Zu Elon Musks Neuralink-Experimenten und meiner Ablehnung von Transhumanismus und Unsterblichkeit (Acta vom 11. Januar) schreibt Leser ***, Hirnchirurg:
„Irgendwie scheinen Sie diese trans- und posthumanen Themen nicht loszulassen. Mich auch nicht. Nur, dass ich mit Forschungsgeldern gelegentlich Drähte in Hirne und Rückenmärker (Rückenmarke?) reinstecke und auch andere Methoden zur Hirnverschlosserung kenne. Als Hirnschlosser habe ich das Privileg, noch einer Art von postheroischer Mystifizierung anheim zu fallen. Lange wird man diesen Status nicht mehr genießen können, denn die Verfahren werden immer weniger invasiv.
Neuralink ist von beinahe allen Methoden der invasiven Hirnrindenstimulation die primitivste. Das Gehirn hat es nicht gern, mit Drähten belästigt zu werden. Deshalb stecken wir und unsere Kollegen (auch die von Neuralink) oft mikrozahnbürstenartig gebündelte Elektroden durch die Hirnoberfläche. Im Gegensatz zu den klassischen Tiefenelektroden, die Sie vielleicht von Parkinsonpatienten kennen, oder von flachen Oberflächenelektroden, wie sie beispielsweise in der Epilepsiediagnostik eingesetzt werden. Die Neuralink- und auch anderen Mikroelektroden sind so konstruiert, dass sie Einzelzellableitungen oder -stimulationen erlauben. Das heisst: eine Elektrode pro Zelle. Diese dünnen Dinger werden kollektiv durch die Zellwände gestochen. Da die Hirnzellen im Verlauf dabei oft zerstört werden, atrophiert die Hirnsubstanz mikroskopisch häufig um diese Elektroden, sodass nach einer gewissen Zeit keine Zellstimulationen mehr möglich sind. Das erklärt, weswegen von anfänglich beispielsweise 5000 Mikroelektroden nach ein paar Wochen nur noch 50 oder 60 aktiv bespielbar sind. Alternativ dazu werden nun flache Elektroden durch ein Bohrloch wie ein Stempel platziert.
Weil es so einen Elon-Hype gibt: Das machen Jocelyne und Grégoire schon seriöser und besser (Link). Aber auch bei denen wird das große Ganze vermutlich an der neuroelektrischen Verdrahtung scheitern. Als Trainingsmodell bei motivierten Rückenmarksverletzten sind diese Verfahren jedoch extrem nützlich.
Aus dem Grund geht die neurotechnologische Tendenz wieder zur Biologie, d.h. man versucht beispielsweise, Filopodien oder auch die Fortsätze von Bakterien so aufzubereiten, dass nur die biologisch auch mit den Hirnzellen kompatiblen röhrenförmigen Ausläufer übrigbleiben, die sich mit den Neuronen und ihren Ausläufern, den Dendriten, verbinden, und die man mit Transmittern oder anderen neurophysiologisch agierenden Substanzen aufladen kann.
Alternativ dazu gibt es die nichtinvasive transkranielle Stimulation. Das ist derzeit the hot topic: Dabei werden kopfhörerartige Sonden auf bestimmte Schädelstellen platziert und entweder Wechselströme oder Magnetfelder angelegt. Weil wir vorher hochaufgelöste strukturelle und funktionelle MRT-Bilder gemacht haben, die in ein Navigationssystem eingelesen werden können, kann man, je nach Strom- oder Magnetfeldstärke, mit einer Präzision im Kubikmillimeterbereich gezielt tiefe Kernstrukturen oder auch die Hirnrinde stimulieren. Das nutzen wir (noch recht experimentell) im Bereich der Neurorehabilitation, also nach strukturellen Hirnverletzungen bei Schlaganfall, oder auch beim postconcussional syndrome, also posttraumatisch. Die Trainingseffekte auf das Gedächtnis oder auf die Motorik sind so gut, dass man hierbei getrost von enhancement sprechen kann.
Die Transhumanisten wollen das natürlich zur Selbstveredelung und zur Verbesserung ihrer eigenen Fähigkeiten nutzen. Und das könnte auch klappen.
Dann gibt es noch den highly focused ultrasound, entweder high intensity oder low intensity: Damit kann man zum Beispiel bei Zitterern gezielt kleine Löcher ins Hirn brennen, damit die Zitterei aufhört (high intensity). Oder man öffnet die sogenannte Blut-Hirnschranke für wenige Minuten, um gezielt Substanzen (Medikamente oder Neurotransmitter) in sonst für Substanzen unzugängliche Zellen und Regionen über das Blut einspritzen zu können. Das geht zum Beispiel bei Psychotikern oder bei Epileptikern und kann im Grunde auch für transhumanes Enhancement genutzt werden.
Es passiert viel in diesem Bereich, und der präpotente Elon aus Kalifornien ist nur ein kleines Segment davon. Grundsätzlich ist die Verbesserung von Hirnleistungen aber möglich. Bei der Reparatur von Schäden ist das selbstverständlich gewünscht. Falls es um die Heranzüchtung neuer und stärkerer (Über-)Menschen mit dem Ziel der Versklavung derjenigen deplorables, die nur den Dreck für die Reichen machen sollen, gehen sollte, dann ist das schon etwas Anderes. Deshalb bedarf es, zumindest in Westeuropa, auch immer einer neuroethischen Begleitung. Die Chinesen wiederum können alles bei ihren Gefängnisinsassen ausprobieren. Und die Amis bei ihren unversicherten PoCsund ihren Veterans. Wir Europäer stehen uns selbst im Wege. Zu recht?
Es kann allerdings auch anders gehen, wenn man den Triumph des Gehirns über alles und alle Andere (muss man das gr0ß schreiben hier?) kultivieren möchte: Einer meiner Freunde und Kollegen arbeitet inzwischen für Erkin Bek. Der ist einer der 300 reichsten Schweizer und ein totaler Meditationsfanatiker. Gleich bei mir um die Ecke hat er eine alte Villa gekauft, die entkernt und zu einem futuristisch-minimalistischen Mega-High-Tech-Zentrum umgebaut, mit VR und EEG-Systemen und vielviel mehr. Er ist auch dabei, von einem japanischen Meisterarchitekten im Himalaja einen Meditationstempel als Weltzentrum der Meditation League bauen zu lassen.
Mein Freund, Miterfinder des Electrical source Imaging (ESI), einer extrem wichtigen Methode in der Epilepsie- und Funtionsdiagnostik, hilft ihm dabei, ESI-technisch zu analysieren, was während der (maximal intensiven) Meditation im Gehirn passiert. Man kann dann andere Leute mit diesen Erkenntnissen schneller trainieren, sich absolut zu fokussieren. Mit dieser Art der Meditation kann man beinahe alle anderen Körperfunktionen, besonders aber das Herz und die vegetativ-autonomen, gezielt beeinflussen. Erkin wird sich auch, wenn er nicht mehr leben möchte, durch maximale Fokussierung umbringen. Ich hatte mal zwei Voodoo-verwunschene Patienten, die beinahe aus Versehen für tot erklärt worden waren. Die Macht des Geistes – und das intrinsische versus das extrinsische enhancement.
Nun aber zu dem in den Acta angeschnittenen und meines Erachtens interessanteren Thema: die Möglichkeit des geistigen Weiterlebens (als eine von vielen, sich mit anderen Seelen vereinigenden Geistesform) oder auch der Wiedergeburt in einem anderen Körper (Transmigration). Ohne jede religiös verbrämte Verklärung kann man festhalten, dass selbst die seriöse Naturwissenschaft diese Möglichkeit der Existenz einer Seele und ihrer Wanderung durchaus vorsieht. Insbesondere die Quantenmechanik erlaubt und stimuliert die Diskussion über die Möglichkeit der gleichzeitigen Existenz oder auch Nichtexistenz des individuellen Bewusstseins. Out-of-body experiences sind seit Langem beschrieben. In den siebziger Jahren gab es einen eher populärwissenschaftlichen Hype darüber, der vor allen Dingen von Elisabeth Kübler-Ross befeuert wurde. Aber erst viel später konnten wir das bei unseren Epilepsiepatienten über implantierte Elektroden reproduzieren. Es gibt auch ganz verschiedene Arten, wie man seinen eigenen Körper sieht, bevor man ihn als Seele verlässt. Mal weiß man nur, dass man darüber schwebt, ein anderes Mal sieht man ihn von Angesicht zu Angesicht usw.
Ich glaube inzwischen, wie auch einige andere eher stählerne Wissenschaftler, und auch wenn mir das wirklich Angst macht, dass man letztlich (auch durch postmortale Verbrennung, Verdampfung, Zerhackung, Auflösung in Natronlauge usw.) nicht ausschließen kann, dass man nicht doch in irgendeiner anderen Daseinsform weiter existiert.
Dann hätte Antoine de Saint-Exupery Recht behalten. Und das wäre doch auch wieder ein bisschen versöhnlich.”
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