Wer mit einer Pianistin verheiratet ist, kommt zuweilen in die glückliche Lage, ein Stück viel näher kennenzulernen als in elf Konzerten und durch dreiundzwanzig Konserven. Naturgemäß steht jenes in Rede, das sie gerade einstudiert. Im konkreten Falle handelt es sich um u.a. Robert Schumanns „Carnaval”. Dieses Stück ist Programmmusik im besten Sinne, ein Reigen von Masken, in dem sowohl Schumann selber (wie immer im Frühwerk aufgespalten in „Florestan” und „Eusebius”), seine (bald Ex-)Verlobte Ernestine von Fricken (im Stück „Estrella”) sowie die allmählich in sein Leben drängende Clara Wieck („Chiarina”) auftauchen (vergleicht man beide Stücke, hat Clara sein Herz wohl schon gewonnen), ferner die Freunde Chopin und Paganini. Wie zu erwarten, ist „Paganini” der technisch heikelste Passus. Die meisten der 20 Nummern sind charaktervolle, fröhliche Miniaturen, eingerahmt vom wuchtig-fanfarigen Anfangsteil „Préambule”, endend im fröhlichen Marsch der „Davidsbündler” (ein u.a. von Schumann gegründeter Künstlerkreis) gegen die „Philister” (der Rest, die Spießbürger).
Der „Carnaval“ entstand 1834/35. Die von Frickens kamen aus dem böhmischen Städtchen Asch, dessen Name Grundlage des Zyklus ist: Schumann verwendet die Tonfolgen A‑Es-C‑H und As-C‑H als Gerüst des Ganzen. Eigentlich sollte das Werk den deutschen Titel „Fasching“ bekommen (worin sich wiederum As-C‑H versteckt), wurde aber dann modisch französisiert zu: „Carnaval. Scènes mignonnes sur quatre notes“. Was die Stücke außerdem noch zusammenhält, ist, be- oder empfiehlt mir die Gattin zu schreiben, dass sie „eine Ode an den Walzer” sind.
Nun muss ich noch die zweitbeste Interpretation empfehlen. Fast alle großen Pianisten haben „Carnaval” eingespielt, die Frau präferiert Kissin, ich natürlich Gieseking und Cortot. Einigen wir uns auf Michelangeli.
Robert Schumann: Carnaval/Faschingsschwank, Arturo Benedetti Michelangeli (Deutsche Grammophon)
Erschienen in: eigentümlich frei