Die meisten Quellen des Humors sind es unfreiwillig, und oft erschließt sich deren Komik nur aus sicherer Entfernung. Stalin zum Beispiel war ein großer unfreiwiliger Humorist – außer für seine Zeitgenossen –, und der späte Hitler, das Rumpelstilzchen im Bunker, wohl auch. Im vorderen Mittelfeld dieses Genres bewegte sich das Ministerium für Staatssicherheit.
Unvergesslich ist mir ein Passus geblieben, den Wolf Biermann in seinen Stasi-Akten fand, aus dem Abhörprotokoll eines hauptamtlichen Spitzels: „Biermann führte mit einer Dame Geschlechtsverkehr durch. Danach ist Ruhe im Objekt.” Das ist deutsch. Oder eben deutschkomisch (Goethe).
Ich hatte mit den Brüdern gottlob selten Kontakt, und wenn, dann ließ die Distanz eine gewisse Komik zu. Ich weiß nicht, ob ich die Geschichte schon einmal erzählt habe: Ich arbeitete – diesen Begriff im allerweitesten Sinne verstanden – im Sommer 1986 als Platzwart im Berliner Hans-Zoschke-Stadion, dessen pikante Lage zumindest dem Ostberliner geläufig ist: Es war von drei Seiten eingeschlossen vom Hauptsitz des Ministeriums für Staatssicherheit. Dort saß der Genosse Mielke und liebte alle Menschen. (Die Gerüchteküche wollte wissen, dass die Schlapphüte am liebsten das gesamte Stadion als Betriebssportplatz in ihr Ministerium integriert hätten, aber die Witwe des von Roland Freisler zum Tode verurteilten Zoschke soll sich gegen diese Einverleibung gesträubt haben.) An einem schönen Sommertag legte ich mich im Mittelkreis des Fußballplatzes in die Sonne, derweil die Genossen Kundschafter in ihren Büros schwitzten. Wenig später kamen meine Kollegen aufgeregt zu mir gelaufen: Die Neidlinge hatten in der Zentrale des Sportstättenbetriebs Berlin angerufen und moniert, der Platzwart arbeite nicht (deutsch, sehr deutsch) …
Die in den Büros Brütenden verfassten und lasen Texte wie diesen: „Die stellvertretende Leiterin des Standesamtes ist für die Vorbereitung und Durchführung der Eheschließungen verantwortlich. Sie versteht sich in Ausübung dieser Funktion als Beauftragte der Arbeiterklasse und löst deshalb ihre Aufgaben stets vom klassenmäßigen Standpunkt aus.”
Dieser Duktus ist zwar zum Brüllen dämlich, wirkt aber in Zeiten von Diversity und geschlechtergerechter Schreibweise alles andere als exotisch; es ist dasselbe Land, es sind dieselben Figuren, nur die Verhältnisse sind – noch? – anders. Das Zitat stammt aus einer Broschüre namens „Konjak, Deutsche Vita und der normale Hahn”, herausgegeben vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (Außenstelle Halle), die mir ein Leser zusandte. Darin sind Trouvaillen und Stilblüten aus Stasi-Berichten versammelt, etwa:
„Der Werkleiter ist in seinem Verhalten verändert. Er benutzt für die Kollegen keine Bezeichnungen aus dem Tierreich mehr.”
Oder: „Er hat keinerlei Bindungen mehr zur Arbeiterklasse und ging dieser auch aus dem Wege.”
Oder: „Der Bürger ist Mitglied der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft und des DTSB, jedoch nicht vorbestraft. Bei Frauen in seiner Umgebung ist er nicht sehr beliebt, da er sich mit fremden Frauen abgibt.”
„A. feierte in seinem Pkw Moskwitsch mit einem Umbekannten und 2 Frauen eine Schnapsparty und sie schliefen anschließend im Pkw ein. Gründe für die umständliche Feier wurden nicht bekannt.”
„Der Täter begann mit der Geschädigten im Oktober 1985 auf der Haustreppe den Geschlechtsverkehr, welcher erst im Frühjahr 1986 beendet war.”
„Der Vater des W. ist seit 1964 gestorben.”
„Eine Schwäche der Quelle wurde bisher festgestellt und zwar ist er in der Lage zu vielen Personen Kontakt aufzunehmen und er hat auch viele Kontakte, doch er kann sich die Namen schlecht merken.”
„Es ist bekannt, dass sie es gut versteht, sich den Männern in ihrem Arbeitsbereich zugänglich zu machen.”
„Er ist ein redegewandter und geistlich beweglicher Genosse.”
„Der Genannte soll ledig geboren sein.”
„Sie führen eine harmonische Ehe. Die Eheverhältnisse entsprechen den Prinzipien der sozialistischen Moral und Ethik.”
„Seine Ehe ist frei von ehelichen Problemen. Seine Frau ist seit vielen Jahren in nervenärztlicher Behandlung.”
„Während seiner gesamten Lehrzeit wurde er durch seine Ausbilder und den Bergarbeitern unter Tage mit den politisch-ideologischen Problemen der Arbeiterklasse konfrontiert.”
(Orthographie und Grammatik entsprechen den Originalen.)
Leider ist die Broschüre sehr dünn; man befindet sich gedanklich kaum wieder in der „Ehemaligen” – ein Leser schrieb mir, er habe diesen Begriff immer so idiotisch gefunden wie ich, aber inzwischen sei ihm klar geworden, dass man von der „ehemaligen DDR” nur spreche, um sie von der zukünftigen zu unterscheiden –, schon ist die Sammlung zu Ende. Sie stammt übrigens aus dem Jahr 2011. Es wäre doch schön, wenn die Aktenverwahrer ein richtiges Buch zusammenstellen, etwa unter dem Titel: „Die lustigsten Spitzelberichte der Stasi”, oder: „IM Gratin”, oder: „Was haben wir gelacht bei Horch und Guck.” Oder „Sex, Drugs und MfS”. Herausgegeben von Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler, mit einem Vorwort von Anetta Kahane. Mmh?