Die Chronistenpflicht, aber auch Familienunterhaltungsobliegenheiten und ein solider rheinhessischer Riesling verführten mich gestern dazu, dem „Eurovision Song Contest” (ESC) bis zum bitteren Ende zu hospitieren. Obwohl die medialen Begleitbeschwafler das Gegenteil zu suggerieren suchten, dreht sich in diesem Wettbewerb fast alles um Politik, natürlich auch um Show, aber die Musik spielt kaum eine Rolle. Verglichen mit der Qualität der dort direkt und indirekt vorgetragenen Statements, an die man sich bisweilen erinnert, ist jene der Lieder, die man in der Regel sofort vergisst, jedenfalls zweitrangig; ich erinnere an den 2014 gegen die queerphoben Putinrussen in Stellung gebrachten und bis heute deshalb irgendwie bekannten kombinierten Bart- und Kleidträger Conchita Wurst, an dessen Preislied sich kaum jemand erinnern dürfte.
Heuer befanden sich unter den Kandidaten gleich zwei Künstler*:_Innen oder Künstelnde, die nach ihrer (bzw. der ihnen vom Management empfohlenen) Selbstwahrnehmung als „non-binäre” Personen durchs heteronormative Dasein irrlichtern. Oder flutschen. Also fingieren, sie empfänden sich weder als Männlein noch Weiblein, was bekanntlich in der woken Schickeria als eine Art Erleuchtung und Auserwähltheitskriterium gilt. Mit einer gewissen Folgerichtigkeit obsiegte einer der beiden auf legale Weise Imagegedopten.
Gewissermaßen kontrastierend fand der Wettbewerb in Europas Integrationshochburg und nördlichster arabobinärer Metropole Malmö statt, wo sich die Hl. Greta an die Spitze derer stellte, die schon seit je unter der Erderwärmung leiden und nun befürchten müssen, dass auch ihr südschwedisches Ausweich- und Notquartier bis zur Unbewohnbarkeit aufgeheizt wird, weshalb sie gegen die Vertreterin der israelischen Kohlendioxidschleudern protestierten, sie übrigens auch im Saal ausbuhten und ‑pfiffen. From the River to the Sea Palestine will CO2-free! (And at some point LGBTQ-free too.)
Na egal, bis dahin ist ja noch Zeit. Dass es beim ESC nicht um Musik geht – und wen die Progressisten als ihren Wunschkandidaten und Dogmenzertrümmerer handelten –, war bereits im sogenannten Vorfeld ausgemachte Sache.
Das Dogma der Intelligenzverteilung ward ebenfalls schwer erschüttert, sofern noch jemand glaubt, Jurys seien im Schnitt schlauer als der Abstimmungspöbel daheim an den Fernseherinnen. Das Gesamtergebnis, zusammengerechnet aus den Stimmen der Jurys der einzelnen Länder sowie dem Telefonvotum der Zuschauer (m/w/D), sah so aus:
Ich war verblüfft, als von Anfang an bei den Jury-Urteilen, als wäre es vorher abgesprochen worden, die Schweiz trendete, denn der Song des nichtbinären „Nemo” war an mir vorbeigerauscht, ohne den geringsten Eindruck zu hinterlassen. Zu Beginn trendeten außerdem auch noch die Iren, die eine andere Form der Dekadenz beisteuerten, was einen Freund, dessen Herkunft ihn der deutschen Sprachdressur entzog, zu diesem Tweet veranlasste (das mit dem nonbinär hat er entweder noch nicht richtig oder vollkommen verstanden):
Die Jurys der Länder verteilten ihre Huld wie folgt (ich wähle die ersten sieben Plätze, damit die hübsche Italienerin immer mit dabei ist):
1. Schweiz (365 Punkte)
2. Frankreich (218 Punkte)
3. Kroatien (210 Punkte)
4. Italien (164 Punkte)
5. Ukraine (146 Punkte)
6. Irland (142 Punkte)
7. Portugal (139 Punkte)
Das Publikum sah die Sache so:
1. Kroatien (337 Punkte)
2. Israel (323 Punkte)
3. Ukraine (307 Punkte)
4. Frankreich (227 Punkte)
5. Schweiz (226 Punkte)
6. Irland (136 Punkte)
7. Italien (104 Punkte)
Die Ukraine muss vorn dabei sein, klar, das gebietet die Solidarität, und die Ohren kann man sich ja zuhalten. Der schönste und einzige erhabene Augenblick des Abends trat indes ein, als die ausgebuhte Israelin oder Israelitin, deren Auftritt von den Jurys mit mageren 52 Punkten honoriert worden war – ich nehme an: zur einhegenden Unterstützung der bunten Protestierer draußen und drinnen –, im Publikumsvotum 323 Punkte erhielt und zwischenzeitlich von sehr weit hinten auf Platz eins schoss.
„Es ist nachvollziehbar, dass Jurys und Televoter zu jeweils anderen Wertungen kommen”, erklärt die Webseite ESC kompakt. „Zum einen sitzen in den Jurys meist Musiker*innen und Producer, die oft einen anderen Blick auf die Songs haben. (…) Hinzu kommt, dass sie im Vorfeld ihrer Bewertungen angehalten werden, verschiedene Aspekte der Beiträge und Auftritte zu beachten und diese in ihre Bewertung einfließen zu lassen. Zu diesen Aspekten gehören unter anderem die stimmliche Performance und die ‚Qualität’ der Lieder.”
Glaube ich keine Sekunde. Davon abgesehen, dass die Teilnehmer der Telefonabstimmung ebenfalls die „Qualität” der Lieder „in ihre Bewertung einfließen lassen”, womöglich sogar in stärkerem Maße als die vermeintlichen Profis, davon abgesehen, sage ich, dürften die Urteilskriterien der Jurys nahezu identisch mit jenen der Wokeness sein, denn sonst säßen diese Leute ja gar nicht erst in gendernden, europaweit vernetzten Komitees – wobei ich von den Musen gehalten bin, anzumerken, dass dort kein einziger Musiker saß, sondern allenfalls ein paar Musikanten.
Wer sich den ESC anschaut, sollte Zeitgeist erwarten und keine Kunst. Unter dieser Voraussetzung tritt auch ein gewisser Unterhaltungswert ein. Während die Kroaten einen lustigen Radau veranstalteten und die Finnen diesmal in puncto Hässlichkeit und exhibitionistischer Widerwärtigkeit jenen Platz einnahmen, der zuvor immer mal wieder den Deutschen vorbehalten schien, wurde der nach meinem Geschmack einzige halbwegs anspruchsvolle Titel vom französischen Kandidaten vorgetragen.
Als Jurymitglied hätte ich jedoch klar für die rattenscharf binäre Österreicherin votiert.
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Appendix zum radikalbinären Muttertag.
Ich musste herzlich lachen.
Hinab zu den Müttern!