, die Wie­sen in der Mark.
Doch mischt sich Abend in die Wollgrasflocken
Mit sei­ner Feuch­te, strömt ihr Duft sehr stark.
Das von der Mark und von den Märkerinnen.
Man muß die Rei­ze ihnen abgewinnen.”

Was ein Kerl ist, der kann natür­lich auch anders.

„Unge­schla­fen, vollgesoffen,
Ward ich unlängst angetroffen,
Mit ver­quoll­nen Lidern auch,
Auf den Wan­gen Bissemale
Und mit einem Damenshawle
Im Oktobermorgenrauch.

Froh bemerk ich, daß ich schlinger.
Weibs­ge­ruch an Kinn und Finger
Zeugt vom Her­gang die­ser Nacht.
Ob ich gänz­lich nun verwahrlos,
Zitt­rig, leber­lei­dend, haarlos?
Seis! das Bes­te ist vollbracht.”

Ich könn­te jetzt noch ein paar Sonet­te bei­brin­gen, aber das soll­te zur Initia­ti­on fürs Ers­te genügen.

Bei Brecht ist es klar: Man kann nur die Gedich­te lesen. Bei Hacks lohnt sich auch und erst recht die Pro­sa. Er war eine ken­tau­ri­sche Gestalt aus Lin­kem (poli­tisch) und Reak­tio­när (ästhe­tisch). Er ver­ehr­te die Klas­si­ker: „Shake­speare ist, was wir alle wol­len und nicht kön­nen.” – „Von Sopho­kles zu Sart­re; der Titel ist in dem glei­chen Maße sinn­reich wie: Vom Mont­blanc zum Maul­wurfs­hü­gel” – „Die Kunst­rich­tung der Klas­sik bestand aus einem ein­zi­gen Autor, Goethe.”

Sein Essay „Über das Revi­die­ren von Klas­si­kern” hebt fol­gen­der­ma­ßen an: „Es gibt ja Wit­ze, die gan­ze Abhand­lun­gen erset­zen. Einer von ihnen ist der: Ein Hase saust in töd­li­cher Angst über die Fel­der, ein zwei­ter Hase schließt sich ihm an. Nach ein paar hun­dert Mei­len fragt er: Übri­gens, wovor flie­hen wir eigent­lich? – Sie haben, ent­geg­net der ers­te Hase, ein Gesetz erlas­sen, dem­zu­fol­ge allen Hasen das fünf­te Bein abge­sägt wird. – Wenn das so ist, sagt der zwei­te Hase, aber wir haben doch bei­de nur vier Bei­ne. – Du kennst sie nicht, sagt der ers­te; erst sägen sie, dann zäh­len sie.”

Die Con­clu­sio sei kom­plett zitiert (wäre ich ein Stein­metz, ich grü­be sie in Granit):

„Klas­si­ker sind Men­schen, die, vom Glück der Geburt und der geschicht­li­chen Lage geseg­net, mehr zu Wege brach­ten als die Men­schen neben ihnen. Sie hat­ten es durch ihre Vor­ge­zo­gen­heit nicht leich­ter als wir, sicher schwe­rer. Aber wir rüh­men sie nicht um ihrer Tugend wil­len, son­dern um ihres Glücks.
Sie nah­men in hohem Gra­de vor­weg, was der Mensch sein kann. Sie haben die Göt­ter arbeits­los gemacht. Sie sind hei­lig: in ihnen ehren wir den Menschen.
Die Genies sind der Beweis der Hoffnung.
Der from­me Schau­der, mit dem ein Höh­len­be­woh­ner sich vor sei­nem Fetisch nie­der­warf, war nicht so unter­ent­wi­ckelt wie die Frech­heit, mit der heu­ti­ge Thea­ter sich mit dem Shake­speare auf du und du stel­len. Der Tro­glo­dy­te ahn­te doch noch, was ihm abging.
Ich schwär­me nicht, ich bin bei bes­ter Ver­nunft. Ich will die Klas­si­ker unge­ta­delt, nicht unan­ge­wen­det. Ich will sie beweih­räu­chert und ver­stan­den. Ich glau­be an sie; denn ich habe die Erfah­rung gemacht, daß sie mich nie­mals im Stich lassen.
Und man soll­te sie nicht auf einen Sockel stel­len? – Gewiß nicht. Sie ste­hen da längst.
Wer das nicht sehen kann, weiß sei­nen Platz nicht.”

Hacks gehört zu den Autoren, die in einem so blen­den­den Stil schrei­ben, dass ich ihnen jeg­li­chen Un- und Min­der­sinn inhalt­li­cher Art nach­se­he. Sol­chen hat er bei­spiels­wei­se über Kleist geschrie­ben, in sei­nem anno 2000 ver­öf­fent­lich­ten Groß­essay „Zur Roman­tik”, in dem er den Nach­weis zu erbrin­gen meint, dass die deut­schen Roman­ti­ker – Hacks war geschmacks­si­cher genug, Eichen­dorff und Uhland nicht dazu­zu­zäh­len – vom eng­li­schen Geheim­dienst bezahlt wur­den, um mit ihren Schrif­ten eine natio­na­lis­ti­sche, anti­bo­na­par­tis­ti­sche Stim­mung zu erzeu­gen und vor allem Preu­ßen in ein Bünd­nis gegen Frank­reich zu locken.

Sein Urteil über die Roman­ti­ker um Schle­gel, Tieck und E.T.A. Hoff­mann – die Maler bekom­men auch ihr Fett – ist ver­nich­tend: „Kei­ner von ihnen ver­moch­te zu schrei­ben.” Über­dies: „Ein roman­ti­scher Autor ist ein Autor, der die eng­li­sche Lite­ra­tur gele­sen hat, Opi­um ver­zehrt, sexu­ell von patrio­ti­schen Grou­pies betreut wird und Karl Jus­tus Gru­ner zum Füh­rung­of­fi­zier hat.” Gru­ner war könig­lich-preu­ßi­scher Gehei­mer Staats­rat und ers­ter Poli­zei­prä­si­dent von Ber­lin; als eigent­li­che Haupt­fi­gur der Fron­de und Mit­tels­mann zum For­eign Office hat Hacks den Frei­herrn vom und zum Stein aus­fin­dig gemacht.

An die­ser The­se wird schon etwas dran sein; die Fran­zo­sen, notiert Hacks, ver­such­ten umge­kehrt ja das­sel­be, das sei üblich, links die Illu­mi­na­ten, rechts die Rosen­kreu­zer – Hacks war auch der fes­ten Über­zeu­gung, dass eine gro­ße Zahl bekann­ter Per­sön­lich­kei­ten zu sei­ner Zeit für öst­li­che oder west­li­che Geheim­diens­te arbei­te­te –, und so teilt er die Sphä­ren in die pro-napo­leo­ni­sche Klas­sik und die anti-napo­leo­ni­sche Roman­tik, jeweils mit staat­lich-sub­staat­li­cher För­de­rung, und sei es nur ein Rit­ter­kreuz der fran­zö­si­schen Ehren­le­gi­on. „Roman­tisch, sag­ten wir, ist die Stim­mung einer anti­bo­na­par­tis­ti­schen Fron­de. Roman­tisch, sag­ten wir, ist dar­über hin­aus die Stim­mung aller Fron­den” (es spricht ein Eta­tist und Apolli­ni­ker). Dass die Roman­ti­ker rei­ne Auf­trags­ar­bei­ter waren, wird gleich­wohl nie­mand glau­ben; pro­ble­ma­tisch wird es indes, wenn Hacks den Kleist dort mit hin­ein­ver­rührt („Kleist dich­te­te für den eng­li­schen Geheim­dienst”) – Kleist konn­te nicht schrei­ben? du lie­ber Him­mel, dann konn­te es wohl nie­mand –, wenn er Kleis­tens Selbst­mord bzw. sei­ne Eskor­tie­rung der kran­ken Freun­din über Ache­ron, Lethe und Styx in amok­läu­fe­ri­scher Pro­fa­ni­tät vor­nehm­lich dar­aus erklä­ren will, dass er sich finan­zi­ell erle­digt sah, weil die erhoff­ten Hono­ra­re für Pro­pa­gan­da­diens­te nicht geflos­sen waren.

Dass sich Hacks als Lin­ker auf der Sei­te der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on und ihres kai­ser­li­chen nolens-volens-Expor­teurs sowie gegen Hei­li­ge Alli­anz und Reac­tion posi­tio­niert, ist nicht ver­wun­der­lich; als Goe­the-Ver­eh­rer wie­der­um kann er auch den Impe­ra­tor und das Natur­er­eig­nis Napo­le­on wür­di­gen. Gleich­wohl und völ­lig unab­hän­gig von sei­ner Zen­tral­the­se, die so wun­der­voll gegen alle offi­zi­el­len Stri­che geht, ist die­ser Text unend­lich ver­gnüg­lich; mei­net­hal­ben soll er als der glanz­volls­te um eine Ese­lei gespon­ne­ne Essay der neue­ren deut­schen Lite­ra­tur gelten.

Nur ein Bei­spiel. „Die Typo­lo­gie der roman­ti­schen Gat­tin lässt sich kurz und erschöp­fend so dar­stel­len: Die roman­ti­sche Gat­tin las die Wer­ke ihres Gat­ten und wech­sel­te ihn häu­fig”, heißt es im Kapi­tel „Troß­wei­ber”. Als deren Vor­züg­lichs­te wer­den vor­ge­stellt die Damen Johan­na Mother­by und Pau­li­ne Wie­sel. Letz­ge­nann­te „war, im Gegen­satz zu allen ande­ren Roman­ti­ke­rin­nen, eine Schönheit”.

Über ihren Mann lesen wir: „Wie­sels Gat­te und Zuhäl­ter war der Ren­tier und preu­ßi­sche Kriegs­rat Chris­ti­an Wil­helm Andre­as Wie­sel, der an der Aus­lei­hung sei­ner Gemah­lin an Her­ren offen­bar mehr als nur peku­niä­res Ver­gnü­gen gewann. Er ist ein rät­sel­vol­ler Erden­gast, der ihr bald abhan­den kam und sich davon­mach­te. Der häu­figs­te Satz in ihren Brie­fen lau­tet: ‚Lebt Wie­sel noch?’ Sie warf ihm vor, mit ihren ‚Inter­es­sen’ durch­ge­gan­gen zu sein. ‚Inter­es­sen’ heißt Zin­sen. Es gelang Pau­li­ne, ihre frü­hen Bei­schlä­fer noch im hohen Alter aus­zu­neh­men; Wie­seln allein war sie nicht gewach­sen. Ich bin es auch nicht. Er war mit Adam Mül­ler befreun­det, mehr hat kei­ner über ihn herausgefunden.”

Mother­bys Gat­te war ein Arzt, der in Königs­berg die Pocken­imp­fung lei­te­te, kein prak­ti­zie­ren­der Roman­ti­ker. „Auf eine Wei­se waren bei­de, Wie­sel und Mother­by, ein­ver­stan­de­ne Hahn­rei­he. Der Unter­schied zwi­schen ihnen bestand dar­in. Mother­by war das Geschlechts­le­ben sei­ner kräf­te­zeh­ren­den Ehe­liebs­ten völ­lig gleich­gül­tig, je weni­ger er davon hör­te, des­to lie­ber war es ihm, wäh­rend Wie­sel Pau­li­nes Fehl­trit­te in die Wege lei­te­te und Unter­hal­tungs­wert in ihnen fand.”

„Pau­li­nes Leben im Abriß. 1793 bis 1803 sind ihre Män­ner Diplo­ma­ten oder Mili­tärs von der anti­fran­zö­si­schen Alli­anz, Preu­ßen, Öster­rei­cher, Rus­sen. Von 1804 bis 1806 gehört sie Lou­is Fer­di­nand. Von des­sen Tod und Preu­ßens Nie­der­la­ge bei Jena an ist ihr Geld zu Ende, und sie blüht nicht mehr lang. 1807 und 1808 geht sie durch die Hän­de der Besat­zungs­trup­pe. Ab 1808 ver­sucht sie sich in Paris, wo sie durch­rei­sen­den alten Ber­li­ner Freun­den auf­lau­ert oder ein paar Zuschüs­se von ihrer Mut­ter erbet­telt. Sie war zu robust, um ganz unglück­lich zu sein, aber ihre ewi­ge Sehn­sucht galt Wie­seln und ihren von ihm unter­schla­gen Inter­es­sen. 1811 legt sie ein ita­lie­ni­sches Jahr als Rei­se­be­glei­te­rin ein. Ab 1816 gibt sie sich mit ein paar beschei­de­nen fran­zö­si­schen Ehen zufrieden.”

Das ist köst­lich, und damit will ich’s bewen­den las­sen; die­ser Text ver­dient eine geson­der­te Betrachtung.

Für das Schluss­wort wäh­le ich vier Zita­te aus Hack­sens Auf­satz über den Bild­hau­er Fritz Cremer von 1973:

„Ich rede hier über­haupt, was ich will.”

„Kunst muss natio­nal sein.”

„Das höchs­te und schwers­te Ziel der Kunst (ist es), auf beja­hen­de, unge­bro­che­ne, nicht an einem Feind sich stüt­zen­de Art den Inhalt eines erstre­bens­wer­ten und hoch­her­zi­gen Lebens herzuzeigen.”

„Alle Kunst ist schamhaft.”

 

 

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