Eins, Zwickau.
Zwei, Berlin.
„In der Waldsiedlung in Berlin-Zehlendorf, erbaut 1926–32, denkmalgeschützt, gediegen, gesettled und bei der letzten Bundestagswahl mit über 30% Zweitstimmen einer der grünsten Bezirke der Hauptstadt, ging ich mit meiner Frau und zwei Freunden in der Silvesternacht an die Argentinische Allee, Ecke Waltraudstraße, an die östliche Grenze der Siedlung. Dort kommen seit Jahren Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen, um auf der breiten Straße, vierspurig mit begrüntem Mittelstreifen, ordentlich Feuerwerk abzufackeln. Asiaten aus Japan und China, deren Botschaften und Institute in der Nähe sind, Mitarbeiter des US-Konsulates an der Clayallee, die Bewohner der umliegenden high-level-Townhouses der Truman Plaza und Fünf-Morgen-Siedlung, viele davon Russen und andere Osteuropäer, und natürlich die schon länger hier Lebenden. Alle brannten ihr Feuerwerk mit großer Rücksichtnahme ab. Alle? Fast alle.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte sich eine Gruppe von ca. 30 Jugendlichen im Alter von 14–18 Jahren formiert. Uniformiert gekleidet, fast nur schwarz, etwas grau, etwas weiß. Fast nur Jungs, drei Mädchen als Bitches auftretend mit Miniröcken oder kurzen Hosen. 90 Prozent Migrationshintergrund, die Mädchen nicht. Die Meute begann, die Umstehenden mit Feuerwerk zu beschießen, Böller wurden geworfen, Raketen horizontal abgefeuert, wie es in den Slums von Kreuzberg und Neukölln seit ca. drei Jahrzehnten üblich ist.
Ich schaute dem eine Weile vom Straßenrand zu, auch andere Gruppen brannten viel Feuerwerk ab, und gerade als ich mich umdrehte zu gehen, traf mich einer der großen Böller an der Schulter und explodierte zwei Sekunden später neben mir. Mein Mantel hatte ein ca. fünf Zentimeter großes Brandloch. Nachdem ich realisierte, was passiert war, es waren ca. 20 Meter zwischen mir und der Rotte, der Wurf muss gerade erfolgt sein, ging ich dorthin. Ich zog meinen Mantel aus: Schaut her, ein Brandloch. Das hätte auch mich treffen können, nicht nur meinen Mantel. Wer von euch hat den Böller geworfen?
Sofort sprang ein Mitglied der Meute nach vorne und schrie mich an: Niemand aus dieser Gruppe hat den Böller geworfen, hau ab! Ich fragte weiter, wer war es, und schaute dabei in die Rotte, schrie jetzt auch: Wer war es, los, ihr Feiglinge, schaut her, wer war es? Der Frontmann, ein Schwarzer, hinderte mich daran, an ihm vorbeizugehen und zu schauen, die Meutenmitglieder fixierten mich mit sehr unterschiedlichen Gesichtern. Wer war es, los, ihr Feiglinge, wer war es? Ich versuchte die Gruppe zu einer Reaktion zu bringen. Einzig der Frontmann sagte immer wieder dasselbe: Niemand von uns, hau ab.
Ihr seid alle Feiglinge, ihr seid Pussies, ihr gehört hier nicht hin, haut ab in eure Dreckslöcher, wo ihr hergekommen seid – so beendete ich meinen Wutausbruch.
Ich fühlte mich nicht in Gefahr, denn das war die Sprache, die sie verstanden. Aggression wird in der Kultur der Rotten und Clans als Tugend verstanden, nicht als Schwäche (Nicolai Sennels). Meine Frau hatte Angst um mich, sie dachte, das hätte auch anders ausgehen können. Die Meute stand danach für zehn Minuten still herum, ohne Böller abzufeuern.
Ich hatte nicht gewusst, dass die Kultur der Rotte bis an unsere Siedlungsgrenze gerückt war. In den verlorenen Stadtteilen Berlins, Neukölln und Kreuzberg, ist es ein traditioneller Spaß, andere Menschen durch Böller und Raketen in Angst und Schrecken zu versetzen. Dazu gehört bzw. braucht es auch eine immer größer werdende Bevölkerung, die dies als die Kultur der vermeintlich Abgehängten hinnimmt.”