17. Juli 2024

„Wir leb­ten im bes­ten Deutsch­land, das es je gab.”
(Leser ***)

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Das Foto der Woche. Des Monats? Des Jah­res? (Viel­leicht auch: Eigen­tor des Jahres?)

„Wenn es mor­gens um sechs Uhr an mei­ner Tür läu­tet, und ich kann sicher sein, dass es der Milch­mann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demo­kra­tie lebe”, sprach Win­s­ton Chur­chill, ein alter wei­ßer Mann mit rück­stän­di­gen Vor­stel­lun­gen dar­über, wie eine rich­ti­ge Unse­re­de­mo­kra­tie funktioniert.

Neu ist seit Ampel­zei­ten, dass die Pres­se bei sol­chen Ein­sät­zen mit von der Par­tei, quatsch: Par­tie ist. Bei den Raz­zi­en gegen die Arm­brust­schüt­zen um Hein­rich XIII. Prinz Reuß stand ja eben­falls vor jeder Haus­tür ein recht­zei­tig infor­mier­ter Medi­en­ver­tre­ter mit sei­ner Kamera.

Als Bild­un­ter­schrift schlü­ge ich vor: „Deutsch­land jetzt wie­der sicher!” Wahl­wei­se: „Im Mor­gen­grau­en ist es noch still.”

Eine öffent­lich-frei­heit­li­che Mei­nungs­schutz­jour­na­lis­tin ist mit der fol­gen­den Zei­le am Start.

Das Ein­satz­kom­man­do der Poli­zei, wel­ches mor­gens mit Sturm­hau­ben, Schutz­wes­ten und, hof­fe ich doch mal, auch ein paar Maschi­nen­pis­to­len bei einem Men­schen, der nach Aus­kunft der Zeit­geistschrott­sam­mel­stel­le „Jour­na­list, Publi­zist und Akti­vist” ist, zur Haus­durch­su­chung und Beschlag­nah­me sei­ner staats­ge­fähr­den­den Schreib­ge­rät­schaf­ten anrückt, schützt näm­lich Mei­nung und Frei­heit. Aus dem zyni­schen Tweet des zum Hala­li bla­sen­den Frl. Haya­li spricht der macht­ge­schütz­te Sadis­mus einer gekauf­ten Oppor­tu­nis­tin, ver­stärkt durch ein gewis­ses Quan­tum Selbst­ver­ach­tung – völ­lig stumpf­sin­nig kön­nen die­se Leu­te ja nicht sein. Ihr Tri­um­pha­lis­mus ist letzt­lich kaum mehr als ein Pfei­fen im Wald. Bei dem, was der Publi­zist Jür­gen Elsäs­ser am Lei­be trägt, han­delt es sich übri­gens, wie Sie in der Hash­tag-Lis­te der Maid lesen kön­nen, nicht um einen Morgen‑, son­dern um einen Deckmantel.

PS: „Ich den­ke, Sie tun Frau Haya­li hier Unrecht”, meint Leser ***. „Ihr Tweet ist m.E. zwar noch nicht als offe­ne Kri­tik, aber doch als ein sanft sar­kas­ti­sches Fra­ge­zei­chen zu lesen. Drum auch ‚Sym­bol­bild’ und statt nur eines Punk­tes derer drei. Das ist ver­mut­lich aus ihrer Sicht das ihr maxi­mal gefahr­los Mög­li­che, und das ist zwar nicht viel, aber ja immer­hin bes­ser als nichts. Frau Haya­li ist Sys­tem­da­me durch und durch, doch Sadis­mus strahlt sie gemein­hin nicht aus, wenn­gleich mir als fast-nie-Fern­se­hen­dem auch etwas ent­gan­gen sein mag.”

Offi­zi­ell liest sich die Nach­richt so.

Nach mei­ner Ansicht gehör­te Com­pact gar nicht zur Neu­en Rech­ten, aber sol­che Peti­tes­sen sind hier und heu­te einer­lei. In den Medi­en der Dele­gi­ti­mie­rungs­sze­ne ist viel­fach betont wor­den, dass es sich um das ers­te Zei­tungs­ver­bot in der Geschich­te der BRD han­de­le, was N. Fae­ser mit noch mehr Stolz erfül­len wür­de, wenn sie nicht in der Tra­di­ti­on derer stün­de, die im Novem­ber 1988 die Zeit­schrift Sput­nik ver­bo­ten haben. Außer­dem hat unse­re Kom­mis­sa­rin für Inne­res, wohl wis­send um die Pikan­te­rien eines Zei­tungs­ver­bo­tes, tat­säch­lich den Ver­ein „Com­pact – Maga­zin GmbH” für uner­laubt erklärt.

Klar, dass der What­a­bou­tism von rechts nicht aus­blei­ben konnte.

Nun wäre unse­re Nan­ny für Inne­res nicht der ers­te Poli­ti­ker (m/w/unklar), dem das Hemd der Macht näher ist als der Rock der All­ge­mein­heit, zumal sie weiß, dass sie sich selbst weder auf Gefah­ren durch Inten­siv­tä­ter noch auf Kri­tik sei­tens der hin und wie­der scherz­haft noch so genann­ten Vier­ten Gewalt ein­stel­len muss.

Nein, es gibt kein Urteil von einem ordent­li­chen Gericht. So lan­ge kann kein Innen­mi­nis­ter bei Gefahr in Ver­zug war­ten. Es muss­te schnell und uner­bitt­lich gehan­delt werden.

Fae­ser schützt das Recht!

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„Vor Gefahr bewahrt das Land
Nan­cy Fae­sers star­ke Hand –
Schützt die Guten vor den Schlechten
Und den Rechts­staat vor den Rechten. 

Uner­schro­cken för­dert sie
Unse­re Demokratie.
Lese­rin und Leser
Dan­ken wir Frau Faeser!”
(Marc Pom­me­re­ning)

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Und sie­he, der Dank bleibt nicht aus.

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Als Elsäs­ser noch zu den links­extre­men „Anti­deut­schen” gehör­te, waren ihm Redak­ti­on und Publi­kum des han­sea­ti­schen Zen­tral­or­gans für Tole­ranz und Trä­nen­trock­nung deut­lich zuge­ta­ner. Heu­te fei­ern sie sei­ne Mund­tot­ma­chung so unver­hoh­len, wie sie es bei Trumps Tot­ma­chung dis­kret getan hätten.

Bemer­kens- und für den Chro­nis­ten fest­hal­tens­wert sind die Reak­tio­nen auf den Kom­men­tar­sei­ten, die das Ster­be­hos­piz des deut­schen links­li­be­ra­len Jour­na­lis­mus sei­nen Besu­chern zur Ver­fü­gung stellt (ich bit­te um Par­don für die Aus­führ­lich­keit der Zita­te, aber wie der grup­pen­äs­the­tisch Emp­fäng­li­che 1933ff. gelernt hat, wirkt ein Marsch­block vor allem durch sei­ne Masse.)

Und so geht es immer wei­ter, viel­fäl­tig wie der erwähn­te Marschblock.

Ver­fas­sungs­fein­de akkla­mie­ren einer Ver­fas­sungs­fein­din, die behaup­tet, sie ver­bie­te ein ver­fas­sungs­feind­li­ches Medi­um, was die Gegen­sei­te als ver­fas­sungs­wid­rig bezeich­net – die­ser Vor­gang erin­nert ein­mal mehr an Gün­ter Maschkes treff­li­che Kurz­be­schrei­bung des Ver­hält­nis­ses der Repu­blik­be­woh­ner zum Grund­ge­setz, mit wel­cher sein Essay „Die Ver­schwö­rung der Flak­hel­fer” anhebt: „Die Bun­des­re­pu­blik, halb ordent­li­cher Indus­trie­hof, halb Nah­erho­lungs­zo­ne mit regel­mä­ßig geleer­tem Papier­korb, die­ses hand­tuch­brei­te Rest­land, des­sen Bewoh­ner nach Harm­lo­sig­keit gie­ren, ist zugleich das Land, in dem jeder zum Ver­fas­sungs­feind des ande­ren wer­den kann.” Die Ent­schei­dung, wer der Ver­fas­sungs­feind ist, trifft des­halb der­je­ni­ge, der die Macht dazu hat. Und wenn sich die Macht­ver­hält­nis­se drehen?

Es kann dar­auf eigent­lich nur eine Ant­wort geben:

Ame­ri­ka, du hast es besser.

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Eine Leser­zu­schrift will ich nicht unter­schla­gen – im Klei­nen Eck­la­den herrscht Mei­nungs­frei­heit –, näm­lich jene:

„Aus Sicht der AfD soll­te das Ver­bot von Com­pact zu begrü­ßen sein, denn
wer sol­che ‚Freun­de’ hat, braucht kei­ne Fein­de. Com­pact hat durch radi­ka­li­sier­te Posi­tio­nen libe­ra­le Wäh­ler ver­schreckt. Das ist eine bekann­te Stra­te­gie des Dir­ty Cam­paig­ning. Mit dem Ver­bot hat Fae­ser die AfD von einer – mut­maß­li­chen – Fal­se Flag Ope­ra­ti­on befreit, mit der das Par­tei­i­mage mas­siv geschä­digt wurde.”

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Apro­pos Elon Musk.

„Sta­bi­ler Tüb.”
(Freund ***)

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#wir­ha­ben­mit­ge­schos­sen (aus größt­mög­li­cher Ferne)

Lei­der ging der Schuss denk­bar knapp daneben.

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Jetzt, das Nach­wuchs­for­mat des Süd­deut­schen Beob­ach­ters, ver­öf­fent­licht soge­nann­te Kli­ma­ta­ge­bü­cher, deren Tenor, wie der Vor­spann beschreibt, a prio­ri fest­steht: „Die Aus­wir­kun­gen der Kli­ma­kri­se bedro­hen die Lebens­grund­la­ge von Men­schen welt­weit. An man­chen Orten sind die Fol­gen schon heu­te beson­ders zu spü­ren.” Fol­ge 22:

Durch die Legen­de, „der Wes­ten”, so süh­ne­be­reit wie einst­wei­len noch zah­lungs­fä­hig, tra­ge die Schuld am Kli­ma­wan­del – und nicht bei­spiels­wei­se Chi­na oder Indi­en (die reagie­ren ein­fach nicht auf Vor­wür­fe) oder die dort auf­ge­hen­de Son­ne (dito) –, haben sich die Lin­ken das ulti­ma­ti­ve Man­dat erschli­chen, um im Namen der Ande­ren For­de­run­gen zu stel­len und dafür Pro­vi­sio­nen zu kas­sie­ren. Jetzt muss die Hys­te­rie hoch­ge­hal­ten und täg­lich neu genährt wer­den; das wird zwar weder dem Kli­ma noch den Alge­ri­ern, aber wenigs­tens den Kas­sie­rern nut­zen. In einem ZDF-Bei­trag, der mir gewhats­ap­pt wur­de, heißt es: „Bahn­hof Buka­rest heu­te: 39 Grad. So heiß, dass sogar die Schie­nen weich wer­den. Die Züge fah­ren nur noch sehr lang­sam auf ihnen und das sehr holp­rig. Süd­ost­eu­ro­pa glüht bei Rekordtemperaturen.”

Wenn sich die wei­ßen Män­ner beim CO2-Aus­stoß wei­ter anstren­gen und noch mal reich­lich 1000 Grad drauf­le­gen, wer­den die Schie­nen in Buka­rest so weich, dass der Bahn­ver­kehr ganz ein­ge­stellt wer­den muss.

Einst­wei­len erklä­re mir bit­te jemand das:

Wer von der Bevöl­ke­rungs­explo­si­on nicht spre­chen will, soll vom Kli­ma­wan­del schweigen.

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Ein letz­ter Nach­trag zur Fuß­ball-Euro­pa­meis­ter­schaft, die­sel­be aber kaum betref­fend. Man hat sich inzwi­schen dar­auf ver­stän­digt, dass Toni Kroos (frü­her Bay­ern, ganz frü­her Lever­ku­sen, zuletzt Real Madrid) der bes­te deut­sche Spie­ler seit Franz Becken­bau­er gewe­sen sei – und der erfolg­reichs­te sowie­so. Nach sei­nem Rück­zug aus dem akti­ven Sport erklär­te der gebür­ti­ge Gera­de-noch-so-Ossi (Janu­ar 1990) und nun auf Dau­er von sei­ner Nati­on schei­den­de Kicker:

Kein Füh­rer mehr? Kein Sta­chel­draht? Kei­ne Frauen‑, Schwulen‑, Min­der­hei­ten­un­ter­drü­ckung? Kei­ne hohen Decken mehr? Kein Kai­ser gar? Nein, er meint es anders. Kroos sag­te im Pod­cast Lanz & Precht zur Fra­ge, war­um er mit sei­ner Fami­lie nicht in die Hei­mat zurück­keh­ren wer­de: „Ich fin­de Deutsch­land nach wie vor wirk­lich ein tol­les Land, aber es ist zumin­dest nicht mehr so ganz das Deutsch­land, wie es war – wie es viel­leicht vor zehn Jah­ren war.“ Auf die Fra­ge nach den Grün­den ant­wor­tet der Fuß­ball­pro­fi: „Es hat sich auf jeden Fall ein Gefühl ver­än­dert, ein Gefühl davon – wie drückt man das am bes­ten aus, ohne in eine Ecke gestellt zu wer­den?“ – Ecken schießt er näm­lich lie­ber, statt sich hin­ein­stel­len zu las­sen. – „Wenn mich jemand fragt, wür­dest Du Dei­ne Toch­ter in Spa­ni­en um 23 Uhr raus­las­sen oder in einer deut­schen Groß­stadt, wäre ich eher bei Spa­ni­en“, fuhr Kroos fort, er hät­te in ’schland „so vie­le Beden­ken, ob es ihr dann wirk­lich gut ergeht und sie unbe­scha­det nach Hau­se kommt”, und die „hät­te ich vor zehn Jah­ren noch nicht gehabt“.

Der Natio­nal­spie­ler teilt mit, dass er sei­ne Töch­ter in Deutsch­land ungern nachts aus dem Haus lie­ße, weil er sich Sor­gen machen wür­de, dass ihnen etwas zustößt, und der­glei­chen ken­ne er aus der Zeit vor 2015 nicht; des­halb lebe er lie­ber in Spa­ni­en. Das ist eine Dank­sa­gung an die Adres­se der Will­kom­mens­put­schis­tin und ihrer rot­grü­nen Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­tio­nen, die sich rüh­men dür­fen, das ihnen anver­trau­te Land in ein Sied­lungs­ge­biet ver­wan­delt zu haben, wo sich kaum noch jemand, der das Glück hat, öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel oder unbe­leb­te Stra­ßen benut­zen zu dür­fen, beim abend­li­chen Heim­weg lang­wei­len muss z.B. wie beim Quer­pass­spiel des frü­hen, noch unaus­ge­reif­ten Kroos, der aber in kei­ne Ecke gestellt wer­den will, weil ihm weder die finan­zi­el­le Sorg­lo­sig­keit noch ein lan­ger Aus­lands­auf­ent­halt den kern­deut­schen Duck­mäu­ser- und Gehor­sams­re­flex abtrai­nie­ren konnten.

Rück­blen­de. Auf­tritt derselbe.

Ob er sich damals schon ent­schie­den hat­te, für immer in Spa­ni­en zu blei­ben? Der – zuge­ge­ben etwas aso­zia­le – Gedan­ke liegt nahe, denn war­um hat er vor drei Jah­ren emp­foh­len, jene Par­tei­en zu wäh­len, die heu­te dafür ver­ant­wort­lich sind, dass er sei­ne Töch­ter in Deutsch­land nur ungern nachts aus dem Haus lie­ße und dem Risi­ko einer uner­wünsch­ten Will­kom­mens­dank­ab­stat­tung aus­setz­te. 2021 war längst klar, wohin sich die­ses Land ent­wi­ckelt. Ist der Bub so naiv gewe­sen und hat sich nun erst eines Schlech­te­ren beleh­ren las­sen? Oder war es der ganz nor­ma­le Oppor­tu­nis­mus des­je­ni­gen, der eben zur bes­se­ren Gesell­schaft dazu­ge­hö­ren will? Aber dann hät­te Klap­pe­hal­ten doch genügt.

Herr Kroos ist ein x‑facher Sport­mil­lio­när; die Pro­ble­me, die ein­fa­che Leu­te (und deren Töch­ter) in eher schlech­ten Wohn­ge­gen­den mit Migran­ten (und deren Söh­nen) bekom­men, sind nicht sei­ne und wer­den es nie sein, er ver­dankt einem glück­li­chen Zufall namens Talent die mate­ri­el­le Sorg­lo­sig­keit bis ins nächs­te Glied, war­um muss sich so einer abfäl­lig über die­je­ni­gen äußern, denen es schlech­ter geht, und sie zu „Nie­mand” erklä­ren? Dass es die AfD über­haupt gibt und dass Gevat­ter Kroos sich mit sei­ner Fami­lie in Spa­ni­en siche­rer fühlt als in Deutsch­land, hat iden­ti­sche Gründe.

„Wegen Mer­kel und Ampel­po­li­tik: Kroos bleibt lie­ber in Spa­ni­en”, wäre die pas­sen­de Schlag­zei­le gewesen.

Am drol­ligs­ten in all ihrer Per­fi­die fin­de ich die Zuschrei­bung der hoch­ver­dient ago­nie­ren­den Frank­fur­ter Rund­schau, das „State­ment” des Fuß­bal­lers gegen die Schwe­fel­par­tei anno 2021 sei „mutig” gewe­sen. In Bestever­land gilt als mutig, wer aus­zu­spre­chen wagt, was die Regie­rung, alle ande­ren Par­tei­en, alle Kir­chen, Gewerk­schaf­ten, Medi­en- und Kul­tur­schaf­fen­den eben­falls sagen.

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Kom­men wir zum Kulturteil.

Ich sah mir ges­tern den sogar auf Lit­faß­säu­len bewor­be­nen eng­li­schen Film „Klei­ne schmut­zi­ge Brie­fe” („Wicked Litt­le Let­ters”) an, eine in der Zwi­schen­kriegs­zeit han­deln­de soge­nann­te Komö­die, die auf einer wah­ren Bege­ben­heit beru­hen soll. In einem klei­nen eng­li­schen Küs­ten­ort erhal­ten meh­re­re Bewoh­ner obs­zö­ne Brie­fe – deren Wort­laut ist das ein­zi­ge vier­tel­wegs Komi­sche an die­ser Komö­die –, wor­auf­hin die durch­weg aus unfä­hi­gen männ­li­chen Trot­teln und einer klu­gen weib­li­chen Anwär­te­rin bestehen­de Poli­zei die Ermitt­lun­gen auf­nimmt, wer der Ver­fas­ser jener die Kom­mu­ne erschüt­tern­den Imper­ti­nenz­en ist. Der Ver­dacht fällt auf die loka­le Skan­dal­nu­del Rose, allein­er­zie­hen­de Mut­ter einer Toch­ter und mit einem Schwar­zen liiert, der die ein­zi­ge sym­pa­thi­sche männ­li­che Figur in die­sem Städt­chen resp. Film ist. Obwohl die Ver­däch­tig­te alle Vor­wür­fe bestrei­tet, lan­det sie im Kitt­chen – sie hat nicht genug Geld, um die Kau­ti­on auf­zu­brin­gen –, und ihr droht der Ver­lust des Sor­ge­rechts für die Toch­ter. Eine Grup­pe von Frau­en, geführt von der smar­ten Poli­zei­an­wär­te­rin, macht sich dar­an, den Fall auf eige­ne Faust zu lösen. Wie sie her­aus­fin­den, stam­men die Brie­fe von … – ich ver­zich­te auf den Spoi­ler, viel­leicht will sich ja jemand über­ra­schen lassen.

Die Bot­schaft des Fil­mes ist sim­pel: Män­ner sind dum­me, bos­haf­te, schein­hei­li­ge Typen – ein­zi­ge Aus­nah­me: ein Schwar­zer –, die Frau­en alle­samt gut, aber unter­drückt vom Patri­ar­chat und von der Kir­che, und wenn eine Frau etwas Übles tut, dann steckt dahin­ter ein noch viel üble­rer Mann, der sie indi­rekt dazu zwingt.

Die Schrott­sam­mel­stel­le zitiert einen deut­schen „Film­kor­re­spon­den­ten”, in des­sen Kri­tik es heißt, „Klei­ne schmut­zi­ge Brie­fe” ent­wer­fe einen pro­vin­zi­el­len Mikro­kos­mos, in dem „ein erschre­cken­des Aus­maß Miso­gy­nie, Bigot­te­rie und Ras­sis­mus” zuta­ge tre­te, und zwar „scho­nungs­los”. Obwohl die Geschich­te nach dem Ers­ten Welt­krieg spielt, füh­le man sich des Öfte­ren an die heu­ti­ge Online­welt erin­nert: „Hass­re­de und Sluts­ha­ming – trau­ri­ge Phä­no­me­ne unse­rer digi­ta­len Gegen­wart – sind kei­ne neu­en Erfin­dun­gen, son­dern auch im durch und durch ana­lo­gen frü­hen 20. Jahr­hun­dert schon sehr präsent.”

Ras­sis­mus tritt in die­sem Film aller­dings über­haupt nicht zuta­ge, weder gegen­über dem Lover von Rose noch gegen die sacht kolo­rier­te spürn­ä­si­ge Nach­wuchs­po­li­tes­se – die wird von Vor­ge­setz­ten und Kol­le­gen gede­ckelt, weil sie eine Frau ist bzw. es so im Dreh­buch steht (es ergeht ihr prak­tisch wie einer Beam­tin im bes­ten Deutsch­land aller Zei­ten, die zuge­ge­ben hat, die AfD zu wäh­len), und sogar der Rich­ter im schließ­lich statt­fin­den­den Pro­zess gegen Rose ist schwarz. Auch Hass­re­de kommt im Film nicht vor, abge­se­hen von den Derb­hei­ten in den Brie­fen. Bleibt der Vor­wurf der Bigot­te­rie. Um jene geht es tat­säch­lich. Aller­dings besteht wenig Grund zu der Annah­me, dass sich zwi­schen der Zeit, in wel­cher der Film spielt, und jener, die sol­che ten­denz­kon­for­men Dreh­bü­cher und Kri­ti­ken her­vor­bringt, die Bigot­te­rie hie­nie­den rarer gemacht haben könnte.

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Ein Nach­trag zu mei­nen Bemer­kun­gen über die Lite­ra­tur im Gespräch mit David Engels. Es ging bei die­ser Plau­de­rei ziem­lich hopp­la­hopp vor­an, so dass der Ein­druck ent­ste­hen konn­te, ich läse kei­ne zeit­ge­nös­si­schen – nein, Zeit­ge­nos­sen sind ja alle ab Pla­ton –, kei­ne leben­den Schrift­stel­ler. Das ist kei­nes­wegs der Fall, ins­be­son­de­re was die soge­nann­ten Sach­bü­cher betrifft, aber auch bei der Bel­le­tris­tik nicht. Mei­ne Bewun­de­rung für Michel Hou­el­le­becq, Mar­tin Mose­bach, Botho Strauß und Eck­hard Hen­scheid, um nur eini­ge Exem­pel zu nen­nen, habe ich hier bis­wei­len bekun­det, doch wenn man mich frü­ge, wel­chen zu mei­nen Leb­zei­ten ver­öf­fent­lich­ten Roman ich für den bedeu­tends­ten hal­te, fie­le mei­ne Wahl fürs ers­te immer noch auf Jona­than Lit­tells „Die Wohl­ge­sinn­ten“. Ich wür­de Lit­tells Opus ohne Zögern neben Tol­stois „Krieg und Frie­den” und Was­si­li Gross­mans „Leben und Schick­sal” stellen.

Die­ses Buch ist groß, nicht allein in sei­nem Umfang, son­dern auch in sei­nem Anspruch und sei­nem Wage­mut – kein nach­kriegs­deut­scher Autor hat sich je etwas Ver­gleich­ba­res getraut wie der in den USA gebo­re­ne Fran­zo­se jüdi­scher Abstam­mung (wobei man fai­rer­wei­se hin­zu­set­zen muss: Er hät­te auch kei­nen Ver­lag dafür gefun­den). Der Roman beschreibt bekannt­lich die Shoa aus der Per­spek­ti­ve derer, die sie „End­lö­sung” nann­ten, zudem noch aus der Sicht eines äußerst gebil­de­ten SS-Offi­ziers und Mas­sen­mör­ders, was nament­lich bei deut­schen Lite­ra­tur­gou­ver­nan­ten teils indi­gnier­tes Nase­rümp­fen, teils Empö­rung aus­lös­te, weil man so über den Holo­caust nicht schrei­ben dür­fe, wäh­rend unse­re fri­vo­len fran­zö­si­schen Nach­barn mit ihrem etwas freie­ren Ver­ständ­nis von Lite­ra­tur damit weni­ger Pro­ble­me hat­ten. Dass sich auch His­to­ri­ker nega­tiv über den Roman äußer­ten, dürf­te mit einem gewis­sen Fut­ter­neid zu tun haben, weil Lit­tells Opus mehr über das Drit­te Reich und den Juden­mord erklärt als die meis­ten his­to­ri­schen Wer­ke zum The­ma, aus­ge­nom­men viel­leicht „Das Gesetz des Krie­ges” von Jörg Fried­rich, ein Buch, das der Fran­zo­se gele­sen haben muss; es gibt zwi­schen bei­den Wer­ken ein­fach zu vie­le Kon­gru­en­zen. Die ers­ten Lei­chen­ber­ge, die Ober­sturm­bann­füh­rer Dr. iur. Max Aue zu Gesicht bekommt, sind jene, die das sowje­ti­sche NKWD in Litau­en hin­ter­las­sen hat, die ers­ten ver­stüm­mel­ten toten Sol­da­ten tra­gen Wehr­machts­uni­form, auch die­se – his­to­risch kor­rek­te – Rei­hen­fol­ge wür­de sich ein deut­scher Autor wohl eher ver­knei­fen. Pas­send dazu fin­det sich im Sta­lin­grad-Kapi­tel ein Dia­log zwi­schen Ober­sturm­bann­füh­rer Aue und einem gefan­ge­nen sowje­ti­schen Kom­mis­sar, in dem der „kau­sa­le Nexus” (Ernst Nol­te) zwi­schen Bol­sche­wis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus auf eine Wei­se durch­de­kli­niert wird, als habe es nie einen nach­ge­hol­ten End­sieg der Nexus­leug­ner im deut­schen His­to­ri­ker­streit gegeben.

Der Roman schil­dert zum einen den Völ­ker­mord an den Juden aus bis­lang uner­hör­ter Per­spek­ti­ve, was die Bru­ta­li­tät, Indo­lenz und Pedan­te­rie, aber auch die Obs­zö­ni­tät der Täter betrifft – es gibt zum Bei­spiel eine ent­zü­cken­de Stel­le, wo der Autor die vom Slip einer ver­gas­ten Jüden bedeck­te Möse von Hed­wig Höß beschreibt –, zum ande­ren führt er die unge­heu­er­li­che kine­ti­sche Ener­gie des zwei­ten deut­schen Krie­ges gegen den Rest der Welt so ein­drucks­voll vor Augen, wie es nur Lite­ra­tur ver­mag (und der His­to­rio­gra­phie ver­sagt ist). Man ist wie erschla­gen von die­sem Buch und beginnt zu ver­ste­hen, wie­viel Kraft dem Men­schen­ge­schlecht und spe­zi­ell den Deut­schen damals ver­lo­ren­ging und dass die­ser Welt­teil nach einer sol­chen Explo­si­on nicht mehr der­sel­be sein konnte.

Die wohl­ge­sinn­ten Bel­le­tris­tik­sach­ver­stän­di­gen Micha Brum­lik und Michel Fried­man haben vor den „Wohl­ge­sinn­ten” gewarnt, was jede füh­len­de See­le für die­ses Opus ein­neh­men dürf­te (der War­ner vor Büchern ist eine so arche­ty­pi­sche nach­kriegs­deut­sche Figur, dass ein Bild­hau­er sie model­lie­ren und vor dem Bun­des­tag auf­stel­len soll­te, gern auch mit wedel­be­rei­tem Fried­man­schem Zei­ge­fin­ger). Am bes­ten gefällt mir indes die Kri­tik des His­to­ri­kers Peter Schött­ler vom Nobel­preis­trä­ger­pro­duk­ti­ons­kom­bi­nat Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin: „Hier wird dau­ernd gebal­lert, geschos­sen und gemor­det, es spritzt das Blut und das Sper­ma und die Gehirn­mas­se – über Sei­ten hin­weg. Offen­sicht­lich hat der Autor dar­an ein gewis­ses Ver­gnü­gen.” In einem Roman, der unter ande­rem in Babi Jar, in Sta­lin­grad und im unter­ge­hen­den Ber­lin spielt, wird dau­ernd gebal­lert, geschos­sen und gemor­det, stel­len Sie sich das mal vor. Das stärks­te Argu­ment gegen „Moby Dick” ist ja auch, das dort stän­dig gese­gelt, geru­dert, ver­folgt und har­pu­niert wird; offen­bar hat­te Mel­ville dar­an ein gewis­ses Vergnügen.

Die Kri­ti­ker fan­den es unter ande­rem deplat­ziert, dass Lit­tell sei­nen all­zu gebil­de­ten SS-Mas­sen­mör­der oben­drein zum Homo­se­xu­el­len sowie inzes­tuös der Schwes­ter ver­fal­le­nen Mut­ter- und Stief­va­ter­mör­der sti­li­siert und ihn gar am Ende des Romans bei einer Ordens­ver­lei­hung im bela­ger­ten Ber­lin dem Führer in die Nase bei­ßen lässt, dass der Autor also sowohl die klas­si­sche Tra­gö­die, näher­hin die Ores­tie, als auch schrillst­mög­li­che Comic-Ele­men­te in sei­ne ansons­ten his­to­risch gut abge­si­cher­ten Schil­de­run­gen amal­ga­mier­te. Die Poin­te ent­ging ihnen, näm­lich dass dies alles im Gedröh­ne des Unter­gangs überhaupt nicht auf­fällt. Wer hät­te vor Lit­tell geglaubt, dass eine sol­che Slap­stick­sze­ne wie der spon­ta­ne Biss in Hit­lers Nase in einem seriö­sen Roman überhaupt mög­lich sei? Was uns der Autor nach mei­ner beschei­de­nen Ansicht demons­trie­ren woll­te, war dies: Klas­si­sche Tra­gö­die, Mut­ter­mord, Stief­va­ter­be­sei­ti­gung, Inzest, eine Beiß­at­ta­cke auf den Dik­ta­tor – all das ist nicht ein­mal neben­säch­lich, ist ver­nach­läs­sig­bar, nicht der Rede wert, allen­falls mikro­sko­pisch sicht­bar inmit­ten der gewal­tigs­ten und zer­stö­re­rischs­ten Kraft­ent­fal­tung der bis­he­ri­gen Mensch­heits­ge­schich­te, der Höl­len­fahrt des Drit­ten Reichs.

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Zwei Hin­wei­se.

Zum einen fin­det am 7. Sep­tem­ber in Stutt­gart ein Bür­ger­gip­fel mit sehr inter­es­san­ten Refe­ren­ten statt – u.a. Václav Klaus, Nor­bert Bolz, Fritz Vah­ren­holt, Ulrich Vos­ger­au, Mar­kus Krall, Roland Tichy, Alex­an­der Wendt – für den ich gern die Trom­mel rüh­re. Über die Ver­an­stal­tung kön­nen Sie sich hier kun­dig machen, hier wie­der­um besteht die Mög­lich­keit, selbst Part­ner und Spon­sor zu werden.

Zum ande­ren: Ich frag­te via Twit­ter, was Nan­ny F. als nächs­tes ver­bie­ten soll­te, und die Vor­schlä­ge waren zahl­reich. Auf der Web­sei­te der Ach­se des Guten fin­det sich heu­te ein Auf- bzw. Not­ruf der Her­aus­ge­ber, der frei­lich zeigt, dass Ver­bie­ten gar nicht not­wen­dig ist, wenn die Stran­gu­lie­rung kri­ti­scher Medi­en sich auch anders rea­li­sie­ren lässt, näm­lich über ihre finan­zi­el­le Aus­trock­nung (Anzei­gen­boy­kott, Shadow­ban etc.). Dass, wie dort ver­kün­det, nur 0,3 Pro­zent der Leser von ach­gut auch für das Por­tal spen­den, ist natür­lich bit­ter. Wie gut, dass von den Besu­chern des Klei­nen Eck­la­dens gefühl­te bzw. geschätz­te fünf Pro­zent den Ver­nü­gungs­zoll ent­rich­ten! Vergelt’s Gott.

Was die ande­ren betrifft: Selbst­ver­ständ­lich will ich Ihnen (k)ein schlech­tes Gewis­sen machen.

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Zuletzt: Wie im Ein­trag vom 13. Juli beschrie­ben, trug ich zuletzt in Markt­ober­dorf  auf Ladung der AfD Ostallgäu/Kaufbeuren recht gemisch­te („bun­te”) Pro­sa vor; die Guten haben jetzt den gesam­ten Ver­an­stal­tungs­mit­schnitt inclu­si­ve Ein­füh­rung und Fra­ge­run­de online gestellt. Mei­ne Lesung beginnt bei 12.00 und endet bei 53.00; wer zuhö­ren mag, kli­cke hier.

 

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