Eine Zeitlang diskutierten Gelehrte darüber, ob Jesus Christus wirklich gelebt habe. An der Existenz des Judas Ischariot bestand indes nie der Hauch eines Zweifels.
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Wenn die politische Gesinnung die persönliche Sympathie übertrumpft, ist man wahrscheinlich in Deutschland.
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„Das kann ich besser.”
Stalin über Kafka
(Notiz zum Jubiläumsjahr)
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Ein europäisches Alleinstellungsmerkmal ist die Fähigkeit zur radikalen Selbstkritik. Keine andere Kultur kennt dieses sich-selbst-Infragestellen in einem solchen Maße, zumal die europäische – bzw. westliche – Selbstkritik bis zur Selbstablehnung und zum Selbsthass ausufert. Sie ist im Wesentlichen das Geschäft der Linken, unter zunehmender Involvierung von eingewanderten Kulturfremden, und dient profanen Herrschaftszwecken (insofern trifft der Begriff Selbsthass nicht ganz zu). Die Progressisten in anderen Erdteilen engagieren sich gemeinhin für ihre soziale Emanzipation, ohne gleich die Wurzeln der eigenen Kultur anzugreifen. Nur in Europa gibt es eine Linke, die Kulturfremde emanzipieren will, um der eigenen Kultur zu schaden und die eigene Macht auszuweiten.
Diese unproduktive, auf Subventionen angewiesene, parasitäre Linke ist der Hauptfeind der westlichen Zivilisation, und sie wird, nachdem sie erfolgreich die Parteien, Institutionen, Universitäten, Kultureinrichtungen, Redaktionen und sogar die Kirchen durchsetzt hat, so schnell nicht verschwinden. Da man die Brüder und Schwestern vom Orden des zu beschädigenden Eigenen unmöglich verbieten kann, muss eine rechte Regierung, um nicht einen ständigen Feind im Rücken zu haben, danach streben, dessen Einfluss so weit wie möglich einzudämmen. Eine rechte Regierung kann nichts anderes tun, als die staatlichen Geldflüsse in die Taschen dieser Leute so vollständig wie möglich zu kappen – die unvermeidlichen Straßenproteste wären ein Polizeiproblem –, auf dass sie weniger Zeit für ihr destruktives Treiben haben, weil sie plötzlich selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Es wäre ein Festtag, wenn man beispielsweise den Mitarbeitern des Maxim-Gorki-Theaters eröffnete, dass sie fürderhin von den Einnahmen an der Abendkasse leben müssen, wenn man den Genossen Medienschaffenden der ARD mitteilte, dass künftig die frische Luft des freien Marktes sie umfächeln werde, wenn man Gender-Professorinnen darauf verpflichtete, den wissenschaftlichen Wert ihrer Arbeit zu belegen, andernfalls werde der Lehrstuhl gestrichen. Den militanten Teil der Linken könnte man überdies mit den Segnungen der Willkommenskultur in den Gefängnissen bekannt machen. Dann wäre nämlich auch an dieser Front Ruhe.
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Unter dem Stichwort „Rechtsextremismus” meldet die Tagesschau: „Der Verfassungsschutz beobachtet eine Instrumentalisierung von Krisen, um die eigene Erzählung zu verbreiten. Das sei am Beispiel des Terrorangriffs der Hamas auf Israel deutlich geworden. Von einigen Akteuren sei angesichts propalästinensischer Demonstrationen in Deutschland von einem ‚Import’ des Konflikts gesprochen und Migration pauschal als Wurzel gesellschaftlicher und sozialer Probleme dargestellt worden. Das Thema Migration und Asyl habe für Rechtsextremisten wieder an Bedeutung gewonnen.”
Mit anderen Worten: Die Rechten tun, was der Verfassungsschutz tun müsste.
Man soll sagen: Haldenwangs Bundesamt für Islamschutz.
Und jetzt zum angeblichen Klimawandel.
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Gar viel und schön ward hier in dieser Halle schon gesungen, nur, so weit ich mich entsinne, kein einziger Ton oder Takt zur Pornographie. Ausgenommen meine Notiz zu jenem brasilianischen Urwaldstamm, in welchem nach dem Anschluss ans Internet ein Teil der Männer der Pornosucht verfiel (Acta vom 16. Juni). Im Anschluss schrieb mir eine Dame mit DDR-Biographie, sie habe sich zwar seinerzeit über die Wiedervereinigung gefreut, aber sie sei „schockiert“ gewesen, als sie im Zimmer ihres damals noch minderjährigen Sohnes pornographische Magazine entdeckt habe (so etwas gab es im Osten nicht), ihr Sohn sei damals auf ähnliche Weise ein Opfer der unbeschränkten westlichen Freiheit geworden wie jetzt diese Buschleute. Ich entsann mich stracks einer Leserzuschrift, die ich irgendwann anno 1990, damals noch als Redakteur des Ostberliner Morgen, ebenfalls von einer Frau erhielt: Es war ein kleines querformatiges Heftchen, in welchem – deshalb das Querformat – durchweg unbekleidete Maiden mit gespreizten Beinen abgebildet waren, also praktisch eine gynäkologische Bilderstrecke, und der beigefügte Kommentar, halb höhnisch, halb empört, lautete: Das sei also die überlegene westliche Kultur, die uns DDRlern jetzt angedient wird.
Ich schaute mir das Heftchen interessiert und durchaus animiert an, ich bin ja ein Kerl und stand damals überdies noch so im Saft, dass die Anziehungskraft eines juvenilen weiblichen Zentralorgans mit dem Wort „magisch” noch weit untertrieben auf den Begriff gebracht wäre. Die abgebildeten Mädels waren jung, knackig, und bei dem, was sie dort präsentierten, handelte es sich um wahre Vielfalt, ja geradezu um Diversität. Dagegen ist kein moralisches Kraut gewachsen – und das erst recht nicht, wenn sich die Bilder obendrein noch bewegen. Allerdings scheinen gewisse Unterschiede zwischen Buben und Maderln zu bestehen, was die, sagen wir: Rezeption solcher Erzeugnisse betrifft. Die Geschlechter unterscheiden sich ja bekanntlich in nahezu nichts, aber beim sogenannten Umgang mit der Pornographie denn wohl doch. Nennen wir es den Gender Porno Gap. Man muss den Unterschied zwischen Mann und Weib in diesem Belang berücksichtigen.
Bevor es der einen oder anderen Leserin zu frivol wird, will ich einen Merksatz einschalten: Wer zur Pornographie eine ungebrochen positive Meinung hat, ist ein Schwein, wer zu ihr eine dezidiert negative Meinung hat, ist ein Heuchler (*:in).
Zufälligerweise las ich gestern in der Zeit einen Artikel über die Beliebtheit, welcher sich Literatur über die bzw. aus der DDR neuerdings in den USA erfreue. Der Artikel erwähnt unter anderem Jenny Erpenbecks Roman „Kairos“ aus dem Jahr 2021. „Kairos” spielt Mitte der 1980er Jahre im Ost-Berliner Intellektuellenmilieu. Katharina, die weibliche Hauptfigur, darf ihre Großmutter in Köln besuchen, und dort stellt sie fest, dass der Westen sie anekelt: „Bettler am Bahnhof, der klinisch reine McDonald’s, Ramschläden in der Fußgängerzone” (ich erinnere mich einer Journalistin des Morgen, die 1988 in den Westen durfte, um eine Reportage zu schreiben, und womit sie zurückkam, war ein Interview mit einem Bahnhofspenner). Die Neugierde führt Katharina schließlich in einen Sexshop. Dort sieht sie „offene Münder, offene Arschlöcher, pralle Schamlippen, faltige Hoden, alles wetzt sich aneinander, reibt sich, zieht sich auseinander, presst, würgt, lutscht sich aus, saugt sich fest, spuckt sich an, sie sieht also hier, am Grunde der Freiheit, Titten und Schwänze und Fotzen, sieht Ständer und Mösen, sieht dicke Dinger, geile Zungen, sieht Flüssigkeiten hervorquellen aus Eicheln.” Der Zeit-Redakteur kommentiert: „Das ist der Westen, und viel mehr wird von ihm hier nicht gezeigt. Freiheit? Das ist in Kairos nur die obszöne Freiheit des Konsums.”
Es folgt der zweite, höchst triviale, aber immer wieder zu erinnernde Merksatz: Freiheit gibt es nur ganz oder gar nicht.
Freiheit schließt sehr viele Aspekte ein, die unangenehm, befremdend, schädlich, lästig und eklig sein können, so wie Menschen eben unangenehm, befremdend, lästig und eklig sind. Aber wenn man anfängt, sie einzuschränken, was in der Regel vom Staat her oder seitens starker Einflussgruppen geschieht – ich rede hier nicht von Jugendschutz, Zivil- oder gar Strafrecht –, dann ist meistens eine geneigte Ebene beschritten, auf der es langsam, aber sicher hinab geht in die Unfreiheit. Es gibt keine idealen Zustände, kein Paradies ohne Schlange. Nun wähle.
Zum Beispiel in Sachen Meinungsfreiheit.
Dasselbe gilt naturgemäß für die Sphäre des Sexuellen und Erotischen. Omne animal post coitum triste: Alle Tiere sind nach dem Geschlechtsverkehr traurig. Aber davor eben geil. Und das ist die ganze Geschichte. Wobei ich anmerken möchte, dass jenes Naserümpfen mancher Ost-Intellektueller über die Obszönität des Westens – und, machen wir uns nichts vor, der Westen ist obszön wie ein Pavian – in erster Linie nichts anderes als Selbstwertstabilisierung war. Und mitunter noch – oder wieder – ist.
Weiter die Zeit: „Bei Erpenbecks Darstellung der bundesrepublikanischen Wirklichkeit von einem Zerrbild zu sprechen, wäre ein Euphemismus. Man meint, stellenweise in die agitatorische DDR-Fernsehsendung Der schwarze Kanal geraten zu sein. Kaum ist Katharina zurück in der DDR, erstrahlt wieder das herrlich düstere Boheme-Leben dieser weitgehend angepassten Kulturelite in Berliner Restaurants und Cafés wie dem Ganymed und den Offenbach-Stuben, als sei Ost-Berlin das Paris des Ostens gewesen.”
Das ist das Problem. Wenn sie wenigstens ihre Aversion gleichverteilte! (Kennen Sie, apropos Gleichverteilung der Aversionen, den Roman „Land der Wunder”?) Was aber ist obszöner: ein Pornofilm oder der Bericht eines Stasi-Observierers? Etwa: „Wolf Biermann führt mit einer Dame Geschlechtsverkehr durch. Später erkundigte er sich, ob sie Hunger hat. Die Dame erklärte, dass sie gern einen Konjak trinken würde. Es ist Eva Hagen. Danach ist Ruhe im Objekt.”
Außerdem muss ich, bei aller Ambivalenz zum Thema, pro domo anmerken, dass ich aus Pornofilmen entschieden mehr und vor allem Nützlicheres gelernt habe als aus sämtlichen Schriften von Adorno, Habermas und, ohne Franzosen sollte man dieses Sujet nicht traktieren, sagen wir: Sartre.
Als ekelgesteuerter Mensch – ich deutete es an – habe ich gleichwohl Vorbehalte gegen das pornographische Genre. Im erwähnten Roman „Land der Wunder” finden sich, nochmals apropos, einige durchaus pornographische Passagen, die ich heute vielleicht nicht mehr schreiben würde, weil mich die öffentliche Zurschaustellung des Sexuellen doch etwas anwidert. Distinktion und Diskretion sind in dieser Frage inzwischen fast dasselbe.
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Noch zum Vorigen.
Es war aber immer ein Fehler der Rechten, den Eros und seine Freuden den Linken zu überlassen. Mag sein, dass sich derzeit die Fronten umkehren; ich beobachte eine zunehmende Prüderie, die einerseits mit der Verbreitung importierter religiöser Regeln zusammenhängt, deren Anhänger der sexuellen Freizügigkeit und sogar dem Flirt unfreundlich gesonnen sind, andererseits eine Folge des Feminismus und der #MeToo-Propaganda ist, die jeden Anmachversuch zu einer halsbrecherischen und eventuell karrierebeendenden Angelegenheit machen.
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„Bei Frau Lang möchtest du nicht Hüfte sein.”
Freund *** (obwohl nicht mal Orthopäde)
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Auf seiner Webseite kommentiert Alexander Wallasch das Interview mit einem Experten für Kriminalastrologie.
Dirk Baier heißt der Mann, und dass er Professor in Zürich ist, näherhin am „Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Departement Soziale Arbeit”, deutet darauf hin, dass die akademischen Quarantänevorkehrungen auch in der Schweiz im selben Maße versagen wie die Abwehr von Asylgrundvortäuschern an Helvetiens Grenzen.
Baier ist beispielsweise der für einen Kriminologen fast schon auf DDR-Level originellen Ansicht, „Probleme mit Messergewalt” könnten damit zusammenhängen, dass „es Messerattacken so schnell in die Nachrichten schaffen“. Er, Baier, hat seinerseits ein Problem damit, dass „Medien und Politik” versuchten, bei den Messerstechenden irgendwelche falschen Gemeinsamkeiten festzustellen, wie er, Baier, die richtigen zwischen Delinquenz und sozialer Arbeit. „Dabei läuft es meistens auf die ausländische Herkunft des Täters heraus. Man könnte aber auch auf eine andere Übereinstimmung kommen: Nämlich, dass wir es in beiden Fällen mit Männern zu tun haben.“
Der naheliegenden Kombination, dass es sich um Ausländer und Männer handelt, von denen es immer mehr gibt, gerade in den Kriminalstatistiken, weil seit Jahren Hunderttausende junge Männer aus gewaltaffinen Kulturkreisen in die deutschsprachigen Lande und Gaue strömen, diesem naheliegenden Schluss, sage ich, widerstreben sowohl Baiers tendenzkonforme Anpassung an die Ideologie des Mondialismus und der Wokeness als auch eine gewisse Bereitschaft zu struktureller Verlogenheit, also mutmaßliche charakterliche Defizite, ohne die ein solcher Lehrstuhl in einem solchen Fach freilich heute kaum mehr zu erlangen sein dürfte. Umgekehrt existiert keine Instanz mehr – das heißt, sie existiert schon, aber auch dort herrscht die Angst, aufgrund politisch unerwünschter Ansichten gemaßregelt zu werden –, die einen solchen Schwafelhans abberuft. Deswegen erzählt der Bub auch seit Jahren dasselbe. Als ich seinen Namen las, dachte ich mir, den kennst du doch, und siehe: Ich hatte ihn schon einmal am Wickel, nämlich im Acta-Eintrag vom 18. April 2018. Damals ging es um das nämliche mit nix zu tun habende Phänomen, und ein ganzer Chor medialer Abwiegler trat in die Bütt, mittenmang der Genosse Baier. Ich zitiere:
„Die Zeit beruhigt: Die ‚Angst vor zunehmender Messergewalt’ sei ‚unbegründet’. Das haben zwei ARD-Journalisten herausgefunden, und die müssen es ja wissen. Und ob die 572 Vorfälle aus Nordrhein-Westfalen ‚eine Zunahme der Stichwaffenkriminalität bedeuten, lässt sich nicht sagen, denn es fehlen Vergleichszahlen für die Vorjahre’.
So wie, beispielsweise, die Vergleichszahlen für Aids-Infektionen aus den 1970er Jahren fehlen? Aus dem gleichen Grund kann auch niemand sagen, ob die Gewalt gegen Rettungskräfte oder das Personal von Krankenhäusern zugenommen hat. Keine Zahlen! Warum man früher keine Zahlen erhoben hat? Nun, die einen sagen, um die Täter zu schützen und der Tourismusindustrie nicht zu schaden, wie es etwa durch das systematische Kleinreden der Massenvergewaltigungen auf dem Münchner Oktoberfest seit Olims Zeiten bewerkstelligt wird. Die anderen, die Ewiggestrigen und konservativen Spinner, behaupten, man habe die Messerattacke als Erscheinungsbild der hiesigen Alltagskriminalität früher eben nicht gekannt… – aber was liegt an den anderen? Die wollen sich bloß nicht erinnern! Wie kann man die vielen auf offener Straße massakrierten Frauen, die Kleinkinder mit durchgeschnittener Kehle, die bei Massenschlägereien in deutschen Innenstädten hundertfach niedergestochenen Jünglinge in den Achtzigern und Neunzigern einfach so vergessen?
‚Wenn man die nackten Zahlen der Fälle von schwerer Gewalt bei Jugendlichen betrachtet, so kann man in den letzten Jahren keinen Anstieg beobachten’, erklärte ein Soziologe namens Dirk Baier der taz. ‚Die Zahlen sind stabil oder sogar rückläufig, es handelt sich momentan eher um eine zufällige Häufung.’
Der Qualitätsjournalisten-Anwärter hakte pflichtbewusst nach: ‚Woher kommt der Eindruck, solche Attacken nähmen zu?’
Und der Quantitätsexperte replizierte: ‚Das liegt meines Erachtens an der medialen Fokussierung auf das Thema, denn innerhalb kurzer Zeit wurde viel über diese Fälle berichtet. Menschen versuchen immer einen Sinn zu finden und Dinge miteinander in Beziehung zu setzen – auch wenn diese eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben.’
So wie es zum Beispiel nichts miteinander zu tun hat, dass der Herr Baier, der momentan dank medialer Fokussierung als Kronzeuge für die These auftritt, es gebe weder einen Anstieg der Zahl der Messerattacken, noch hätten importierte Gepflogenheiten oder wenigstens geschenkte Menschen etwas damit zu schaffen, bis 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen gewesen ist, wo er zehn Jahre lang dem Gefälligkeitsthesenbeschaffer Christian Pfeiffer seinerseits Gefälliges apportierte, mit Schwerpunkt ‚Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus’ übrigens, bevor er eine eigene Jahrmarktsbude als Delinquenzgeistheiler und kriminalitätpräventiver Handaufleger bzw. ‑aufhalter in Zürich eröffnete.
Manche sehen die Entwicklung in diesem speziellen Deliktfeld freilich anders. ‚Insgesamt ist die Zahl der Verbrechen, bei denen Messer eingesetzt wurden, in den letzten zehn Jahren um 1.200 Prozent gestiegen’, schreibt das Gatestone-Institute, das aber viel unseriöser ist als das Pfeiffer-Baier-Institut, weshalb dieser Einzelfalladditionsradau von der Qualitätspresse zu Recht nicht zertifiziert worden ist.
Doch zurück zu unserer süddeutschen Beobachterin, die uns bei so vielen Gleichgesinnten fast schon aus dem Blick geraten war. Vor allem für Jugendliche sei das Messer ‚eine Art Lifestyle-Produkt’ geworden, zitiert sie, na wen schon, den Herrn Baier. Gerade unter Jungs sei es längst Brauch und Sitte, ein Messer in der Hosentasche zu haben. Der ‚Hang, im Jugendalter aufzurüsten’, sei allerdings nicht neu, tröstet die Journalistin sogleich, ‚wenn man an die Halbstarken der 1950er-Jahre denkt, zu deren Machoposen immer auch Messer gehörten’. Da sie keinen Migrationshintergund hatten, wurde ihre Blutspur aber nicht weiter thematisiert.
Dennoch, fährt die SZ fort, gäben manche aktuelle Zahlen ‚Anlass zu Bedenken’: Einer Studie aus Niedersachsen zufolge, ‚die auf Befragungen unter Jugendlichen beruht, ziehen 29 Prozent der Jungen zumindest gelegentlich mit einem Messer los, Tendenz steigend.’ Sogar zur Schule!
‚Und wer sind die Jugendlichen, die ihre Messer dann auch einsetzen? Oft Jungen und Mädchen, die selbst Gewalt erlebt haben oder gemobbt wurden, so Baier. Generell gilt nach Ansicht des Soziologen: Wer jung und mit Messer unterwegs ist, hat ein doppelt so hohes Risiko, eine Gewalttat zu begehen, wie Jugendliche ohne Messer.’
Die harten Erkenntnisse der progressiven Sozialwissenschaft wirken auf den ersten Blick oft simpel. Merke, zum einen: ‚Gewalt ist immer auch ein Hilferuf!’ (Cl. Roth) – bzw. eben eine Reaktion auf Mobbing oder erlittene Gewalt, siehe RAF, NSU, Antifa, Vierte Gewalt usf. Merke, zum anderen: Wer ohne Messer loszieht, geht ein geringeres Risio ein, damit zuzustechen. Der Herr Baier ist übrigens Professor, was ja nichts anderes heißt als: sich-zu-erkennen-Gebender. Als was, dürfen Sie entscheiden.
Und, jetzt kommt’s endlich, die Süddeutsche stellt die statistisch-willkommenkulturelle Gretchenfrage: ‚Immer wieder drehte sich die Diskussion der vergangenen Wochen darum, dass unter Migranten Messerangriffe zunehmen würden. Tatsächlich gibt es in der Studie, die auf Schülerbefragungen aus Niedersachsen basiert, Hinweise darauf, dass manche Gruppen häufiger Messer tragen als andere. So hätten Jugendliche aus Südeuropa, Polen, Nordafrika und dem arabischen Raum am häufigsten Messer dabei. Es sei aber Quatsch, die Taten der vergangenen Wochen und Monate ‚auf die Migrantenschiene’ zu schieben, sagt Kriminalitätsforscher Baier. Weil es schlicht keine Zahlen dazu gebe. Und weil nicht jeder, der ein Messer bei sich trage, auch kriminell werde.’
Es gibt keine Zahlen, aber der Soziologe weiß Bescheid. Und da man die täglichen Meldungen über Messerangriffe, deren ausübendes Fachpersonal fast ausnahmslos zu denjenigen gehört, die noch nicht länger hier leben, auch wenn sie als Passdeutsche firmieren, nicht verallgemeinern darf, wird eine (!) Schülerbefragung (!) herbeizitiert. Doch schauen wir allein auf die Eingangsbeispiele des SZ-Artikels: Bei drei der vier Fälle lacht uns der berühmte Hintergrund entgegen, und die 16jährige Messermaid zu Dortmund gehört wahrscheinlich auch in diese Kategorie!
Aber die süddeutsche Hospitantin zitiert als Siegel der Kriminologen einen Herrn von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden mit den Worten: ‚Es gibt keinen Kulturbegriff von Gewalt; keine Religion, keine Staatsangehörigkeit greift schneller nach einem Messer.’ Auch diese Formulierung muss man am Gaumen liebkosen und schmecken: ein ‚Kulturbegriff von Gewalt’, nicht zu verwechseln mit dem Gewaltbegriff von Kultur übrigens! Dafür, dass es ihn nicht gibt, ist er ambitioniert formuliert. Was der Brave uns suggerieren will, ist die erwünschte Illusion der Gleichheit aller Kulturen bzw. eher eben doch Ethnien, als ob diese sich nicht auch in puncto Gewaltbereitschaft erheblich voneinander unterschieden, sogar genetisch, wie neuere Forschungen immer wieder verbotenerweise nahelegen. Es greift auch keine Religion oder Staatsangehörigkeit zum Messer, sondern das tun Menschen mit Staatsangehörigkeit oder religiöser Überzeugung, und auch hier stoßen wir auf statistisch signifikante Unterschiede zwischen staatlich und religiös voneinander unterschiedenen Kollektiven.
Außer natürlich in Deutschland, da stellt sich sofort nach Grenzübertritt auf magische Weise bei sämtlichen Charaktereigenschaften und Begabungen und folglich auch bei sämtlichen Delikten eine strikte ethnisch-kulturell-religiöse Ausgeglichenheit ein. Deswegen ist die statistische Wahrscheinlichkeit, hier von einem Vietnamesen oder Sachsen niedergestochen zu werden, exakt dieselbe wie die, dass ein Syrer oder Afghane es erledigt (Abweichungen regelt ein Diskurs). Fast genau die Hälfte der Tatverdächtigen bei Messerattacken in Hessen beispielsweise besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Sieben Prozent haben jeweils die türkische und afghanische sowie 5,5 Prozent die syrische und drei Prozent die somalische Staatsbürgerschaft. Die übrigen Taten entfallen auf Menschen aus anderen Nationen. Wobei die Formulierung, die deutsche Staatsbürgerschaft ‚besitzen’, nicht jenes Besitzen meint, auf welches der Nazi-Slogan ‚Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen’ anspielt, sofern es sich um deutsche Väter handelt, sondern es geht hier um einen Besitz, der kurzfristiger und erbunschuldiger sein kann, ungefähr dem eines Messers vergleichbar.”
Semper idem – man könnte meinen, es sei gestern geschrieben worden, finden Sie nicht?
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PS: Zur Behauptung der SZ-Journalistin, dass zu den „Machoposen der Halbstarken in den 1950er Jahre” immer auch Messer gehörten, schreibt Leser ***: „Ich ich gehörte dazu, aber es ging dabei nicht um Machoposen. Jahrzehnte später habe ich auf meiner Website in einem anderen Zusammenhang zu diesem Thema geschrieben.” Und zwar dies: „Jeder Junge, der etwas auf sich hielt, besaß damals ein Messer. Es waren sogenannte Fahrtenmesser, Messer mit einer ca. 15 cm langen feststehenden Klinge, die – auch in der Schule – offen in einer eigens dafür vorgesehenen seitlichen Hosentasche oder am Gürtel getragen wurden. Meine Mutter hatte mir so ein Messer unter äußersten Bedenken gekauft und das auch nur, weil alle anderen Jungen ebenfalls eins besaßen und ich ihr versprochen hatte, damit keinen Unfug anzustellen. Diese Messer waren eine Art Statussymbol. Sie wurden gehegt und gepflegt, erhielten durch Bemalungen, Schnitzereien oder was sonst auch immer eine persönliche Note und wurden in den Pausen mit Stolz vorgezeigt. Bei mir war so im Laufe der Zeit aus einem ganz normalen Fahrtenmesser ein perfekt ausbalanciertes zweischneidiges Wurfmesser geworden, mit dem man problemlos Papier schneiden konnte. Aber niemandem wäre auch nur der Gedanke gekommen, einen Mitschüler oder einen Lehrer damit zu bedrohen oder gar anzugreifen.”
Zum Messer gehört eben immer der Messermann.