Bruckner: Symphonie Nr. 8

 

Wenn man eine Lis­te der Künst­ler auf­stel­len woll­te, die das erbärm­lichs­te Leben führ­ten, ran­gier­te Anton Bruck­ner auf einem der Spit­zen­plät­ze. Die meis­ten sei­ner Zeit­ge­nos­sen hiel­ten ihn für einen Nar­ren. Sein ober­ös­ter­rei­chi­scher Dia­lekt, sei­ne inbrüns­ti­ge Reli­gio­si­tät (er bete­te, beich­te­te und fas­te­te unab­läs­sig), sei­ne devo­ten Umgangs­for­men, das Ärm­li­che und Pro­vin­zi­el­le sei­ner Erschei­nung, all das mach­te ihn in Wien zum ver­spot­te­ten Außen­sei­ter. Wäh­rend sei­ne Jung­ge­sel­len-Kol­le­gen Beet­ho­ven oder Brahms wenigs­tens Freund­schaf­ten unter­hiel­ten, war Bruck­ners Ein­sam­keit anschei­nend gren­zen­los. Nie hat sich ein weib­li­cher Kör­per an ihn geschmiegt. Die Fra­ge, war­um er kei­nen geord­ne­ten Haus­stand grün­de, beant­wor­te­te er ein­mal mit den Wor­ten: „Ich habe ja kei­ne Zeit, ich muß jetzt mei­ne Vier­te schrei­ben!“ Er hat­te die gesam­te Wie­ner Kri­tik gegen sich, an der Spit­ze den durch sei­ne Wag­ner-Ver­ris­se rest­be­kann­ten Edu­ard Hans­lick. Man warf ihm Mons­trö­si­tät, Hyper­tro­phie und Wag­ner-Epi­go­nen­tum vor. „Bruck­ner kom­po­niert wie ein Betrun­ke­ner“, schrieb ein Kri­ti­ker. Bis zu sei­nem sech­zigs­ten Lebens­jahr wur­den sei­ne Wer­ke kaum auf­ge­führt. Voll­kom­men ein­zig­ar­tig in der Musik­ge­schich­te sind sei­ne ver­zwei­fel­ten Ver­su­che, die Urauf­füh­rung der Sie­ben­ten Sym­pho­nie zu ver­hin­dern, um der Kri­tik kein wei­te­res Fres­sen zu liefern.

Wer vor die­sem Lebens­hin­ter­grund die Pracht und die Herr­lich­keit sei­ner Musik zur Kennt­nis nimmt, kann wohl gar nicht anders, als gerührt zu sein. Die Rüh­rung weicht als­bald einer Ver­blüf­fung über die gegen-nihi­lis­ti­sche Urkraft und tri­um­pha­le Fei­er­lich­keit von Bruck­ners Wer­ken. Auf dem Grund aus­ge­feil­tes­ter Satz­tech­nik schich­te­te und türm­te die­ser unbe­irrt Gläu­bi­ge die gewal­tigs­ten Klang­mas­si­ve der Sin­fo­nik und sang das jauch­zends­te Got­tes­lob seit Bach. Die Ach­te mit dem Ada­gio aller Ada­gios und dem Fina­le aller Fina­les ist gewis­ser­ma­ßen die Che­ops-Pyra­mi­de unter den Sin­fo­nien. (Es gibt von ihr eine umwer­fen­de Live-Auf­nah­me des Lon­don Sym­pho­ny Orch­s­tra unter Jascha Horen­stein aus dem Jahr 1970, an deren Ende des Publi­kum mit allen Grün­den förm­lich auf­schreit, die aber lei­der nur noch anti­qua­risch zu haben ist.)
 
Anton Bruck­ner: Sym­pho­nie Nr. 8, Gün­ter Wand, Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­ker (RCA)

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Okto­ber 2012 

Vorheriger Beitrag

Pädagogische Geschichtsklitterung

Nächster Beitrag

Nietzsche reloaded?

Ebenfalls lesenswert