30. Dezember 2024

Guter Roman­an­fang: In Rom mach­te mich ein schwu­ler schwe­di­scher Pries­ter, der einen Arma­ni-Anzug trug, auf M. aufmerksam –

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Er war über Sart­re so fest und zuver­läs­sig ein­ge­schla­fen wie sonst nur über Foucault.

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Heid­eg­ger hat laut Löwi­th selbst bestä­tigt, dass zwi­schen sei­ner Phi­lo­so­phie und dem Natio­nal­so­zia­lis­mus gewis­se Ver­bin­dun­gen bestün­den. Das muss hin­sicht­lich sei­ner Phi­lo­so­phie aller­dings nicht viel sagen, son­dern könn­te Aus­kunft dar­über geben, wel­chen gro­tes­ken Unsinn er über den Natio­nal­so­zia­lis­mus dachte.

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In einem alten Notiz­heft aus den 1990ern fand ich fol­gen­den Eintrag:

„Es gibt einen Typus Ost­deut­schen, der vom Wes­ten und sei­nen Links-Intel­lek­tu­el­len ange­wi­dert ist, weil er die soeben errun­ge­ne Frei­heit und natio­na­le Iden­ti­tät – ja, die­ses Quatsch­wort, aber in sei­ner hin­ter Mau­er und Sta­chel­draht gebo­re­nen Ver­hei­ßung – nicht schon wie­der ver­lie­ren und vor allem nicht ein­fach so preis­ge­ben mag, schon gar nicht an die­se merk­wür­di­ge Men­schen­mischung aus welt­markt­er­obern­der Groß­kon­zer­ne­rie und selbst­haßsuh­le­ri­scher Links­schi­cke­ria; viel­leicht, wenn die Anti-Natio­na­len von Goe­the-Schil­ler­schem Euro­pä­er­tum gewe­sen wären, aber die­ser einen auf Welt machen­de pro­vinz­kaff­haf­te Denun­zi­an­ten­ei­fer, der sich vom natio­na­len der Nazis im Impe­tus wenig unter­schied und kaum mehr Zweck besaß, als das Wohl­sein des Milieus, dem er ent­wuchs, teils ersatz­spi­ri­tu­ell, teils ganz schnö­de plan­stel­len- und druck­auf­trags­mä­ßig abzu­si­chern, die­se klein­bür­ger­li­che Ver­si­on des Klein­bür­ger­has­ses, die­se Kon­for­mi­tät soge­nann­ter Kon­for­mi­täts­ab­leh­ner, das konn­te sich besag­ter Typus, der halb­wegs geschmacks­si­cher und rück­grat­ge­ra­de durch die Dik­ta­tur gekom­men war, nicht antun – und so wur­de er ein, hor­ri­bi­le dic­tu, Rechter…”

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All die ent­täusch­ten Erwar­tun­gen, Demü­ti­gun­gen, Ohn­machts­er­fah­run­gen und zer­tre­te­nen Gefüh­le sei­ner Kind­heit hat­ten ihn dahin gebracht, sein inne­res Kind gering­zu­schät­zen, zu ver­ach­ten und schließ­lich abzu­le­gen wie eine Schlan­gen­haut, als ob es sel­ber die Schuld dar­an trü­ge, was ihm wider­fah­ren war. Der Gewinn schien auf der Hand zu lie­gen: Er war weni­ger ver­letz­bar. Aber er hat­te dafür getötet.

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Der Kon­takt mit ihr ist wie Sozi­al­ar­beit. Ihr Man-über­sieht-mich-Gesicht, ihr ner­vö­ses Kichern. Ihr bit­te­rer, fast hass­erfüll­ter Blick auf die Kol­le­gin mit den drei Kin­dern. Ihre Ich-hab’-auch-studiert-Atti­tü­de. Wenn sie den Raum betritt, ist es, als wenn eine dunk­le Wol­ke vors Fens­ter zieht. Am Wochen­en­de hat sie die Grün­pflan­ze umge­topft, mit der sie schon als Stu­den­tin zusam­men­leb­te. Sie hat All­er­gien. Sie hat Gewichts­pro­ble­me. Ihr ist alles zuviel. Sie muss jetzt unbe­dingt ein Stück Kuchen essen.

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Man sag­te über die gut­aus­se­hen­de jun­ge Frau des alten Donald Trump, ihre Bei­ne sei­en so dünn wie sei­ne Haa­re. *** fand das ermu­ti­gend. Reich konn­te er ja theo­re­tisch noch wer­den, schön wohl eher nicht.

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Außer von Trend­sport­ar­ten hat­te sie von nichts eine Ahnung, aber zu allen mög­li­chen Sach­ver­hal­ten eine selbst­re­dend nie­mals ori­gi­nel­le Mei­nung. Sie war gegen rechts und für Euro­pa, aber auf die Idee, dass man die Begrif­fe rechts und pro­eu­ro­pä­isch kom­bi­nie­ren kön­ne, wäre sie nie gekom­men. Sie fand es gut, wenn Pro Asyl auf dem Mari­en­platz demons­trier­te, reagier­te aber empört, als er ihr ver­si­cher­te, es sei vom demo­kra­tie­theo­re­ti­schen Stand­punkt aus eben­so legi­tim, gegen Asyl zu demons­trie­ren. Sie war davon über­zeugt, dass allent­hal­ben Frau­en von Män­nern unter­drückt wür­den, auch wenn sie kei­ne unter­drück­te Frau per­sön­lich kann­te, sie moch­te die Grü­nen und fand die CSU reak­tio­när, obwohl sie sehr gut und sehr gern in einem CSU-regier­ten Land leb­te, das sich oben­drein her­vor­ra­gend für Trend­sport­ar­ten eig­ne­te. Sie hielt Kund­ge­bun­gen gegen rechts für enga­giert, Volks­ab­stim­mun­gen dage­gen für gefährlich.

Sie flog jedes Jahr in den Urlaub, mög­lichst auf einen ande­ren Kon­ti­nent, fuhr jeden Tag mit dem Auto ins Büro, fuhr mit dem­sel­ben Auto im Som­mer zum Moun­tain-Biken und im Win­ter zum Ski­fah­ren in die Alpen, behaup­te­te aber von sich, öko­lo­gisch bewusst zu leben und die Natur zu lie­ben. Über­haupt rede­te sie ger­ne von der schö­nen, per­fek­ten, schüt­zens­wer­ten Natur, die der Mensch immer mehr zer­stö­re. Was eigent­lich so sen­sa­tio­nell und erhal­tens­wert an der Natur sei, frag­te er sie, ob sie sich eigent­lich schon mal über­legt habe, in wel­chem schreck­li­chen Zustand von Dau­er­furcht unse­re ver­meint­lich noch natür­lich leben­den Vor­fah­ren hat­ten exis­tie­ren müs­sen, immer auf der Hut vor den sie umlau­ern­den Klau­en, Zäh­nen und Sta­cheln, vor Höh­len­bä­ren, Säbel­zahn­ti­gern, Schlan­gen, Gift­spin­nen und Nas­hör­nern; ein Fehl­tritt, eine Unacht­sam­keit, und man ging unter Qua­len zugrun­de, von den Krank­hei­ten gar nicht zu reden. Die­ses jahr­hun­dert­tau­sen­de­lang ange­sam­mel­te Angst-Erbe mache den Men­schen noch heu­te kir­re. Was sei denn so groß­ar­tig an einem Pla­ne­ten, auf dem sich Leben in Gestalt noto­ri­schen Fres­sens und Gefres­sen­wer­dens zufäl­lig ent­wi­ckelt habe und exakt so lan­ge exis­tie­ren wer­de, bis ein nur hin­rei­chend gro­ßer Aste­ro­id den gan­zen Zau­ber aus­lö­sche, so wie die Ech­sen­welt der Krei­de­zeit ver­tilgt wur­de, der­glei­chen ver­an­stal­te die per­fek­te Natur voll­kom­men unge­rührt, aber wehe, der Mensch rot­te eine Art aus, da fan­ge sofort ein Geschrei an. Natur hei­ße Schmerz und noch­mals Schmerz, kei­ne Kul­tur schlach­te ihre Spei­se­tie­re so bar­ba­risch, wie zum Bei­spiel der Waran sei­ne Beu­te töte, sie ver­fau­le an sei­nem Gift­biss tage­lang leben­di­gen Lei­bes, und das trä­ge Mons­ter laue­re auf den Zeit­punkt aus­rei­chen­der Schwä­che, um mit dem Fres­sen zu begin­nen. Mil­lio­nen Tie­re stür­ben, ohne zuvor getö­tet zu wer­den, selbst die vor ihrem Tod wegen eines angeb­lich fleisch­ge­schmacks­ver­edeln­den Tes­to­ste­ron­schubs geprü­gel­ten Hun­de in Chi­na fän­den in der Natur ihr Gegen­stück, denn ver­mut­lich quä­le die Kat­ze die gefan­ge­ne Maus aus dem­sel­ben kuli­na­ri­schen Grund. Natur sei Schmerz, Gewalt, Lei­den, Pla­ge, Ver­fau­len bei leben­di­gem Leib und voll­kom­me­ne Gleich­gül­tig­keit gegen Schmerz, Gewalt, Lei­den, Pla­ge. Natur bedeu­te, in aller Regel unmit­tel­bar nach der Geburt gefres­sen wer­den, von Para­si­ten und Mikro­ben lebens­lang gequält wer­den, in stän­di­ger Todes­ge­gen­wart zu exis­tie­ren, und wenn ein Tier wirk­lich mal durch­kam und alt wur­de, dür­fe es kei­nes natür­li­chen Todes ster­ben, jede Schwä­che wer­de sofort erkannt und aus­ge­nutzt, inso­fern sei die Natur in der Tat per­fekt, ein per­fek­tes, den gesam­ten Pla­ne­ten umfas­sen­des Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. Ob sie schon mal gese­hen habe, wie eine Anti­lo­pen- oder Gnu­mut­ter ver­geb­lich ihr Neu­ge­bo­re­nes vor vier, fünf Hyä­nen zu schüt­zen ver­su­che, frag­te er, gera­de die zar­ten Babys wür­den beson­ders gern gefres­sen, aber auch Raub­tie­re fie­len, wenn sie krank genug waren, den Aas­fres­sern zum Opfer, noch lebend natür­lich. Und erst das Dau­er­ge­met­zel, wel­ches von Insek­ten ver­an­stal­tet wer­de! Streng­ge­nom­men müs­se jeder Natur­schwär­mer für die Ver­til­gung alles Schwa­chen, Miss­ra­te­nen, Behin­der­ten, Alten plä­die­ren und all die als Sozi­al­dar­wi­nis­mus geschmäh­ten Scheuß­lich­kei­ten begrüßen.

Dass sich die Men­schen auf die­sem Pla­ne­ten immer noch nicht ver­nünf­tig mit­ein­an­der arran­gie­ren könn­ten, läge vor allem am Angst-Erbe des Homo sapi­ens und sei­nem enor­men Sicher­heits­be­dürf­nis und damit letzt­lich am jahr­tau­sen­de­al­ten Savan­nen-Bal­last, den jeder ein­zel­ne im Stamm­hirn immer noch mit sich her­um­schlep­pe, noch immer emp­fin­de der Mensch vor allen mög­li­chen Gefah­ren instink­tiv Furcht, obwohl ihm doch kaum Gefahr droh­te, ver­gli­chen mit dem nack­ten Savan­nen­af­fen, selbst in sei­ner eige­nen Woh­nung füh­le er sich im Dun­keln unbe­haust, alles Kon­struk­ti­ve und alles Destruk­ti­ve im Men­schen resul­tie­re letzt­lich aus sei­ner Angst und dem Gefühl der Unbe­haust­heit auf Erden, eben aus sei­nem über Gene­ra­tio­nen erlit­te­nen Natur­er­leb­nis, das sei die Natur und sonst nichts, und des­halb sei es nicht wei­ter schlimm, wenn der Mensch die­sen mons­trö­sen Kil­ler­ap­pa­rat zerstöre.

„Pfui, wie du redest!“ war alles, was dem Blon­di­nen­tier dazu einfiel.

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„War­um hät­test du gern einen grö­ße­ren Busen?”, frag­te er. „Nur um dich von irgend­wel­chen Typen anstar­ren zu lassen?”
„Nein, wegen der ande­ren Frauen.”

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Von sei­nem ca. 14. bis ca. 44. Lebens­jahr hat­te er an die Macht der Lite­ra­tur geglaubt, sich gegen die­ses Leben stel­len zu kön­nen, über das abge­schmack­te Trei­ben der Men­schen zu tri­um­phie­ren und sozu­sa­gen das letz­te Wort zu haben; er hat­te, noch halb ein Kind des 19. Jahr­hun­derts, auf die Wir­kung lite­ra­ri­scher Lob­prei­sun­gen wie Ver­dam­mungs­ur­tei­le ver­traut und sogar gemeint, die Höl­le des Dan­te sei der tat­säch­li­che Ort des per­ma­nen­ten Gerichts. Wie naiv, dach­te er spä­ter, da die Lite­ra­tur doch nur das Nicht-von-die­ser-Welt-Reich einer Rand­grup­pe war und all die zwi­schen Buch­de­ckel gepress­ten und von der rea­len Welt ein­fach igno­rier­ten Bewer­tungs­an­ma­ßun­gen meis­tens von abson­der­li­chen Stu­ben­ho­ckern stam­men, die, auch wenn sie Tol­stoi oder Kaf­ka hie­ßen, nicht die gerings­te Rol­le in der Welt spiel­ten und allen­falls homöo­pa­thi­sche Wir­kun­gen auf ver­ein­zel­te emp­find­sa­me und gekränk­te See­len erzielten…

 

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