Guter Romananfang: In Rom machte mich ein schwuler schwedischer Priester, der einen Armani-Anzug trug, auf M. aufmerksam –
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Er war über Sartre so fest und zuverlässig eingeschlafen wie sonst nur über Foucault.
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Heidegger hat laut Löwith selbst bestätigt, dass zwischen seiner Philosophie und dem Nationalsozialismus gewisse Verbindungen bestünden. Das muss hinsichtlich seiner Philosophie allerdings nicht viel sagen, sondern könnte Auskunft darüber geben, welchen grotesken Unsinn er über den Nationalsozialismus dachte.
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In einem alten Notizheft aus den 1990ern fand ich folgenden Eintrag:
„Es gibt einen Typus Ostdeutschen, der vom Westen und seinen Links-Intellektuellen angewidert ist, weil er die soeben errungene Freiheit und nationale Identität – ja, dieses Quatschwort, aber in seiner hinter Mauer und Stacheldraht geborenen Verheißung – nicht schon wieder verlieren und vor allem nicht einfach so preisgeben mag, schon gar nicht an diese merkwürdige Menschenmischung aus weltmarkterobernder Großkonzernerie und selbsthaßsuhlerischer Linksschickeria; vielleicht, wenn die Anti-Nationalen von Goethe-Schillerschem Europäertum gewesen wären, aber dieser einen auf Welt machende provinzkaffhafte Denunzianteneifer, der sich vom nationalen der Nazis im Impetus wenig unterschied und kaum mehr Zweck besaß, als das Wohlsein des Milieus, dem er entwuchs, teils ersatzspirituell, teils ganz schnöde planstellen- und druckauftragsmäßig abzusichern, diese kleinbürgerliche Version des Kleinbürgerhasses, diese Konformität sogenannter Konformitätsablehner, das konnte sich besagter Typus, der halbwegs geschmackssicher und rückgratgerade durch die Diktatur gekommen war, nicht antun – und so wurde er ein, horribile dictu, Rechter…”
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All die enttäuschten Erwartungen, Demütigungen, Ohnmachtserfahrungen und zertretenen Gefühle seiner Kindheit hatten ihn dahin gebracht, sein inneres Kind geringzuschätzen, zu verachten und schließlich abzulegen wie eine Schlangenhaut, als ob es selber die Schuld daran trüge, was ihm widerfahren war. Der Gewinn schien auf der Hand zu liegen: Er war weniger verletzbar. Aber er hatte dafür getötet.
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Der Kontakt mit ihr ist wie Sozialarbeit. Ihr Man-übersieht-mich-Gesicht, ihr nervöses Kichern. Ihr bitterer, fast hasserfüllter Blick auf die Kollegin mit den drei Kindern. Ihre Ich-hab’-auch-studiert-Attitüde. Wenn sie den Raum betritt, ist es, als wenn eine dunkle Wolke vors Fenster zieht. Am Wochenende hat sie die Grünpflanze umgetopft, mit der sie schon als Studentin zusammenlebte. Sie hat Allergien. Sie hat Gewichtsprobleme. Ihr ist alles zuviel. Sie muss jetzt unbedingt ein Stück Kuchen essen.
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Man sagte über die gutaussehende junge Frau des alten Donald Trump, ihre Beine seien so dünn wie seine Haare. *** fand das ermutigend. Reich konnte er ja theoretisch noch werden, schön wohl eher nicht.
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Außer von Trendsportarten hatte sie von nichts eine Ahnung, aber zu allen möglichen Sachverhalten eine selbstredend niemals originelle Meinung. Sie war gegen rechts und für Europa, aber auf die Idee, dass man die Begriffe rechts und proeuropäisch kombinieren könne, wäre sie nie gekommen. Sie fand es gut, wenn Pro Asyl auf dem Marienplatz demonstrierte, reagierte aber empört, als er ihr versicherte, es sei vom demokratietheoretischen Standpunkt aus ebenso legitim, gegen Asyl zu demonstrieren. Sie war davon überzeugt, dass allenthalben Frauen von Männern unterdrückt würden, auch wenn sie keine unterdrückte Frau persönlich kannte, sie mochte die Grünen und fand die CSU reaktionär, obwohl sie sehr gut und sehr gern in einem CSU-regierten Land lebte, das sich obendrein hervorragend für Trendsportarten eignete. Sie hielt Kundgebungen gegen rechts für engagiert, Volksabstimmungen dagegen für gefährlich.
Sie flog jedes Jahr in den Urlaub, möglichst auf einen anderen Kontinent, fuhr jeden Tag mit dem Auto ins Büro, fuhr mit demselben Auto im Sommer zum Mountain-Biken und im Winter zum Skifahren in die Alpen, behauptete aber von sich, ökologisch bewusst zu leben und die Natur zu lieben. Überhaupt redete sie gerne von der schönen, perfekten, schützenswerten Natur, die der Mensch immer mehr zerstöre. Was eigentlich so sensationell und erhaltenswert an der Natur sei, fragte er sie, ob sie sich eigentlich schon mal überlegt habe, in welchem schrecklichen Zustand von Dauerfurcht unsere vermeintlich noch natürlich lebenden Vorfahren hatten existieren müssen, immer auf der Hut vor den sie umlauernden Klauen, Zähnen und Stacheln, vor Höhlenbären, Säbelzahntigern, Schlangen, Giftspinnen und Nashörnern; ein Fehltritt, eine Unachtsamkeit, und man ging unter Qualen zugrunde, von den Krankheiten gar nicht zu reden. Dieses jahrhunderttausendelang angesammelte Angst-Erbe mache den Menschen noch heute kirre. Was sei denn so großartig an einem Planeten, auf dem sich Leben in Gestalt notorischen Fressens und Gefressenwerdens zufällig entwickelt habe und exakt so lange existieren werde, bis ein nur hinreichend großer Asteroid den ganzen Zauber auslösche, so wie die Echsenwelt der Kreidezeit vertilgt wurde, dergleichen veranstalte die perfekte Natur vollkommen ungerührt, aber wehe, der Mensch rotte eine Art aus, da fange sofort ein Geschrei an. Natur heiße Schmerz und nochmals Schmerz, keine Kultur schlachte ihre Speisetiere so barbarisch, wie zum Beispiel der Waran seine Beute töte, sie verfaule an seinem Giftbiss tagelang lebendigen Leibes, und das träge Monster lauere auf den Zeitpunkt ausreichender Schwäche, um mit dem Fressen zu beginnen. Millionen Tiere stürben, ohne zuvor getötet zu werden, selbst die vor ihrem Tod wegen eines angeblich fleischgeschmacksveredelnden Testosteronschubs geprügelten Hunde in China fänden in der Natur ihr Gegenstück, denn vermutlich quäle die Katze die gefangene Maus aus demselben kulinarischen Grund. Natur sei Schmerz, Gewalt, Leiden, Plage, Verfaulen bei lebendigem Leib und vollkommene Gleichgültigkeit gegen Schmerz, Gewalt, Leiden, Plage. Natur bedeute, in aller Regel unmittelbar nach der Geburt gefressen werden, von Parasiten und Mikroben lebenslang gequält werden, in ständiger Todesgegenwart zu existieren, und wenn ein Tier wirklich mal durchkam und alt wurde, dürfe es keines natürlichen Todes sterben, jede Schwäche werde sofort erkannt und ausgenutzt, insofern sei die Natur in der Tat perfekt, ein perfektes, den gesamten Planeten umfassendes Konzentrationslager. Ob sie schon mal gesehen habe, wie eine Antilopen- oder Gnumutter vergeblich ihr Neugeborenes vor vier, fünf Hyänen zu schützen versuche, fragte er, gerade die zarten Babys würden besonders gern gefressen, aber auch Raubtiere fielen, wenn sie krank genug waren, den Aasfressern zum Opfer, noch lebend natürlich. Und erst das Dauergemetzel, welches von Insekten veranstaltet werde! Strenggenommen müsse jeder Naturschwärmer für die Vertilgung alles Schwachen, Missratenen, Behinderten, Alten plädieren und all die als Sozialdarwinismus geschmähten Scheußlichkeiten begrüßen.
Dass sich die Menschen auf diesem Planeten immer noch nicht vernünftig miteinander arrangieren könnten, läge vor allem am Angst-Erbe des Homo sapiens und seinem enormen Sicherheitsbedürfnis und damit letztlich am jahrtausendealten Savannen-Ballast, den jeder einzelne im Stammhirn immer noch mit sich herumschleppe, noch immer empfinde der Mensch vor allen möglichen Gefahren instinktiv Furcht, obwohl ihm doch kaum Gefahr drohte, verglichen mit dem nackten Savannenaffen, selbst in seiner eigenen Wohnung fühle er sich im Dunkeln unbehaust, alles Konstruktive und alles Destruktive im Menschen resultiere letztlich aus seiner Angst und dem Gefühl der Unbehaustheit auf Erden, eben aus seinem über Generationen erlittenen Naturerlebnis, das sei die Natur und sonst nichts, und deshalb sei es nicht weiter schlimm, wenn der Mensch diesen monströsen Killerapparat zerstöre.
„Pfui, wie du redest!“ war alles, was dem Blondinentier dazu einfiel.
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„Warum hättest du gern einen größeren Busen?”, fragte er. „Nur um dich von irgendwelchen Typen anstarren zu lassen?”
„Nein, wegen der anderen Frauen.”
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Von seinem ca. 14. bis ca. 44. Lebensjahr hatte er an die Macht der Literatur geglaubt, sich gegen dieses Leben stellen zu können, über das abgeschmackte Treiben der Menschen zu triumphieren und sozusagen das letzte Wort zu haben; er hatte, noch halb ein Kind des 19. Jahrhunderts, auf die Wirkung literarischer Lobpreisungen wie Verdammungsurteile vertraut und sogar gemeint, die Hölle des Dante sei der tatsächliche Ort des permanenten Gerichts. Wie naiv, dachte er später, da die Literatur doch nur das Nicht-von-dieser-Welt-Reich einer Randgruppe war und all die zwischen Buchdeckel gepressten und von der realen Welt einfach ignorierten Bewertungsanmaßungen meistens von absonderlichen Stubenhockern stammen, die, auch wenn sie Tolstoi oder Kafka hießen, nicht die geringste Rolle in der Welt spielten und allenfalls homöopathische Wirkungen auf vereinzelte empfindsame und gekränkte Seelen erzielten…