Lektüreempfehlung

Es gibt Bücher, in denen man sich gern auf­hält, wo man stau­nend her­um­geht, alle Zim­mer durch­stö­bert und kei­nen Win­kel aus­las­sen möch­te (wobei der Begriff „man“ gera­de bei dem Autor, um den es geht, nur mit Bedacht ver­wen­det wer­den soll­te). In einem sol­chen Buch nahm ich in den ver­gan­ge­nen Tagen Quar­tier, und es war eine erfreu­li­che Ablen­kung vom stump­fen Einer­lei des drau­ßen herr­schen­den poli­ti­schen Stra­ßen­lärms. Die Rede ist von Lorenz Jägers soeben bei Rowohlt erschie­ne­ner Bio­gra­phie „Heid­eg­ger. Ein deut­sches Leben“.

Jäger, Jahr­gang 1951, wur­de in Frank­furt am Main als Ger­ma­nist pro­mo­viert und hat in den USA und in Japan deut­sche Lite­ra­tur gelehrt. Er stieß 1997 zur FAZ, wo er zuletzt das Res­sort „Geis­tes­wis­sen­schaf­ten” lei­te­te und „als Rechts­au­ßen der Feuil­le­ton-Redak­ti­on ein­schlä­gig bekannt“ war, wie Jür­gen Haber­mas, die Rechts­au­ßen der Sport- und Auto­mo­bil­re­dak­ti­on vor­nehm ver­scho­nend, vor nun auch schon fast 20 Jah­ren rühm­te. Ich habe das Ver­gnü­gen, mit ihm, also mit Jäger, nicht mit Haber­mas, auf ver­trau­tem Fuße zu ste­hen, und ich ken­ne kei­nen zwei­ten Men­schen, der auf eine so beschei­de­ne Wei­se so viel weiß. Mir war seit län­ge­rem bekannt, dass er an einem Buch über Heid­eg­ger arbei­tet. Wer die Lebens­ge­schich­te eines Den­kers schreibt, muss ja auto­ma­tisch auch die Geschich­te eines Den­kens nach­zeich­nen, was in die­sem Fal­le auf eine Acht­tau­sen­der-Bestei­gung hin­aus­läuft, allein „lek­tü­re­tech­nisch“, aber mit sei­nen Bio­gra­phien von Theo­dor W. Ador­no (2005 erschie­nen) und Wal­ter Ben­ja­min (2017) hat­te Jäger ein alpi­nes Trai­nings- und Auf­wärm­pro­gramm hin­ter sich gebracht, das ihn fit für die ganz eisi­gen Höhen machte.

„Von Heid­eg­ger”, sta­tu­iert sein Bio­graph, „geht eine Beun­ru­hi­gung aus, die nicht nach­lässt.” Hier ist weder der Raum, noch bin ich dazu beru­fen, auf die­ses Den­ken ein­zu­ge­hen. „Es ist zu wenig Kopf­zer­bre­chen in der Welt“, sag­te der alte Heid­eg­ger in einem Radio­in­ter­view, und ich füh­le mich ange­spro­chen. Für sein Werk – von einer „Leh­re” mag man bei einem Den­ker, der so viel und so boh­rend fragt („Das Fra­gen ist die Fröm­mig­keit des Den­kens“), kaum spre­chen – hat er eine Spra­che ent­wi­ckelt, die, je nach Stand­punkt, als tief­sin­nig, ein­drucks­voll und packend oder als eso­te­risch, abwei­send und ver­spon­nen emp­fun­den wird. Was mich betrifft, so oszil­lie­re ich zwar zwi­schen bei­den Posi­tio­nen, je nach Tages­form, jedoch bei ent­schie­de­ner Gering­schät­zung der zwei­ten. Wer zur Kate­go­rie eins zählt, befin­det sich dort jeden­falls in glanz­vol­ler Gesell­schaft. So wie kein Kom­po­nist von Rang nach Wag­ner nicht „Wag­ne­ria­ner“ war, so hat sich kein Den­ker von Rang nicht inten­siv mit Heid­eg­ger beschäf­tigt und von ihm gelernt.

Von einem Phi­lo­so­phen erwar­tet die Welt ein irgend­wie bei­spiel­haf­tes Leben. Es gilt als aus­ge­macht, dass sich der Denk­stil auch im Lebens­stil nie­der­schla­gen müs­se. „Ich mache mir aus einem Phi­lo­so­phen gera­de so viel, als er imstan­de ist, ein Bei­spiel zu geben“, schreibt Nietz­sche in sei­ner drit­ten unzeit­ge­mä­ßen Betrach­tung. Jemand ist ein Phi­lo­soph nicht nur in sei­nen Tex­ten – er ist es ganz oder gar nicht. Die Fra­ge, wie ein Phi­lo­soph gelebt hat, führt mit­ten in sein Denken.

„Er wur­de gebo­ren, arbei­te­te und starb“, lau­tet Heid­eg­gers berühm­te Blitz­bio­gra­phie des Aris­to­te­les. Ein Phi­lo­soph hat kein Leben, soll das kokett hei­ßen. Aber sogar Kant hat­te eines. Was Aris­to­te­les betrifft, so stand der auf ver­trau­tem Fuße mit Pla­ton und trat in des­sen Aka­de­mie ein, wo wahr­schein­lich auch nicht immer nur gear­bei­tet wur­de; spä­ter wur­de er der Leh­rer Alex­an­ders des Gro­ßen, und am Ende sei­nes Lebens muss­te er aus Athen ins Exil flie­hen. In Heid­eg­gers Fall müss­te man an die Stel­le von Pla­ton Huss­erl set­zen und an die Stel­le Alex­an­ders … – na, las­sen wir das, es hat ja eh nicht funk­tio­niert. Jeden­falls war da etwas, und die­ses Etwas ist seit Jah­ren das eigent­li­che (hihi) The­ma, wenn es um den klein­wüch­si­gen Denk­rie­sen aus dem Schwarz­wald geht.

Wäh­rend das ton­an­ge­ben­de publi­zis­tisch-aka­de­mi­sche Milieu im Wes­ten allen intel­lek­tu­el­len Sta­lin-Kol­la­bo­ra­teu­ren so schnell ver­zie­hen hat wie die­se sich selbst, bleibt der kur­ze Flirt von Carl Schmitt, Heid­eg­ger und Gott­fried Benn mit den Natio­nal­so­zia­lis­ten ein ewi­ger Skan­dal, in den man sogar den cha­rak­ter­lich tadel­lo­sen Ernst Jün­ger hin­ein­zu­zie­hen ver­such­te. Alle drei haben sich vom NS-Regime abge­wandt, bevor des­sen Mord­ma­schi­ne anlief, lan­ge vor Reichs­kris­tall­nacht und Kriegs­aus­bruch, auch das unter­schei­det sie von vie­len euro­päi­schen Lin­ken, die sogar in den Zei­ten der чистка nicht am Sowjet­kom­mu­nis­mus irre wur­de. Die Atro­zi­tä­ten der Nazis ver­stel­len uns im Nach­hin­ein lei­der den Blick auf die unge­heu­re Komik, die in Heid­eg­gers Enga­ge­ment für das Regime liegt. Statt Ankla­ge­schrif­ten gegen ihn zu ver­fas­sen, wäre es weit loh­nen­der – und ent­lar­ven­der –, eine Komö­die zu schrei­ben. (Ich habe ein­mal damit begon­nen, im ers­ten Akt soll­ten Bis­marck und Nietz­sche auf­tre­ten, im zwei­ten Heid­eg­ger und Hit­ler, im drit­ten Haber­mas und Ger­hard Schrö­der oder Hel­mut Kohl.) Heid­eg­gers Idee, er sei beru­fen, den Füh­rer zu füh­ren, ist köst­lich; man muss sich nur aus­ma­len, wie der genia­lisch-gro­tes­ke Hin­ter­wäld­ler in der Neu­en Reichs­kanz­lei auf Hit­ler ein­re­det, um ihn auf „die Wahr­heit des Vol­kes“ im Lich­te der Wie­der­erwe­ckung des Grie­chen­tums ein­zu­stim­men, wäh­rend drau­ßen vor der Tür der eng­li­sche Bot­schaf­ter war­tet. Nach Heid­eg­gers berüch­tig­ter Rek­to­rats­re­de sei das Audi­to­ri­um unschlüs­sig gewe­sen, ob man jetzt in die SA ein­tre­ten oder doch bes­ser die Vor­so­kra­ti­ker stu­die­ren sol­le, spot­te­te Karl Löwith.

Von einer gewis­sen Komik ist auch, dass Heid­eg­ger in den ers­ten Wochen nach der „Macht­er­grei­fung“ zusam­men mit sei­ner Gelieb­ten Eli­sa­beth Bloch­mann, Pro­fes­so­rin für Päd­ago­gik in Hal­le und halachi­sche Jüdin wie Han­nah Are­ndt, in sei­ner Frei­bur­ger Woh­nung Pla­tons „Phai­dros“ las, in dem es um das Ver­hält­nis von Rhe­to­rik und Wahr­heit und die Fra­ge geht, ob die Rhe­to­rik einen wahr­heits­un­ab­hän­gi­gen Eigen­wert habe. Sei­ner Frau schreibt er in die­sen Tagen, er habe vor, „die Meta­phy­sik des deut­schen Daseins in sei­ner Urver­bun­den­heit mit den Grie­chen wir­ken­des Werk“ wer­den zu las­sen. „Heid­eg­ger erhebt den Anspruch, als Ein­zi­ger den Sinn der NS-Revo­lu­ti­on zu ken­nen“, notiert sein Bio­graph. Tat­säch­lich besaß Heid­eg­ger nicht einen Schim­mer davon, was sich damals in der wirk­li­chen Welt zutrug, wor­auf es hin­aus­lau­fen wür­de und wel­che höchst unwich­ti­ge Neben­rol­le ihm sel­ber in die­sem Spiel zuge­dacht war. Kei­ner der Par­tei­vög­te leg­te Wert dar­auf, sich von die­sem Denk­sch­rat in den tat­säch­li­chen Sinn der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung ein­wei­hen zu lassen.

Immer­hin däm­mer­te es dem in die Irre ver­schla­ge­nen Seins­deu­ter bereits Ende 1933, so Jäger, dass er auf gan­zer Linie geschei­tert war – auch wenn bis heu­te nicht ganz klar ist, wor­in eigent­lich. Sei­ne dama­li­ge geis­ti­ge Umwelt beschreibt er mit Wor­ten wie „Vul­gär­na­tio­nal­so­zia­lis­mus“, „trü­ber Bio­lo­gis­mus“ und „bil­ligs­te Platt­heit als volks­ver­bun­de­nes Den­ken“. Volk ist für ihn kein bio­lo­gi­scher Ver­band, son­dern eine Gemein­schaft, die eine geschicht­li­chen Zukunft – ein „Geschick“ – teilt. Die nach sei­nen Vor­stel­lun­gen erneu­er­te deut­sche Uni­ver­si­tät soll der Ort sein, an dem die künf­ti­gen kul­tu­rel­len Füh­rer des Vol­kes aus­ge­bil­det wer­den, mit der Phi­lo­so­phie als Leit­wis­sen­schaft ver­steht sich. Heid­eg­gers meta­phy­si­sche Trun­ken­heit ange­sichts der „Grö­ße und Herr­lich­keit die­ses Auf­bruchs“, den er als etwas wahr­nimmt, das kein Mensch außer ihm begreift, hält ein Sün­den­jähr­chen an. Im April 1934 legt er das Rek­to­rat nie­der und begibt sich in den poli­ti­schen Entzug.

In sei­ner Höl­der­lin-Vor­le­sung im Win­ter­se­mes­ter 1934/35 erklär­te Heid­eg­ger: „Lie­be ist nach alter Weis­heit ein Wol­len, näm­lich wol­len, dass das Gelieb­te sei, in sei­nem Sosein, das es ist, sei­nem Wesen stand­hal­te.“ Damit, erläu­tert Jäger, spiel­te er auf den Aus­spruch des Augus­ti­nus an: „Volo ut sis“ – „Ich will, dass du sei­est”. Mit die­sem Augus­ti­nus-Zitat hat­te er einst sowohl Han­nah Are­ndt als auch Eli­sa­beth Bloch­mann ange­harft, sei­ne bei­den jüdi­schen Gelieb­ten, die inzwi­schen im Exil leben. „Heid­eg­ger will den Natio­nal­so­zia­lis­mus meta­phy­sisch über­hö­hen und denkt dabei an die Jüdin­nen, die er ein­mal geliebt hat, sagt es aber nie­man­dem, nicht ein­mal sei­nem Tage­buch. Ist er nicht der exem­pla­ri­sche Deutsche?“

Anfang der 1930er Jah­re sah Heid­eg­ger sei­ne Mis­si­on dar­in, „einem Volk die ver­lo­re­ne Meta­phy­sik zurück­zu­ge­ben“. Die Deut­schen und die anti­ken Grie­chen hält er für die bei­den maß­geb­li­chen Völ­ker, wäh­rend „Römer­tum, Juden­tum und Chris­ten­tum die anfäng­li­che Phi­lo­so­phie – d.h. die grie­chi­sche – völ­lig ver­än­dert und umge­fälscht“ haben. „Der Deut­sche allein kann das Sein ursprüng­lich neu dich­ten und sagen“, glaubt er – ein zumin­dest sehr spe­zi­el­les „Deutsch­land, Deutsch­land über alles”. Am Ende der 1930er fühlt er sich in Nazi-Deutsch­land geis­tig völ­lig iso­liert. Die meis­ten Gesprä­che führt er mit Höl­der­lin. Von Poli­tik ist er für immer kuriert. Das erfährt ein paar Jah­re spä­ter unter ande­rem Jean-Paul Sart­re, der über sei­ne Begeg­nung mit Heid­eg­ger fest­hielt: „Er kotzt auf das Enga­ge­ment. Ich hat­te ihm davon gespro­chen. Er betrach­te­te mich mit einem Blick unend­li­chen Mitleids.”

Den Zusam­men­bruch des Drit­ten Reichs über­steht die Fami­lie Heid­eg­ger ohne Todes­fall. Bei­de Söh­ne gera­ten in Kriegs­ge­fan­gen­schaft. „Mit dem Gefühl, den alli­ier­ten Sie­gern kei­ne wei­te­ren Recht­fer­ti­gun­gen zu schul­den, geht Heid­eg­ger in die Besat­zungs­zeit“, notiert sein Bio­graph. Wie ande­re auch, die erwähn­ten Her­ren Schmitt und Benn bei­spiels­wei­se, ist der Phi­lo­soph pikiert dar­über, dass man ihn, der doch schon seit Jah­ren in der inne­ren Emi­gra­ti­on leb­te, mit dem Regime und des­sen Schand­ta­ten in Ver­bin­dung bringt. Stör­risch flüch­tet er sich in Euphe­mis­men und spricht von „Hand­greif­lich­kei­ten“ des NS-Regimes sowie vom „Lärm um das Umkom­men der Vie­len, die man nicht kennt und auch nicht ken­nen will“ (oh, das ver­rä­te­ri­sche „Man“!). „Zwei­fel­los“, seufzt Jäger, „hat Heid­eg­ger an die­ser Stel­le den Tief­punkt sei­nes Den­kens erreicht.“

Bis an sein Lebens­en­de wei­ger­te sich der Phi­lo­soph, sich in irgend­ei­ner Wei­se zu den NS-Ver­bre­chen zu beken­nen, was ihm die lin­ke deut­sche Öffent­lich­keit, also inzwi­schen die gesam­te, übel ver­merk­te und bis heu­te nach­trägt. Aber was hät­te er auch sagen sol­len außer Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, die man ihm als Selbst­be­zich­ti­gun­gen aus­ge­legt hät­te? Han­nah Are­ndt hat berich­tet, dass er ihr beim ers­ten Wie­der­se­hen nach dem Krieg zwar „wie ein begos­se­ner Pudel“ gegen­über­trat, zugleich aber zu ver­si­chern wuss­te, wie unmög­lich es ihm sei, irgend­et­was öffent­lich zu bereu­en, weil „noch das unver­fäng­lichs­te sei­ner Wor­te immer auch bedeu­ten wür­de, dass sein Ein­ver­neh­men mit Mas­sen­mör­dern prin­zi­pi­ell denk­bar sei“. Sei­ne Fein­de, sag­te er, war­te­ten doch nur dar­auf, ihm „die Schuld­schel­le“ umzu­hän­gen. Die gro­ßen Lebens­irr­tü­mer müs­se jeder mit sich selbst aus­ma­chen, er den­ke nicht dar­an, sich vor dem Pöbel zu bekreuzigen.

Jäger schil­dert das Leben des ober­schwä­bi­schen Seins­be­grüb­lers in einer Ket­te von Minia­tu­ren. Die Kapi­tel sind ver­hält­nis­mä­ßig kurz, sie glie­dern sich in wich­ti­ge Lebens­sta­tio­nen, prä­gen­de Per­so­nen (Ver­trau­te, Gelieb­te, Schü­ler, Geg­ner), his­to­ri­sche Ein­schnit­te, Haupt­wer­ke. Jäger ist ein dis­kre­ter Bio­graph, der ein blen­den­des Deutsch schreibt, ohne sich damit je in den Vor­der­gund zu drän­geln. Er wer­tet sel­ten und wenn, dann ohne nach­träg­li­che Bes­ser­wis­se­rei. Wie in sei­nen Vor­gän­ger­wer­ken glänzt er durch detail­lier­te Kennt­nis des his­to­ri­schen und kul­tur­ge­schicht­li­chen Kon­tex­tes, in dem sich das betrach­te­te Leben abspielt.

1935, im sel­ben Jahr, als Heid­eg­ger sei­ne Abhand­lung „Der Ursprung des Kunst­wer­kes“ dem Publi­kum vor­trug, ver­öf­fent­lich­te Wal­ter Ben­ja­min im fran­zö­si­schen Exil den Essay „Das Kunst­werk im Zeit­al­ter sei­ner tech­ni­schen Repro­du­zier­bar­keit“. Jäger stellt bei­de Betrach­tun­gen als exem­pla­ri­sche Anti­po­den gegen­über. Bei­de ver­wer­fen die tra­di­tio­nel­le Ästhe­tik, bei­de behan­deln das Ver­schwin­den des­sen, was Ben­ja­min „Aura“ nennt, aber: „Der eine begrüßt den Ver­fall der Aura als Mor­gen­rö­te einer huma­ne­ren Gesell­schaft, den ande­ren ergreift ein Schrecken.“

Mit der Repro­du­zier­bar­keit ver­liert das Kunst­werk sei­ne Ein­ma­lig­keit und sei­ne fes­te Gebun­den­heit an einen Ort, notier­te Ben­ja­min, ver­band damit aller­dings die Hoff­nung auf eine Popu­la­ri­sie­rung der Küns­te und, man darf wohl sagen, Erzie­hung der Mas­sen. Die Ver­viel­fäl­ti­gung der Wer­ke durch die moder­nen Medi­en geht ein­her mit dem begin­nen­den Mas­sen­tou­ris­mus. Bei­de Trends neh­men den Orten und Wer­ken ihre Ein­zig­ar­tig­keit oder sogar Hei­lig­keit. Heid­eg­ger schreibt mit Blick die Tem­pel von Paes­tum, „die Welt der vor­han­de­nen Wer­ke“ sei „zer­fal­len“, die Wer­ke sei­en „nicht mehr die, die sie waren“, etwas sei aus ihnen „geflo­hen“.

Jäger fasst zusam­men: „Ben­ja­min, des­sen Vater Kunst­händ­ler war, sym­pa­thi­siert mit der Trans­por­tier­bar­keit auch der Göt­ter­sta­tu­en, mit der grund­sätz­li­chen Ver­schieb­bar­keit der Wer­ke, dem Ver­lust der Aura, dem Abbau des Kult­werts. … In die­sen Pro­zes­sen sieht Ben­ja­min ein huma­ni­sie­ren­des, zivi­li­sie­ren­des Moment der Kunst­re­zep­ti­on. Heid­eg­ger, der Enkel von Bau­ern, sym­pa­thi­siert mit der jewei­li­gen kon­kre­ten Erde, auf der der Tem­pel steht, in dem ein Gott wal­tet. Bei­de sehen eine fei­ne Sub­stanz ent­flie­hen. Ben­ja­min nennt sie ‚Aura‘, Heid­eg­ger, eins­ti­ger Pries­ter­an­wär­ter, spricht von ‚Wei­he‘“. Bei­de stan­den im damals anhe­ben­den Welt­bür­ger­krieg auf ver­schie­de­nen Sei­ten, gleich­wohl jeweils auf ver­lo­re­nem Pos­ten, denn kei­nes der bei­den tota­li­tä­ren Sys­te­me konn­te mit sol­chen Geis­tern etwas anfan­gen. Der eine hoff­te auf die Ent­wick­lung der Tech­nik als Eman­zi­pa­ti­ons­ve­hi­kel, den ande­ren ergriff ein Grau­sen beim Beden­ken ihrer Mög­lich­kei­ten. Der eine dach­te glo­bal und nivel­lie­rend, der ande­re frag­te, was von Hei­mat, Umwelt und Dif­fe­renz noch zu ret­ten sei. In heu­ti­ger Ter­mi­no­lo­gie wäre Heid­eg­ger ein „Some­whe­re“, Ben­ja­min ein „Any­whe­re“. (Am Ran­de: Die Ben­in-Bron­zen gehö­ren nach Heid­eg­gers Kri­te­ri­en in ihre Heimat.)

Ben­ja­min und Ador­no, die Autoren, denen Jägers bio­gra­phi­sches Inter­es­se vor Heid­eg­ger galt, teil­ten eine skur­ri­le Anma­ßung. Ben­ja­min eröff­ne­te im April 1930 gegen­über Gers­hom Scholem sei­nen Plan, „in einer Lese­ge­mein­schaft unter Füh­rung von Brecht und mir im Som­mer den Heid­eg­ger zu zer­trüm­mern“; Ador­no kehr­te aus dem ame­ri­ka­ni­schen Exil nach Deutsch­land zurück mit dem Vor­satz, Heid­eg­ger bin­nen kur­zer Zeit zu erle­di­gen und der Kri­ti­schen Theo­rie die geis­ti­ge Herr­schaft zu sichern (was ihm mit sei­nem Pam­phlet „Jar­gon der Eigent­lich­keit“ in lin­ken Intel­lek­tu­el­len­krei­sen auch gelang). Es han­delt sich um den typi­schen Ver­nich­tungs­wunsch von links, der um 1789 in die euro­päi­sche Geschich­te ein­trat, der teils buch­stäb­lich gemeint ist, sich teils mit der sozia­len Iso­la­ti­on und geis­ti­gen Min­der­wer­tig­keits­er­klä­rung des Fein­des zufrie­den­gibt. Er speist sich aus einem mora­li­schen Über­le­gen­heits­dün­kel, wel­cher den von ihm Ergrif­fe­nen die Selig­keit des guten Gewis­sens schenkt. Heid­eg­ger, von dem die Maxi­me stammt „Wer pole­mi­siert, denkt nicht“, konn­te sich auf die­ses intel­lek­tu­el­le Schlamm­cat­chen nicht ein­las­sen. Wie Jäger fest­hält, hat er nie eine Zei­le von Ador­no gelesen.

Obwohl Heid­eg­ger unbe­strit­ten einer der bedeu­tends­ten Köp­fe der Phi­lo­so­phie­ge­schich­te ist, rennt man sei­nem Namen heu­te kei­ne offe­nen Gesell­schafts­tü­ren ein, er ist nega­tiv kon­no­tiert, als Den­ker wie als Mensch, was im Wesent­li­chen mit sei­ner NS-Kun­ge­lei zusam­men­hängt, aber auch mit sei­nem länd­lich-pro­vin­zi­el­len Habi­tus, dem Nim­bus schol­len­ver­bun­de­ner Gest­rig­keit und Urba­ni­täts­ver­wei­ge­rung. In Tho­mas Bern­hards Sua­da „Alte Meis­ter“ etwa fir­miert er als „natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Pump­ho­sen­spie­ßer“. Auf den meis­ten Bil­dern wirkt er nicht nur wenig welt­ge­wandt, son­dern auch wenig sym­pa­thisch. „Unwirsch oder mür­risch“, bestä­tigt Jäger, erschei­ne Heid­eg­gers Mie­ne oft, aber bei der Lek­tü­re der pos­tum ver­öf­fent­lich­ten soge­nann­ten „Schwar­zen Hef­te“, einer inti­men selbst­re­fle­xi­ven Gedan­ken­samm­lung, habe er fest­ge­stellt, „dass der Adres­sat sol­cher Stim­mun­gen zunächst ein­mal er selbst ist“. Eine „sto­ßen­de und nie wei­chen­de Unzu­frie­den­heit mit dem bis­her Erreich­ten“ sei für Heid­eg­ger kenn­zeich­nend, „die ‚Schwar­zen Hef­te‘ arti­ku­lie­ren fast aus­schließ­lich das Unge­nü­gen des­sen, was schon vor­liegt“. Der Schöp­fer einer der ela­bo­rier­tes­ten, kom­pli­zier­tes­ten und her­me­tischs­ten Begriff­lich­kei­ten der Geis­tes­ge­schich­te emp­fand zeit­le­bens „Sprach­not“, ein Unge­nü­gen an dem, was er in Wor­te fass­te. Das ist phi­lo­so­phisch und gehört zu sei­nen ein­neh­men­den Wesenszügen.

Es gibt derer noch ande­re. Aus einem katho­li­schen Eltern­haus – der Vater war Mes­ner – und einer katho­li­schen Umge­bung stam­mend, hat er, gegen erheb­li­che Wider­stän­de, die Ehe mit einer Pro­tes­tan­tin geschlos­sen. Mit Elfri­de, gebo­re­ne Petri, war er 59 Jah­re ver­hei­ra­tet. Sein zwei­ter Sohn, Her­mann, stamm­te nicht von ihm, wor­aus er kei­ner­lei Auf­he­bens mach­te. Heid­eg­ger war dick­fel­lig und selbst­be­zo­gen, was bei einem Den­ker (oder Künst­ler) immer heißt: manisch auf sein Werk fixiert. Trotz­dem – auch das ist phi­lo­so­phisch – nahm er Wider­spruch und Kri­tik auf sou­ve­rä­ne Wei­se hin. Sein Stu­dent Karl Löwi­th, sie­ben Jah­re jün­ger als der Pro­fes­sor, ent­deck­te in Heid­eg­gers Den­ken etwas „von der Luft des Fich­te­schen Idea­lis­mus, auch etwas Ato­mis­ti­sches“, weil die Gesell­schaft und das Mit­mensch­li­che dar­in nicht vor­kom­men, nur das „Dasein“ (die­ser Vor­wurf gegen Heid­eg­ger zieht sich als Never Ending Sto­ry über Jas­pers bis zu Haber­mas, und der mar­xis­ti­sche Phi­lo­soph Georg Lukács ver­sah das Heid­eg­ger-Kapi­tel sei­ner Schmäh­schrift „Die Zer­stö­rung der Ver­nunft” mit der Über­schrift „Der Ascher­mitt­woch des para­si­tä­ren Sub­jek­ti­vis­mus”). Löwi­ths Habi­li­ta­ti­ons­schrift trug den Titel: „Das Indi­vi­du­um in der Rol­le des Mit­men­schen“. Jäger notiert: „1927 erscheint ‚Sein und Zeit‘, im glei­chen Jahr stellt Löwi­th eine Schrift fer­tig, die das Buch in einem ent­schei­den­den Punk­te kor­ri­gie­ren will – und habi­li­tiert sich damit aus­ge­rech­net bei Heid­eg­ger.“ Sogar die Habi­li­ta­ti­ons­fei­er fand im Hau­se des Pro­fes­sors statt. Dem Schü­ler beschei­nig­te er: „Die ver­steck­ten Angrif­fe und über­le­ge­nen Sei­ten­hie­be gehö­ren zur Stim­mung, in der man sei­ne ers­ten Sachen her­aus­bringt.“ Und: „Ich habe das Ver­trau­en zu Ihnen, dass hin­ter Ihrer Arbeit, wel­chen Weg sie neh­men mag, eine erns­te Über­zeu­gung steht, die Sie durch­kämp­fen und für die Sie ein­ste­hen. Alles ande­re ist unwichtig.“

Wäh­rend Höl­der­lin der Dich­ter war, den Heid­eg­ger als Wahl­ver­wand­ten erkann­te und von dem er sich buch­stäb­lich in das Den­ken sei­ner zwei­ten Lebens­hälf­te tra­gen ließ, war Ernst Jün­ger der zeit­ge­nös­si­sche Autor, mit dem er sich am meis­ten beschäf­tig­te – ein gan­zer Band der Werk­aus­ga­be ent­hält aus­schließ­lich Anmer­kun­gen zu Jün­ger. Heid­eg­gers Gesamt­ein­schät­zung lau­tet: „Jün­ger ist ein Erken­ner, aber nir­gends ein Den­ker.“ Das klingt arro­gant, aber im August 1942 schreibt Heid­eg­ger an Max Kom­me­rell, der sei­nen Höl­der­lin-Auf­satz kri­ti­siert hat­te, die erstaun­li­chen Wor­te: „Sie haben recht, die Schrift ist ein ‚Unglück‘. Auch ‚Sein und Zeit‘ war eine Ver­un­glü­ckung. Und jede unmit­tel­ba­re Dar­stel­lung mei­nes Den­kens wäre heu­te das größ­te Unglück. Viel­leicht liegt dar­in ein ers­tes Zeug­nis dafür, dass mei­ne Ver­su­che zuwei­len in die Nähe eines ech­ten Den­kens kom­men.“ Es gibt für das Den­ken nicht zwei­er­lei Maß.

Heid­eg­ger hat hun­dert Bän­de gegen die Tech­nik­ver­göt­zung und die Seins­ver­ges­sen­heit des moder­nen Men­schen geschrie­ben. Sein Werk ist ein „Auf­stand des Lan­des gegen die Stadt“ (Jäger) und ein Ein­spruch gegen alle bis­he­ri­ge Phi­lo­so­phie, denn die, heißt es in „Die Grund­be­grif­fe der Meta­phy­sik“, sei „nur zur Dar-stel­lung des Men­schen, nicht zu sei­nem Da-sein“ gelangt. „Es führt kein Weg dar­an vor­bei, dass Mys­tik den eigent­li­chen Hori­zont von Heid­eg­gers Den­ken bil­det“, stellt Jäger fest. „Was ihm wirk­lich vor­schweb­te, muss eine Art von Hin­auf­stei­ge­rung der Phi­lo­so­phie in die Mys­tik gewe­sen sein – alle lehr­haf­ten Erstar­run­gen und Ver­ding­li­chun­gen soll­ten abge­baut wer­den, um in die Nähe der Wahr­heit zu kom­men. Das ist die inne­re Logik von Heid­eg­gers Denkweg.“

Seit dem Erschei­nen von „Sein und Zeit” war Heid­eg­ger, wie man heu­te sagt, ein Star (das Wort darf hier ste­hen, weil sei­nen Grab­stein ein Stern statt eines Kreu­zes ziert). Die Schul­phi­lo­so­phie befand sich damals in einem recht ver­knö­cher­ten Zustand, die Begriffs­müh­len von Neu­kan­ti­a­nis­mus und Phä­no­me­no­lo­gie mahl­ten ein abs­trak­tes Mehl. Heid­eg­gers Daseins­ana­ly­se mit ihrer Kon­zen­tra­ti­on auf Exis­tenz, Stim­mung, Angst und Tod schlug wie ein Blitz ein. Wenn es auch kein Strom von Besu­chern war, den es auf sei­ne Hüt­te in Todt­nau­berg zog, so ver­sam­mel­te sich dort im Lau­fe der Jah­re eine illus­tre Gäs­te­schar: Hans-Georg Gada­mer, Wer­ner Hei­sen­berg, Karl Löwi­th, Ernst und Fried­rich Georg Jün­ger, Vic­tor und Carl Fried­rich von Weiz­sä­cker, Her­bert Mar­cu­se, Paul Celan, Jean-Fran­cois Lyo­tard und ande­re mehr. Der Besuch, den Celan dem „Denk-Herrn“ im Som­mer 1967 abstat­te­te, ist iko­nisch gewor­den – der Dich­ter der „Todes­fu­ge”, des­sen Eltern von den Nazis ermor­det wur­den und der sel­ber im Arbeits­la­ger über­leb­te, zu Gast bei einem angeb­li­chen „Vor­den­ker” des Natio­nal­so­zia­lis­mus und eins­ti­gen NSDAP-Mit­glied! Mit dem konn­te sich der Lyri­ker immer­hin weit tief­grün­di­ger über Dich­tung unter­hal­ten als mit den Banau­sen der Grup­pe 47. Vom Besuch auf der „Hüt­te” han­delt Cel­ans Gedicht „Todt­nau­berg”, und wie Jäger es Zei­le für Zei­le durch­geht, um zu dem Schluss zu gelan­gen, es sei rein deskrip­tiv, nichts Her­me­ti­sches, Sym­bo­li­sches und Heid­eg­ger Ankla­gen­des befin­de sich dar­in, ist grandios.

Ich soll­te zum Schluss kom­men, der Bis­sen ist viel zu groß. Dem Bio­gra­phen sei das letz­te Wort über­las­sen: „Man kann am Ende sei­ne Lebens­leis­tung in der Bear­bei­tung die­ser ein­zi­gen Fra­ge sehen: Wor­in unter­schei­det sich Den­ken von einem Ope­rie­ren mit Algo­rith­men? Heid­eg­ger ist unser Zeitgenosse.“

***

Zum Vori­gen.

Bekannt­lich wur­de Han­nah Are­ndt als acht­zehn­jäh­ri­ge Stu­den­tin die heim­li­che Gelieb­te des Phi­lo­so­phen, ihres Leh­rers, und die Ver­bin­dung der bei­den währ­te, durch NS-Zeit und Exil unter­bro­chen, bis zu Are­ndts Tod. Nach dem Krieg erfuhr auch Elfri­de von dem Ver­hält­nis. Im Novem­ber 1952, nach einem län­ge­ren Besuch beim Ehe­paar Heid­eg­ger, der für bei­de Frau­en nur depri­mie­rend ver­lau­fen konn­te, notiert Han­nah Are­ndt den fol­gen­den gött­li­chen Pas­sus in ihr „Denk­ta­ge­buch”:

„Wie immer man es ansieht, frag­los ist, dass ich in Frei­burg in eine Fal­le gegan­gen (und nicht gera­ten) bin. Frag­los ist aber auch, dass Mar­tin, ob er es weiß oder nicht, in die­ser Fal­le sitzt, in ihr zu Hau­se ist, sein Haus um die Fal­le her­um gebaut hat; sodass man ihn nur besu­chen kann, wenn man ihn in der Fal­le besucht, in die Fal­le geht. Also ging ich ihn in der Fal­le besu­chen. Das Resul­tat ist, dass er nun wie­der allein in sei­ner Fal­le sitzt.“

In Are­ndts ers­ter und nicht beson­ders glück­li­cher Ehe mit dem Phi­lo­so­phen Gün­ther Anders muss Heid­eg­ger als stum­mer Gast all­prä­sent gewe­sen sein. Aus Anders‘ Erin­ne­run­gen an die­se Zeit zitiert Jäger eine Sze­ne, wo bei­de über die „Leib­lich­keit” spre­chen, also etwas, das von der Onto­lo­gie gering­ge­schätzt wer­de. Auch bei Heid­eg­ger fin­de das Leib­li­che nicht statt, meint Anders. Han­nah Are­ndt pflich­tet ihrem Gat­ten bei, aller­dings mit dem Zusatz: „Übri­gens hat er das ja auch nur in der Theo­rie unterschlagen.“

***

Noch zum Vorigen.

Heid­eg­gers Leh­rer Edmund Huss­erl hat­te zwei Söh­ne, bei­de kämpf­ten im Ers­ten Welt­krieg, einer fiel. Ger­hard Huss­erl, der zwei­mal schwer ver­wun­det wur­de, lehr­te als Pro­fes­sor für Zivil­recht in Kiel. Am 25. April 1933 wur­de er als Jude beur­laubt. Ende Okto­ber ver­setz­te man ihn nach Göt­tin­gen, „wo er indes am Wider­stand der Fakul­tät schei­ter­te, wor­auf­hin er nach Frank­furt ver­setzt wur­de, wo sich der gan­ze Vor­gang wie­der­hol­te. 1936 wan­der­te er in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten aus.“

Drecks­pack, schändliches.

***

Immer noch zum Vorigen.

Ein gewis­ser pos­tu­mer Glanz fiel wegen sei­ner Tech­nik­kri­tik von links-grün auf Heid­eg­ger. Er gilt seit­her und sogar gemäß der all­se­hen­den Wiki­pe­dia als „Vor­läu­fer der Öko-Bewe­gung“. Für Rudolf Bah­ro zum Bei­spiel, den ori­gi­nells­ten Kopf der Grü­nen, gehör­ten Heid­eg­ger und der Bud­dha als geis­ti­ge Schild­wa­chen der von ihm so genann­ten „Gro­ßen Natur“ zusam­men. Fern­ab von der Welt, als ein Ere­mit auf Zeit in sei­ner Berg­hüt­te mit der Natur lebend, hat­te der Phi­lo­soph ja etwas von einem bud­dhis­ti­schen Mönch (und der spä­te Heid­eg­ger bewegt sich auch gedank­lich durch­aus in der Nähe des Buddha).

„Als Heid­eg­ger die Figur der Keh­re dach­te, war dies ein sin­gu­lä­rer intel­lek­tu­el­ler Akt. Kon­tra­punk­tisch zum Tech­nik­po­si­ti­vis­mus und Fort­schritts­op­ti­mis­mus der Nach­kriegs­zeit kün­dig­te Heid­eg­ger ein Den­ken an, das durch den ers­ten Bericht des Club of Rome und wenig spä­ter auch mit der ent­ste­hen­den Grü­nen­be­we­gung ers­te welt­li­che Ent­spre­chun­gen abseits des Elfen­bein­turms im Schwarz­wald fand“, schrieb Ulf Pos­ch­ardt vor ein paar Jah­ren in der Welt.

Dazu muss ich einen klei­nen Wider­spruch anmel­den (neben dem gro­ßen, dass mir die Tech­no­pho­bi­ker und Natur­ro­man­ti­ker lächer­lich sind*, denn die Natur ist der Feind des Men­schen, und nur dank der Tech­nik kann er sich in ihr behaup­ten, aber dar­um geht es hier nicht). In sei­ner Kri­tik der Tech­nik war Heid­eg­ger näm­lich weder beson­ders ori­gi­nell, noch ein wirk­li­cher Pio­nier. Das Grün­dungs­do­ku­ment die­ser Bewe­gung, wofern sie gut deutsch aufs Gan­ze zu zie­len beginnt, war der Vor­trag „Mensch und Erde“, den Lud­wig Kla­ges beim Ers­ten Frei­deut­schen Jugend­tag 1913 auf dem Hohen Meiß­ner im Nor­den Hes­sens hielt. Dar­in fal­len die berühm­ten Wor­te: „Eine Ver­wüs­tungs­or­gie ohne­glei­chen hat die Mensch­heit ergrif­fen. Die ‚Zivi­li­sa­ti­on‘ trägt die Züge ent­fes­sel­ter Mord­sucht, und die Fül­le der Erde ver­dorrt vor ihrem gif­ti­gen Anhauch.“

Kla­ges hielt also noch vor dem Ers­ten Welt­krieg eine Rede gegen die Zer­stö­rung der Natur durch die Indus­trie und die fort­schrei­ten­de Tech­ni­sie­rung sämt­li­cher Lebens­be­rei­che. Der Phi­lo­soph und Psy­cho­lo­ge beklag­te die schwin­den­de Natur­ver­bun­den­heit des moder­nen Men­schen. Das ursprüng­li­che Ver­hält­nis des Men­schen zur Natur sei auf Aus­gleich und Gleich­ge­wicht gegrün­det gewe­sen, dage­gen zie­le die Moder­ne nur­mehr noch auf Beherr­schung und Aus­beu­tung. Der Kapi­ta­lis­mus und die Tech­nik bewer­te­ten alles Leben­di­ge ein­zig nach quan­ti­ta­ti­ven Kri­te­ri­en, so dass sämt­li­che nicht quan­ti­fi­zier­ba­ren Aspek­te des Lebens unter die Räder der wis­sen­schaft­li­chen und öko­no­mi­schen Logik gerie­ten. Kla­ges ver­warf des­halb den Fort­schritt über­haupt. Sein drei­bän­di­ges Haupt­werk, erschie­nen zwi­schen 1929 und 1932, trägt den spre­chen­den Titel „Der Geist als Wider­sa­cher der See­le“. Geist und See­le – Intel­lekt und Leben – ste­hen laut Kla­ges in einem unver­ein­ba­ren Wider­spruch. Durch sei­ne Erhö­hung über die Natur ver­mit­tels des „Geis­tes“ habe der Mensch den Zusam­men­hang zur „See­le“ der Erde und damit auch zu sei­ner eige­nen zer­stört. Eine aus dem natur­haf­ten Gleich­ge­wicht geris­se­ne Mensch­heit sei dazu ver­ur­teilt, ihre Lebens­grund­la­gen zu vernichten.

Kla­ges ver­kün­de­te sei­ne apo­ka­lyp­ti­schen Bot­schaf­ten in einer Spra­che von düs­te­rer, atem­ver­schla­gen­der Groß­ar­tig­keit. „Die Tech­nik, die man heu­te im Sinn hat, wenn man von den Wun­dern der Tech­nik redet, ist nicht wesent­lich älter als vier Gene­ra­tio­nen und hat des­sen­un­ge­ach­tet hin­ge­reicht, um Dut­zen­de von Stäm­men der Pri­mi­ti­ven, Hun­der­te von Pflan­zen­ge­schlech­tern, dop­pelt und drei­mal so vie­le Tier­ar­ten auf dem Lan­de, in der Luft, im Was­ser vom Ant­litz des Pla­ne­ten zu til­gen. Der Tag ist nicht fern, wo sie alle ver­tilgt sein wer­den, soweit man sie nicht zu züch­ten belieb­te zu Schlacht­zwe­cken oder zu Mode­zwe­cken, aus­ge­nom­men nur die Infus­ori­en und Bak­te­ri­en. (…)  Die Stun­de der Gegen­wir­kung wur­de ver­säumt, und wir alle, die wir aus lei­den­schaft­li­cher Lie­be des Lebens so Grau­en­vol­les bewei­nen müs­sen, sind ‚letz­te Mohi­ka­ner’. Wer aber von sol­chen noch Wün­sche zu hegen wagt, müß­te nur eines wün­schen: daß eine der­art Ver­ruch­tes voll­brin­gen­de Mensch­heit so schnell wie mög­lich absin­ke, ver­af­fe, ver­en­de, damit um ihre ver­wit­tern­den und ver­fal­len­den Arse­na­le des Mor­des noch ein Mal begra­bend, ent­mi­schend und sich sel­ber erneu­ernd der Rausch der Wäl­der bran­de.” („Der Geist als Wider­sa­cher der See­le“, 4. Auf­la­ge, Mün­chen 1960, S. 768)

Man kann Kla­ges als skur­ri­len Son­der­ling abtun – Ernst Bloch nann­te ihn einen „Tar­zan-Phi­lo­so­phen“ –, doch wenig spä­ter schrieb Fried­rich Georg Jün­ger, der Bru­der Ernst Jün­gers, das seriö­se Grund­la­gen­werk der deut­schen Öko-Bewe­gung. Sein Buch „Die Per­fek­ti­on der Tech­nik“ erschien zwar erst 1946, das Manu­skript hat­te er aber bereits 1939 abge­schlos­sen. Die tech­no­phi­len Nazis waren frei­lich an tech­nik­skep­ti­schen Publi­ka­tio­nen, zudem mit­ten im Krieg, herz­lich wenig inter­es­siert; über­dies zer­stör­te ein bri­ti­scher Luft­an­griff Ende 1944 die in klei­ner Men­ge gedruck­te Erst­auf­la­ge und sekun­dier­te so ein­drucks­voll dem Titel der Schrift.

Nahe­zu das gesam­te Spek­trum der mit den Grü­nen ein­set­zen­den Öko­lo­gie­de­bat­te ist in Jün­gers Buch vor­weg­ge­nom­men. Die bri­ti­sche His­to­ri­ke­rin Anna Bramwell schreibt, dass die Ideen der Öko-Bewe­gung in der west­li­chen Welt zum Groß­teil aus der deut­schen Tra­di­ti­on ganz­heit­li­chen Natur­den­kens stam­men, aus wel­cher Jün­gers „Per­fek­ti­on der Tech­nik“ herausrage.

Im Gegen­satz zu Kla­ges schil­dert Jün­ger sei­nen Gegen­stand sach­lich-nüch­tern, ohne Ver­wün­schun­gen und ohne rau­nen­des Beschwö­ren der Natur­geis­ter. „Wo immer der Mensch das Feld des tech­ni­schen Fort­schritts betritt, dort erfolgt ein orga­ni­sa­to­ri­scher Zugriff gegen ihn“, stellt er fest. „Die Tech­nik deckt nicht nur den Bedarf, sie orga­ni­siert ihn zugleich. Und indem sie das tut, stellt sie den Men­schen in ihren Dienst.“ Die Tech­nik ent­wi­ckelt sich vom Die­ner in eine eigen­stän­di­ge Macht, die immer mehr Herr­schaft über den Men­schen erlangt. „Jeder Zuwachs der Tech­nik bedeu­tet eine Ver­meh­rung der mecha­ni­schen Deter­mi­na­tio­nen, die das Wesen des Staa­tes von Grund auf ver­än­dern.“ Das habe zur Fol­ge, dass der Mensch nur noch „nach sei­ner Brauch­bar­keit und Ver­brauch­bar­keit“ klas­si­fi­ziert wer­de und „gan­ze Dis­zi­pli­nen des Wis­sens wie Sta­tis­tik, Sozio­lo­gie, Psy­cho­lo­gie, Medi­zin“ zu „Hand­lan­gern des tech­ni­schen Kol­lek­tivs“ werden.

Als Exem­pel für den töd­li­chen tech­ni­schen Zugriff des Men­schen auf die Natur wählt Jün­ger den Wal­fang und ist auch damit den Green­peace-Schlauch­boo­ten zeit­lich um eini­ges vor­aus (wobei man fai­rer­wei­se sagen muss, dass 1935 das ers­te Völ­ker­bund­ab­kom­men zur Begren­zung des Wal­fangs in Kraft trat). Die Jagd auf die Wale ver­kör­pe­re „einen beson­ders wid­ri­gen Fall“, schreibt er, „denn es hat etwas Wid­ri­ges, daß der Mensch die unge­heu­ren Mee­res­säu­ge­tie­re, wel­che die Macht, den Über­fluß und die Hei­ter­keit des Ele­ments ver­kör­pern, nur mit dem Gedan­ken ver­folgt, sie zu Sei­fe und Tran zu verkochen“.

Indem die Tech­nik alles ver­füg­bar macht, alles Leben­di­ge unter­wirft, zer­stö­re sie am Ende auch das Fun­da­ment, auf dem sie sel­ber steht. Der Mensch, reka­pi­tu­liert Jün­ger, mag „pro­du­zie­ren, was er will und eine sol­che Fül­le von Waren erzeu­gen, dass der Anschein des Über­flus­ses ent­steht, in Wahr­heit braucht er die Sub­stanz auf“. Noch mag ein Teil der Mensch­heit den Kom­fort einer Hoch­zi­vi­li­sa­ti­on genie­ßen, aber wie lan­ge? „Nicht der Anfang, das Ende trägt die Last.“

Mar­tin Heid­eg­ger präg­te für den tech­ni­schen Zugriff auf die Natur den Begriff „Gestell”. Die Natur wer­de von uns so behan­delt, dass sie sich „in irgend­ei­ner rech­ne­risch fest­stell­ba­ren Wei­se mel­det und als ein Sys­tem von Infor­ma­tio­nen bestell­bar bleibt“. Was „bestell­bar“ ist, wird „Bestand“. So stellt der Mensch die Natur als blo­ße Res­sour­ce vor sich, als eine Art Groß­de­pot – der Wald ein Holz­de­pot, der Berg ein Stein­de­pot, das Meer ein Fisch­de­pot und so wei­ter. Die­ses „Gestell“ ver­stellt dem Men­schen den Blick auf das Sein. „Es könn­te sein, daß die Natur in der Sei­te, die sie der tech­ni­schen Bemäch­ti­gung durch den Men­schen zukehrt, ihr Wesen gera­de ver­birgt“, heißt es im Humanismus-Brief.

Wenn­gleich bei ihm in einem tie­fe­ren seins­ver­ges­sen­heits­ge­schicht­li­chen Kon­text ein­ge­bet­tet, stand Heid­eg­ger mit die­sem Den­ken in der Nach­kriegs­zeit also kei­nes­wegs allein da. Es hat­te sei­ne Wur­zeln in der ers­ten deut­schen Umwelt­be­we­gung um die Wen­de vom 19. zum 20. Jahr­hun­dert, die sich noch nicht mit dem Prä­fix „Öko“ label­te, und die Spit­zen die­ser Wur­zeln reich­ten bis in die deut­sche Roman­tik. Auch wenn Deutsch­land am Ende nicht danach aus­sah, war das Drit­te Reich sehr umwelt­be­wusst, aller­dings hat die Ver­bin­dung des Bodens mit dem „Blut“ den Boden ideo­lo­gisch stark kon­ta­mi­niert. Nach 1945 galt die deut­schen Umwelt­be­we­gung als NS-belas­tet. Und Heid­eg­ger war es ja tat­säch­lich. Lud­wig Kla­ges wie­der­um war Neu­hei­de, ein Geg­ner des Mono­the­is­mus und damit auch der jüdi­schen Reli­gi­on. Intel­lek­tu­el­le Natio­nal­so­zia­lis­ten hat­ten den Titel sei­nes Haupt­wer­kes als „Der (jüdi­sche) Geist als Wider­sa­cher der (deut­schen) See­le“ inter­pre­tiert. Georg Lukács sor­tier­te Kla­ges in die Schub­la­de der „geis­ti­gen Weg­be­rei­ter“ des Natio­nal­so­zia­lis­mus und monier­te vor allem des­sen „fron­ta­len Angriff auf den Geist der Wissenschaftlichkeit“.

Die tra­di­tio­nel­le Lin­ke ver­stand sich schließ­lich als die Erbin der Auf­klä­rung, als Voll­stre­cke­rin der Ver­nunft, sie wähn­te die Wis­sen­schaft auf ihrer Sei­te und gab sich über­aus tech­nik­freund­lich. Indus­tri­el­le und tech­ni­sche Groß­pro­jek­te soll­ten von der Leis­tungs­fä­hig­keit der sozia­lis­ti­schen Wirt­schaft und des befrei­ten sozia­lis­ti­schen Men­schen kün­den. Dass die Sowjet­uni­on den ers­ten Satel­li­ten und den ers­ten Men­schen ins Welt­all sand­te, galt als Beweis der Über­le­gen­heit des sozia­lis­ti­schen Sys­tems. Die Freu­de am tech­nisch Mach­ba­ren ver­ein­te Natio­nal- mit Real­so­zia­lis­ten und bei­de wie­der­um mit den libe­ra­len Gesell­schaf­ten des Wes­tens, wobei die Lin­ke einen Dif­fe­renz­ge­winn ein­zu­strei­chen such­te, indem sie argu­men­tier­te, dass ein- und die­sel­be Tech­nik unter ver­schie­de­nen Macht- und Besitz­ver­hält­nis­sen eben nicht die­sel­be sei. Dem hät­ten Kla­ges, Fried­rich Georg Jün­ger und Heid­eg­ger vehe­ment wider­spro­chen, gera­de bei Jün­ger und Heid­eg­ger ist der Gedan­ke fun­da­men­tal, dass zwi­schen Sowjet­uni­on, Drit­tem Reich, der USA und der Bun­des­re­pu­blik, bei allen Ver­schie­den­hei­ten, eine Gemein­sam­keit exis­tiert: die Glo­ri­fi­zie­rung der Tech­nik, die Öko­no­mi­sie­rung des Lebens, die Unter­wer­fung der Natur.

Dar­in liegt auch die Erklä­rung, war­um die genann­ten Autoren in der Nach­kriegs­zeit kei­ne Reso­nanz fan­den. Man hat die Ade­nau­er-Zeit oft als restau­ra­tiv geschmäht. Das Gegen­teil ist wahr. Damals lief das gesam­te West­deutsch­land, die alten Nazis inklu­si­ve, ins Lager der frü­he­ren Kriegs­geg­ner über. Auf den Trüm­mern des Drit­ten Rei­ches ver­mähl­ten sich Kapi­ta­lis­mus und Demo­kra­tie und brach­ten das „Wirt­schafts­wun­der“ zur Welt. Nie­mals war eine Zeit für Wachs­tums- und Tech­nik­kri­tik ungüns­ti­ger. Der rhei­ni­sche Kapi­ta­lis­mus Erhardtscher Prä­gung wisch­te sol­chen Skep­ti­zis­mus mit har­ter Mark und ste­tig wach­sen­dem Wohl­stand weg.

Erst in den spä­ten 1970er/ frü­hen 1980er Jah­ren kehr­te die ver­dräng­ten Theo­rien der kon­ser­va­ti­ven Tech­nik­kri­ti­ker und Ganz­heits­den­ker wie­der, pikan­ter­wei­se auf der ent­ge­gen­ge­setz­ten Sei­te des poli­ti­schen Spek­trums. Erst mit den Grü­nen wur­de die Umwelt­be­we­gung links. Heu­te haben wir den Salat. Wenn Anna­le­na wüss­te, wer das ist (und sich nicht nur aufs Völ­ker­recht kon­zen­triert hät­te), sie könn­te sich sogar ein biss­chen auf Heid­eg­ger berufen.

 

* „Sehr geehr­ter Herr Klo­novs­ky, mit Ihrer Aus­sa­ge, ‚dass mir die Tech­no­pho­bi­ker und Natur­ro­man­ti­ker lächer­lich sind’, befin­den Sie sich lei­der in schlech­ter Gesell­schaft mit Olaf Lies, nie­der­säch­si­scher Umwelt­mi­nis­ter, der ähn­li­ches von sich gibt:

‚Uns muss klar sein: Wind­ener­gie wird Teil unse­rer Kul­tur­land­schaft sein. Hier ist uns nicht gehol­fen, wenn wir mit Blick auf die extre­men und sicht­ba­ren Fol­gen des Kli­ma­wan­dels einem roman­ti­sier­ten Bild von Land­schaft hin­ter­her trau­ern. Das ist unehrlich.’

Der hat offen­bar auch kei­nen Sinn für die Schön­heit der Natur (und auch in ‚Kul­tur­land­schaft’ steckt noch reich­lich ‚Natur’).

Die Natur hält doch bei­des bereit: unglaub­li­che Schön­heit und unglaub­li­chen Schre­cken. Sie nur auf das Feind­li­che zu redu­zie­ren, greift doch viel zu kurz! Die Natur kann gar nicht (nur) der Feind des Men­schen sein, denn auch der Pla­net auf dem wir uns befin­den, die Son­ne, die Pho­to­syn­the­se, sexu­el­le Freu­den, die Natur­ge­set­ze ‚die elek­tri­schen Strom und damit Wohl­stand und Gesund­heit (abge­se­hen vom elek­tri­schen Stuhl…) ermög­li­chen – auch das ist Natur!

Daß Sie gar so undif­fe­ren­ziert argu­men­tie­ren mögen! Emp­fin­den Sie denn tat­säch­lich nur Bauch­grim­men ange­sichts der Wei­te eines Mee­res oder ange­sichts von der tief­stehen­den Son­ne beleuch­te­ten abend­li­chen Wolkenbänken?

Mit freund­li­chen Grüßen,
*** (‚Natur­ro­man­ti­ker’)”

Dank der Tech­nik nicht, geehr­ter Herr ***. Sonst wäre es äußerst unan­ge­nehm, auch nur ein paar Kilo­me­ter von der Küs­te ent­fernt schwim­mend die Wei­te des Mee­res zu genie­ßen. Des­glei­chen erfüh­re der Blick auf Wol­ken­bän­ke durch die Nähe von Fress­fein­den vie­ler­orts Ein­schrän­kun­gen. Soll­te ich viel­leicht bes­ser von Natur­ver­kit­schern spre­chen? Selbst­ver­ständ­lich mag ich Kul­tur­land­schaf­ten, also die geheg­te, domes­ti­zier­te, durch Pfle­ge, Anbau und sich in die Land­schaft fügen­de Archi­tek­tur ver­edel­te Natur. Die Wind­rä­der schän­den die Kul­tur­land­schaf­ten, und das ohne wirk­li­chen Nut­zen; des­we­gen leh­ne ich sie ab. Die „unglaub­li­chen Schön­hei­ten der Natur” las­sen sich aus­schließ­lich dank des tech­ni­schen Kom­forts genie­ßen. Und im Gegen­satz zu jedem Men­schen­werk sind sie ohne jeden Sinn. Die Son­ne, deren Strah­len wir unser Leben ver­dan­ken, wird die Erde eines Tages aus­lö­schen. Die Natur bringt uns ver­läss­lich um, ein­zeln und als Gat­tung. Sie ist so voll­endet ohne Sinn, dass sie nicht ein­mal ein Organ dafür besitzt, sich über die­je­ni­gen unter den Men­schen zu amü­sie­ren, die sie zu lie­ben glauben.

PS und doch:

Ihr glück­li­chen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle,
Es war doch so schön!

 

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