Mein Podcast zum Thema „kulturelle Aneignung”, fürs Protokoll verschriftlicht.
Ein Gespenst geht um in der westlichen Welt, es heißt „kulturelle Aneignung“ oder „cultural appropriation“. Was mag das sein? Fragen wir die allwissende Abraumhalde. Als „kulturelle Aneignung“, steht auf der Wikipedia zu lesen, „wird die Übernahme von kulturellen Ausdrucksformen oder Artefakten, Geschichte und Wissensformen von Trägern einer anderen Kultur oder Identität bezeichnet“.
Das müssen wir uns merken: Ausdrucksformen, Artefakte, Geschichte, Wissensformen.
Ist es „kulturelle Aneignung“, wenn die Türken die Hagia Sophia als Moschee benutzen? Ist es „kulturelle Aneignung“, wenn ein Araber ein Mobiltelefon gebraucht? Ist es „kulturelle Aneignung“, wenn ein Schwarzer Anzug und Krawatte oder eine Jeans trägt? Ist es „kulturelle Aneignung“, wenn der chinesische Pianist Lang Lang Mozart und Beethoven spielt? Ich kann Sie beruhigen: Das alles gehört, zumindest offiziell, nicht zur „kulturellen Aneignung“.
Denn, weiter in der Wikipedia: „Im engeren Sinn wird als ‚kulturelle Aneignung‘ angesehen, wenn Träger einer ‚dominanteren Kultur‘ Kulturelemente einer ‚Minderheitskultur‘ übernehmen und sie ohne Genehmigung, Anerkennung oder Entschädigung in einen anderen Kontext stellen. Die ethische Dimension kultureller Aneignung wird in der Regel nur dann thematisiert, wenn die übernommenen Kulturelemente einer Minderheit angehören, die als sozial, politisch, wirtschaftlich oder militärisch benachteiligt gilt.“
Zwar sind Christen eine Minderheit in der Türkei, und die Chinesen sind den Herkunftsländern von Mozart und Beethoven heute militärisch klar überlegen, aber wir wollen nicht kleinlich sein. „Kulturelle Aneignung“ ist ein Delikt, welches ausschließlich von weißen Bewohnern der westlichen Welt begangen werden kann. Es handelt sich um eine Art Raub – nicht Kunstraub, der ist allenfalls ein Unterkapitel und dient immer pekuniären Interessen, sondern eben Kulturraub. Von diesem Kulturraub ist bekannt, dass zwar niemals jemandem dadurch etwas fehlt, aber er verletzt – angeblich – Gefühle. Markanterweise handelt es sich fast nie um die Gefühle der angeblich oder tatsächlich Beraubten, sondern um Gefühle Dritter, und das sind meistens westliche Weiße. Diese emotional verletzten Ankläger verlangen nicht, dass das Raubgut an die Besitzer zurückerstattet wird, denn das ist in der Regel nicht möglich, weil der Raub fast immer ein symbolischer ist. Es geht nur um Symbolik.
Die einzige Ausnahme besteht im tatsächlichen Kunstraub, der ein Unterkapital der „kulturellen Aneignung“ bildet. Das aktuelle Stichwort heißt hier: Benin-Bronzen. Solche Exponate gelten heute als Beutekunst, und der Westen wird dafür angeprangert, sie den ursprünglichen Besitzern entwendet zu haben. Allerdings verhält es sich oftmals so, dass nur die westlichen Sammler solche Artefakte überhaupt wertzuschätzen wussten und sie vor dem Verfall oder der Vernichtung bewahrten. Westliche Entdecker und Gelehrte haben fremde Kulturen erforscht und konserviert – natürlich mit „ihrem Blick“ darauf, wie es immer heißt, mit welchem denn sonst? –, aber ohne ihr Wirken würden viele Zeugnisse der frühen Kulturen und Hochkulturen überhaupt nicht mehr existieren.
Das beste Beispiel dafür sind die Hinterlassenschaften der Alten Ägypter. Die Araber, die das Nilland im Zuge der islamischen Expansion eroberten, haben sich jahrhundertelang für all die Tempel, Pyramiden, Obeliske und Statuen nicht die Saubohne interessiert, die architektonischen Großrelikte des Pharaonenreichs waren in ihren Augen heidnisches Gerümpel und allenfalls Steinbrüche für ihre eigenen Bauten, und wenn die neuen Bewohner des Nillandes in der Lage gewesen wären, vergleichbar kühn zu bauen, gäbe es die Pyramiden von Gizeh heute nicht mehr. Der Diplomat und Kunstsammler Vivant Denon, der am Napoleon-Feldzug nach Ägypten teilnahm, ein Buch darüber schrieb und später Direktor des Louvre wurde, hat berichtet, dass die Beduinen und Fellachen die ägyptischen Mumien als Brennmaterial für ihre Lagerfeuer benutzten. Die alten Ägypter haben ja alles mumifiziert, was lief, kroch oder fleuchte, nicht nur Menschen, sondern auch Hunde, Katzen, Affen, Vögel, Krokodile, sogar Stiere, da gab es später einiges zu verheizen. Erst als verrückte Europäer anfingen, diese Zeugnisse zu bergen, zu sammeln, in ihren Museen auszustellen, für deren Erwerb Geld zu bezahlen, erst als Bildungsreisende als Vorläufer der heutigen Touristen an den Ruinen auftauchten, erkannten die Einheimischen, dass es hier etwas zu verdienen gab. Seither pochen die Ägypter darauf, dass die pharaonischen Hinterlassenschaften ihnen gehören, und sie kümmern sich immerhin um deren Pflege. Die Benin-Bronzen, um zu jenen zurückzukehren, befinden sich derzeit in der Sicherheit westlicher Museen; was mit ihnen in ihrer Heimat Nigeria geschehen wird, steht dahin.
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(Das war eine Anzeige.)
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Zu den ersten verbotenen „kulturellen Aneignungen”, von denen ich erfuhr, gehörte das sogenannte „Blackfacing“. Weiße sollten sich nicht als Schwarze verkleiden, weil das anmaßend sei, denn, so die Argumentation, Weiße seien privilegiert, Schwarze würden diskriminiert, wenn nicht konkret, dann zumindest „strukturell“, und ein Weißer dürfe nicht mal eben so in die schwarze Rolle schlüpfen, weil er sich gar nicht vorstellen könne, was es bedeute, schwarz zu sein. Nun – von mir aus. Problematisch wurde es freilich, als sich das Tabu auf weiße Schauspieler und Tenöre erstreckte, denen man verbieten wollte, sich für die Rolle des Ot(h)ello, sei es nun auf der Theater- oder der Opernbühne, schwarz zu schminken. Ein weißer Othello ist aber keiner. Seine Hautfarbe vulgo rassische Andersartigkeit ist ja gerade der Kern der rasenden, von Jago brandbeschleunigten Eifersucht des venezianischen Mohren. Siegreich, aber fremd, in Liebe entflammt, aber voller Misstrauen: So empfindet sich Othello in seiner weißen Umgebung. Nimmt man diesen Aspekt weg, fehlt das Entscheidende.
Es kam im Übrigen niemand auf den Gedanken, es sei „kulturelle Aneignung“ gewesen, als der Bariton Simon Estes als erster Schwarzer in Bayreuth den Fliegenden Holländer sang, danach den Amfortas im „Parsifal” und an anderen Bühnen den Wotan. Und das immerhin ist gut so.
Die beiden aktuellen Fälle, die hierzulande breit bekakelt wurden, ereigneten sich in Zürich und im oberschwäbischen Ravensburg. Eine Bar in Zürich brach das Konzert einer Band ab, weil der Sänger, ein Weißer, sogenannte Dreadlocks trägt, übrigens schon jahrelang. Irgendjemand im Publikum hatte deswegen ein ungutes Gefühl, das sich offenbar im Saal ausbreitete und zum Abbruch führte. Ungefähr zeitgleich nahm der Ravensburger Verlag sämtliche „Winnetou“-Bücher aus seinem Programm. Eigentlich sollte das Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ den gleichnamigen Kinderfilm begleiten, der seit August in deutschen Kinos läuft. Doch nachdem in den sogenannten sozialen Netzwerken der beliebte Vorwurf aufploppte, das Buch verbreite rassistische Stereotype aus der Zeit der Kolonialisierung indigener nordamerikanischer Völker, reagierte Ravensburger, wie ausdressierte deutsche Verlagspudel nun mal zu reagieren gewohnt sind, und sprang beflissen über das hingehaltene Stöckchen.
„Karl Mays Kulturfigur Winnetou wird aktuell von vielen Menschen kritisiert. Der Vorwurf gegen die Inszenierung des Häuptlings: Rassismus“, assistierte die Webseite des stern. „Auch Michael Herbig, Regisseur der Winnetou-Parodie ‚Der Schuh des Manitu‘ sieht das Ganze heute kritischer.“
Mehr noch, Michael „Bully“ Herbig tat kund, er würde seine Karl-May-Parodie heute so nicht mehr drehen. Warum? „Die Comedy-Polizei ist so streng geworden.“ Das nehme einem die Unschuld und Freiheit, erklärte der Comedian. Eine Komödie zu drehen sei heute viel schwieriger als früher, „weil man das Gefühl hat, dass man sehr schnell Leuten auf die Füße tritt“. Wenn einem das Argument entgegengeschleudert werde: „Du hast meine Gefühle verletzt“, dann könne man nicht sagen: „Das stimmt doch gar nicht.“ Er glaube, dass künftig immer weniger Komödien gedreht werden, weil viele denken: „Das ist mir zu heiß.“
Also freiwillig und aus Überzeugung spricht der Mann nicht.
Halten wir zunächst fest: Winnetou und sein Erfinder Karl May bedienen rassistische Stereotype und verletzen Gefühle. Das empfanden Winnetous indianische Brüder – nein, indianisch darf man nicht mehr sagen –, das empfanden Winnetous Rassegenossen – nein, das darf man erst recht nicht mehr sagen –, also: Das empfanden andere Rothäute vor einiger Zeit noch nicht so. Als sich der Zirkus Sarrasani 1927 mit seinem neuen Programm vorstellte, befanden sich unter den Teilnehmern seiner wahrscheinlich rassistischen und kulturunsensiblen Völkerschau auch einige Dingens vom Stamme der Sioux. Der Zirkusgründer Hans Stosch-Sarrasani, der zeitweise in Karl Mays letzter Heimatstadt Radebeul lebte, schrieb dessen Witwe Klara am 4. Dezember 1927:
„Es wird Sie sicher interessieren, daß meine Indianer die gleiche Begeisterung für die Werke Ihres Mannes empfinden wie die deutsche Leserschaft und die übrige Welt. Die Rothäute haben den Wunsch geäußert, das Heim Ihres Mannes kennenzulernen, der ein so glühender und leidenschaftlicher Verehrer ihrer Rasse war. Voller Dankbarkeit wollen sie dem Grab des Mannes, der ihr temperamentvollster Bewunderer gewesen ist, huldigen …”
Sie merken schon an der Wortwahl, dass wir uns in finsteren Zeiten befinden, die endlich überwunden zu haben unseren woken Mitmenschen immer neue innere Reichsparteitage beschert.
Am 17. Januar 1928 kam es in Radebeul zu den sogenannten „Indianerhuldigungen”. Bereits in Dresden, wo die Sioux mit vollem Federschmuck mehrere Kraftwagen bestiegen, hatte sich eine riesige Menschenmenge angesammelt, und auf der Fahrt wurde der Konvoi von den Anwohnern bejubelt. In Radebeul formierte sich ein Zug zum Friedhof. Unter Trommelschlag nahten die exotischen Besucher der Gruft, dort stimmten sie ein indigenes – also ein indianisches, kein sächsisches – Klagelied an und legten zwei Kränze nieder. Der Häuptling Big Snake (Susetscha Tanka) stellte sich auf die Stufen des Grabmals und sagte in der Sprache der Lakota – das ist die Sprache Sitting Bulls und Red Clouds, falls das jemandem etwas sagt –: „Du großer toter Freund! … Du hast unserem sterbenden Volk im Herzen der Jugend aller Nationen ein bleibendes Denkmal errichtet. Wir möchten Dir Totempfähle in jedem Indianerdorf aufstellen. In jedem Wigwam sollte Dein Bild hängen, denn nie hat der rote Mann einen besseren Freund gehabt als Dich …”
„American Indians honor Karl May”, meldete tags darauf die New York Times.
Es gab übrigens noch einen zweiten indianischen Besuch; der Osage-Häuptling White Horse Eagle fand sich am 18. Juni 1929 zum gleichen Zwecke am selben Ort ein. Wahrscheinlich handelte es sich beide Male um eine Art öffentlich inszeniertes Stockholm-Syndrom. Diese Indianer waren halt noch nicht erweckt (woke).
Gevatter „Bully” Herbig hat ein Phänomen benannt, das untrennbar zur Wokeness gehört und im Grunde für sich allein ausreicht, um sie abzulehnen: die Humorlosigkeit. Der amerikanische Autor Tony Hillerman, der vor allem Kriminalromane schrieb, aber zugleich als Fachmann für indianische Kultur galt, erzählt in seinen Memoiren eine köstliche Anekdote, die den Humorverlust unserer Zeit – ex negativo – wundervoll illustriert. Die Szene spielt in den frühen 1970er Jahren. An der „Smithsonian Institution“ in Washington war eine Abteilung for artifacts from tribal history gegründet und ein Indian als Direktor ernannt worden. Als dessen Mannschaft sich der Öffentlichkeit vorstellte, lautete eine der ersten Fragen aus dem Publikum, welche Bezeichnung die Leute auf dem Podium bevorzugten. Zuerst antwortete ein Hopi: „Er sagte, sein Volk bevorzuge es, als Hopi angesprochen zu werden, aber wenn ihr unseren Stamm nicht kennt, nennt uns einfach Indianer.” Dann meldete sich ein Cherokee und wies auf das Problematische am Begriff „Indigenous People” hin, er sagte: „Da die westliche Welt keine indigenen Primaten besitzt, von denen die Menschheit abstammt, deutete dies darauf hin, dass wir uns aus etwas anderem entwickelt haben könnten – vielleicht aus Kojoten…“ Den Abschluss machte ein Navajo mit der Bemerkung, „wir sind alle glücklich, dass Columbus nicht geglaubt hat, er sei auf den Jungfern-Inseln gelandet …”
So locker ging es zu in einer Zeit, als die Indianer noch vollständig unterdrückt wurden!
Was nun Karl May betrifft, war der selbstverständlich kein Rassist im konventionellen Sinne – also ein Mensch, der Andersethnische summarisch für minderwertig erklärt –, sondern er hat die Indianer idealisiert und romantisiert. Dasselbe geschah übrigens in den DEFA-Indianerfilmen, mit denen ich in der DDR aufgewachsen bin. Sie waren Zeugnisse des reinsten Manichäertums: Die Weißen waren, mit wenigen Ausnahmen, die Bösen, die Eroberer und kapitalistischen Ausbeuter des Landes, die Indianer waren die Guten, die edlen rousseau‘schen Wilden. Nichts könnte falscher sein. Bereits vor der Ankunft der Weißen bekämpften sich nordamerikanische Indianerstämme mit barbarischer Wildheit. Das Massakrieren im großen Stil, Frauen, Kinder und Alte inbegriffen, gehörte zu den Gepflogenheiten indianischer Kriegsführung wie das Skalpieren, das Verstümmeln und der langsame Tod von Gefangenen am Marterpfahl, eine Mischung aus Blutsühne und Unterhaltung. Indianerromantik hatte und hat sehr viel mit abendländischer Zivilisationskritik zu tun, aber so gut wie nichts mit der Wirklichkeit. Die Indianer waren auch in den Kriegen gegen die weißen Eroberer keineswegs nur Opfer, beide Seiten radikalisierten sich durch wechselseitige Grausamkeiten. Zugleich verbietet sich die Folgerung, dass der Rote Mann durch philanthropisches Verhalten den Ansturm der Weißen hätte überleben können; wir haben es also mit einer echten Tragödie zu tun.
Die Geschichtsversimpelung und ‑verdrehung, wie sie in den DDR-Indianerfilmen zum Ausdruck kam, ließ sich von links nicht mehr toppen. Es musste nach neuen Punkten gesucht werden, wo sich der Hebel der Gesellschaftsmanipulation ansetzen ließ, und man fand sie in den „rassistischen Stereotypen“ der „kulturellen Aneignung“. Heute dürfen Indianer überhaupt nicht mehr dargestellt werden – außer eben von indigenen Einwohnern Nordamerikas. Zu meinem sechsten Geburtstag, das war im Jahre der Herrin 1968, bekam ich eine Federhaube, ein Tomahawk – natürlich kein echtes, nur aus Plastik – und ein Tipi in altersgerechter Größe geschenkt. Das ginge heute nicht mehr. Das war „kulturelle Aneignung“ schlimmster Sorte.
Bemühen wir letztmals die Schrottsammelstelle: „Kulturelle Aneignung“, heißt es dort, müsse vom „kulturellen Austausch“ abgegrenzt werden; dann wird folgende These referiert: „Bei kultureller Aneignung würden die übernommenen Bestandteile kultureller Identität zur Ware gemacht und damit trivialisiert. Zudem würden die angeeigneten Kulturelemente oftmals falsch oder verzerrt reproduziert, was zur Förderung von Stereotypen führen könne. Kultureller Austausch dagegen basiere auf Wertschätzung und Respekt.“
So gesehen fiel meine Indianermontur allerdings unter Wertschätzung und damit unter „kulturellen Austausch“, auch wenn ich persönlich nichts zurückgeben konnte. Und diese Typen werden ihre Dreadlocks wahrscheinlich auch nicht aus reiner Verachtung tragen.
Was sollte ein nordamerikanischer Indigener dagegen haben, dass sich ein deutsches Kind als Indianer verkleidet, weil es Indianer cool findet? Er könnte sagen, deine Rassengenossen haben mein Volk verdrängt und nahezu ausgerottet, ich empfinde es als Verhöhnung, wenn du meine Tracht trägst. Aber der Junge trägt sie ja, weil er so sein will wie ein Indianer. Er ist auf ihrer Seite. Er verachtet ihre Kultur nicht, sondern imitiert sie.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es ein ehemaliger KZ-Häftling als degoutant empfindet, wenn jemand im gestreiften KZ-Drillich eine Party besucht oder zum Fasching geht. Aber gibt es Menschen, die ihre typische traditionelle Bekleidung mit dermaßen negativen Assoziationen verbinden? Ich bezweifle das.
Obwohl Engländer es erfunden haben, sind wir mit dem KZ automatisch bei den Deutschen, die es sich kulturell angeeignet haben. Nichtbiodeutsche bezeichnen die Almans bekanntlich gern als „Kartoffeln“, zum Beispiel tut dies die Diskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, die übrigens eine Brille trägt, die sie sich kulturell angeeignet hat, denn in ihrem Herkunftskulturkreis – den ich niemals erwähnen würde, wenn sie es nicht ständig selber täte – ist die Brille nicht erfunden worden. Die Kartoffel indes stammt aus Südamerika, die Spanier brachten sie von dort nach Europa, wie auch die Tomate, die Paprika und den Mais, das heißt, sie eigneten sich die Kartoffel, die Tomate, die Paprika und den Mais kulturell an. Denken Sie daran, wenn Sie an einem Maisfeld vorüberfahren, dass dort kulturelle Aneignung sich frech und womöglich noch genmanipuliert in die Höhe reckt und eigentlich kultursensibel abgefackelt werden müsste. Vor allem aber darf man Deutsche auf keinen Fall „Kartoffeln“ nennen!
Strenggenommen dürfte auch kein Nichtjude Christ werden und hätte es niemals werden dürfen, und kein Nichtaraber, vor allem kein weißer Europäer, dürfte zum Islam konvertieren, denn das ist „kulturelle Aneignung“, obwohl es ja eigentlich der Islam ist, siehe die erwähnte Hagia Sophia, der zur Aneignung anderer Kulturen tendiert. Strenggenommen wäre auch jede Übersetzung eines Gedichtes oder eines Romans in eine andere Sprache „kulturelle Aneignung“. Kein Afrikaner könnte den Literaturnobelpreis bekommen, denn niemand im Stockholmer Elferrat spricht seine Sprache und dürfte sie sich auch nicht auf dem Wege der Erlernens kulturell aneignen.
Kurzum, das Konzept der „kulturellen Aneignung“ ist intellektuell dürftig, moralisch fragwürdig und obendrein infantil. Intellektuell dürftig, weil sich kulturelle Aneignung und kultureller Austausch überhaupt nicht trennen lassen. Die gesamte menschliche Kulturentwicklung hat sich über Austausch, Aneignung, wechselseitige Befruchtung und Vermischung vollzogen, von oben nach unten und von unten nach oben, mal Morphose, mal Pseudomorphose. Ein wunderbares Exempel dafür ist der normannisch-arabisch-byzantinische Mischstil in der sizilianischen Architektur des 11. und 12. Jahrhundert, etwa die Kirche Santa Maria dell’Ammiraglio oder der Palazzo dei Normanni in Palermo. Aber auch vermeintlich reine Stile sind adaptiert, übernommen, kopiert worden. Die römische Kultur war eine radikale Aneignung der griechischen. Warum die Griechen sich damals nicht beklagt haben? Lag es an den Legionen? Nein, es war einfach normal. Aber natürlich können Legionen hilfreich sein, sowohl bei der kulturellen Aneignung als auch bei der Abwehr des Vorwurfs der kulturellen Aneignung.
Moralisch fragwürdig ist dieses „Konzept“ wiederum, weil es einer einzigen Rasse, der weißen, eine universale Schuld zuschreibt und deren Angehörigen verbieten will, sich etwas Fremdes kulturell anzueignen, während umgekehrt der Rest der Welt Erzeugnisse der weißen Kultur unbeschränkt übernehmen darf. Da die heute auf Erden waltende Technik fast ausschließlich auf Erfindungen der Weißen beruht und von Weißen geschaffen wurde, tut die Welt das ohnehin. Ein Araber, der Mercedes fährt, begeht so wenig das Sakrileg der kulturellen Aneignung wie ein Eskimo, der sich röntgen lässt, oder ein Schwarzer, der in einem englischen College die Bilder der dortigen Gründerväter durch afrikanische Kunst ersetzt.
Last but not least: Zu erwarten, dass einem im Leben nichts Anstößiges widerfahre und die Gefühle allzeit unverletzt bleiben, ja diesen Wunsch obendrein noch in die Vergangenheit zu projizieren, das ist bis in Schwachsinnsnähe infantil.
Die Aktivisten der Wokeness, die ich gern die Bolschewoken nenne, wollen nicht, dass der Westen sich andere Kulturen aneignet oder sich mit ihnen vermischt. Gleichzeitig lehnen sie die Kultur des Westens ab, hierzulande eben speziell die deutsche Kultur, vom Oktoberfest bis zu Richard Wagner, vom Fasching bis zum Volkslied. Der Satiriker Bernd Zeller bringt die Sache auf den wunden Punkt mit dem Kurzdialog:
Sie: „Alle Kulturen sind gleichwertig.“
Er: „Mit unserer westlichen?“
Sie: „Doch nicht mit der! – Die gibt es gar nicht.“
Die Ablehnung der eigenen Kultur als postkolonialistisch ist der banale Hintergrund des Ideologems der „kulturellen Aneignung“. Es ist ein umgekehrter Kolonialismus. Deswegen dürfen die Kinder sich nicht mehr zum Fasching als Indianer verkleiden. Sie sollen sich nichts aneignen und das Eigene loswerden. Die Botschaft dahinter, schrieb Benedict Neff in der NZZ, laute: „Sei gar nichts. Verschwinde spurlos aus der Geschichte.“
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Kraut zu Krauts oder Wir sind stolz darauf: Feines Sauerkraut aus Spitzkohl von den Fildern. Es ist nicht einfach nur „Sauerkraut“, das Ihnen – fein duftend, etwas heller und zarter als sonst – aus dieser Dose entgegenkommt: Es ist auch nicht nur ein solches, sehr seltenes aus Spitzkohl, dem edleren und feineren Verwandten des derb-rundköpfigen Weißkohls. Es ist aus dem berühmten Filderkraut, einem sehr alten, sehr zierlichen Mitglied der großen Sippe der Brassica oleracea. Filderkraut wurde vor 400 Jahren von Mönchen aus Denkendorf gezüchtet und zwar ganz speziell, um daraus Sauerkraut zu machen, und noch einmal ganz speziell für die Lößböden der Filder, einem sehr fruchtbaren württembergischen Landstrich zwischen dem Schönbuchwald und Stuttgart
Wegen seiner fast tropfenförmigen und sehr unregelmäßigen Gestalt gilt er aber als „nicht maschinengängig“. In den Augen der Sauerkrautindustrie ist er außerdem wegen seines langen Strunks und seiner geringen Blattausbeute je Pflanze indiskutabel. Es gibt in der Filder deshalb nur noch 40 Hektar Anbaufläche und nur zwei Betriebe, die aus der Ernte dieses Weißkohls überhaupt Sauerkraut bereiten. Eine Vermischung mit anderen Sorten findet in der Herstellung nicht statt. Und dieses rare Kulturgut können Sie hier bestellen.
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Ich erzähle Ihnen jetzt, wie wirkliche kulturelle Aneignung funktioniert. Erinnern Sie sich noch an die vier Begriffe, die Wikipedia als Medien dieser Aneignung nennt? Ausdrucksformen, Artefakte, Geschichte, Wissensformen.
Greifen wir die Geschichte heraus, die europäische wohlgemerkt. Ein Lehrvideo der BBC zeigte vor ein paar Jahren einen schwarzen römischen Offizier, der den Bau des Hadrianswalls beaufsichtigt. Nach getaner Arbeit kehrt dieser verfrühte Othello zu seiner weißen Frau heim und schaut mit ihr gemeinsam dem Kindlein zu, wie es mit dem Spielzeugschwert hantiert und sich darauf einstimmt, dereinst den Wall gegen blütenweiße Briten zu verteidigen. Bereits 2009 war in einem Robin-Hood-Film ein schwarzen Bruder Tuck aufgetreten. So etwas nennt sich Umschreibung der Vergangenheit. Was die UN ganz unverblümt als „replacement migration“ bezeichnete – Austauschmigration –, wiederholt sich in solchen Filmen auf symbolischer Ebene. Sich Dreadlocks „anzueignen“, geht gar nicht, aber Europa aufgrund der möglichen Existenz vereinzelter farbiger Römer eine schwarze Vergangenheit anzudichten, ist völlig in Ordnung.
2018 strahlte die BBC eine Serie namens „Troy – Fall of a City” aus, was eigentlich ein löbliches Unterfangen ist, denn mit den beiden homerischen Epen über den Trojanischen Krieg beginnt ja praktisch das Abendland. Die Zuschauer stellten freilich verblüfft fest, dass vier Hauptfiguren, Zeus, Achilles, Patroklos und Nestor, schwarz waren, also von schwarzen Schauspielern verkörpert wurden. Ist das schamlos? Skandalös? Rassistisch gar? Oder ist es vielmehr rassistisch, daran Anstoß zu nehmen?
Am Kampf um Troja waren sehr viele braune und dunkelbraune Menschen beteiligt, „Südländer” eben, doch richtige Schwarze wohl eher nicht. Wenn wir Homer zu Rate ziehen, war Achilles blond: „ξανθῆς δὲ κόμης ἕλε Πηλεΐωνα”: Athene „fasste am blonden Haar den Peliden” (Ilias 1. Gesang, 197). Über Zeus ist diesbezüglich nichts Näheres überliefert; die Wahrscheinlichkeit, dass die Achaier einen schwarzen Gott verehrten, lag zu Homers Zeiten bei Null, nimmt aber neuerdings quasi täglich zu. Naturgemäß erregten sich in England einige Zuschauer über die Verfremdung dieser abendländischen Basalerzählung. „Warum sind die Leute so verärgert über die Entscheidung der BBC?”, fragte etwa RadioTimes und beruhigte sogleich: „Gibt es eine Grundlage für eine ‚Blackwashing‘-Verschwörung? Kurz gesagt: absolut nicht.“
Als Entlastungszeuge trat auf Tim Whitmarsh, Professor für Griechische Kultur an der University of Cambridge. Er versicherte, die antiken Griechen seien „vom Hauttyp her mediterran gewesen”, was niemand bezweifelt hat, doch in deren Welt seien auch „Äthiopier, eine vage Bezeichnung für dunkelhäutige Nordafrikaner”, hinreichend präsent gewesen. Allerdings sei bereits „die Frage, ob ‚Schwarze’ im antiken Griechenland lebten, fehlerhaft”. Die griechische Welt sei nämlich viel „fließender” gewesen als unsere, „es war eine Welt ohne Grenzen, ohne Nationalstaaten. Es war alles miteinander verbunden.”
Na ja, die Verbundenheit hielt sich in Grenzen, warum hätten die Danaer Troja sonst zehn Jahre lang belagern müssen? Doch mögen die Griechen auch zwischen sich und den Priamos-Leuten gewisse Unterschiede gemacht haben, „sie teilten die Welt nicht in Schwarz und Weiß“, fuhr Professor Whitmarsh fort. „Sie haben sich nicht so verstanden. Alle unsere Kategorien – zum Beispiel Schwarz-Weiß – sind moderne Interpretationen historischer Umstände.”
Woher mag der Professor das wissen? Will er es aus der Tatsache folgern, dass bei Homer keine Schwarzen auftauchen? Da wüsste ich noch eine andere Erklärung. Übrigens haben auch die Eskimos die Welt nicht in Schwarz und Weiß aufgeteilt, von den Bantus der homerischen Zeit ganz zu schweigen. Die Achaier teilten allerdings die Welt in Griechen und Barbaren auf, und zwar sehr rigoros. Trotzdem haben sie auch untereinander, Stadt gegen Stadt, erbitterte Kriege geführt, in ihrer Welt ohne Grenzen, ohne Nationalstaaten, in der alles miteinander verbunden war, wie ein trendkonformer Professor versichert.
Die einfache Frage lautet: Ist ein schwarzer Achilles überhaupt denkbar? Und die Antwort heißt: ungefähr so, wie ein weißer Onkel Tom. Es ist eine Fälschung der Geschichte. Und natürlich eine Mythenumschreibung, Mythenzersetzung, Mythenokkupation, eine Landnahme im Symbolischen.
Da Achilles bei Homer nicht schwarz ist, es aber in der BBC-Serie war, brachte der Professor nun Odysseus als philologischen Joker ins Spiel. Wie jeder weiß, ermuntert Pallas Athene im 16. Gesang der „Odyssee” den Laertiaden, sich endlich seinem Sohn Telemachos erkennen zu geben, um mit ihm gemeinsam den Freiern ein blutiges Ende zu bereiten. Zu diesem Zwecke verwandelt sie den göttlichen Dulder Odysseus, der ja bereits vom Alter gezeichnet ist, zurück in einen jungen Mann (ich zitiere die Voßsche Übersetzung):
„… und rührt’ ihn mit goldener Rute.
Plötzlich umhüllte der schöngewaschene Mantel und Leibrock
Wieder Odysseus’ Brust, und Hoheit schmückt’ ihn und Jugend;
Brauner ward des Helden Gestalt, und voller die Wangen;
Und sein silberner Bart zerfloß in finstere Locken.”
Im Original lautet das von Voss als „brauner“ übersetzte auf die Hautfarbe bezogene Wort: μελαγχροιὴς. Neuere Wörterbücher schlagen „pigmentiert” als Übertragung vor, aber wörtlich übersetzt bedeutet es: „schwarzhäutig”; μέλας – mélas – heißt „schwarz”. Noch heute nennen wir die Pigmente, welche die Färbung der Haut und der Haare bewirken, Melanine. War Odysseus also ursprünglich ein Mohr? Professor Whitmarsh suggeriert genau das: „Athene machte ihn schön, indem sie seine natürliche schwarze Hautfarbe wiederherstellte.” Wenn das so ist, dann sind wir einem skandalösen kollektiven Übersetzungsfehler auf der Spur. Immer nämlich wird die fragliche Stelle mit „braun” übersetzt, vom soeben zitierten Johann Heinrich Voß bis zu Roland Hampe, bei dem es heißt: „Braun ward wieder die Haut, es strafften sich wieder die Wangen”.
Das große griechische Wörterbuch von Franz Passow übersetzt das Wort mit: „von schwarzer oder dunkler Farbe, Oberfläche, Haut, von der kräftigen bräunlichen Gesichtsfarbe des viel im Freien lebenden Mannes”. Der Passus bedeutet also – und alle Übersetzer haben ihn so gelesen –, dass Odysseus wieder die gesunde dunkle Hautfarbe des sonnenverbrannten Helden zurückerhält. Melanin ist für die Pigment-Produktion im Körper verantwortlich. Wird es nicht mehr gebildet, färben sich sowohl die Haare als auch die Haut grau. Das ist der Grund, warum manche älteren Menschen nicht mehr richtig braun werden. Und wem dann keine Pallas Athene wiederbelebend zur Seite steht, der gewinnt Penelope nimmermehr zurück.
Die Stelle ist ein Beweis dafür, dass Odysseus eben gerade kein Mohr war. Ein Schwarzer ist immer schwarz, auch als alter Mann. Nicht einmal Athene kann sein Gesicht dunkler machen. Dasselbe gilt für des Professors Worte, „Äthiopier sei eine vage Bezeichnung für dunkelhäutige Nordafrikaner”. Äthiopier heißt wörtlich „Brandgesichter“, das heißt, diese Brandgesichtigkeit muss sie auffällig von den anderen Bewohnern der griechischen Welt unterschieden haben.
Nächstes Beispiel. Ein Buch namens „Making Europe“, verfasst von einem Autorenkollektiv, das an vielen amerikanischen Universitäten zur Pflichtlektüre gehört, zeigt auf dem Titel einen Schwarzen. Es handelt sich um Thomas Peters, einen befreiten Sklaven aus Nigeria, der während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges in der britischen „Black Company of Pioneers“ gedient hatte, und er trägt auch die rote Uniform dieser Truppe. Europäischen Boden hat er nie betreten*. Das ist, als wenn man eine Geschichte der indianischen Völker Nordamerikas mit dem Konterfei von Karl Stülpner oder meinethalben Karl May bebilderte. Es ist eine Unverschämtheit, der freilich die Botschaft beigesellt ist: Wir können euch kollektiv demütigen, wir können euch mit dreisten Absurditäten zuschütten, und doch wird niemand dagegen aufmucken, weil er nicht als Rassist gelten will. Wir behaupten, dass ihr uns unterdrückt, aber wir haben längst die Mentalitätsmacht über euch errungen, wir entscheiden, was als gut und böse zu gelten hat, wir sind moralisch immer auf der überlegenen Seite, und echte Macht erringen wir irgendwann auch noch.
* Leser *** macht mich darauf aufmerksam, dass Peters doch einmal in Europa weilte, er reiste 1791 nach England, näherhin nach London, „wo er half, die königliche Regierung davon zu überzeugen, eine neue Kolonie in Westafrika zu gründen” (Cambridge History of Christianity Vol. 7, p. 421).
Der Vorwurf der „kulturellen Aneignung“ ist ein Bestandteil des Kulturkrieges gegen die westliche Kultur. Es ist antiweißer Rassismus. Antiweißer Rassismus entsteht aus dem Neid auf das, was Weiße in den vergangenen 500 Jahren geschaffen haben: nahezu die gesamte moderne Zivilisation. Die antiweiße Fronde behauptet nun einfach, dass alle Entwicklungen der Weißen aus der Unterdrückung und Ausplünderung der nichtweißen Völker resultieren; mithin gehen vom attischen Tempel bis zur Raumstation sämtliche Werke der weißen Wölfe eigentlich auf das Konto der anderen Ethnien. Und der weiße Linke glaubt, durch die eifrige Bezichtigung und Verdammung anderer weißer Männer seine bleiche Haut retten und ein bisschen an künftigen Umverteilungen partizipieren zu können.
Die Gegenstände der „kulturellen Aneignung“ sind also eher belanglos und austauschbar. Ich, um mit einer persönlichen Bemerkung zu schließen, komme komplett ohne „kulturelle Aneignung“ aus. Ich brauche weder Dreadlocks noch Tattoos, weder Reggae noch die Benin-Bronzen, ich kann ganz ohne Federschmuck und exotische Kleidung leben, und wenn es sein muss, kann ich auch auf sämtliche außereuropäischen Küchen und Kunstwerke verzichten.
Alles, was ich liebe, haben tote weiße Männer geschaffen, ob nun die Ölmalerei, das Distichon, den Kontrapunkt oder die Komödie, ob Matthäus-Passion, „Meistersinger” oder Chopins Nocturnes, ob die „Meninas“, die „Milchmagd“ oder die Fresken der Arenakapelle zu Padua, ob „À la recherche du temps perdu” oder „Pnin”, ob „Odyssee”, „West-östlicher Divan” oder die Sonette des Großen Einzigen, ob Château Margaux oder Château Lafite-Rothschild, ob Lindenoper oder Scala, ob die Kathedrale von Amiens oder San Francesco in Assisi, ob „Clockwork orange” oder „Barry Lyndon”, zu schweigen von Rennrad, Chaiselongue, Salonspeisewagen, Füllfederhalter, Dreiteiler, Crockett & Jones-Schuhen und halterlosen Damenstrümpfen. Wenn nun ein paar spezielle Hochbegabte der Meinung sind, die Werke der toten weißen Männer seien auszusondern, kann ich das nur glühend befürworten. Weg damit! Dieses Kulturprekariat soll das nicht lesen, nicht ansehen, nicht anhören, nicht benutzen, nicht beschmutzen; mögen solche Figuren auch ästhetisch unter ihresgleichen bleiben, damit ist am Ende allen gedient …