22. September 2024

„Wenn der ÖRR meint, sei­ne Zuschau­er für dumm ver­kau­fen zu müs­sen, wenn der Kanz­ler vor einem Rechts­ruck in Bran­den­burg warnt, wenn die Fak­ten­fin­der eine Des­in­for­ma­ti­on nach der ande­ren raus­hau­en, um die public opi­ni­on zu shapen, dann hat das auch was Gutes. Es heißt näm­lich, dass es in der Bun­des­re­pu­blik immer noch freie Wah­len gibt.”
(Leser ***)

***

Die bün­digs­te Erklä­rung, wie sich Res­sen­ti­ment äußert, brach­te der Phi­lo­soph Max Sche­ler in sei­ner Schrift „Das Res­sen­ti­ment im Auf­bau der Mora­len” (1912) zu Papier. In der bekann­ten, dem Äsop zuge­schrie­be­nen Fabel „Der Fuchs und die Trau­ben” erklärt Freund Rei­ne­ke, nach­dem er mehr­fach ver­geb­lich nach den zu hoch hän­gen­den Früch­ten gesprun­gen ist, sie sei­en ihm viel zu sau­er – und trollt sich unge­labt. Um die­ser Aus­sa­ge die Wen­dung ins Res­sen­ti­ment zu geben, so Sche­ler, hät­te er oben­drein sagen müs­sen: Süß ist schlecht.

Die­ser Tage lös­te ein Video auf X viel Hohn und Hei­ter­keit aus, in dem sich meh­re­re der SPD noch ein­deu­ti­ger als dem schö­nen Geschlecht zuor­den­ba­re Mai­den über ein Phä­no­men beschwe­ren, das seit ca. drei­ßig Jah­ren aus­ge­stor­ben ist, womög­lich aber als Neben­fol­ge der Will­kom­mens­kul­tur da und dort wie­der auf­lebt: das soge­nann­te Cat­cal­ling. Die Damen im Video dürf­ten frei­lich weder über die eine noch die ande­re Ver­si­on im empi­ri­schen Sin­ne Aus­kunft zu ertei­len imstan­de sein, denn sie gehö­ren eher nicht in die Kate­go­rie von Frau­en, denen Män­ner auf der Stra­ße nach­pfei­fen oder deren weib­lich gele­se­ne Kör­per­de­tails mehr oder weni­ger kennt­nis­reich kommentieren.

Es sind ker­ni­ge deut­sche Frau­en, die nichts zu ver­lie­ren haben als ihre Ket­ten und sich erfolg­reich dage­gen zur Wehr set­zen, als Sex­ob­jek­te betrach­tet zu wer­den, wozu sie aber nicht vie­le Wor­te hät­ten machen müssen.

Mei­ne Damen, auch Beläs­ti­ger haben Rech­te! 89 Pro­zent aller Frau­en hät­ten schon mal Cat­cal­ling erlit­ten, erklärt eine der Gra­zi­en, die eher zu den elf Pro­zent gehö­ren dürf­te. Das wäre an sich nicht wei­ter schlimm, jeder Topf fin­det irgend­wo sei­nen Deckel, das Leben geht wei­ter, und wer nichts abbe­kommt von irgend­ei­nem Kuchen, mag sich mit denen mit­freu­en, die beson­ders gro­ße Stü­cke zu schef­feln das Glück haben. Wenn der böse Gott eine Frau so geschaf­fen hat, dass sich ihre Attrak­ti­vi­tät in Gren­zen hält – bei­spiels­wei­se den deut­schen von 2024 –, dann ist das für die Betrof­fe­ne wie für die unan­sehn­li­chen Wei­ber aller Zei­ten und Völ­ker zwar nicht ange­nehm, aber zugleich ist es weder gut noch schlecht, son­dern voll­kom­men egal oder mei­net­hal­ben phä­no­me­nal; wie die Intel­li­genz ist die Anzie­hungs­kraft auf das ande­re Geschlecht ungleich ver­teilt, und kei­ne Quo­ten wer­den dar­an je etwas ändern. Immer­hin kön­nen die Mädels durch Maß­hal­ten beim Nach­tisch, täg­li­che Lei­bes­übun­gen, Charme und Gut­ge­klei­det­sein gott­be­wirk­te Makel in einem gewis­sen Umfang aus­glei­chen (das ist bei den Ker­len ja nicht anders). Auf die­se Wei­se ver­mag sich frau wenigs­tens aus jener Kli­en­tel her­aus­zu­men­deln, die der Volks­mund in sei­ner unsen­si­blen Derb­heit unge­fickt nennt.

Aber wer, obwohl er bzw. sie selbst nicht in Betracht kommt, ein Film­chen gegen das Beläs­tigt­wer­den der Ande­ren dreht, in wel­ches die all­zeit Unbe­läs­tig­ten und Unkom­pli­men­tier­ten Hash­tags wie #Stop­Be­läs­ti­gung oder #Kein­Kom­pli­ment ein­fü­gen, stellt sein Res­sen­ti­ment auf eine der­ma­ßen bil­li­ge Art zur Schau, dass sich in das unver­meid­li­che Hohn­ge­läch­ter eine Spur Mit­leid mischt. – Kei­ne attrak­ti­ve Frau hat sich je gegen Kom­pli­men­te aus­ge­spro­chen, und jede der Schö­nen weiß, dass man die Avan­cen der Plum­pen, der Ver­klemm­ten, der Holz­köp­fe eben mit in Kauf neh­men muss. (Wie haben wir nur frü­her leben, lie­ben und uns paa­ren kön­nen in die­sem Pfuhl aus Anma­che, Hin­ter­her­pfei­fen, sexu­el­ler Beläs­ti­gung und Unterdrückung?)

Eine Kam­pa­gne unter dem Mot­to Kein Kom­pli­ment! ist nichts als bar­ba­risch, es ist ein – von sei­ten die­ser Kli­en­tel gott­lob aus­sichts­lo­ser – Angriff auf die schö­ne Gewohn­heit des Flir­tens, des wech­sel­sei­ti­gen Anlo­ckens und Begeh­rens, des gesam­ten Spiels der Geschlech­ter, und alles dar­ge­bo­ten von Mäg­den, die selbst für die­ses Spiel kaum in Betracht kom­men. Wie bil­lig. Wie pein­lich. Um im Land der täg­li­chen Grup­pen­ver­ge­wal­ti­gun­gen über­haupt eine Peti­tes­se wie das unter dem Ter­mi­nus Cat­cal­ling zusam­men­ge­fass­te ver­ba­le Ange­macht­wer­den auf der Stra­ße zum Angst­fak­tor auf­zu­bla­sen, muss man außer­dem wohl eine gestan­de­ne Sozi­al­de­mo­kra­tin sein, die Par­tei­pro­pa­gan­da als Libi­doer­satz begreift *.

Wie sehr sich der Zeit­geist in den ver­gan­ge­nen Deka­den gedreht hat, zeigt die Tat­sa­che, dass heu­te immer mehr Mädels, die frü­her irgend­wie gera­de noch unter die Hau­be gekom­men oder als alte Jung­fern belä­chelt wor­den wären, sich heu­te trau­en, sämt­li­che Schön­heits­kri­te­ri­en für rela­tiv oder sexis­tisch oder dis­kri­mi­nie­rend (was sie logi­scher­wei­se sind) zu erklä­ren – Ricar­da Lang ist weder dick noch unat­trak­tiv –, wozu eben inzwi­schen auch gehört, dass sich weib­li­che Wesen über sexu­el­le Beläs­ti­gung beschwe­ren, die man frü­her dafür ein­fach aus­ge­lacht hät­te wie einen Dicken, der behaup­tet, er sei ein Seri­en­sie­ger im 100-Meter-Lauf.

Dass so ein Film­chen aus Deutsch­land kommt, dem euro­päi­schen Epi­zen­trum der Häss­lich­keit (in sämt­li­chen Belan­gen: Archi­tek­tur, Klei­dung, Thea­ter, Essen, Fern­se­hen, All­tags­spra­che und und und; der bra­ve Deut­sche fin­det es authen­tisch), ist nicht ver­wun­der­lich **; die Fran­zö­sin, die Ita­lie­ne­rin, die Sla­win wür­de eher vor Scham im Boden ver­sin­ken, als sich über fal­sche Kom­pli­men­te zu beklagen.

Ein Leser sand­te mir ein Video zu (ich kann es hier nicht ein­stel­len), in dem eine für Mos­kau­er oder Pari­ser Innen­stadt­ver­hält­nis­se nor­mal geklei­de­te Schön­heit durch die Stra­ßen irgend­ei­ner deut­schen Stadt läuft und teils irri­tier­te, teils indi­gnier­te Bli­cke auslöst.

Sie fla­niert gewis­ser­ma­ßen als ein Kon­trast­mit­tel durch eine All­tags­öd­nis, die den meis­ten Men­schen schon gar nicht mehr auf­fällt und aus der auch die erwähn­ten Sozi-Har­py­ien ihre nei­di­sche Kla­ge ertö­nen lassen.

Und ich geh jetzt auf die Wiesn, mir die feschen Dirndl-Maderln anschau­en; mal sehen, ob sie mein Gepfei­fe bei dem Lärm über­haupt hören.

* Die­ser Auf­trieb deut­scher Sozi­al­de­mo­kra­tin­nen, dünkt mir (bzw. deucht mich), lie­fert zumin­dest so etwas wie eine Ahnung, war­um hier­zu­lan­de vie­le in die Jah­re und aus der Form gekom­me­ne Wei­ber die Migra­ti­on jun­ger Män­ner aus dem Mär­chen­land her­beil­ech­zen, die es dank ihrer emi­nent schnack­s­el­freu­di­gen Viri­li­tät mit den Sexu­al­part­ner­wahl­kri­te­ri­en nicht ganz so genau neh­men wie der pin­ge­li­ge Alman.

** Die Schön­heit in der Film­se­quenz spa­ziert wohl, wor­auf mich Leser *** hin­weist, „nach Ken­nern der Loka­li­tät zu urtei­len (man kann es auch selbst an den Schrift­zü­gen ver­mu­ten) durch eine Stadt in Por­tu­gal. Medi­ter­ra­nes schützt nicht zwin­gend vor Zivilisationsbruch.”

Ich gebe auf, neh­me aber nichts zurück.

***

Deut­scher Fern­seh­preis 2024, Kandidaten.

Ohne Tritt marsch!

***

PS: Pro­sit!

Auf eine sexis­ti­sche Wiesn!

 

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