Leser ***, der sein „gesamtes Berufsleben in der Investmentindustrie verbracht hat” und hier bereits einmal mit einem Einspruch gegen die allgemein unterstellte Gefährlichkeit der Kapitalmärkte (bzw. der Hochfinanz) für die Volkswirtschaften vorstellig wurde, schrieb mir diesmal Folgendes:
„Kein global tätiges Unternehmen steht so im Zentrum der Kritik aus den Kreisen der oppositionellen Kräfte in Deutschland wie die US-Firma BlackRock. BlackRock, so wird dabei unterstellt, ist das Zentrum einer internationalen Finanzverschwörung, die Hydra des woken Kapitalismus, die über ihre politischen Fußtruppen – bei uns vor allem die Grünen, aber auch Figuren wie Merz – die Souveränität von Nationalstaaten untergräbt, Gesetze in ihrem Sinn formt, ja sogar die US-Außenpolitik beeinflusst; dies alles mit dem Ziel, für sich selbst weltweit profitable Investitionsmöglichkeiten zu schaffen. BlackRock gilt als großer Förderer und zugleich Profiteur der grünen Klima-Agenda, und als Strippenzieher hinter Übeln aller Art: Zwangsimpfungen, totalitärer EU-Zentralismus, Ukraine-Krieg und what not.
Ich habe auf verschiedenen Ebenen auch mit BlackRock Erfahrungen gesammelt, sodass ich sagen darf, dass ich mir aus eigener Anschauung ein Bild dieser Firma machen konnte. Keinesfalls will ich diesem Unternehmen einen Persilschein ausstellen, aber die heute gängige Kritik an BlackRock beruht auf einigen so grundfalschen Prämissen, dass ich einige davon gerne zurechtrücken möchte.
Zunächst einmal: Was ist das Geschäftsmodell dieses Unternehmens? BlackRock ist der größte Vermögensverwalter (‚Asset Manager’) der Welt. Die Firma managt hauptsächlich Aktien‑, Anleihen- und Geldmarktfonds für große institutionelle, aber auch private Investoren, vorwiegend aus den USA und Europa. Das Volumen der von BlackRock verwalteten Mittel ist schwindelerregend: 10,5 Billionen, also 10.500 Mrd. USD. Genau hier setzt aber ein gigantisches Missverständnis an. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch, die ich ansonsten sehr schätze, behauptet beispielsweise, dies sei das „Kapital“, mit dem Black Rock operiere. Nun ist der Begriff ‚Kapital’ buntschillernd, aber klar ist, dass die besagten Mittel eben nicht das Kapital von BlackRock sind, sondern das Kapital von BlackRocks Kunden! Und keineswegs kann BlackRock in der Verwaltung dieser Mittel nach eigenem Gutdünken verfahren. Die weit überwiegende Masse der von BlackRock verwalteten Mittel ist in sogenannten ‚passiven’ Fonds (auch: Indexfonds) investiert, das sind Fonds (z.B. ETF), deren Anlageziel und ‑auftrag darin besteht, einen bestimmten (Aktien- oder Anleihen-) Index möglichst genau zu replizieren. Die Anlagespielräume, über die BlackRock bei solchen Indexfonds verfügt, tendieren gegen null. Aber auch bei ‚aktiv’ gemanagten, d.h. nicht indexgebundenen Fonds geben die Investoren sehr detailliert vor, in welche Anlageklassen, ‑instrumente und ‑märkte investiert werden darf, bis hin zu Listen, die im Detail festlegen, in welche Unternehmen investiert werden darf und in welche nicht.
Es ist deshalb abwegig und höchst irreführend, wenn der Eindruck erweckt wird, BlackRock disponiere für eigene Zwecke und auf eigene Rechnung mit einem ‚Kapital’ in der oben genannten Größenordnung. Gerne wird in diesem Zusammenhang auch behauptet, BlackRock sei an mehr als zwanzig DAX-Unternehmen mit mehr als jeweils 5% ‚beteiligt’: Es sind Black Rocks Kunden, große international anlegende Versicherungen, Pensionsfonds usw., die diese Beteiligungen halten; BlackRock ist nur die Instanz, die im Auftrag seiner Kunden diese Wertpapiere verwaltet bzw. verwahrt. Ein eigener unternehmerischer Einfluss ist damit für BlackRock nicht verbunden.
Wenn man von Black Rocks ‚Kapital’ spricht, dann nähert man sich der Wirklichkeit stark an, indem man auf die Bilanzsumme des Unternehmens blickt. Das waren zum Ende des letzten Geschäftsjahrs 123 Mrd. USD, also nur ein Bruchteil der immer wieder kolportierten 10,5 Billionen USD. Die Bilanzsumme umfasst aber auch die Schulden eines Unternehmens. Wenn Sie diese abziehen, erst dann kommen sie zum ‚Kapital’ im eigentlichen Sinn, nämlich zum Eigenkapital des Unternehmens: Dasjenige Kapital, das den Aktionären des Unternehmens gehört. Ende 2023 verfügte BlackRock über ein Eigenkapital von knapp 40 Mrd. USD. Wir reden hier also von 0,38% der immer wieder kolportierten 10.500 Mrd. USD.
Machen wir einen Realitätscheck. Wenn Black Rock die Finanzkrake wäre, die die halbe Welt beherrscht, dann müsste man ja annehmen, dass BlackRock mehr wert ist als jedes andere US-Unternehmen. Wenn wir uns aber einmal eine Liste der US-Unternehmen, sortiert nach ihrem Börsenwert, ansehen, dann kommen wir zu einem sehr ernüchternden Ergebnis:
Die gemessen am Börsenwert (‚market capitalization’) größten US-Unternehmen entstammen ausnahmslos der US-Technologiebranche. Die beiden Spitzenreiter, der Chiphersteller NVIDIA und Apple, kommen jeweils auf einen Börsenwert von ca. 3,5 Billionen USD (die Amerikaner lieben’s immer etwas größer, deshalb sind bei ihnen trillions (T) das, was bei uns Billionen sind). Man muss etliche Stufen nach unten gehen, um dann irgendwann auch auf BlackRock zu stoßen:
Mit einem Börsenwert von ca. 155 Mrd. USD (per 14.11.2024) liegt BlackRock aktuell auf Platz Nr. 60 der Rangliste der US-Unternehmen, in unmittelbarer Nachbarschaft von Firmen, von denen hierzulande kaum jemand spricht. (Die Datenquelle finden Sie hier.)
Damit will ich nicht behaupten, BlackRock sei unbedeutend. Der Vergleich mit dem Börsenwert der Deutschen Bank (aktuell 31 Mrd.) illustriert, wie zwergenhaft die deutsche Finanzbranche dagegen aussieht. Doch in dieser Diskrepanz spiegelt sich eher der ökonomische Abstieg Deutschlands und nicht eine singuläre Stellung von BlackRock. Denn es gibt etliche US-Finanzinstitute, die den Börsenwert von BlackRock noch bei Weitem übertreffen, z.B. JP Morgan Chase (680 Mrd. USD) oder Bank of America (352 Mrd. USD). Wie auch immer man die Sache betrachtet, von der Behauptung, BlackRock sei eine Art ökonomische Weltregierung oder der lange Schatten des globalen woken Kapitalismus, bleibt bei Lichte besehen so gut wie nichts übrig.
Noch ein zweiter Realitätscheck: BlackRock erzielte 2023 einen Umsatzerlös von 18,5 Mrd. USD; diese Erträge kommen aus den Verwaltungsgebühren, die BlackRock seinen Kunden für das Management der Fonds in Rechnung stellt. Sie können leicht ausrechnen, dass die durchschnittlichen Vergütungen, bezogen auf das Kundenvermögen, somit deutlich unter 0,05% liegen. Gerade darin liegt das Erfolgsrezept von BlackRock: Das Unternehmen hat mit seinen äußerst kostengünstig verwalteten Indexfonds die Investmentwelt revolutioniert. Millionen – auch deutscher – Kleinsparer profitieren davon, dass sie für einen von BlackRock verwalteten (Index-)Aktienfonds nur etwa ein Zehntel dessen bezahlen, was herkömmlicherweise für die Investmentvehikel der DWS, Deka, Union Investment usw. zu entrichten war. Und da wir gerade bei den Umsätzen waren: Die Firma Microsoft erzielte 2023 einen Umsatz von 245 Mrd. USD, also das Dreizehnfache (!) dessen, was BlackRock an Umsatz erzielt. Vielleicht sollte sich die Opposition in Deutschland also eher mal kritisch mit Microsoft befassen.
Woher kommt es dann, dass BlackRock unter den oppositionellen Kräften in Deutschland so viel Misstrauen, ja Wut auf sich zieht? Das rührt meines Erachtens im Wesentlichen daher, dass BlackRock sich in den letzten Jahren tatsächlich auf aggressive Weise der grün-woken Agenda verschrieben hat. Ich habe es selbst erlebt, wie BlackRock auch in Deutschland bei den Investoren die Idee des ’nachhaltigen’ Investierens propagiert hat. Da hieß es, Investoren handelten unethisch oder verantwortungslos, wenn sie nicht bestimmte Branchen aus dem Kreis ihrer Investments ausschließen (Öl, Rüstung, Alkohol…), den CO2-footprint von Unternehmen vernachlässigen oder Unternehmen nicht ausreichend auf ihr wokes Profil (Diversität, Gleichstellung usw.) durchleuchten. Insbesondere der Chef von BlackRock, Larry Fink, hat auf ziemlich penetrante Weise diese Themen in den Vordergrund gerückt. Sein Ehrgeiz war es, BlackRock zum Vorreiter bei Themen wie ‚Nachhaltigkeit’, Diversität, Inklusion usw. zu machen. Entscheidend ist es aber zu verstehen, dass es sich hier nicht um eine Schrulle von BlackRock handelte, sondern um einen Megatrend der letzten 20 Jahre, von dem die gesamte Investmentbranche erfasst war.
Die gute Nachricht ist: Das Interesse der Investoren und Firmen an diesen Themen geht in den USA seit zwei oder drei Jahren deutlich zurück. ‚Go woke, get broke!’ Einen aktuellen Artikel hierzu finden Sie hier (‚DEI’ steht für Diversity-Equity-Inclusion…).
Auch die Investmentbranche operiert nicht im luftleeren Raum; sie greift gesellschaftliche und politische Themen auf und propagiert sie vielleicht sogar eine Zeitlang, aber wenn die Investoren, also BlackRocks Kunden, das Interesse am woken Gedöns verlieren, dann wird auch BlackRock recht schnell zurückrudern, um nicht, wenn die Flut der Ebbe weicht, ohne Hosen dazustehen. Der Wahlsieg Trumps zeigt, wohin die Reise geht.
Eine Schlussbemerkung: In einer Sitzung des Bundestags in der zu Ende gehenden Woche argumentierte der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla, der aussichtslose Krieg in der Ukraine werde seitens der USA deshalb fortgesetzt, weil Firmen wie BlackRock dort das große Geschäft witterten, nach dem Prinzip: Je höher die dortigen Zerstörungen, desto höher die späteren Gewinne von BlackRock & Co. Die Äußerung zeigt, wie weit das BlackRock-Virus sich in den Köpfen der deutschen Opposition schon ausgebreitet hat. Die Wahrheit ist: Die Amerikaner stehen vor einem goldenen ökonomischen Zeitalter. Ihr Heimatland bietet ihnen profitable Investitionsgelegenheiten in Hülle und Fülle: Künstliche Intelligenz, Öl und Gas, Biotechnologie, Atomkraft. Kein Mensch in den USA ist auf die Ukraine als Investitionsstandort angewiesen!
Davon abgesehen, ist für die riesigen Summen, die die US-Wirtschaft bewegt, die Ukraine viel zu klein. Die dortigen Oligarchen, korrupte Staatsbeamte und ein paar westliche Glücksritter werden in der Ukraine ihr Geld machen, keine Frage, aber wer glaubt, dass dort eine Bonanza für Investoren aus Europa und den USA winkt, versteht den Charakter hochkorrupter Regime, wie die Ukraine eines ist, nicht. Bei uns müssen von 100 Euro Investitionen vielleicht 10 für die ‚Pflege der Geschäftsbeziehungen’ abgezweigt werden, und 90 fließen in den eigentlichen investiven Zweck. Es ist völlig naiv zu glauben, dies werde in einem Land wie der Ukraine genauso sein. Gehen Sie vorsichtshalber davon aus, dass man dort lieber fifty-fifty macht. Trump hat ja bereits deutlich zu verstehen gegeben, dass ihn das Thema Ukraine-Wiederaufbau nicht interessiert; das überlässt er den Europäern… Der Mann ist eben Realist. Die Scholz, Merz & Co. hingegen werden sich noch wundern, was für ein schwarzes Finanzloch sich dort auftut, wenn die Waffen schweigen.
Die bittere Wahrheit ist: Kein Mensch interessiert sich in den USA ernsthaft für die Ukraine; es weiß ja dort kaum jemand, wo das Land überhaupt liegt. Die Ukraine ist nur eine Schachfigur im globalen Kräftemessen der USA mit China und Russland: ‚Only a pawn in their game’, wie der Altmeister Bob Dylan es einmal formuliert hat. Die USA haben unter Biden dort Krieg führen lassen, weil sie damit Russland in maximaler Weise schwächen wollten. Wer diesen Primat der Politik verkennt und stattdessen irgendwelche dunklen ökonomischen Mächte (so wie BlackRock) dahinter vermutet, sitzt einer vulgärmarxistischen Deutung auf, die da lautet: Kriege werden geführt, weil es der Rüstungsindustrie, wahlweise auch dem ‚Monopolkapital’, nutzt. Dieses Denkmuster kennen Sie ja zu Genüge aus der DDR 1.0. Wie absurd diese Idee ist, zeigt sich daran, dass es nach dieser Logik zwischen nichtkapitalistischen Ländern gar keine Kriege hätte geben dürfen. Oder: Warum hätten unter dieser Prämisse Länder sich bekriegt, die gar keine eigene Industrie hatten und ihr Kriegsgerät komplett aus dem Ausland beschaffen mussten?
Wenn nur die reine Ökonomie waltete, und keine Politik: Das wäre herrlich. (Sie sehen: Ich bin ein herzloser Marktradikaler). Ernst Jünger erinnert sich in seinen Tagebüchern daran, dass am Silvesterabend des Jahres 1913 eine Veröffentlichung des britischen Publizisten Norman Angell im Elternhaus Tischgespräch war. Dessen Schrift ‚The great illusion’ war 1911 erschienen: Die gewachsenen Verflechtungen in Handel und Finanzen samt der modernen Kommunikation, so die darin vertretene These, würden einen Krieg der europäischen Mächte künftig unmöglich machen; jede der beteiligten Mächte hätte viel mehr zu verlieren als zu gewinnen. Das Buch fand damals in ganz Europa ein begeistertes Echo; 1913 war in Deutschland bereits die vierte Auflage erschienen. Leider hatte die europäische Politik eine andere Idee.
PS: Ich besitze keine Aktien von BlackRock, habe auch früher keine besessen, und nie auch nur einen Cent von dieser Firma erhalten.”
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„Vielen Dank für die Veröffentlichung des Beitrags. Ich bin ebenfalls in der Finanzindustrie tätig (lange für die direkte Konkurrenz von BlackRock), und deshalb kann ich bestätigen: Der Leser hat alles was es zum Unternehmen BlackRock zu sagen gibt, absolut korrekt dargestellt. Wie auch der Leser wundere ich mich schon lange über die enorme Ablehnung, die diesem Unternehmen entgegengebracht wird. Meines Erachtens beweist dieser Umstand einzig, dass gewisse Kreise nicht verstehen, was solche Unternehmen überhaupt tun bzw. wie die kapitalistische Wirtschaftsordnung überhaupt funktioniert.”
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„Ich habe zwar nicht ‚mein Leben in der Investmentindustrie verbracht’, sondern bin nur ein Kleinanleger, der seine paar Ocken u.a. auch in ETF anlegt. Wenn in einem Beitrag lang und breit über eigenes und verwaltetes Kapital geredet wird, aber der Begriff ‚Proxy Voting’ nicht einmal fällt, dann werde ich doch aufmerksam. Gemeint ist die Ausübung der Stimmrechte. Es ist ja nicht so, daß zur Hauptversammlung des Unternehmens X sich von Feuerland bis Wladiwostok die Anteilsbesitzer eines ETF in ein Zoom-Meeting einloggen und fröhlich mitpalavern. Das macht in ihrer Vertretung nur einer, in dem Fall der ETF-Aufleger Blackrock. Und das macht er nach eigenen Richtlinien. Das nennt man Proxy Voting, und das Recht dazu gibt man mit Kauf jedes ETF-Anteils an diese Firma. Das ist nicht komplett richtig, aber für Privatanleger schon. Und damit nutzt ihnen ihr Besitz in Ausübung realer Macht gar nichts, Blackrock aber schon.
Institutionelle Anleger mögen Assets in eigenen pools bei Blackrock haben und damit auch anders ausgehandelte Verfahren bzgl. ihrer Stimmrechte. In Mischpools – dort wo sie in dieselben Produkte wie Privatanleger investieren – unterliegen sie denselben Regeln. Auch das ist seit ca. 2022 nicht mehr ganz richtig, weil sie – auch bei anderen großen Mitspielern wie Vanguard und State Street – jetzt die Option haben, den Fondsverwalter machen zu lassen oder selbst ihre Stimme abzugeben. Das hat aber wiederum weitere Verzweigungen, die das im Ende nicht so eindeutig positiv dastehen lassen wie es scheint. Führt aber hier zu weit. Wen das interessiert, der muss sich die Art dieser institutionellen Anleger ansehen (oft selbst stark reguliert und limitiert in dem, was sie überhaupt kaufen und zum Teil sogar, für oder gegen welche Inhalte sie überhaupt stimmen könnten). – Ein Beispiel von Widerstand.
Andersherum drücken dieselben Mechanismen in New York den ESG-Kram den dortigen Pensionsfonds aufs Auge. Es existieren auch etliche Prozesse von solchen Fonds gegen Blackrock wegen Unterperformance, welche 401k-Pläne (US-typische Altersvorsorge) ins Rutschen brachte. ESG und Dirigismus führt im Ende eben immer zu minderer Leistung. Aber das wissen wir ja und werden im Zweifel täglich neu daran erinnert.”