Gustav Mahler: Des Knaben Wunderhorn

 

Für Gus­tav Mahler exis­tier­ten Sym­pho­nie und Lied in einer weit enge­ren Ver­bin­dung als für alle sei­ne Kol­le­gen. Mit dem „Lied von der Erde“ schrieb er eine aus sechs Lie­dern bestehen­de „Sym­pho­nie“ (so der Unter­ti­tel), in sei­nen „regu­lä­ren“ Sym­pho­nien wie­der­um zitiert er eige­ne (und ande­re) Lie­der, die ers­ten vier sei­ner Orches­ter­groß­wer­ke sind spä­ter gar unter dem Ter­mi­nus „Wun­der­horn-Sym­pho­nien“ zusam­men­ge­fasst wor­den, drei von ihnen ent­hal­ten Sät­ze mit Lied­ge­sang. Die­se offen­kun­di­ge Ver­schrän­kung soll­te für mei­nem Geschmack auch die Fra­ge beant­wor­ten, ob Mahlers Lie­der mit Orches­ter- oder Kla­vier­be­glei­tung bes­ser klin­gen: Es sind Orches­ter­lie­der. Jede ver­glei­chen­de Stich­pro­be beweist es. Die sin­gu­lä­re Laut­ma­le­rei, die vie­len Soli, die Hei­lig­spre­chun­gen der Blech­blä­ser, das zuwei­len üppi­ge Schlag­werk: der­glei­chen kann das Kla­vier – ganz anders als etwa bei Mus­sorgskis „Bil­dern einer Aus­stel­lung“ – nicht im Ansatz aufwiegen. 

Merk­wür­di­ger- oder typi­scher­wei­se hat Mahler neben eini­gen Gedich­ten von Fried­rich Rück­ert fast aus­schließ­lich Ver­se aus der Samm­lung „Des Kna­ben Wun­der­horn“ ver­tont. Die volks­tüm­lich schie­fen, teils instän­di­gen, teils grau­si­gen Tex­te aus der Zeit vom Spät­mit­tel­al­ter bis zum Barock, so skur­ril und so deutsch wie nur irgend­et­was, hat Mahler adäquat in Töne gesetzt, eben­falls so skur­ril und deutsch wie nur irgend­et­was. Es ist eine Welt der Vieh­mäg­de und Husa­ren, der Deser­teu­re und Schild­wa­chen, der Trom­meln, Mär­sche und Abschieds-Lie­bes­schwü­re. Die „Revel­ge“, ein Dan­se macab­re, und der arme, auf sei­ne Hin­rich­tung war­ten­de „Tamboursg’sell“ gel­ten als die avan­cier­tes­ten Stü­cke der Samm­lung. „Wo die schö­nen Trom­pe­ten bla­sen“ steht mir frei­lich noch dar­über; es ist eines der ergrei­fends­ten Lie­der über­haupt hie­nie­den – und ich bezweif­le, dass die Eng­lein schö­ne­re kön­nen. Mei­ne Lieb­lings­auf­nah­me der „Wunderhorn“-Lieder ist die mit Chris­ta Lud­wig, Wal­ter Ber­ry, Leo­nard Bern­stein und den New Yor­ker Phil­har­mo­ni­kern (CBS), die aber, scheint’s, momen­tan nur anti­qua­risch zu haben ist. Des­halb emp­feh­le ich mei­ne zweitliebste.

Gus­tav Mahler: Des Kna­ben Wun­der­horn; Eli­sa­beth Schwarz­kopf, Diet­rich Fischer-Die­skau, Geor­ge Szell, Lon­don Sym­pho­ny Orches­tra (EMI)  

 

Erschie­nen in: eigen­tüm­lich frei

 

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