Sünderin sowieso

Nach ihrem Raus­schmiss bei „Ker­ner“ befin­det sich Eva Her­man auf dem Weg zur Unper­son. Der media­le Umgang mit ihr wirft die Fra­ge auf: Wie frei ist die Rede in Deutsch­land?

Die­se Frau muss ein ver­dammt dickes Fell haben. Oder eine Idea­lis­tin reins­ten Was­sers sein. Jeden­falls ist kaum jemand — und vor allem kei­ne Frau — in letz­ter Zeit hier­zu­lan­de der­ma­ßen beschimpft und ver­un­glimpft wor­den. Den­noch hat sich Eva Her­man zu ihrer öffent­li­chen Hin­rich­tung qua­si selbst­stän­dig bereit­ge­fun­den und ins Stu­dio des ZDF begeben.

Dort saß, als eine Art freund­li­cher Inqui­si­tor, Johan­nes Bap­tist Ker­ner, der genau wie Frau Her­man wuss­te, was vor­her so alles über sie geschrie­ben wor­den war. Etwa dass ihre Ansich­ten „zwi­schen Stein­zeit­keu­le und Mut­ter­kreuz“ zu ver­or­ten wären, wie Ali­ce Schwar­zer mein­te. Dass sie gar „zum Kno­chen­kot­zen“ sei­en, ver­mut­lich nach Ein­satz der besag­ten Keu­le, wie die Schrift­stel­le­rin Karin Duve ele­gant for­mu­lier­te. Dass die Autorin Thea Dorn in Her­mans Best­sel­ler „Das Eva-Prin­zip“ einen „anti­frei­heit­li­chen, tota­li­tä­ren Kern“ aus­fin­dig und dann prompt das „Eva-Braun-Prin­zip“ dar­aus gemacht hatte.

Dass der Vor­abend­se­ri­en­schau­spie­ler Jan Fed­der coram publi­co „Eva, du hast ein Loch im Kopf, Eva, mach dir einen Nazi-Zopf“ gesun­gen und die „Bild“-Zeitung gefragt hat­te: „Ist Eva Her­man braun oder nur doof?“, was die „Welt am Sonn­tag“ wie­der­um abwan­del­te in: „Ist Eva Her­man eine ver­kapp­te Brau­ne? Eine Durch­ge­knall­te?“ Dass die „Frank­fur­ter Rund­schau“ sie zur „Mut­ter­kreuz­züg­le­rin“ erklär­te und der Kaba­ret­tist Oli­ver Pocher sie nach Hit­lers Schä­fer­hund „Blon­di“ genannt und gewit­zelt hat­te, ihr nächs­tes Buch wer­de wohl „Mein Kampf“ hei­ßen. Und ganz sicher hat Ker­ner gewusst, dass die „Bild am Sonn­tag“ die Gesin­nungs­sün­de­rin neben dem „Füh­rer“ abge­bil­det und geschlag­zeilt hat­te: „Eva Her­man lobt Hit­lers Familien-Politik.“

Ker­ner hat­te die Geschmäh­te schon ein­mal, gewis­ser­ma­ßen nach der ers­ten Belei­di­gungs­wel­le, zu sich in die Sen­dung gebe­ten, dann aber wie­der aus­ge­la­den. Nun­mehr konn­te der Mode­ra­tor sicher sein, dass es unge­fähr ähn­lich viel Mut erfor­dern wür­de, die­se Frau final vor­zu­füh­ren, wie eine ange­pflock­te Anti­lo­pe mit der Pump­gun zu erle­gen. Inzwi­schen hat­te die Ex-„Miss Tages­schau“ ihren Mode­ra­to­ren­job beim NDR ver­lo­ren, und Anfang Sep­tem­ber konn­te man in der „Welt“ lesen, dass die Ham­bur­ger Socie­ty sie zuneh­mend schnei­de: Ihr „gesell­schaft­li­cher Sta­tus als Per­so­na non gra­ta kün­dig­te sich schon nach ihrem Buch ‚Das Eva-Prin­zip’ an. Schon damals ver­schwand sie von den Gäs­te­lis­ten gro­ßer gesell­schaft­li­cher Ereig­nis­se“, regis­trier­te das Blatt.

Ist Eva Her­man „eine sol­che Bedro­hung“, wun­der­te sich die Züri­cher „Welt­wo­che“ nach ihrem Raus­schmiss beim NDR, „dass man sie so weit als irgend mög­lich aus der Öffent­lich­keit ent­fer­nen muss­te“? Natür­lich weiß jeder, aber auch jeder der hier Zitier­ten inklu­si­ve Ker­ner ganz genau, dass die­se Frau im Kopf unge­fähr so braun ist wie der­zeit drau­ßen her­um brü­nett. In ihren Büchern geht es ledig­lich um die Freu­den von Mut­ter­schaft und Kin­der­er­zie­hung, sie plä­diert gegen die Dis­kri­mi­nie­rung der Haus­frau­en und gegen die all­zu frü­he „Abschie­bung“ von Kin­dern in Kin­der­ta­ges­stät­ten, und sie hat­te sich sogar brav an einer Initia­ti­ve „gegen rechts“ betei­ligt. Trotz­dem wur­de das Ruf­mord­ri­tu­al durch­ge­spielt, ein­zig um jeman­den zu erle­di­gen, der etwas ande­res meint, als es der aktu­el­le Zeit­geist gebietet.

Mag sein, dass Ker­ner der Delin­quen­tin auch nur Gele­gen­heit geben woll­te, sein Stu­dio in ein Minia­tur-Canos­sa zu ver­wan­deln. Der Ver­lauf des Gesprächs und vor allem die Tat­sa­che, dass er Her­man aus­ge­rech­net in dem Moment vor die Tür setz­te, als sie über ein so unver­fäng­li­ches The­ma wie Kin­der­ta­ges­stät­ten in Sach­sen-Anhalt sprach, las­sen indes den Ver­dacht sprie­ßen, dass alles ein abge­kar­te­tes Spiel war.

Bei der Prä­sen­ta­ti­on ihres zwei­ten anti­fe­mi­nis­ti­schen Buchs im Sep­tem­ber war Her­man ein sprach­li­cher Kud­del­mud­del unter­lau­fen, der sich, wenn man sehr bös­wil­lig las, so inter­pre­tie­ren ließ, als sei ihr die NS-Fami­li­en­po­li­tik irgend­wie sym­pa­thisch, und dar­auf soll­te sie offen­bar um jeden Preis fest­ge­na­gelt werden.

„Sie ver­wech­selt Faschis­mus und Kon­ser­va­tis­mus“, dozier­te der His­to­ri­ker Wolf­gang Wip­per­mann, Her­aus­ge­ber eines „Rot­buchs“ gegen das „Schwarz­buch des Kom­mu­nis­mus“ und gele­gent­li­cher Autor beim „Neu­en Deutsch­land“, der als eine Art gela­de­ner Pro­zess­gut­ach­ter im ZDF-Publi­kum saß. Dabei hat es doch exakt anders­her­um begon­nen: Es waren Her­mans Kri­ti­ker, die bei­des par­tout ver­wech­seln woll­ten und aus ihr eine ver­kapp­te NS-Sym­pa­thi­san­tin machten.

Mehr­fach beton­te die sol­cher­ma­ßen Ange­klag­te, sie sei falsch ver­stan­den wor­den, aber es half ihr nichts — Ker­ner ver­lang­te eine öffent­li­che Abbit­te. Nur: Mit wel­chem Recht for­dert ein TV-Tal­ker von einem ande­ren Men­schen, er sol­le sich vom Teu­fel distan­zie­ren? Hier gilt, was der Phi­lo­soph Odo Mar­quard in ähn­li­chem Kon­text auf die Kurz­dia­log­form brach­te: „Legi­ti­mie­ren Sie sich!“ — „Bit­te nach Ihnen!“

Der Eklat voll­zog sich mit einer gewis­sen Prä­zi­si­on und mit Unter­stüt­zung der ande­ren Gäs­te. Aber dies­mal sind die, frei nach Mar­tin Wal­ser, „Tabu­züch­ter im Diens­te der Auf­klä­rung“ womög­lich zu weit gegan­gen. Die Her­mans­schlach­tung hat das Publi­kum in eine wah­re Rage ver­setzt. Wer­tet man die Zehn­tau­sen­den von Online-Kom­men­ta­ren und Foren­bei­trä­gen als reprä­sen­ta­tiv für das, was die Leu­te bewegt, war der Skan­dal bei Ker­ner wich­ti­ger als alle Debat­ten von Arbeits­lo­sen­geld bis Bahn­streik zusammen.

„Mit dem Zwei­ten soll man ja angeb­lich bes­ser sehen. Man muss dafür aller­dings rela­tiv schmerz­frei sein oder die Fähig­keit besit­zen, kurz­fris­tig aus­zu­blen­den, dass man in einer Demo­kra­tie lebt“, zürn­te die Redak­ti­on von Welt online. Von einem „Tri­bu­nal“ sprach der Publi­zist Hen­ryk M. Bro­der (der frei­lich gern selbst mal das eine oder ande­re ver­an­stal­tet), und zwar „mit Her­man als Ange­klag­ter, Ker­ner als Anklä­ger und drei Geschwo­re­nen, die ihr Urteil schon vor Beginn der Ver­hand­lung gefällt hat­ten“. Auf den Online-Sei­ten der „Süd­deut­schen Zei­tung“ war sogar kurz von Kerners „Volks­ge­richts­hof“ die Rede, bevor sich die Redak­ti­on auf die For­mu­lie­rung „Lai­en­ge­richt“ zurückzog.

Längst ist außer Sicht gera­ten, wor­um es eigent­lich geht. Die­je­ni­gen, die woll­ten, dass über Her­mans The­sen gar nicht erst debat­tiert wird, haben ihr Ziel erreicht: Anstatt über die fami­li­en­po­li­ti­sche Lage anno 2007 redet man über die Fami­li­en­po­li­tik der Nazis.

Anschei­nend darf die soge­nann­te moder­ne Frau alles sein, Kar­rie­ris­tin, Eman­ze, Kanz­le­rin, Poli­zis­tin, Pries­te­rin, Boxe­rin, Grü­nen-Spre­che­rin, Domi­na — nur eines nicht: Haus­frau und Mut­ter. Irgend­et­was muss faul sein in einem Staat, wo die zumin­dest sor­gen­vol­len Aus­füh­run­gen der eins­ti­gen „Tagesschau“-Sprecherin für Blöd­sinn erklärt wer­den, nicht aber das tum­be Gere­de von „Emma“-Herausgeberin Schwar­zer, die auf die Fra­ge, ob es sie nicht irri­tie­re, dass hier­zu­lan­de immer weni­ger Kin­der gebo­ren wer­den, ent­geg­ne­te, man müs­se doch „dem ‚Füh­rer’ kein Kind mehr schenken“.

Bei die­ser Debat­te ist es uner­läss­lich, an den demo­gra­fi­schen Hin­ter­grund­zu erin­nern, vor dem sie sich voll­zieht: Die Bevöl­ke­rungs­py­ra­mi­de der Bun­des­re­pu­blik dreht sich all­mäh­lich auf den Kopf, es wer­den immer weni­ger ein­hei­mi­sche und mehr Ein­wan­de­rer­kin­der gebo­ren, nament­lich deut­sche Aka­de­mi­ke­rin­nen pflan­zen sich sel­ten fort. Kurz vor ihrem Hin­aus­wurf sag­te Her­man: „Wir ster­ben aus. Wir krie­gen die demo­gra­fi­sche Kur­ve nicht mehr.“ Die Ant­wort Kerners: „Na ja, dann gibt es ein paar mehr Chi­ne­sen — also ins­ge­samt, was die Welt­be­völ­ke­rung angeht, mache ich mir um das Aus­ster­ben nicht all­zu vie­le Gedanken.“

Viel­leicht hät­te mal einer den Mode­ra­tor dar­an erin­nern sol­len, dass es auch um sein Publi­kum geht. Inkon­se­quen­ter­wei­se hat Ker­ner sel­ber drei Kin­der gezeugt, die übri­gens von sei­ner Frau daheim auf­ge­zo­gen wer­den, also ganz im Sin­ne Eva Her­mans, die Ker­ner aber aus sei­ner Sen­dung warf, weil er ihre The­sen zur Rol­le der Frau irgend­wie gefähr­lich oder zumin­dest rück­stän­dig fand — abson­der­li­che Welt.

Auch damit, dass sie für die Zer­stö­rung der Fami­lie den durch die 68er-Gene­ra­ti­on gepräg­ten Zeit­geist ver­ant­wort­lich macht, steht Her­man kei­nes­wegs allein da, das tun und taten auch ande­re, etwa der Ber­li­ner Medi­en­phi­lo­soph und Vier­fach­va­ter Nor­bert Bolz in sei­nem Buch „Die Hel­den der Familie“.

Sie hät­te doch wis­sen müs­sen, was man sagen dür­fe und was nicht, tönt es inzwi­schen aus eini­gen Redak­ti­ons­stu­ben. „Das eigent­lich Erschre­cken­de“, meint der Jour­na­list Ste­fan Nig­ge­mei­er in sei­nem viel gele­se­nen Blog, sei, „wie dumm jemand sein kann, wie ahnungs­los, wie dilet­tan­tisch und lai­en­haft in einer Medi­en­welt, in der sie sich seit vie­len Jah­ren pro­fes­sio­nell bewegt“. Ein merk­wür­di­ges Debat­tier­ver­ständ­nis: Als Nicht­me­di­en­pro­fi soll man bei heik­len The­men also am bes­ten gleich die Klap­pe halten?

In Gestalt einer simp­len und unge­schickt agie­ren­den Ex-TV-Mode­ra­to­rin ver­kör­pert sich eine Grund­satz­fra­ge hie­si­gen Selbst­ver­ständ­nis­ses: Wie lan­ge soll Hit­ler noch eine Haupt­rol­le in der deut­schen Innen­po­li­tik spie­len? Ist ein Punkt der Ver­gan­gen­heits­fi­xie­rung erreicht, bei dem, wie Fried­rich Nietz­sche schrieb, „das Leben­di­ge zu Scha­den kommt, und zuletzt zugrun­de geht, sei es nun ein Mensch oder ein Volk oder eine Cul­tur“? Ist in irgend­ei­nem ande­ren demo­kra­ti­schen Land der Welt zu die­sem The­ma ein der­ar­ti­ges Tri­bu­nal denk­bar, bei dem der Mode­ra­tor zudem bekun­det, es sei ihm egal, ob sich das eige­ne Volk fort­pflanzt oder ob es der Chi­ne­se tut?

„Ich ver­ste­he nicht, dass der Inten­dant des ZDF nicht an sich run­ter­kotzt, wenn er das sieht“, sag­te Harald Schmidt über Kerners kom­plett scham- und pie­tät­freie Bericht­erstat­tung vom Erfur­ter Schul­mas­sa­ker anno 2002. Viel­leicht klappt’s ja diesmal.

Erschie­nen in: Focus 42/2007, S. 36 ff.

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