„Die stärkste Waffe gegen Hassreden ist nicht Repression, sondern mehr Redefreiheit.“
Barack Obama
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Gestern wurde im Bundestag gejauchzet und frohlocket, obwohl düsteres rechtspopulistisches Gewölk schwer über dem Festakt hing. Beziehungsweise dräute.
Gerhart Baum, FDP und Jahrgang 1932, kennt diesen lustigen Spruch in einer anderen Version vielleicht noch aus seiner frühen Jugend:
Das war die einzige Zeit, als in Deutschland der „Wahn einer ethnisch reinen Nation“ herrschte, womit bekanntlich 1945 Schluss war. Knapp achtzig Jahre später gibt es im Land der Schlichter und Schenker kaum noch jemanden bzw. niemanden, der mit politischen Mitteln eine ethnisch reine Nation anstrebt – eine politisch gereinigte Nation schon; die Buntheit ist ja nur der Zwischenschritt in die Reinheit –, weshalb das der Tagesschau-Meldung vorangestellte Zitat etwas anachronistisch wirkt. Also ich stehle seit 2017 in der Herzkammer der deutschen Demokratie dem Herrn die Tage, doch ich habe dort noch nie einen Zeitgenossen (m/w/d) getroffen, der von einer ethnisch reinen Nation auch nur tagträumte. Zuweilen mag das dem normativen Druck des Faktischen geschuldet sein, ich kann nicht in die Herzen schauen, doch das ändert nichts am Sachverhalt. Was also will uns Gevatter Baum mitteilen, indem er diesen Popanz in den Parlamentssaal stellt? Dass er ein Ewiggestriger ist?
Zur Beantwortung dieser Frage behelfen wir uns mit einem Blick auf die zweite Rednerin des Tages, Christina Morina, „Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte” an der – gerade in den Gefilden der allen Ernstes immer noch so genannten Geisteswissenschaften für ihre politische Ausgewogenheit berühmten – Universität Bielefeld, die sich mit einer Studie über den „Marxismus als Generationsprojekt” zu Jena habilitierte. Warum man sie als Rednerin erwählte, mag diese Überschrift eines Interviews illustrieren, welches sie angelegentlich der jüngsten Wahlen in Dunkeldeutschland dem Süddeutschen Beobachter gab.
Die NSDAP 2.0 will nämlich ein faschistisches System mit Tätervolksabstimmungen wie in der Schweiz einführen. Wehret den Anfängen! Und Frau Morina wehrte bzw. „warnte in ihrer Rede vor antidemokratischen Strömungen. Die Logik des populistischen und extremistischen Antiparlamentarismus habe durch die Sozialen Medien eine größere Reichweite erlangt, als ihr an Wählerstimmen gemessen zukäme”, wie der Deutschlandfunk referiert. Deswegen hat der neomarxistische brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva kosenamens Lula ja Elon Musks so zensurabholde wie wählerstimmenverzerrende Plattform X sperren lassen!
„Dieser Logik verfalle, ‚wer die Migration zur Mutter aller Probleme erklärt, wer Bürgernähe zum Maß aller Politik stilisiert, wer Forderungen mit Verweis auf ‚die Leute‘ zu begründen versucht’, sagte Morina”, meldet der Deutschlandfunk.
Der nämlichen Logik verfällt indes nicht, wer den Populismus zur Mutter aller Probleme erklärt, den Kampf gegen Rechts zum Maß aller Politik stilisiert, wer Forderungen mit Verweis auf die „die Leute” im Osten zu begründen versucht.
„Immer wieder kam es während ihrer Rede zu Zwischenrufen aus der AfD-Fraktion.”
Also praktisch „gelebte Demokratie” versus Unseredemokratie.
Dieser Logik und Sprache gelte es die Stärken des Parlamentarismus und der Parteiendemokratie selbstbewusster entgegenzuhalten, referiert der Deutschlandfunk zustimmungsdurchglüht die Rede der wonnigen Maid weiter. Dafür brauche es „intellektuelle Energie, demokratiepolitische Fantasie und pragmatischen Einsatz, nicht nur in den Parteien”.
Von der intellektuellen Energie unserer manichäischen Büttenrednerin, für die Demokratie und „Altparteien” (so Claudia Roth, als ihr Verein noch nicht dazugehörte) identisch sind, können Sie sich hier (ab 52.10) überzeugen. Sie steht so betonfest auf der richtigen Seite und gegen das rechts vor ihr sitzende Böse, dass man sich fragt, warum sie eingangs über die DDR-Volkskammer lästert. Der besondere Reiz an der Rede bestand darin, dass man sie nicht mehr in einfache Sprache übertragen muss. Dafür gab es am Ende Standing ovations. Niemand musste z.B. den Mädels auf den hinteren Reihen der Grünen erklären, was vorn vorgetragen wurde. So geht Inklusion. Tusch!
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PS: „Gerhart Baums Geschichte ist deutlich interessanter als sein üblicher antifaschistischer Auftritt im Bundestag, auch wenn diese Geschichte schon über sechzig Jahre zurückliegt”, schreibt Leser ***. „In diesem Interview streitet Baum ab, der NRW-Kreisverband der FDP, in den er in den 1950er Jahren eintrat, sei im Wesentlichen NS-unterwandert gewesen; vielmehr habe er, Baum, bereits bei einem Lehrer den historischen Hintergrund des Dritten Reichs erfahren und sei direkt, noch vor seinem Jurastudium und Eintritt in die FDP, sozusagen zum Antifaschisten geworden und habe aktiv ein ‚Netzwerk’ gegen Altnazis in der FDP zu bilden geholfen.
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Heute im Bundestag sagte der Abgeordnete Moosdorf, Schwefelpartei, nachdem er sich zuvor über die rhetorischen Böcke der Frau Baerbock lustig gemacht hatte:
„Deutschland braucht keine weiteren Farbrevolutionen und kein Erzwingen von wokem Blödsinn in Ländern, die, im Bild der Ministerin, Hunderttausende Kilometer von uns entfernt sind.”
Nach der Rede sagte der Veranstaltungsleiter, Bundestagsvizepräsident Kubicki: „Da auch junge Leute die Debatten verfolgen, will ich darauf hinweisen: Es gibt keine Länder, die hunderttausend Kilometer von Deutschland entfernt sind.”
(Wahrscheinlich hat er es nur überhört.)
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Zu Stuttgart fand ein „Bürgergipfel” statt
Von dem man aus der Zeitung nix erfahren hat.
Hätten die Linken nicht brav protestiert,
Kein Mensch hätt’ das Treiben wohl sonst registriert.
Aber sie haben protestiert, mit langer Vorankündigung, weshalb Focus in antifaschistischer Kooperation mit der Stuttgarter Zeitung und hier als pars pro toto zitiert meldete:
Jenseits der von einigen Wahrheitsmedien flatulierten Verbotsphantasien linksradikaler Tumultanten, vor denen ein Polizeiaufgebot die Veranstaltung schützen musste, erfuhr jener Teil des Publikums, der auf die Lektüre alternativer Medien verzichtet, buchstäblich nichts darüber, was dort vorgetragen und diskutiert wurde. In Stuttgart sprachen unter anderem Norbert Bolz, Markus Krall, Ulrich Vosgerau, Fritz Vahrenholt, Roland Tichy, Cora Stephan und Alexander Wendt, also durchweg Leute, die, verteilte man ihren Verstand gleichmäßig auf die Gegendemonstranten, jeden davon deutlich klüger hätten heimkehren lassen. Außerdem war tatsächlich Frauke Petry mit von der Partie (und übrigens kein einziges aktuelles Mitglied der Schwefelpartei), und AfD-Mitgliedschaftsverbrechen verjähren bekanntermaßen nie. Ja, wo samma denn?
In den Beiträgen von SWR (ab 3.30) und regio-TV, die nachträglich über den Bürgergipfel berichteten, konzentrierte sich die Berichterstattung auf die ehrenamtlichen Diskurslinienrichter und Verbotsphantasten vor der Halle. Deren einer, Luigi Pantisano, SED, sprach eine kommunistenfaustdicke Lüge in die Kamera, nämlich dass Ulrich Vosgerau Teilnehmer eines „Geheimtreffen” in Potsdam gewesen sei, „wo man im Hinterzimmer geplant hat, Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen wie mich, massenhaft aus Deutschland zu deportieren”. Die Faktenerfinder von Correctiv, die sich auch diese Story ausgedacht haben, sind mehrfach vor Gericht dafür abgemahnt worden; ich meine, Vosgerau wird auch dem Genossen Pantisano, der so gern ein r kaufen würde, mit einer Klage die einzige Form der Aufmerksamkeit schenken, die diesem Menschenschlag angemessen ist.
Um zum Substantiellen zu kommen: Die „Zwölf Artikel” – nicht jene, die 1525 zu Memmingen gegen den Schwäbischen Bund publiziert wurden (aber sich vermutlich daran anlehnend) –, welche die circa 1000 Teilnehmer des Bürgergipfels am Ende als Forderungen an die deutsche Politik stellten, sind hier nachzulesen.
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Darüber, dass zwischen medialer und allgemeiner Wahrnehmung eine gewisse Kluft sich auftut, die man auch als Drift bezeichnen könnte, erhält der deutsche Bockshornbewohner täglich Mitteilung.
Leser *** zumindest sah das anders (vielleicht hat er auch eine andere Sendung gesehen): „Sahra Wagenknecht ist eine tolle Frau und eine ebenso tolle Politikerin. She is one outside the box und mit dem üblichen Polit-Gesocks nicht vergleichbar. Wie souverän sie ihre Kontrahentin Miosga ins Leere laufen lässt! Dabei fällt schmerzlich auf, was für ein jämmerliches Niveau die Journaille von heute im Vergleich zur Vor-Merkel-Ära erreicht hat. Und wie geschickt S.W. die aufgestellten Fallen umgeht: ihr angeblicher Personenkult; Reichsbürger- und AfD-Vergleiche; ihre Jugend-Sünde, der Stalinismus-Flirt als 20-Jährige; ihr Anti-Amerikanismus; ihre Aussage, Scholz sei ein Vasall der USA; S.W. kontert mit: ‚Deutschland mag seit 1992 ja souverän sein, aber die deutsche Regierung ist es nicht.’ Wie gekonnt, mutig und den Ball scharf retournierend sie auf hinterfotzigste dumme Fragen kluge konkrete Antworten gibt, und immer in Vorwärts-Verteidigung! Immer wendet sie den gegnerischen Spieß, so dass die Miosga sie nur durch Dazwischenreden stoppen kann.
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Noch zum Vorigen.
Bericht aus Berlin vom 8. September.
Bestimmt nur ein Zufall. Kommt höchstens alle Jubeljahre vor, wie hier bei Maybritt Illner am 16. November 2023 – es ging um „Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt”.
Diese übelmeinende, in ihrem Mutwillensunterstellungsfuror hetzerische Anmerkung darf der Chronist nicht unterschlagen:
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Eilt wie gewöhnlich schnell herbei!”
(Wilhelm Busch)