Interview mit „horizonte – Das Magazin für sozialdemokratische Politik in Mecklenburg-Vorpommern”
Horizonte: Herr Klonovsky, glauben Sie eigentlich an Gott?
Nein. Was ich in gewissem Sinne bedauere.
Horizonte: Und das bedauern Sie warum?
Weil ich gezwungen bin, entweder irgendeinen Unsinn zu glauben oder nichts zu glauben. Die Konsequenzen aus Letzterem sind ja, wenn man sie ernsthaft durchdenkt, verheerend.
Horizonte: Wollen Sie für uns die Konsequenzen mal kurz durchdenken? Die Leute scheinen doch in der säkularisierten Welt ganz vergnügt zu sein.
Die Konsequenz heißt Nihilismus, also Glaube an nichts. Oder der ausschließliche Glaube an das eigene Selbst, was übrigens ungefähr dasselbe ist. Man muss dann akzeptieren, dass mit einem selbst nichts beabsichtigt ist. Dass also der persönliche Vorteil das einzige Kriterium ist. Dass nichts wertvoll, nichts sündhaft und nichts schlimm ist – denn woran sollten sich Werte festmachen? Einzig am gerade herrschenden Strafrecht. Was den tatsächlich ungläubigen Menschen lenken müsste, wären Genusssucht auf der einen, Feigheit auf der anderen Seite. Er hat kein Interesse, das nicht an seinem Nutzen orientiert ist. Warum soll er lieben? Warum zeugen? Warum die Ressourcen schonen? Es gibt nicht den geringsten Grund.
Horizonte: Weil’s Spaß macht vielleicht? Herr Klonovsky, Sie machen ja schließlich auch weiter, obwohl Sie nicht an Gott glauben. Was also wäre gegen die blanke Vergnügungssucht eigentlich einzuwenden?
Nichts. Aus dieser Perspektive wäre freilich auch nichts dagegen einzuwenden, die Bevölkerung eines Landes auszulöschen. Kann ja auch Spaß machen. Die Gattung kann aus Spaß den gesamten Planeten verheizen, klar. Nun können Sie einwenden, dass dergleichen ja nicht und nur teilweise geschieht. Richtig – weil die Menschen eben doch glauben.
Horizonte: Habe ich das richtig verstanden? Aus Ihrer Sicht übernimmt der Glaube an Gott eine Funktion gesellschaftlicher Integration und Einhegung – oder kann dies zumindest? Und der Wegfall des Gottesglaubens öffnet durch Abwesenheit den Raum für die Barbarei? Und wie ist das dann mit Ihnen selbst – und den islamischen Gotteskriegern?
Gewiss haben die Religionen eine ordnungsstabiliserende, das Tier im Menschen domestizierende Funktion. Dieser Gedanke steckt im Satz Gregors des Großen: „Alle Macht ist gut.” Für den modernen Menschen eine ungeheure Provokation. Versuchen Sie mal, mit diesem Satz das Gespräch auf einer Party zu eröffnen! Der moderne Mensch wird aggressiv, wenn er seine materiellen Freiheiten eingeschränkt sieht. Wo er doch so gern vögelt und konsumiert. Er wird sofort „Hitler!” rufen und den Machtmissbrauch anprangern. Missbrauchen lassen sich aber auch die Mathematik, die Eisenbahn und das Kamasutra. Die Abwesenheit Gottes eröffnet den Raum für Kulturlosigkeit, für die schrankenlose Freiheit der Dekadenz. Der versucht man mit allerlei Ersatzreligionen beizukommen, was immer noch besser ist als das nackte Nützlichkeitsdenken. Die Gotteskrieger wiederum haben ja nicht das Mandat Gottes. Sie sind eben Fanatiker.
Horizonte: Nun würden die Aufklärer Ihnen aber entgegnen, dass an die Stelle des toten Gottes Aufklärung, Menschenrechte und Humanismus getreten sind. Politisch findet das im „Verfassungspatriotismus” seinen Niederschlag. Und auf was Anderes sonst sollten sich Christen wie Nicht-Christen in einem irdischen Staat als Minimalregeln des gemeinsamen Zusammenlebens einigen?
Das sind alles religiöse oder eben doch: religiös verwendete Begriffe. Im Namen der Menschenrechte sind schon verdächtig viele Menschen umgebracht worden, oder? Der Begriff „Verfassungspatriotismus” stammt von Dolf Sternberger, der sich übrigens das A im Namen weggemacht hat, wegen eines Herren, auf den man im Zusammenhang mit Ersatzreligionen unweigerlich zu sprechen kommt. An die Stelle des in unserem Weltteil eher toten Gottes sind in der Tat zahlreiche Ersatzreligionen getreten. Die der sozialen Gerechtigkeit etwa, oder der Naturkult, oder die tägliche schwarze Messe um das tote Alien aus Braunau. Ich werfe deren Anhängern keineswegs vor, dass sie für ihre, wie Soziologen sagen, frei flottierenden religiösen Bedürfnisse Bezugspunkte suchen. Ich finde bloß die meisten Bezugspunkte viel verrückter, als die Gottesidee es je sein könnte.
Horizonte: Sie kommen selbst auf Hitler im Zusammenhang mit „Ersatzreligionen” zu sprechen. Was genau meinen Sie damit? Hitler als Gegen-Jesus? Immerhin darf man unsere Verfassung inklusive den Menschenrechten ja in der Tat als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus verstehen.
Verfassungsentwürfe gegen Hitler gab es in der Sache schon lange vor Hitler. Cato zum Beispiel ist auch schon gegen Hitler gewesen. „Du sollst nicht töten”, galt lange vor Hitler. Aber in der Tat hat Hitler als gegengöttliche Figur eine Nachkriegskarriere hingelegt, um die ihn in der Hölle vor allem Mao und Stalin beneiden dürften. Den Negativ-Kult um ihn kann man wohl kaum anders denn als religiös bezeichnen. So gesehen ist zwar Gott vielleicht tot, der Teufel dafür so lebendig wie nie zuvor. Er übernimmt zunehmend die gesellschaftliche Integrationsleistung, die einmal Gott hatte, dessen Stellvertreter auf Erden übrigens derzeit Barack Obama heißt. Wer im „Kampf gegen Rechts” dem Teufel persönlich auf die Pelle rückt, beansprucht selbst die Position des absolut Guten. Jeden Tag werden Allerweltskonservative und ‑Rechte von sogenannten Antifaschisten denunziert, auf dass sie möglichst ihren Job, mindestens ihren Ruf verlieren – 1933 en miniature. Es ist aber nicht gut, das deutsche Kind mit dem nationalsozialistischen Bade auszuschütten. Wenn der Patriotismus ganz verschwunden ist, ist am Ende womöglich auch die Verfassung futsch.
in: Horizonte, Nr. 28/Frühjahr 2009, S. 14–15