Den Titel „der Große“ erwarb sich Preußens Friedrich als Feldherr in drei Kriegen, mit denen er das europäische Machtgefüge veränderte – und mit einer Armee, die keineswegs dem Klischee von Korporalsstock und Spießrutenlauf entsprach.
Die Anekdote, überliefert von Friedrichs Vorleser Henri de Catt, illustriert den Nimbus, den der König sogar bei seinen Gegnern genoss. Als Herrscher eines unbedeutenden kleinen Staates und einziger „Roi-Connétable“ seiner Zeit (König und Feldherr in Personalunion) war er ins europäische Machtgefüge eingebrochen, hatte den Österreichern 1740 Schlesien weggenommen und verteidigte nun zäh seine Beute gegen eine erdrückende Übermacht von Feinden.
Speziell den Siebenjährigen Krieg (1756–63) konnte Friedrich im Grunde nicht gewinnen. Mit Österreich, Frankreich und Russland standen ihm drei Mächte gegenüber, die an Menschen und Material bereits jeweils einzeln überlegen waren. Zur Feindkoalition gehörten außerdem Schweden und, wegen Friedrichs Einfall ins neutrale Sachsen, die Reichsarmee. England, das in Übersee Krieg mit Frankreich führte und an dessen Schwächung interessiert war, unterstützte Preußen als einziger Verbündeter vor allem mit Geld. „Ich bin in der Lage eines Wildes, das überall umstellt wird und keine große Wahl hat als den ihm Nächsten anzufallen“, erklärte Friedrich gegenüber de Catt.
Und wie er sie anfiel, gegen alle Regeln und Erwartungen. Bei Roßbach anno 1757 attackierten 22 000 Preußen die doppelte Anzahl Franzosen und Reichsdeutsche und schlugen sie in die Flucht, einen Monat später bei Leuthen waren es gar 29 000 Preußen gegen 66 000 Österreicher, mit demselben Ergebnis, und bei Zorndorf 1758 besiegten 37 000 Preußen 45 000 Russen. Mit diesen Triumphen avancierte Friedrich zum Nationalhelden einer (noch) gar nicht vorhandenen Nation; auch der junge Goethe fühlte sich „fritzisch gesinnt“.
Die Siege konnten freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Friedrichs Konzept des schnellen, entscheidenden Schlages bereits im ersten Kriegsjahr bei Prag gescheitert war und nun geschah, was nicht geschehen durfte: ein Abnutzungskrieg, den er eigentlich nur verlieren konnte. Nach der schweren Niederlage bei Kunersdorf (1759) stand er die Jahre bis zum Zerfall der Feindkoalition, von Gicht, Fieber, Hämorrhoiden, Koliken, Zahnschmerzen und Selbstmordgedanken geplagt, mit der „Haltung eines Indianers am Marterpfahl“ durch, wie Sebastian Haffner schrieb.
Und das Heer hielt klaglos mit durch. Das ist überraschend, wenn man sich die gängigen Klischees über preußisches Militär im Zeitalter des Absolutismus vor Augen hält: Zwangsrekrutierung, unbarmherziger Drill, drakonische Strafen, mehr Angst vor dem Unteroffizier als vor dem Feind, und wenn es sich um einen besonders tapferen Truppenteil handelte, unterstellt der progressive Historiker gern „Kadavergehorsam“.
Preußen besaß in diesem Krieg nicht nur den besten Feldherren, sondern auch die besten Soldaten. Sie waren gut geschult, diszipliniert, schier endlos belastbar, ergeben und mutig. Die militärische Qualität dieser von Anfang an kleinsten Armee unter den Hauptbeteiligten des Krieges hat im Laufe der Jahre durch die Verluste und Neurekrutierungen natürlich gelitten – nicht aber ihre Moral und ihr Schneid. Sie ertrug mörderische Schlachten mit für diese Zeit unerhörten Verlusten ebenso wie die unentwegten Gewaltmärsche, mit denen Friedrich seine Feinde ausmanövrierte. Den Winter 1759/60 überstanden Teile der Armee auf der Schlesischen Hochebene sogar in Zelten.
Friedrichs Armee „verließ sich, was ihre Effektivität betraf, viel mehr auf ihren Kampfesgeist als auf ihre formelle Disziplin“, notiert der amerikanische Historiker Dennis Showalter. „Was in den Armeen des 20. Jahrhunderts Schleiferei genannt wird, war in einem preußischen Heerlager erstaunlicherweise nicht zu finden.“ Zumindest in den aus Landeskindern bestehenden Truppenteilen gab es auch kaum Deserteure.
Erschienen in: Focus 3/2012