(Leser ***)
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Das Foto der Woche. Des Monats? Des Jahres? (Vielleicht auch: Eigentor des Jahres?)
Neu ist seit Ampelzeiten, dass die Presse bei solchen Einsätzen mit von der Partei, quatsch: Partie ist. Bei den Razzien gegen die Armbrustschützen um Heinrich XIII. Prinz Reuß stand ja ebenfalls vor jeder Haustür ein rechtzeitig informierter Medienvertreter mit seiner Kamera.
Als Bildunterschrift schlüge ich vor: „Deutschland jetzt wieder sicher!” Wahlweise: „Im Morgengrauen ist es noch still.”
Eine öffentlich-freiheitliche Meinungsschutzjournalistin ist mit der folgenden Zeile am Start.
Das Einsatzkommando der Polizei, welches morgens mit Sturmhauben, Schutzwesten und, hoffe ich doch mal, auch ein paar Maschinenpistolen bei einem Menschen, der nach Auskunft der Zeitgeistschrottsammelstelle „Journalist, Publizist und Aktivist” ist, zur Hausdurchsuchung und Beschlagnahme seiner staatsgefährdenden Schreibgerätschaften anrückt, schützt nämlich Meinung und Freiheit. Aus dem zynischen Tweet des zum Halali blasenden Frl. Hayali spricht der machtgeschützte Sadismus einer gekauften Opportunistin, verstärkt durch ein gewisses Quantum Selbstverachtung – völlig stumpfsinnig können diese Leute ja nicht sein. Ihr Triumphalismus ist letztlich kaum mehr als ein Pfeifen im Wald. Bei dem, was der Publizist Jürgen Elsässer am Leibe trägt, handelt es sich übrigens, wie Sie in der Hashtag-Liste der Maid lesen können, nicht um einen Morgen‑, sondern um einen Deckmantel.
PS: „Ich denke, Sie tun Frau Hayali hier Unrecht”, meint Leser ***. „Ihr Tweet ist m.E. zwar noch nicht als offene Kritik, aber doch als ein sanft sarkastisches Fragezeichen zu lesen. Drum auch ‚Symbolbild’ und statt nur eines Punktes derer drei. Das ist vermutlich aus ihrer Sicht das ihr maximal gefahrlos Mögliche, und das ist zwar nicht viel, aber ja immerhin besser als nichts. Frau Hayali ist Systemdame durch und durch, doch Sadismus strahlt sie gemeinhin nicht aus, wenngleich mir als fast-nie-Fernsehendem auch etwas entgangen sein mag.”
Offiziell liest sich die Nachricht so.
Nach meiner Ansicht gehörte Compact gar nicht zur Neuen Rechten, aber solche Petitessen sind hier und heute einerlei. In den Medien der Delegitimierungsszene ist vielfach betont worden, dass es sich um das erste Zeitungsverbot in der Geschichte der BRD handele, was N. Faeser mit noch mehr Stolz erfüllen würde, wenn sie nicht in der Tradition derer stünde, die im November 1988 die Zeitschrift Sputnik verboten haben. Außerdem hat unsere Kommissarin für Inneres, wohl wissend um die Pikanterien eines Zeitungsverbotes, tatsächlich den Verein „Compact – Magazin GmbH” für unerlaubt erklärt.
Klar, dass der Whataboutism von rechts nicht ausbleiben konnte.
Nun wäre unsere Nanny für Inneres nicht der erste Politiker (m/w/unklar), dem das Hemd der Macht näher ist als der Rock der Allgemeinheit, zumal sie weiß, dass sie sich selbst weder auf Gefahren durch Intensivtäter noch auf Kritik seitens der hin und wieder scherzhaft noch so genannten Vierten Gewalt einstellen muss.
Nein, es gibt kein Urteil von einem ordentlichen Gericht. So lange kann kein Innenminister bei Gefahr in Verzug warten. Es musste schnell und unerbittlich gehandelt werden.
Faeser schützt das Recht!
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„Vor Gefahr bewahrt das Land
Nancy Faesers starke Hand –
Schützt die Guten vor den Schlechten
Und den Rechtsstaat vor den Rechten.
Unsere Demokratie.
Leserin und Leser
Danken wir Frau Faeser!”
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Und siehe, der Dank bleibt nicht aus.
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Als Elsässer noch zu den linksextremen „Antideutschen” gehörte, waren ihm Redaktion und Publikum des hanseatischen Zentralorgans für Toleranz und Tränentrocknung deutlich zugetaner. Heute feiern sie seine Mundtotmachung so unverhohlen, wie sie es bei Trumps Totmachung diskret getan hätten.
Bemerkens- und für den Chronisten festhaltenswert sind die Reaktionen auf den Kommentarseiten, die das Sterbehospiz des deutschen linksliberalen Journalismus seinen Besuchern zur Verfügung stellt (ich bitte um Pardon für die Ausführlichkeit der Zitate, aber wie der gruppenästhetisch Empfängliche 1933ff. gelernt hat, wirkt ein Marschblock vor allem durch seine Masse.)
Und so geht es immer weiter, vielfältig wie der erwähnte Marschblock.
Verfassungsfeinde akklamieren einer Verfassungsfeindin, die behauptet, sie verbiete ein verfassungsfeindliches Medium, was die Gegenseite als verfassungswidrig bezeichnet – dieser Vorgang erinnert einmal mehr an Günter Maschkes treffliche Kurzbeschreibung des Verhältnisses der Republikbewohner zum Grundgesetz, mit welcher sein Essay „Die Verschwörung der Flakhelfer” anhebt: „Die Bundesrepublik, halb ordentlicher Industriehof, halb Naherholungszone mit regelmäßig geleertem Papierkorb, dieses handtuchbreite Restland, dessen Bewohner nach Harmlosigkeit gieren, ist zugleich das Land, in dem jeder zum Verfassungsfeind des anderen werden kann.” Die Entscheidung, wer der Verfassungsfeind ist, trifft deshalb derjenige, der die Macht dazu hat. Und wenn sich die Machtverhältnisse drehen?
Es kann darauf eigentlich nur eine Antwort geben:
Amerika, du hast es besser.
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Eine Leserzuschrift will ich nicht unterschlagen – im Kleinen Eckladen herrscht Meinungsfreiheit –, nämlich jene:
„Aus Sicht der AfD sollte das Verbot von Compact zu begrüßen sein, denn
wer solche ‚Freunde’ hat, braucht keine Feinde. Compact hat durch radikalisierte Positionen liberale Wähler verschreckt. Das ist eine bekannte Strategie des Dirty Campaigning. Mit dem Verbot hat Faeser die AfD von einer – mutmaßlichen – False Flag Operation befreit, mit der das Parteiimage massiv geschädigt wurde.”
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Apropos Elon Musk.
„Stabiler Tüb.”
(Freund ***)
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#wirhabenmitgeschossen (aus größtmöglicher Ferne)
Leider ging der Schuss denkbar knapp daneben.
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Jetzt, das Nachwuchsformat des Süddeutschen Beobachters, veröffentlicht sogenannte Klimatagebücher, deren Tenor, wie der Vorspann beschreibt, a priori feststeht: „Die Auswirkungen der Klimakrise bedrohen die Lebensgrundlage von Menschen weltweit. An manchen Orten sind die Folgen schon heute besonders zu spüren.” Folge 22:
Durch die Legende, „der Westen”, so sühnebereit wie einstweilen noch zahlungsfähig, trage die Schuld am Klimawandel – und nicht beispielsweise China oder Indien (die reagieren einfach nicht auf Vorwürfe) oder die dort aufgehende Sonne (dito) –, haben sich die Linken das ultimative Mandat erschlichen, um im Namen der Anderen Forderungen zu stellen und dafür Provisionen zu kassieren. Jetzt muss die Hysterie hochgehalten und täglich neu genährt werden; das wird zwar weder dem Klima noch den Algeriern, aber wenigstens den Kassierern nutzen. In einem ZDF-Beitrag, der mir gewhatsappt wurde, heißt es: „Bahnhof Bukarest heute: 39 Grad. So heiß, dass sogar die Schienen weich werden. Die Züge fahren nur noch sehr langsam auf ihnen und das sehr holprig. Südosteuropa glüht bei Rekordtemperaturen.”
Wenn sich die weißen Männer beim CO2-Ausstoß weiter anstrengen und noch mal reichlich 1000 Grad drauflegen, werden die Schienen in Bukarest so weich, dass der Bahnverkehr ganz eingestellt werden muss.
Einstweilen erkläre mir bitte jemand das:
Wer von der Bevölkerungsexplosion nicht sprechen will, soll vom Klimawandel schweigen.
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Ein letzter Nachtrag zur Fußball-Europameisterschaft, dieselbe aber kaum betreffend. Man hat sich inzwischen darauf verständigt, dass Toni Kroos (früher Bayern, ganz früher Leverkusen, zuletzt Real Madrid) der beste deutsche Spieler seit Franz Beckenbauer gewesen sei – und der erfolgreichste sowieso. Nach seinem Rückzug aus dem aktiven Sport erklärte der gebürtige Gerade-noch-so-Ossi (Januar 1990) und nun auf Dauer von seiner Nation scheidende Kicker:
Kein Führer mehr? Kein Stacheldraht? Keine Frauen‑, Schwulen‑, Minderheitenunterdrückung? Keine hohen Decken mehr? Kein Kaiser gar? Nein, er meint es anders. Kroos sagte im Podcast Lanz & Precht zur Frage, warum er mit seiner Familie nicht in die Heimat zurückkehren werde: „Ich finde Deutschland nach wie vor wirklich ein tolles Land, aber es ist zumindest nicht mehr so ganz das Deutschland, wie es war – wie es vielleicht vor zehn Jahren war.“ Auf die Frage nach den Gründen antwortet der Fußballprofi: „Es hat sich auf jeden Fall ein Gefühl verändert, ein Gefühl davon – wie drückt man das am besten aus, ohne in eine Ecke gestellt zu werden?“ – Ecken schießt er nämlich lieber, statt sich hineinstellen zu lassen. – „Wenn mich jemand fragt, würdest Du Deine Tochter in Spanien um 23 Uhr rauslassen oder in einer deutschen Großstadt, wäre ich eher bei Spanien“, fuhr Kroos fort, er hätte in ’schland „so viele Bedenken, ob es ihr dann wirklich gut ergeht und sie unbeschadet nach Hause kommt”, und die „hätte ich vor zehn Jahren noch nicht gehabt“.
Der Nationalspieler teilt mit, dass er seine Töchter in Deutschland ungern nachts aus dem Haus ließe, weil er sich Sorgen machen würde, dass ihnen etwas zustößt, und dergleichen kenne er aus der Zeit vor 2015 nicht; deshalb lebe er lieber in Spanien. Das ist eine Danksagung an die Adresse der Willkommensputschistin und ihrer rotgrünen Nachfolgeorganisationen, die sich rühmen dürfen, das ihnen anvertraute Land in ein Siedlungsgebiet verwandelt zu haben, wo sich kaum noch jemand, der das Glück hat, öffentliche Verkehrsmittel oder unbelebte Straßen benutzen zu dürfen, beim abendlichen Heimweg langweilen muss z.B. wie beim Querpassspiel des frühen, noch unausgereiften Kroos, der aber in keine Ecke gestellt werden will, weil ihm weder die finanzielle Sorglosigkeit noch ein langer Auslandsaufenthalt den kerndeutschen Duckmäuser- und Gehorsamsreflex abtrainieren konnten.
Rückblende. Auftritt derselbe.
Ob er sich damals schon entschieden hatte, für immer in Spanien zu bleiben? Der – zugegeben etwas asoziale – Gedanke liegt nahe, denn warum hat er vor drei Jahren empfohlen, jene Parteien zu wählen, die heute dafür verantwortlich sind, dass er seine Töchter in Deutschland nur ungern nachts aus dem Haus ließe und dem Risiko einer unerwünschten Willkommensdankabstattung aussetzte. 2021 war längst klar, wohin sich dieses Land entwickelt. Ist der Bub so naiv gewesen und hat sich nun erst eines Schlechteren belehren lassen? Oder war es der ganz normale Opportunismus desjenigen, der eben zur besseren Gesellschaft dazugehören will? Aber dann hätte Klappehalten doch genügt.
Herr Kroos ist ein x‑facher Sportmillionär; die Probleme, die einfache Leute (und deren Töchter) in eher schlechten Wohngegenden mit Migranten (und deren Söhnen) bekommen, sind nicht seine und werden es nie sein, er verdankt einem glücklichen Zufall namens Talent die materielle Sorglosigkeit bis ins nächste Glied, warum muss sich so einer abfällig über diejenigen äußern, denen es schlechter geht, und sie zu „Niemand” erklären? Dass es die AfD überhaupt gibt und dass Gevatter Kroos sich mit seiner Familie in Spanien sicherer fühlt als in Deutschland, hat identische Gründe.
„Wegen Merkel und Ampelpolitik: Kroos bleibt lieber in Spanien”, wäre die passende Schlagzeile gewesen.
Am drolligsten in all ihrer Perfidie finde ich die Zuschreibung der hochverdient agonierenden Frankfurter Rundschau, das „Statement” des Fußballers gegen die Schwefelpartei anno 2021 sei „mutig” gewesen. In Besteverland gilt als mutig, wer auszusprechen wagt, was die Regierung, alle anderen Parteien, alle Kirchen, Gewerkschaften, Medien- und Kulturschaffenden ebenfalls sagen.
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Kommen wir zum Kulturteil.
Ich sah mir gestern den sogar auf Litfaßsäulen beworbenen englischen Film „Kleine schmutzige Briefe” („Wicked Little Letters”) an, eine in der Zwischenkriegszeit handelnde sogenannte Komödie, die auf einer wahren Begebenheit beruhen soll. In einem kleinen englischen Küstenort erhalten mehrere Bewohner obszöne Briefe – deren Wortlaut ist das einzige viertelwegs Komische an dieser Komödie –, woraufhin die durchweg aus unfähigen männlichen Trotteln und einer klugen weiblichen Anwärterin bestehende Polizei die Ermittlungen aufnimmt, wer der Verfasser jener die Kommune erschütternden Impertinenzen ist. Der Verdacht fällt auf die lokale Skandalnudel Rose, alleinerziehende Mutter einer Tochter und mit einem Schwarzen liiert, der die einzige sympathische männliche Figur in diesem Städtchen resp. Film ist. Obwohl die Verdächtigte alle Vorwürfe bestreitet, landet sie im Kittchen – sie hat nicht genug Geld, um die Kaution aufzubringen –, und ihr droht der Verlust des Sorgerechts für die Tochter. Eine Gruppe von Frauen, geführt von der smarten Polizeianwärterin, macht sich daran, den Fall auf eigene Faust zu lösen. Wie sie herausfinden, stammen die Briefe von … – ich verzichte auf den Spoiler, vielleicht will sich ja jemand überraschen lassen.
Die Botschaft des Filmes ist simpel: Männer sind dumme, boshafte, scheinheilige Typen – einzige Ausnahme: ein Schwarzer –, die Frauen allesamt gut, aber unterdrückt vom Patriarchat und von der Kirche, und wenn eine Frau etwas Übles tut, dann steckt dahinter ein noch viel üblerer Mann, der sie indirekt dazu zwingt.
Die Schrottsammelstelle zitiert einen deutschen „Filmkorrespondenten”, in dessen Kritik es heißt, „Kleine schmutzige Briefe” entwerfe einen provinziellen Mikrokosmos, in dem „ein erschreckendes Ausmaß Misogynie, Bigotterie und Rassismus” zutage trete, und zwar „schonungslos”. Obwohl die Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg spielt, fühle man sich des Öfteren an die heutige Onlinewelt erinnert: „Hassrede und Slutshaming – traurige Phänomene unserer digitalen Gegenwart – sind keine neuen Erfindungen, sondern auch im durch und durch analogen frühen 20. Jahrhundert schon sehr präsent.”
Rassismus tritt in diesem Film allerdings überhaupt nicht zutage, weder gegenüber dem Lover von Rose noch gegen die sacht kolorierte spürnäsige Nachwuchspolitesse – die wird von Vorgesetzten und Kollegen gedeckelt, weil sie eine Frau ist bzw. es so im Drehbuch steht (es ergeht ihr praktisch wie einer Beamtin im besten Deutschland aller Zeiten, die zugegeben hat, die AfD zu wählen), und sogar der Richter im schließlich stattfindenden Prozess gegen Rose ist schwarz. Auch Hassrede kommt im Film nicht vor, abgesehen von den Derbheiten in den Briefen. Bleibt der Vorwurf der Bigotterie. Um jene geht es tatsächlich. Allerdings besteht wenig Grund zu der Annahme, dass sich zwischen der Zeit, in welcher der Film spielt, und jener, die solche tendenzkonformen Drehbücher und Kritiken hervorbringt, die Bigotterie hienieden rarer gemacht haben könnte.
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Ein Nachtrag zu meinen Bemerkungen über die Literatur im Gespräch mit David Engels. Es ging bei dieser Plauderei ziemlich hopplahopp voran, so dass der Eindruck entstehen konnte, ich läse keine zeitgenössischen – nein, Zeitgenossen sind ja alle ab Platon –, keine lebenden Schriftsteller. Das ist keineswegs der Fall, insbesondere was die sogenannten Sachbücher betrifft, aber auch bei der Belletristik nicht. Meine Bewunderung für Michel Houellebecq, Martin Mosebach, Botho Strauß und Eckhard Henscheid, um nur einige Exempel zu nennen, habe ich hier bisweilen bekundet, doch wenn man mich früge, welchen zu meinen Lebzeiten veröffentlichten Roman ich für den bedeutendsten halte, fiele meine Wahl fürs erste immer noch auf Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“. Ich würde Littells Opus ohne Zögern neben Tolstois „Krieg und Frieden” und Wassili Grossmans „Leben und Schicksal” stellen.
Dieses Buch ist groß, nicht allein in seinem Umfang, sondern auch in seinem Anspruch und seinem Wagemut – kein nachkriegsdeutscher Autor hat sich je etwas Vergleichbares getraut wie der in den USA geborene Franzose jüdischer Abstammung (wobei man fairerweise hinzusetzen muss: Er hätte auch keinen Verlag dafür gefunden). Der Roman beschreibt bekanntlich die Shoa aus der Perspektive derer, die sie „Endlösung” nannten, zudem noch aus der Sicht eines äußerst gebildeten SS-Offiziers und Massenmörders, was namentlich bei deutschen Literaturgouvernanten teils indigniertes Naserümpfen, teils Empörung auslöste, weil man so über den Holocaust nicht schreiben dürfe, während unsere frivolen französischen Nachbarn mit ihrem etwas freieren Verständnis von Literatur damit weniger Probleme hatten. Dass sich auch Historiker negativ über den Roman äußerten, dürfte mit einem gewissen Futterneid zu tun haben, weil Littells Opus mehr über das Dritte Reich und den Judenmord erklärt als die meisten historischen Werke zum Thema, ausgenommen vielleicht „Das Gesetz des Krieges” von Jörg Friedrich, ein Buch, das der Franzose gelesen haben muss; es gibt zwischen beiden Werken einfach zu viele Kongruenzen. Die ersten Leichenberge, die Obersturmbannführer Dr. iur. Max Aue zu Gesicht bekommt, sind jene, die das sowjetische NKWD in Litauen hinterlassen hat, die ersten verstümmelten toten Soldaten tragen Wehrmachtsuniform, auch diese – historisch korrekte – Reihenfolge würde sich ein deutscher Autor wohl eher verkneifen. Passend dazu findet sich im Stalingrad-Kapitel ein Dialog zwischen Obersturmbannführer Aue und einem gefangenen sowjetischen Kommissar, in dem der „kausale Nexus” (Ernst Nolte) zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus auf eine Weise durchdekliniert wird, als habe es nie einen nachgeholten Endsieg der Nexusleugner im deutschen Historikerstreit gegeben.
Der Roman schildert zum einen den Völkermord an den Juden aus bislang unerhörter Perspektive, was die Brutalität, Indolenz und Pedanterie, aber auch die Obszönität der Täter betrifft – es gibt zum Beispiel eine entzückende Stelle, wo der Autor die vom Slip einer vergasten Jüden bedeckte Möse von Hedwig Höß beschreibt –, zum anderen führt er die ungeheuerliche kinetische Energie des zweiten deutschen Krieges gegen den Rest der Welt so eindrucksvoll vor Augen, wie es nur Literatur vermag (und der Historiographie versagt ist). Man ist wie erschlagen von diesem Buch und beginnt zu verstehen, wieviel Kraft dem Menschengeschlecht und speziell den Deutschen damals verlorenging und dass dieser Weltteil nach einer solchen Explosion nicht mehr derselbe sein konnte.
Die wohlgesinnten Belletristiksachverständigen Micha Brumlik und Michel Friedman haben vor den „Wohlgesinnten” gewarnt, was jede fühlende Seele für dieses Opus einnehmen dürfte (der Warner vor Büchern ist eine so archetypische nachkriegsdeutsche Figur, dass ein Bildhauer sie modellieren und vor dem Bundestag aufstellen sollte, gern auch mit wedelbereitem Friedmanschem Zeigefinger). Am besten gefällt mir indes die Kritik des Historikers Peter Schöttler vom Nobelpreisträgerproduktionskombinat Freie Universität Berlin: „Hier wird dauernd geballert, geschossen und gemordet, es spritzt das Blut und das Sperma und die Gehirnmasse – über Seiten hinweg. Offensichtlich hat der Autor daran ein gewisses Vergnügen.” In einem Roman, der unter anderem in Babi Jar, in Stalingrad und im untergehenden Berlin spielt, wird dauernd geballert, geschossen und gemordet, stellen Sie sich das mal vor. Das stärkste Argument gegen „Moby Dick” ist ja auch, das dort ständig gesegelt, gerudert, verfolgt und harpuniert wird; offenbar hatte Melville daran ein gewisses Vergnügen.
Die Kritiker fanden es unter anderem deplatziert, dass Littell seinen allzu gebildeten SS-Massenmörder obendrein zum Homosexuellen sowie inzestuös der Schwester verfallenen Mutter- und Stiefvatermörder stilisiert und ihn gar am Ende des Romans bei einer Ordensverleihung im belagerten Berlin dem Führer in die Nase beißen lässt, dass der Autor also sowohl die klassische Tragödie, näherhin die Orestie, als auch schrillstmögliche Comic-Elemente in seine ansonsten historisch gut abgesicherten Schilderungen amalgamierte. Die Pointe entging ihnen, nämlich dass dies alles im Gedröhne des Untergangs überhaupt nicht auffällt. Wer hätte vor Littell geglaubt, dass eine solche Slapstickszene wie der spontane Biss in Hitlers Nase in einem seriösen Roman überhaupt möglich sei? Was uns der Autor nach meiner bescheidenen Ansicht demonstrieren wollte, war dies: Klassische Tragödie, Muttermord, Stiefvaterbeseitigung, Inzest, eine Beißattacke auf den Diktator – all das ist nicht einmal nebensächlich, ist vernachlässigbar, nicht der Rede wert, allenfalls mikroskopisch sichtbar inmitten der gewaltigsten und zerstörerischsten Kraftentfaltung der bisherigen Menschheitsgeschichte, der Höllenfahrt des Dritten Reichs.
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Zwei Hinweise.
Zum einen findet am 7. September in Stuttgart ein Bürgergipfel mit sehr interessanten Referenten statt – u.a. Václav Klaus, Norbert Bolz, Fritz Vahrenholt, Ulrich Vosgerau, Markus Krall, Roland Tichy, Alexander Wendt – für den ich gern die Trommel rühre. Über die Veranstaltung können Sie sich hier kundig machen, hier wiederum besteht die Möglichkeit, selbst Partner und Sponsor zu werden.
Zum anderen: Ich fragte via Twitter, was Nanny F. als nächstes verbieten sollte, und die Vorschläge waren zahlreich. Auf der Webseite der Achse des Guten findet sich heute ein Auf- bzw. Notruf der Herausgeber, der freilich zeigt, dass Verbieten gar nicht notwendig ist, wenn die Strangulierung kritischer Medien sich auch anders realisieren lässt, nämlich über ihre finanzielle Austrocknung (Anzeigenboykott, Shadowban etc.). Dass, wie dort verkündet, nur 0,3 Prozent der Leser von achgut auch für das Portal spenden, ist natürlich bitter. Wie gut, dass von den Besuchern des Kleinen Eckladens gefühlte bzw. geschätzte fünf Prozent den Vernügungszoll entrichten! Vergelt’s Gott.
Was die anderen betrifft: Selbstverständlich will ich Ihnen (k)ein schlechtes Gewissen machen.
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Zuletzt: Wie im Eintrag vom 13. Juli beschrieben, trug ich zuletzt in Marktoberdorf auf Ladung der AfD Ostallgäu/Kaufbeuren recht gemischte („bunte”) Prosa vor; die Guten haben jetzt den gesamten Veranstaltungsmitschnitt inclusive Einführung und Fragerunde online gestellt. Meine Lesung beginnt bei 12.00 und endet bei 53.00; wer zuhören mag, klicke hier.