„Nicht jeder, der ein lesenswertes Buch schreiben kann, kann einen lesenswerten Satz schreiben.”
Paul Coßmann
***
Die moderne Welt wird in ihrer Nivellierungsgier nicht allein den Menschenschlag abschaffen, über den eine Biografie zu schreiben sich lohnte, es wird am Ende nicht einmal mehr jemanden geben, der zur Anekdote taugt.
***
KJ – Klimajugend.
***
Das ukrainische Volk verteidigt sein Land – und zwar heldenhaft. Das ist in jeder Hinsicht lobenswert und verdient Respekt, gerade als Bewohner eines Landes, das sich mit hoher Wahrscheinlichkeit unter keinen Umständen verteidigen würde, weil es nicht mehr von einem Volk bewohnt wird – dessen Durchschnittsalter selbst im Falle starken Wehrwillens dem Widerstand natürliche Grenzen setzte –, sondern von einer Bevölkerung. Vielleicht würde sich Sachsen verteidigen. Vielleicht würden sich die Türken in NRW verteidigen – aber Deutschland als Ganzes?
Der Ukraine-Krieg ist ein konventioneller Krieg: Land gegen Land, Volk gegen Volk, Reich gegen abtrünnige Provinz. Wenn man diesen Krieg mit dem in Afghanistan vergleicht, wird ein Unterschied offenbar: Zwar haben sich die Afghanen ebenfalls jahrzehnteland mutig gegen fremde Eroberer verteidigt, doch am Ende stand eine von den Besatzern rekrutierte Armee aus Afghanen gegen die Taliban. Sie kämpfte nur nicht. Huntingtons Kulturkreistheorie hatte sich einmal mehr als zutreffend erwiesen. Die von Heiko Maas und anderen Besiedlern des Optativs halluzinierte afghanische Zivilgesellschaft existierte nicht oder lief mehrheitlich sofort zu den Taliban über. Heute gehört Afghanistan wieder den Afghanen, die in ihrer Mehrheit offenbar genau so leben wollen, wie die militanten Frommen es vorschreiben. Ich würde zwar niemals so leben wollen – ich bin ja auch kein Afghane –, aber ich akzeptiere vollkommen, dass Völkerschaften es vorziehen, nach ihrer Art zu existieren. Deshalb gibt es verschiedene Völker in verschiedenen Ländern und dazwischen die segensreiche Institution der Grenze. Niemals käme ich auf den Gedanken, andere Völker oder Einzelmenschen mit meinen Vorstellungen zu missionieren. Weil auf Reziprozität in dieser Frage kein Verlass ist, liebe ich Grenzen und bin ein Gegner der Idee, in ihrer Lebensart unvereinbare Kollektive zu vermischen und zu schauen, was passiert (wird schon gutgehen). Vive la différence!
In der Ukraine gibt es, anders als am Hindukusch, keine ukrainische Armee, die an der Seite der Russen kämpfen soll oder will. Die Tragik der Ukrainer besteht darin, dass sie zwischen Scylla und Charybdis segeln, zwischen Bolschewiken und Bolschewoken, dass der eine Teil des Landes ins Prorussische und Autoritäre tendiert, während der andere sich an einen Weltteil schmiegen will, der zwar wirtschaftlich ungleich erfolgreicher agiert und Freiheit verspricht, aber auf ebenfalls autoritäre Weise alles Traditionelle und Gewachsene zerstört – am Ende jenes ukrainische Volk selber, das sich momentan so eindrucksvoll behauptet.
Dieser Krieg – dass es ein Bruderkrieg ist, macht die Sache besonders traurig – wird, wie es derzeit ausschaut, lang und blutig werden. Da Russland eine Atommacht ist, kann sich die NATO nicht direkt einmischen. Putin lässt sich nicht von der Platte wischen wie ein Saddam oder ein Gaddafi, aber der Kreml-Chef ist spätestens seit seinem Einmarsch der diensthabende Paria unseres Epöchleins, und dieses Stigma wird er im Westen nie mehr los. Jetzt hängt alles daran, dass der russische Diktator gesichtswahrend aus der Sache herauskommt, oder die Ukraine wird in ein paar Wochen ausschauen, als hätten die Amis sie zum Schurkenstaat downgegraded und dies auf bewährte Weise aus der Luft mitgeteilt.
Apropos und zur Erinnerung, aber das ist natürlich Whataboutism.
Die Selbstgerechten im Westen fühlen sich einstweilen als zumindest moralische Sieger über Putin, doch sie irren sich, es verliert gerade die gesamte westliche Zivilisation; mit Russland wankt ein Bollwerk der weißen christlichen Welt, tut sich ein weiterer Abgrund auf vor den Füßen der westlichen, in eiserner Treue immer noch so genannten Demokratien, deren demografischer Niedergang sich in und mit diesem Konflikt fortsetzt. Die Vermischung der Flüchtlingsströme aus der Ukraine und dem Orient an den EU-Grenzen ist dafür ein Menetekel.
Die Demografie ist das Schicksal der westlichen Welt. Im vergangenen Jahr kamen wieder knapp 200.000 sogenannte Flüchtlinge aus Afrika und dem Orient allein nach ’schland. Man kann jetzt extrapolieren: In zehn Jahren sind das zwei Millionen, dazu kommen noch mehrere Millionen von diesen Neuankömmlingen gezeugte (und vom deutschen Steuerzahler zumindest teilweise finanzierte) Kinder.
„Achmed, wie gefällt es dir in Offenbach?”
„Nun, wie soll es mir schon gefallen in der Levante?”
Jener Teil der Ukraine, dem es gelingt, sich aus Putins Griff zu winden und in den Westen zu retten, könnte die Segnungen der Generalverbuntung schneller kennenlernen, als das Land wieder aufgebaut ist. Eines Tages werden sich diejenigen versammeln, die schon länger in der Ukraine leben, und all jene unter ihren einstigen – also früher unstatthaft so genannten – Landsleuten feiern, die ihr Leben dafür ließen, dass ihre Kinder ihr Geschlecht frei wählen konnten, statt Muttermilch Menschenmilch geben bzw. auf Kinder ganz verzichten sowie klimaneutral wirtschaften, LSBTQ-Partys als gesellschaftlichen Kulturauftrag schätzen, auf Automobilität und Fleisch verzichten und in diversifizierten Stadtteilen klaglos wohnen lernten, für die Förderung von Frauen, Schwarzen, Moslems ein bisschen zur Kasse gezwungen, über multikulturelle, antiweiße Toleranz, Genderstudies, Post- und Antikolonialismus belehrt wurden und der Ausbreitung der Religion des Friedens beiwohnen, ja ihr sogar beitreten durften.
***
Zum Vorigen.
Auf der woken Webseite Übermedien echauffiert sich ein afghanischstämmiger Österreicher namens Emran Feroz über nicht näher erklärte „Trolle”, die Vergleiche zwischen der afghanischen Armee und der ukrainischen zögen, und zwar dergestalt, dass sie behaupteten, „die Ukrainer seien mutig und heldenhaft, die Afghanen feige und erbärmlich. Sie konnten ihr Land nicht gegen die Taliban verteidigen und würden nun nach Europa kommen, um hier zu vergewaltigen oder andere Verbrechen zu begehen. Ähnlich Töne werden angeschlagen, sobald es um den Krieg in Syrien geht.”
Da Ross und Reiter nicht genannt werden, sind wir gehalten, das Evidente festzustellen: Viele Ukrainer verteidigen ihr Land mutig, ja heldenhaft, die Taliban indes stießen auf wenig Widerstand, und die Ursache dürfte ganz einfach darin bestanden haben, dass die afghanische Armee nicht für Afghanistan kämpfte, sondern für den Westen. Im Übrigen vergewaltigen sogenannte Flüchtlinge u.a. aus Afghanistan und Syrien mit einer gewissen Regelmäßigkeit, die aber von den kultursensibel und verantwortungsvoll agierenden Wahrheits- und Qualitätsmedien nicht skandalisiert wird, Frauen in Deutschland; ob die ukrainischen Flüchtlinge dereinst gleichziehen, werden wir sehen; derzeit kommen ja kaum junge Männer von dort, weil sie, anders als zu uns hereinschneiende Afghanen und Syrer, ihr Land verteidigen; es kommen, anders als aus Afrika und dem Orient, viele Frauen und Kinder.
Kaum widersprechen mag man Herrn Feroz bei folgendem Passus: „All diese Konflikte haben völlig andere Dimensionen und sind noch um einiges komplizierter als der Krieg in der Ukraine zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Dennoch sehe ich die Gesichter all jener Soldaten, die ich in den letzten Jahren in Afghanistan getroffen habe. Meist waren es junge Männer in meinem Alter – und sie starben zu Zehntausenden, weil sich niemand für sie interessiert hat. Sie hatten keinen Präsidenten, der gemeinsam mit ihnen kämpfte, sondern einen korrupten, vom Westen unterstützen Präsidenten, der flüchtete und sie zurückließ, als die Taliban (die im Gegensatz zu den Russen übrigens keine Ausländer sind, was den Konflikt wiederum komplexer macht) Kabul einnahmen.”
Aber was folgt daraus? Das Amüsante an diesem Übermedien-Tumultanten besteht darin, dass er indirekt bestätigt, was er zu attackieren vorgibt. Der Ukraine-Krieg interessiert ihn herzlich wenig – was ich völlig verstehe, er ist ja kein Ukrainer –; stattdessen erregt ihn der vermeintliche Rassismus der Berichterstatter im Vergleich zu anderen Konflikten. Unsere Neumitbürger mit orientalisch-afrikanischer Diskriminierungsgeschichte halten den Universalschlüssel zu den Besitztümern der westlichen Welt, den ihnen die neidgesteuerten West-Linken ausgehändigt haben, fest in den Händen: den Rassismusvorwurf.
„Eine erstaunliche Zahl von Reportern, Analysten und anderweitigen Beobachtern des Krieges demonstriert offenkundigen Rassismus. Einer der ersten Journalisten, der damit auffiel, war Charlie D’Agata vom amerikanischen Sender CBS News. In einem Bericht aus Kiew meinte er, dass die Ukraine nicht mit dem Irak oder Afghanistan vergleichbar sei, weil es sich um ein ‚europäisches’ und ‚zivilisiertes’ Land handele.”
Der Witz ist, dass diese Linken meinen, ihr Postulat allgemeinmenschlicher Gleichheit sei auch der Beweis dafür, dass es gilt. Dass sich sogar die hochkorrupte Ukraine im Vergleich zu Afghanistan recht zivilisiert ausnimmt, ist aber nichts als eine Tatsache.
„In einem Interview mit der BBC sagte der ukrainische Generalstaatsanwalt David Sakvarelidze, dass er in diesen Tagen besonders emotional sei, weil er sehe, wie ‚europäische Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren’ täglich getötet werden. Dieser Satz, der in den Sozialen Medien für Entsetzen sorgte, wurde vom Interviewer in keiner Weise hinterfragt.”
Wer „Entsetzen in den sozialen Medien” als Beweis für was auch immer anführt, sollte sich vielleicht besser aufs Jodeln oder Bongospielen kaprizieren statt aufs Analysieren. Im Übrigen ist es vollkommen normal und zeugt von einer inzwischen leider seltenen Unverlogenheit, wenn jemand coram publico zugibt, dass ihm der Tod von ethnisch-kulturell Ähnlichen näher geht als das Ableben ihm eher Fernstehender. Wir armen Menschlein sind ja bislang mehrheitlich nur so weit fortgeschritten, dass wir unser familiäres Ethos auf den Stamm oder die Nation zu erweitern fingieren können. Ich will aber keineswegs ausschließen, dass es herzensgute Zeitgenossen gibt, bei denen jeder Tote auf Erden ein identisches Maß an Kummer auslöst; sie sollen gesegnet sein und bei der Auferstehung unbedingten Vortritt genießen!
„Stattdessen wurde der rassistische Berichterstattungsfeldzug anderswo erbarmungslos fortgesetzt”, setzt unser Übermedien-Rassismusdetektor seinen Berichterstattungsverdrehungsfeldzug erbarmungslos fort. „Korrespondentin Lucy Watson vom britischen ITV behauptete sichtlich aufgebracht, dass es sich bei der Ukraine ’nicht um ein Dritte-Welt-Land handeln würde, sondern um Europa’.”
Stimmt.
„Auch im britischen ‚Daily Telegraph’ hieß es, der Krieg in der Ukraine sei besonders schlimm, weil die Opfer ‚aussehen wie wir’. (…) Meist wurde dasselbe impliziert: Die Geflüchteten aus der Ukraine seien im positiven Sinne ‚anders’. Sie seien hellhäutig oder weiß, christlich, ‚wie wir’ und deshalb ‚zivilisierter’ als jene, die in den vergangenen Jahren gen Europa gezogen sind, sprich, Menschen aus Afghanistan, Syrien oder Somalia.”
Zivilisierter als Menschen aus Somalia, jetzt übertreiben sie aber.
„Der ZDF-Korrespondent Armin Coerper fiel damit auf, dass er meinte, im Niemandsland zwischen Polen und der Ukraine sehr viele ‚muslimisch aussehende Männer’ erkannt zu haben, die separiert worden seien – womöglich sogar als Teil einer neuen Flüchtlingsroute aus dem Nahen Osten.”
Ja und? Auch das ist eine Tatsache. Wenn jetzt ein Naseweis fragt: Woran erkennt man muslimisch aussehende Männer im Niemandsland zwischen der Ukraine und Polen?, kann ich versichern: Man erkennt sie. Ich erkläre mich bereit für ein Experiment. Wenn meine Quote unter 80 Prozent liegt, konvertiere ich zum Islam.
„Der Höhepunkt dieser rassistischen Scharade wurde ausgerechnet im deutschen Fernsehen zur Prime Time erreicht. Bei ‚Hart aber fair’ hatte sich am Montag eine eher homogene Runde zusammengefunden” – anders als in Somalia oder Afghanistan, dort sind die Runden nie homogen, sondern total divers – „und verbreitete fröhlich Stereotype über Geflüchtete aus bestimmten Regionen. Da saß etwa ein Gabor Steingart, der nach entsprechender Vorlage von Frank Plasberg die Ukrainer auch zu ‚unserem Kulturkreis’ zuordnete und sagte: ‚ja, es sind Christen’, und dass er sich deshalb vorstellen könnte, dass es ‚diesmal funktioniert’. (Das heißt, beim letzten Mal hat es nicht funktioniert?)”
Hätte es funktioniert, Gevatter, dann säße doch in keinem deutschen TV-Kanal mehr eine homogene Runde von Kartoffeln! (Ich frage mich immer wieder, woher unsere neueren Mitbürger diese Kaltschnäuzigkeit nehmen und ob sie, wenn sie in Nigeria oder Pakistan eingewandert wären, den Einheimischen ebenfalls mit Rassismus- und Homogenitätsterror-Unterstellungen in den Ohren liegen würden. Ich meine, es gibt fast 200 Länder auf Erden, da wird sich doch eines finden lassen, in dem man weniger unter Rassismus leiden muss als in ’schland…)
„Der pensionierte deutsche Nato-General Hans-Lothar Domröse holte noch weiter und brutaler aus. Nach seinen Worten handelt es sich bei den Geflüchteten von 2015 zu einem großen Teil um junge Männer, ‚wehrfähige, starke Männer, die eigentlich ihr Land verteidigen sollten’. Nun, so Domröse, sei ja zum Glück Gegenteiliges der Fall: Ukrainische Männer würden ihre Heimat gegen die russischen Truppen verteidigen, während die ‚Frauen, Mütter und Kinder’ gehen.”
Ja, die Wahrheit, Pontius hin, Pilatus her, kann brutal sein.
„Bei so viel Rassismus und Ignoranz bleibt mir die Spucke weg.”
Macht nichts, solange der Geifer tropft! In diesem Milieu sind der als Antirassismus kostümierte Abgreif-Rassismus und die denselben um einen doch so unendlich angemessenen Selbstzweifel erleichternde Ignoranz längst endemisch geworden.
„Als während des Jugoslawienkrieges der 1990er-Jahre ein Genozid gegen die Bosniaken verübt wurde, konnten sich nur wenige Deutsche, Briten oder Franzosen mit ihnen solidarisieren – obwohl sie so aussahen wie sie. Ähnliches war auch der Fall, als Wladimir Putin die tschetschenische Hauptstadt Grosny dem Erdboden gleichmachte und zahlreiche Menschen flüchten mussten. Auch die damaligen Geflüchteten sahen ‚europäisch’ aus – wenn man das überhaupt so bezeichnen will – doch sie trugen ‚muslimische’ Namen wie Emir oder Ramzan, und die haben, so meinen anscheinend viele bis heute, nichts mit Europa und ‚unserem Kulturkreis’ zu tun.”
Unseren Freund, langsam hat es auch der Letzte kapiert, interessieren nur die Muslime – Bosniaken, Tschetschenen (doch doch, ein echter Rassist erkennt sie durchaus) –, weil er mit hoher Wahrscheinlichkeit selber einer ist oder sich aus geheimnisvoll-chtonischen Gründen mit ihnen solidarisiert. Ich unterstütze seine Sicht der Dinge vollauf, es ist freilich nicht meine, denn ich stamme aus einem anderen Kulturkreis. Kulturkreise sind nur ab einer gewissen Einkommensstufe miteinander kompatibel, aber selbst dort wird im Konfliktfall die Trennlinie rasch zur Bruchlinie. Das ist weder gut noch schlecht, sondern lediglich phänomenal. Außer natürlich für Linke, die alle Menschen gleich machen wollen und meinen, das funktioniere am besten, indem man sie einfach von vornherein für gleich erklärt, weshalb sie jeden Unterschied skandalisieren.
„Dass dieser Huntington’sche Begriff, der bereits zigfach dekonstruiert wurde, weiterhin so inflationär verwendet wird, ist ein Skandal für sich”, statuiert dagegen sehr entschieden, ja enragiert unser Gevatter Feroz. Diese Hochbegabten meinen allen Ernstes, die Tatsache der Kulturkreise sei dekonstruiert, wenn man Vertreter der Kulturkreistheorie „Rassisten” nennt. Als ob es jemals eine Wirklichkeit interessiert hätte, wenn ein für ihre Etikettierung benutzter Begriff „dekonstruiert” wurde.
Man kann diesen poststrukturalistisch durchglühten Edlen nur wünschen, dass sie niemals in bürgerkriegsartige Situationen geraten, wo man sie sehr schnell anhand ihres Kulturkreises und ihrer Ethnie – es gibt da gewisse Überschneidungen – identifizieren und entweder dem befreundeten oder dem feindlichen Lager zuordnen wird.
PS: Ein womöglich idiosynkratisches Misstrauen gibt mir allerdings den Verdacht ein, dass ausgerechnet dieser Autor kein Wort von dem wirklich glaubt, was er da schreibt.
***
Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine hat sich die Zahl der Leserzuschriften nochmals erhöht, und mit einer getreulichen Verlässlichkeit bringen fast alle Schreiber eine jener zwei Seelen zum Sprechen, die in meiner ganz unfaustischen Brust wohnen.
„Trotz des Bemühens, sich nicht gemein machen zu wollen mit diesem grün-rot-gelb-schwarzen Einheitsblock, kommt man nicht umhin, Putin zu verurteilen (und zwar deutlich)”, meint beispielsweise Leser ***. „Bei allem, was man dem Westen und den USA an Mitschuld geben kann, das ist nicht die richtige Reaktion darauf. Bei mir kommt hinzu, dass ich mir verarscht vorkomme. Das ist nicht der Putin, dessen Rede im Valdai-Club am 21. Oktober 2021 ich mit großem Interesse gelesen hatte. Das ist auch nicht der Putin, von dem ich dachte, er sei der Einzige, der es an ‚Drahtseil-Nervenfähigkeit’ mit Merkel aufnehmen könne. Das ist auch nicht der Stratege und Taktiker, der in zäher Kleinarbeit den Druck auf die Ukraine aufrecht erhält und auf das Einknicken des Gegners warten kann. Das erinnert eher an Hitler, als er im Dezember 1941 sich eingestehen mußte, dass dieser Krieg nicht mehr gewonnen werden kann.
Man mußte bei der Ukraine einkalkulieren, dass hier ebenfalls kein durchschlagender Erfolg möglich war und lernen, sich mit einem Teilerfolg zufrieden zu geben. Wenn schon die Mitgliedschaft in der Nato auf Dauer wohl nicht mehr zu verhindern gewesen wäre, dann hätte man sicherlich durchsetzen können, dass erstens keine Natotruppen und zweitens keine Atomwaffen dort stationiert würden.
Putin hätte als letztlich großer Staatsmann in die Geschichte eingehen können (und seine Blutflecken auf der weißen Weste wären demgegenüber verblasst). Jetzt geht er als Krimineller in die Geschichte ein. In der Ukraine ist für ihn nichts mehr zu gewinnen und – das fürchte ich –, der Zeitgeist des Westens wird jetzt über die Gegnerschaft vieler Russen gegen diesen Krieg auch in Rußland einziehen. Er könnte der Totengräber für das bisherige Bollwerk Rußland werden, und – auch das ist sogar mittlerweile denkbar – er könnte am Ende sogar gestürzt werden. Den von ihm verachteten Zeitgeist des Westens hat er unterschätzt.
Obwohl militärisch gesehen lächerlich (schon Clausewitz mußte feststellen ‚Die Generale und Führer waren nicht unter den Waffen ergraut, sondern im Frieden verweichlicht und veraltert; die Kriegserfahrung war meist erloschen, der Geist Friedrichs des Zweiten wehte nicht mehr über dem Ganzen, das Material des Heeres sank bei Einhaltung des alten Etats und immer steigenden Preisen aller Bedürfnisse zum dürftigen und unbrauchbaren herab’) entwickelte dieser Zeitgeist eine weltweit agierende Kraft, die militärische Aktionen regelrecht verpuffen lassen kann. Das Einzige, was diesen Zeitgeist noch aufhalten kann, wäre ein wirtschaftlicher Ein-/Zusammenbruch. Möglicherweise kommt das als Kollateralschaden. Ich habe bei Clausewitz gelernt, dass Kriegsauswirkungen ‚unberechenbar’ sind. Ich gebe zu, ich gönnte als Resultat auch dem gesamten Westen einen wirtschaftlichen Zusammenbruch, damit wieder in die Hirne der gute alte Brecht käme (Zuerst kommt das Fressen [sprich ‚das Überleben’], dann die Moral). Aber da man leider mittendrin ist, ist das alles nur sehr sehr bedauerlich.”
***
„Die aktuelle Debatte über den Ukrainekrieg krankt meines Erachtens an den gleichen Symptomen wie der politische Diskurs in Deutschland insgesamt”, schreibt Leser ***. „Geschichtsvergessenheit, Inkompetenz und Dünkel dominieren die politische Landschaft. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Phänomen findet nicht statt, eine Erhellung der Umstände – die möglicherweise zu besseren politischen Entscheidungen führen könnte – unterbleibt, die Frage nach Ursachen wird nicht gestellt. Ja sogar die Frage nach diesen Ursachen ist bereits verdächtig und macht jeden, der sie stellt, zum ‚Putin-Versteher’, wo doch jeder weiß: Schuld hat nur Putin und Putin alleine. Nur Putin hat den Krieg gewollt, schon seine Landsleute wie auch seine Soldaten sind eigentlich nur Opfer… Meine Hypothese ist, dass jede tiefergehende und ergebnisoffene Ursachenforschung von vornherein unmöglich gemacht werden soll. Aber wo würde eine ehrliche Ursachenforschung beginnen?
Am Anfang könnte meines Erachtens eine Frage an uns selbst stehen: Hätten wir den Krieg verhindern wollen? So wie ich das sehe, haben wir die ganze Zeit über nichts dazu beigetragen, den Konflikt zu deeskalieren. Man ist auf keine der russischen Forderungen ansatzweise eingegangen (der Russe hat nichts zu wollen). Wenn also die Ukraine die russische Rote Linie war (ganz offensichtlich der Fall), so musste doch unser unnachgiebiges Verhalten zwangsläufig in eine bewaffnete Auseinandersetzung führen – war das beabsichtigt? Diese Frage ist übrigens völlig unabhängig davon, ob und dass dieser Krieg verurteilenswert ist – natürlich ist er das. Die Realität ist aber leider, dass Russland ein militärisch hochgerüstetes Land ist, und tatsächlich muss Russland keine Behandlung ertragen (ob für uns nachvollziehbar oder nicht), die es für unzumutbar hält (schwächere Länder haben keine Wahl, Russland schon). Über Jahrzehnte war sich das deutsche diplomatische Corps dieser spieltheoretischen Tatsachen (und der daraus folgenden Logik) bewusst, heute offenbar nicht mehr.
Deshalb nochmals die Frage: Wollten wir das, finden wir das wünschenswert? Denn wenn Krieg das ist, was wir wollten, dann sollten wir aufhören mit dem sich-Entrüsten und stattdessen anfangen mit dem Aufrüsten, denn dann haben wir auf Krieg hingearbeitet, und Krieg haben wir bekommen. Die Notwendigkeit, dies propagandistisch alles dem Russen in die Schuhe zu schieben, verstehe ich schon, aber lügen wir uns doch bitte nicht selbst an. Jeder halbwegs kompetente Historiker hätte das kommen sehen, mein Vater (ein einfacher Handwerker) hat die treffende Vorhersage gemacht: ‚Die werden sich das nicht ewig gefallen lassen, irgendwann kommt der Punkt.’ Putin hat bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2007 gesagt, wenn der Westen nicht anfangen werde, Russlands Bedürfnisse ernstzunehmen, dann werde es absehbar irgendwann zur Konfrontation kommen. Auch danach hat er diese Position immer wieder klargestellt, das letzte Mal Anfang diesen Jahres. Dass sich unsere Politiker im Gaslichtern ergehen und erklären, der Russe solle sich mal nicht so anstellen, schließlich sei die Nato ein rein defensives Bündnis, ist geradezu grotesk. Und selbst wenn, wie naiv kann man sein zu glauben, die Russen würden das glauben (wieder: Spieltheorie!)
Meine Hypothese ist: Genau weil diese Schlussfolgerung derart offensichtlich ist (jedenfalls für alle, die sich nur ein bisschen für Geschichte interessieren, schon Huntington hat 1993 diese Vorhersage in ‚Clash of Civilizations’ gemacht), müssen die Verantwortlichen alles daransetzen, jene, die sie aussprechen, mindestens als Putinversteher zu brandmarken. Sonst könnte die Öffentlichkeit – Gott bewahre – am Ende noch auf den Gedanken kommen, dass wir eine gehörige Portion Mitschuld an der aktuellen Situation tragen.
Es ist wahrscheinlich, dass unsere Genies in Washington, London und Brüssel den Iwan einfach nicht ernst genommen und darauf gehofft haben, dass er nur blufft (obwohl der US-Präsident offenbar genau Bescheid wusste, was passieren würde). Man ist dann also sehenden Auges in diese Situation hineingelaufen und riskierte damit entweder einen Atomkrieg, oder dass die auf falsche Versprechungen hereingefallene Ukraine von den Russen zermalmt wird (das aktuelle Szenario). Ein nicht weniger großer Skandal.
Die richtige Frage wäre dann: Wie konnten es dazu kommen, wieso in Gottes Namen hat man nicht verhandelt, wäre eine neutrale Ukraine wirklich so schlimm gewesen, im Vergleich zu dem, was wir nun sehen?
Mein Fazit: Das Resultat dieser Politik ist eine Katastrophe, aber das Desaster fängt schon weit vor dem 24. Februar 2022 an. Mit Leuten wie Helmut Kohl an der Spitze des Staates wäre es niemals so weit gekommen. Wir mögen zwar die Guten sein, aber wir sind sicher nicht unschuldig daran, was mit den Ukrainern passiert, verantwortungsvolle Politik hätte das kommen sehen.”
***
Erhellend und in gewissem Sinne sekundierend, was Peter Scholl-Latour dazu und zum Afganistan-Einsatz vor 15 Jahren sagte.
***
Übrigens: In Russland wären die Acta diurna inzwischen wohl gesperrt.
***
„Sehr geehrter Herr Klonovsky, wir haben eine Haushaltshilfe, Olga, sie kommt aus Kasachstan und wohnt seit mindestens 20 Jahren hier. Sie war dort Lehrerin und muss hier putzen. Ihre Großeltern waren im Lager. Sie durfte als Kind nicht deutsch sprechen. Jeden Mittwoch frische ich meine Russischkenntnisse auf, die Margot Honecker mir verordnete. Gestern kam sie völlig aufgelöst zu uns und erzählte: Ein kleines Mädchen im Grundschulalter sei weinend nach Hause gekommen. Ihre Mitschüler hätten mit Fingern auf sie gezeigt und: ‚Russe, Russe!’ geschrien. Sie schluchzte: ‚Ich bin doch hier geboren, ich bin doch eine Deutsche.’ Olga selbst sprach schlechter als sonst, so aufgeregt war sie. In ihrem Viertel (Sozialwohnungen) grüßten sie die Nachbarn nicht mehr, ja sie schauten bei Begegnungen weg.
***
***
„Im Zusammenhang mit Corona hatte es sich bereits angedeutet, aber jetzt ist es evident: Der deutsche Michel wird erst richtig wach und entwickelt dann eine schier unendliche Fantasie, wenn es darum geht, staatliche Forderungen umzusetzen, andere zu denunzieren, auszuschließen und seinen Staat in vorauseilendem Gehorsam zu überholen. Es ist ihm vollkommen egal, gegen wen es geht oder wer gerade regiert. Hauptsache, er hat den Staat im Rücken und riskiert persönlich nichts dabei. Die Deutschen sind mehrheitlich wieder ein gefährlicher Mob, der potentiell jeden bedroht, der anders ist, anders handelt oder anders denkt, als die Mehrheit. Seit Merkel wird diese abstoßende Seite der deutschen Mentalität gezielt staatlich gefördert, positiv konnotiert und kultiviert. Die Folgen davon sind schon jetzt ekelerregend!”
(Leser ***)
Aber die politisch korrekten Meuten formieren sich – soll man sagen: leider? gottlob? – nicht nur in Deutschland.
***
Aber den macht uns denn doch keiner nach.
„Und ein Engel trat zu mir uns sagte: Zitiere sie! Und ich zitierte sie” (Karl Kraus):
„Die Weltsportgemeinschaft war in einer bisher nie dagewesenen Solidarität aufgetreten und schloss überall russische und belarussische Athletinnen und Athleten aus. Nicht um die Athleten zu quälen, sondern um gegen Putin und Lukaschenko ein Zeichen zu setzen. Bei den Paralympics aber tat man noch bis gestern so, als wäre nichts – und die russischen und belarussischen Sportler sollten als Mogelpackung unter ’neutraler Flagge’ antreten dürfen. Da haben wir uns empört. Mann stelle sich das doch mal vor: Da hätten beim Biathlon am Schießstand ein russischer und ukrainischer Athlet möglicherweise nebeneinander gelegen. Das wäre doch unerträglich.”
Was aber meinte der Funktionär mit „unangemessenem Verhalten” der Russen? Das:
„Ich war gestern – nach der zwischenzeitlichen Entscheidung, dass russische und belarussische Athleten teilnehmen können – sehr angefressen, weil im russischen Haus nebenan frenetischer Jubel ausgebrochen ist. Das hielt ich für völlig unangemessen. Und das hat auch nicht die Neutralität und Betroffenheit gegenüber dem Krieg zum Ausdruck gebracht.”
Tja, zu früh gejubelt, nun heißt es heimkehren, ihr Russenkrüppel!
In der Brave New World wird es nur noch solche geben, die dazugehören (und dies täglich tatkräftig unter Beweis stellen), und die Feinde der Menschheit.
***
„Wenn Putin der blutsäuferische Psychopath ist, wie ihn unsere Medien präsentieren, dann verlangen OB Reiter und Genossen nicht mehr und nicht weniger von Herrn Gergiev und Frau Netrebko, als daß sie sich durch drastische Erklärungen gefährlichen Repressionen ihres Staatschefs aussetzen. Hat man uns nicht schon mehrfach mitgeteilt, dieser Wahnsinnige pflege aus Rachsucht abtrünnige Staatsbürger auch im Ausland vergiften zu lassen?”
(Leser ***)
***
Während es sich beim „Großen Austausch” um eine gefährliche rechtsextreme Verschwörungstheorie handelt –
da capo (das Original stammt von einer jüdischen Emigrantin in New York): „Achmed, wie gefällt es dir in Offenbach?”
„Nun, wie soll es mir schon gefallen in der Levante?” –,
ist der „Kleine Austausch” in Bestland zur schönen Sitte und Gewohnheit geworden.
Ludger K. war für ein viermonatiges Gastspiel im Bochumer Varieté „et ceterea” als Moderator gebucht, im März sollte es losgehen. Die Theaterleitung bekam aber einen „Tipp” von der örtlichen Zeitung, der WAZ. Keine 24 Stunden später war die Show aus dem Online-Marketing verschwunden, bereits gedruckte Flyer und Poster wurden geschreddert, der Vertrag mit fünfstelliger Gage gekündigt. Ludger K. war mehrerer schwerer Gedankenverbrechen überführt worden; der Kabarettist hatte, erstens, in Kontakt (!) zu Max Otte gestanden, zweitens irgendwann einmal der Jungen Freiheit ein Interview gegeben, und war, drittens, durch kritische Äußerungen zur Impfpflicht verhaltensauffällig geworden. Um Haaresbreite hätte so ein Gesinnungsbandit also in Bochum moderiert!
Die Westdeutsche Allgemeine lieferte die Hinrichtungsurteilsbegründung nach. Den Kommentar dieses Prachtexemplars einer im restdeutschen Tätervolkskörper offenbar bis zuletzt nicht aussterbenden feilen Sklavenseelenmentalität will ich aus Chronistenpflicht zur Gänze einrücken.
Wenn der Gesinnungslump den Feiglingen „Respekt” zollt und ihr couragiertes Einknicken „Haltung” nennt, ist man mittendrin statt nur dabei im besten Deutschland, das es je gab.
***
Zum Schluss für heute etwas Komisches.
(Hier.)