Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg

 

Richard Wag­ners Oper „Die Meis­ter­sin­ger von Nürn­berg“, eines der voll­endungs­na­hes­ten Kunst­wer­ke über­haupt, singt das Hohe Lied der Ent­sa­gung und der Inklu­si­on – und ist kei­nes­wegs, wie das ein gewis­ser Herr Hit­ler mein­te und in sei­ner Nach­fol­ge eini­ge Regis­seu­re insze­nie­ren, ein natio­na­lis­ti­sches oder gar völ­ki­sches Werk. (Bezeich­nend für die­se Dumpf­beu­te­lei ist eine Tage­buch­no­tiz von Goeb­bels, der aus dem „Wach auf“-Chor des Drit­ten Auf­zu­ges einen „Wacht auf“-Chor mach­te.) Und erst recht han­delt es sich um kein anti­se­mi­ti­sches Werk. Es ist eine unsin­ni­ge Idee, der Stadt­schrei­ber Six­tus Beck­mes­ser, der kon­ser­va­tivs­te, tra­di­ti­onssturs­te der Meis­ter­sin­ger, sei eine Juden-Kari­ka­tur bzw. eine jüdi­sche Figur. Eher wäre der Regel­bre­cher und Neue­rer Stolz­ing eine. Beck­mes­ser als Jude, das wür­de nur stim­mig wir­ken, wenn alle Meis­ter­sin­ger Juden sein soll­ten und mit­hin Stolz­ing der ein­zi­ge Goi. Hui, na das stün­de aber auch unter „Antisemitismus“-Verdacht! Aber las­sen wir den Quatsch.

Tat­säch­lich wird Beck­mes­ser, nach­dem er „ver­sun­gen und ver­tan“ hat, nicht aus der Nürn­ber­ger Gemein­schaft ver­sto­ßen, son­dern er „ver­liert sich unter dem Vol­ke“ (so Wag­ners Regie­an­wei­sung). Stolz­ing indes wird in die Gemein­schaft auf­ge­nom­men. Soweit die Inklu­si­on. Was die Ent­sa­gung angeht: Wag­ner ver­ar­bei­tet in den „Meis­ter­sin­gern“ sei­nen end­gül­ti­gen Abschied von Mat­hil­de Wesen­don­ck, so wie im „Tris­tan“ die (uner­füll­te) Lie­be zu ihr. Er hat sich also von Tris­tan, der mit Isol­de nicht zusam­men sein kann, in Sachs ver­wan­delt, der auf Eva ver­zich­tet, und die­sem Ver­zicht ein musi­ka­li­sches Denk­mal gesetzt. Er zitiert sogar den Tris­tan im Orches­ter, der­weil Sachs singt: „Von Tris­tan und Isolde/Kenn’ ich ein trau­rig Stück:/Hans Sachs war klug, und wollte/Nichts von Herrn Mar­kes Glück.“ Am 24. Okto­ber 1867 tele­gra­phiert er an Hans von Bülow: „Heu­te Abend Schlag 8 Uhr wird das letz­te C nie­der­ge­schrie­ben. Bit­te um stil­le Mit­fei­er. Sachs.“

Ansons­ten behan­delt die Oper Wag­ners typi­sches Zen­tral­the­ma: die Rol­le des Künstlers/der Kunst in der Gesell­schaft. Das Text­buch ist (neben „Salo­me“ und „Rosen­ka­va­lier“) das bes­te des Gen­res, die Musik über­trifft alles, was Wag­ner sonst kom­po­niert hat, ver­mut­lich weil in den „Meis­ter­sin­gern“ noch mehr Bach steckt als im „Par­si­fal“. Die emp­foh­le­ne Auf­nah­me ist eine Mono-Ein­spie­lung von 1956, aller­dings mit einer Sän­ger­be­set­zung, die aus heu­ti­ger Sicht nahe­zu über­ir­disch wirkt, vor­an Fer­di­nand Frantz als der wohl bes­te Sachs über­haupt, geführt von einem wie stets gran­dio­sen Kempe.

 

Richard Wag­ner, Die Meis­ter­sin­ger von Nürn­berg, (4 CD’s); Rudolf Kem­pe; Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­ker; E. Grüm­mer, M. Höff­gen, F. Frantz, B. Kusche, R. Schock, G. Frick (Mag­da­len)

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei, Mai 2012

 

Vorheriger Beitrag

Selbstgespräch

Nächster Beitrag

Auferstanden – in die Unsterblichkeit

Ebenfalls lesenswert