12. Mai 2024

Die Chro­nis­ten­pflicht, aber auch Fami­li­en­un­ter­hal­tungs­ob­lie­gen­hei­ten und ein soli­der rhein­hes­si­scher Ries­ling ver­führ­ten mich ges­tern dazu, dem „Euro­vi­si­on Song Con­test” (ESC) bis zum bit­te­ren Ende zu hos­pi­tie­ren. Obwohl die media­len Begleit­be­schwaf­ler das Gegen­teil zu sug­ge­rie­ren such­ten, dreht sich in die­sem Wett­be­werb fast alles um Poli­tik, natür­lich auch um Show, aber die Musik spielt kaum eine Rol­le. Ver­gli­chen mit der Qua­li­tät der dort direkt und indi­rekt vor­ge­tra­ge­nen State­ments, an die man sich bis­wei­len erin­nert, ist jene der Lie­der, die man in der Regel sofort ver­gisst, jeden­falls zweit­ran­gig; ich erin­ne­re an den 2014 gegen die que­er­pho­ben Putin­rus­sen in Stel­lung gebrach­ten und bis heu­te des­halb irgend­wie bekann­ten kom­bi­nier­ten Bart- und Kleid­trä­ger Con­chi­ta Wurst, an des­sen Preis­lied sich kaum jemand erin­nern dürfte.

Heu­er befan­den sich unter den Kan­di­da­ten gleich zwei Künstler*:_Innen oder Küns­teln­de, die nach ihrer (bzw. der ihnen vom Manage­ment emp­foh­le­nen) Selbst­wahr­neh­mung als „non-binä­re” Per­so­nen durchs hete­ro­nor­ma­ti­ve Dasein irr­lich­tern. Oder flut­schen. Also fin­gie­ren, sie emp­fän­den sich weder als Männ­lein noch Weib­lein, was bekannt­lich in der woken Schi­cke­ria als eine Art Erleuch­tung und Aus­er­wählt­heits­kri­te­ri­um gilt. Mit einer gewis­sen Fol­ge­rich­tig­keit obsieg­te einer der bei­den auf lega­le Wei­se Imagegedopten.

Gewis­ser­ma­ßen kon­tras­tie­rend fand der Wett­be­werb in Euro­pas Inte­gra­ti­ons­hoch­burg und nörd­lichs­ter ara­bo­bi­nä­rer Metro­po­le Mal­mö statt, wo sich die Hl. Gre­ta an die Spit­ze derer stell­te, die schon seit je unter der Erd­er­wär­mung lei­den und nun befürch­ten müs­sen, dass auch ihr süd­schwe­di­sches Aus­weich- und Not­quar­tier bis zur Unbe­wohn­bar­keit auf­ge­heizt wird, wes­halb sie gegen die Ver­tre­te­rin der israe­li­schen Koh­len­di­oxid­schleu­dern pro­tes­tier­ten, sie übri­gens auch im Saal aus­buh­ten und ‑pfif­fen. From the River to the Sea Pal­es­ti­ne will CO2-free! (And at some point LGBTQ-free too.)

Na egal, bis dahin ist ja noch Zeit. Dass es beim ESC nicht um Musik geht – und wen die Pro­gres­sis­ten als ihren Wunsch­kan­di­da­ten und Dog­men­zer­trüm­me­rer han­del­ten –, war bereits im soge­nann­ten Vor­feld aus­ge­mach­te Sache.

Das Dog­ma der Intel­li­genz­ver­tei­lung ward eben­falls schwer erschüt­tert, sofern noch jemand glaubt, Jurys sei­en im Schnitt schlau­er als der Abstim­mungs­pö­bel daheim an den Fern­se­he­rin­nen. Das Gesamt­ergeb­nis, zusam­men­ge­rech­net aus den Stim­men der Jurys der ein­zel­nen Län­der sowie dem Tele­fon­vo­tum der Zuschau­er (m/w/D), sah so aus:

Ich war ver­blüfft, als von Anfang an bei den Jury-Urtei­len, als wäre es vor­her abge­spro­chen wor­den, die Schweiz tren­de­te, denn der Song des nicht­bi­nä­ren „Nemo” war an mir vor­bei­ge­rauscht, ohne den gerings­ten Ein­druck zu hin­ter­las­sen. Zu Beginn tren­de­ten außer­dem auch noch die Iren, die eine ande­re Form der Deka­denz bei­steu­er­ten, was einen Freund, des­sen Her­kunft ihn der deut­schen Sprach­dres­sur ent­zog, zu die­sem Tweet ver­an­lass­te (das mit dem non­bi­när hat er ent­we­der noch nicht rich­tig oder voll­kom­men verstanden):

Die Jurys der Län­der ver­teil­ten ihre Huld wie folgt (ich wäh­le die ers­ten sie­ben Plät­ze, damit die hüb­sche Ita­lie­ne­rin immer mit dabei ist):

1. Schweiz (365 Punkte)
2. Frank­reich (218 Punkte)
3. Kroa­ti­en (210 Punkte)
4. Ita­li­en (164 Punkte)
5. Ukrai­ne (146 Punkte)
6. Irland (142 Punkte)
7. Por­tu­gal (139 Punkte)

Das Publi­kum sah die Sache so:

1. Kroa­ti­en (337 Punkte)
2. Isra­el (323 Punkte)
3. Ukrai­ne (307 Punkte)
4. Frank­reich (227 Punkte)
5. Schweiz (226 Punkte)
6. Irland (136 Punkte)
7. Ita­li­en (104 Punkte)

Die Ukrai­ne muss vorn dabei sein, klar, das gebie­tet die Soli­da­ri­tät, und die Ohren kann man sich ja zuhal­ten. Der schöns­te und ein­zi­ge erha­be­ne Augen­blick des Abends trat indes ein, als die aus­ge­buh­te Israe­lin oder Israe­li­tin, deren Auf­tritt von den Jurys mit mage­ren 52 Punk­ten hono­riert wor­den war – ich neh­me an: zur ein­he­gen­den Unter­stüt­zung der bun­ten Pro­tes­tie­rer drau­ßen und drin­nen –, im Publi­kums­vo­tum 323 Punk­te erhielt und zwi­schen­zeit­lich von sehr weit hin­ten auf Platz eins schoss.

„Es ist nach­voll­zieh­bar, dass Jurys und Tele­vo­ter zu jeweils ande­ren Wer­tun­gen kom­men”, erklärt die Web­sei­te ESC kom­pakt. „Zum einen sit­zen in den Jurys meist Musiker*innen und Pro­du­cer, die oft einen ande­ren Blick auf die Songs haben. (…) Hin­zu kommt, dass sie im Vor­feld ihrer Bewer­tun­gen ange­hal­ten wer­den, ver­schie­de­ne Aspek­te der Bei­trä­ge und Auf­trit­te zu beach­ten und die­se in ihre Bewer­tung ein­flie­ßen zu las­sen. Zu die­sen Aspek­ten gehö­ren unter ande­rem die stimm­li­che Per­for­mance und die ‚Qua­li­tät’ der Lieder.”

Glau­be ich kei­ne Sekun­de. Davon abge­se­hen, dass die Teil­neh­mer der Tele­fon­ab­stim­mung eben­falls die „Qua­li­tät” der Lie­der „in ihre Bewer­tung ein­flie­ßen las­sen”, womög­lich sogar in stär­ke­rem Maße als die ver­meint­li­chen Pro­fis, davon abge­se­hen, sage ich, dürf­ten die Urteils­kri­te­ri­en der Jurys nahe­zu iden­tisch mit jenen der Woke­ness sein, denn sonst säßen die­se Leu­te ja gar nicht erst in gen­dern­den, euro­pa­weit ver­netz­ten Komi­tees – wobei ich von den Musen gehal­ten bin, anzu­mer­ken, dass dort kein ein­zi­ger Musi­ker saß, son­dern allen­falls ein paar Musikanten.

Wer sich den ESC anschaut, soll­te Zeit­geist erwar­ten und kei­ne Kunst. Unter die­ser Vor­aus­set­zung tritt auch ein gewis­ser Unter­hal­tungs­wert ein. Wäh­rend die Kroa­ten einen lus­ti­gen Radau ver­an­stal­te­ten und die Fin­nen dies­mal in punc­to Häss­lich­keit und exhi­bi­tio­nis­ti­scher Wider­wär­tig­keit jenen Platz ein­nah­men, der zuvor immer mal wie­der den Deut­schen vor­be­hal­ten schien, wur­de der nach mei­nem Geschmack ein­zi­ge halb­wegs anspruchs­vol­le Titel vom fran­zö­si­schen Kan­di­da­ten vorgetragen.

Als Jury­mit­glied hät­te ich jedoch klar für die rat­ten­scharf binä­re Öster­rei­che­rin votiert.

***

Appen­dix zum radi­kal­bi­nä­ren Muttertag.

Ich muss­te herz­lich lachen.

Hin­ab zu den Müttern!

 

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