17. April 2024

Neu­es Delikt: Illu­si­ons­ver­wei­ge­rung. Wird ähn­lich geahn­det wie Toleranzkraftzersetzung.

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Pla­kat in der Thea­ter­gar­de­ro­be im Schloss Albrechts­berg, Dres­den. (Wo sonst?)

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Kom­men ein zio­nis­ti­scher und ein anti­zio­nis­ti­scher Jude in eine Bar. Was sagt der Bar­kee­per zu den beiden?
„Wir bedie­nen kei­ne Juden!”

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Ges­tern ver­mel­de­te die Welt Erschütterndes.

„Frem­den­feind­li­che und rechts­extre­me Ten­den­zen neh­men in Thü­rin­gen laut einer aktu­el­len Befra­gung zu. 60 Pro­zent der Befrag­ten sei­en popu­lis­tisch ein­ge­stellt, anti­se­mi­ti­sche Ein­stel­lun­gen hin­ge­gen kaum verbreitet.”
Popu­lis­ten sind sel­ten Anti­se­mi­ten, das ist mir auch schon auf­ge­fal­len. Den Grund, war­um es in Thü­rin­gen weni­ger Anti­se­mi­tis­mus gibt als andern­orts in Best-ever-Land und inwie­weit das mit der „Frem­den­feind­lich­keit” dort­selbst zusam­men­hängt, müss­te nor­ma­ler­wei­se ein Poli­tik­stu­dent im ers­ten Semes­ter mühe­los her­un­ter­rat­tern, aber dann käme er ja kaum ins zwei­te. Also den­ken wir uns den Grund gemein­sam mit dem besag­ten Stu­dio­sus und wün­schen ihm viel Glück beim künf­ti­gen Auf-die-Zunge-beißen.
Eine Mehr­heit der Thü­rin­ger emp­fin­det sich also offen­bar als Popu­lus. Dem­nächst wer­den sie noch Ple­bis­zi­te fordern.
„Der Anstieg des Rechts­extre­mis­mus ist dem­nach aus­schließ­lich auf den gestie­ge­nen Eth­no­zen­tris­mus zurück­zu­füh­ren, den nun 41 Pro­zent der Thü­rin­ger tei­len. So erhiel­ten Aus­sa­gen zu einem star­ken Natio­nal­ge­fühl sowie frem­den­feind­li­che Aus­sa­gen 2023 höhe­re Zustim­mungs­wer­te. Den Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­harm­lo­sen­de, anti­se­mi­ti­sche und dik­ta­tur­be­für­wor­ten­de Ein­stel­lun­gen sind hin­ge­gen bei weni­ger als drei Pro­zent der Thü­rin­ger verbreitet.”
Die­sel­be Umfra­ge in jedem ande­ren Land der Erde – spe­zi­ell in jenen, aus denen die soge­nann­ten Flücht­lin­ge zu uns her­ein­schnei­en – wür­de erge­ben, dass die Thü­rin­ger prak­tisch die Lin­ken unter den Völ­kern sind.

„Für den von der Staats­kanz­lei in Auf­trag gege­be­nen ‚Thü­rin­gen-Moni­tor’ unter­sucht die Uni­ver­si­tät Jena seit dem Jahr 2000 jähr­lich die Ent­wick­lung der poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen zu Demo­kra­tie, Rechts­extre­mis­mus und Antisemitismus.”

Damit ist Objek­ti­vi­tät garan­tiert. Allein die Defi­ni­ti­on von „Popu­lis­mus” bestä­tigt das: „So stim­men unter ande­rem fast zwei Drit­tel der Befrag­ten der Aus­sa­ge zu, dass die ‚Herr­schen­den und Mäch­ti­gen in unse­rer Gesell­schaft gegen die Inter­es­sen der ein­fa­chen Bevöl­ke­rung’ handeln.”

Ist das zu glau­ben? Robert der Drei­ta­ge­bär­ti­ge, Anna­le­na v. Völ­ker-Recht, Mag­da Strack-Zim­mer­mann und Nan­ny Fae­ser-Paus sol­len gegen die Inter­es­sen der Bevöl­ke­rung han­deln, nur weil sie die deut­sche Wirt­schaft, die inne­re Sicher­heit, die bür­ger­li­chen Frei­hei­ten und die Kar­tof­feld­emo­gra­phie im Namen des Kli­mas, Black­rocks und der Schwan­ger­schafts­strei­fen von Tes­sa Gan­se­rer ein biss­chen schlei­fen – aus dem Schlief­fen­plan ist der Schlei­fungs­plan gewor­den –, aber ’schland nach fast acht­zig Jah­ren Erschlaf­fung wie­der kriegs­tüch­tig machen wollen?

Bald wird ’schland aber einen vor­de­ren Platz unter den Schwel­len­län­dern ein­neh­men. Die Let­ten wer­den die Esten sein!

(Bernd Zel­ler)

„85 Pro­zent glau­ben”, fah­ren die Popu­lis­mus­de­tek­to­ren fort, „dass sich die Poli­ti­ker immer dann einig sind, ‚wenn es dar­um geht, ihre Pri­vi­le­gi­en zu schützen’.”

In die­sem Fall machen mir eher die 15 Pro­zent Sorgen.

„Auch die migran­ten­feind­li­chen und anti­mus­li­mi­schen Ein­stel­lun­gen stie­gen nach einem Rück­gang in den Coro­na-Jah­ren. So äußern 59 Pro­zent der Befrag­ten, dass ‚die Bun­des­re­pu­blik durch die vie­len Aus­län­der in einem gefähr­li­chen Maße über­frem­det’ sei. Die Hälf­te meint, dass ‚die Aus­län­der nur hier­her­kom­men, um unse­ren Sozi­al­staat aus­zu­nut­zen’. Der deut­li­che Anstieg ent­spricht den Ergeb­nis­sen bun­des­wei­ter Untersuchungen.”

Eben. Die Migran­ten­feind­lich­keit ist kein Thü­rin­ger Spe­zi­fi­kum wie das Mett­bröt­chen, son­dern ergreift längst sogar man­ches Epi­zen­trum der Progressivität.

Wobei die meis­ten popu­lis­tisch ein­ge­stell­ten Thü­rin­ger wahr­schein­lich über­haupt kein Pro­blem damit hät­ten, wenn Migran­ten auf dem Gelän­de der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin unter­ge­bracht würden!

Die Stich­hal­tig­keit der Ansicht, dass vie­le der soge­nann­ten Flücht­lin­ge der Sozi­al­hil­fe wegen kämen, lie­ße sich am bes­ten expe­ri­men­tell durch eine Aus­set­zung der Zah­lun­gen veri- bzw. fal­si­fi­zie­ren. Viel­leicht soll­te mit dem Expe­ri­ment aber so lan­ge gewar­tet wer­den, bis die Bun­des­wehr ein­satz­fä­hig ist.

„Ins­ge­samt zeigt sich, dass die Thü­rin­ger Bür­ger mit dem gegen­wär­ti­gen Funk­tio­nie­ren der demo­kra­ti­schen Pra­xis unzu­frie­den sind. So ver­trau­en nur noch 17 Pro­zent der Befrag­ten der Bun­des­re­gie­rung und 30 Pro­zent der Lan­des­re­gie­rung. Die Demo­kra­tie als Staats­form wird aber wei­ter­hin von 88 Pro­zent unterstützt.”

Sie ver­ste­cken sich hin­ter der Demo­kra­tie, um den Staat zu dele­gi­ti­mie­ren. Haldenwang?

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Mit eben­falls erschüt­tern­den Neu­ig­kei­ten beschert die Zeit den Kaf­fee­kränz­chen ihrer Leser*innen (wie Tessa/w/d) den unent­behr­li­chen Kitzel.

Im Ent­wurf des neu­en Grund­satz­pro­gramms der Par­tei mit dem kryp­ti­schen C im Namen hat­te es gehei­ßen: „Mus­li­me, die unse­re Wer­te tei­len, gehö­ren zu Deutsch­land.” Dar­aus wur­de nun: „Mus­li­me sind Teil der reli­giö­sen Viel­falt Deutsch­lands und unse­rer Gesell­schaft.” Allein für den Zusatz „und unse­rer Gesell­schaft” möch­te man die Pro­gramm­kom­mis­si­on der Christ­lich Demo­kra­ti­schen Uni­on unse­rer Gesell­schaft knud­deln. Bereits an die­sem Pas­sus nahm der Vor­sit­zen­de des „Zen­tral­rats der Juden von heu­te” (Alex­an­der Wendt) Anstoß, vor allem aber an jenem Satz, der danach von den Ungläu­bi­gen ein­ge­fügt wur­de: „Ein Islam, der unse­re Wer­te nicht teilt und unse­re frei­heit­li­che Gesell­schaft ablehnt, gehört nicht zu Deutsch­land.” Damit wer­de eine ein­zel­ne Reli­gi­ons­grup­pe her­aus­ge­grif­fen, um sie „nega­tiv zu mar­kie­ren”, klag­te Mazy­ek. Die­se selek­ti­ve Vor­ge­hens­wei­se bedie­ne „anti­mus­li­mi­sche Res­sen­ti­ments und Ste­reo­ty­pen”. Ohne die CDU-Pro­gramm­kom­mis­si­on wüss­te sonst kaum jemand, dass in ’schland über­haupt Mos­lems leben.

Was jetzt, am Tag eins nach der Nega­tiv­mar­kie­rung, los­ge­hen wird, kann sich jeder aus­ma­len: Schän­dung von Moscheen, aggres­si­ve Grup­pen­ge­be­te von Chris­ten in der Öffent­lich­keit, Angrif­fe auf Ima­me wäh­rend des Got­tes­diens­tes, Grup­pen­ver­ge­wal­ti­gun­gen von Kopf­tuch­mäd­chen, Mes­ser­at­ta­cken auf Gebets­müt­zen­trä­ger, Tep­pich­dieb­stäh­le, ste­reo­ty­per Alkoholausschank.

Wie man sich indes ein Auf­tau­chen aus den „trü­ben Gewäs­sern”, in wel­chen die Uni­on  zu fischen ver­sucht, vor­zu­stel­len hat, illus­triert viel­leicht die­se Kurzpredigt.

Die Aus­sa­ge, dass der Islam zu Deutsch­land gehö­re, wird nur so lan­ge umstrit­ten sein, bis der umge­kehr­te Fall ein­ge­tre­ten ist, wofür zu beten uns allen obliegt. Dann ist auch Schluss mit Ste­reo­ty­pen und Ressentiments.

Die ein­zi­ge offe­ne Fra­ge nach der Her­stel­lung der oben beschrie­be­nen from­men Zustän­de lau­te­te: Wer baut dann die Hän­dis, die Autos, die Flug­zeu­ge, die Woh­nun­gen, die Kraftwerke?

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Leser ***, Jurist im Staats­dienst, ver­weist auf einen recht neu­en Para­gra­phen des Strafgesetzbuchs.

Er notiert dazu: „Fas­sung auf­grund des Geset­zes zur Ände­rung des Bun­des­zen­tral­re­gis­ter­ge­set­zes und des Straf­ge­setz­bu­ches vom 04.12.2022 (BGBl. I S. 2146), in Kraft getre­ten am 09.12.2022. Die­ser bis­her nicht ver­brei­te­te Erguß ist mir erst seit heu­te bekannt. Ist natür­lich gegen jede Form der Oppo­si­ti­on gegen die jeweils polit-medi­al aus­ge­ge­be­ne Ideo­lo­gie gerich­tet und als abso­lu­te Sili­kon-Vor­schrift end­los dehn­bar und dich­tet alle Fugen ab. Aller­dings besteht eine Schwach­stel­le, die eine Bume­rang-Wir­kung ent­fal­ten kann: Was ist, wenn die Jus­tiz bei der Anwen­dung – eigent­lich logisch zwin­gend – eine Par­tei als eine ‚durch ihre Welt­an­schau­ung defi­nier­te Grup­pe’ ein­stuft? Bis­her hat die Recht­spre­chung das bei § 130 StGB zu ver­mei­den gewußt. Dort ist die Welt­an­schau­ung als Merk­mal nicht ent­hal­ten. Viel­leicht hat man bei § 192a nicht hin­rei­chend auf­ge­paßt oder sich zu sicher gefühlt?”

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Unse­re Kli­ma­ner dre­hen wahr­lich durch.

Ich dan­ke Leser *** für die Zusendung.

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Das im Greifs­wal­der Dom zum Ruh­me Cas­par David Fried­richs zuge­sperr­te Fens­ter (Acta vom 14. April) nimmt Leser *** zum Anlass, auf einen ähn­li­chen, wenn auch weni­ger mono­chro­men Fall hin­zu­wei­sen; er schreibt: „Nach­dem der Kunst­kri­ti­ker vor gut 100 Jah­ren flugs die Fron­ten gewech­selt hat, näm­lich vom Lager des Betrach­ters ins Lager des Künst­lers, wur­de er vom Kri­ti­ker der Kunst zu deren Apo­lo­ge­ten. Kunst­kri­tik ist seit­her Auf­ga­be des Volks­mun­des und dies, indem er in Win­des­ei­le Spitz­na­men ver­gibt. Das Rich­ter­fens­ter im Hohen Dom zu Köln wur­de vom ers­ten Tag an ‚Lap­pen­clown in Aspik’ genannt. Prä­zi­ser geht es nicht.”

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In mei­ner Acta-Notiz vom 5. Juli 2018 wid­me­te ich mich mit allem gebo­te­nen Respekt der Rede, die Frank-Wal­ter Stein­mei­er zur Eröff­nung des Tho­mas-Mann-Hau­ses in Paci­fic Pali­sa­des gehal­ten hat­te, um unter ande­rem fest­zu­stel­len, dass zwar der Bun­des­prä­si­dent bzw. sein Reden­schrei­ber den „Zau­ber­berg” her­bei­zi­tier­ten, aber augen­schein­lich kei­ner von bei­den das Buch gele­sen hat. Sonst hät­ten sie nicht den Satz ver­zapft, Tho­mas Mann las­se in besag­tem Roman „das Auf­ge­klärt-Ratio­na­le des Settem­b­ri­ni und das Völ­kisch-Irra­tio­na­le des Naph­ta zum ima­gi­nä­ren Wett­streit um die ‚deut­sche See­le’ Hans Cas­torps antreten”.

Davon abge­se­hen, dass auch die Figur des Settem­b­ri­ni iro­nisch gebro­chen gezeich­net wird – der Ita­lie­ner ist ja ein Tugend­ter­ro­rist par excel­lence –, ist Leo Naph­ta unge­fähr so völ­kisch wie Trotz­ki oder Moham­med. Der im Kapi­tel „Noch jemand” ein­ge­führ­te neue Zau­ber­berg­gast ist ein von from­men gali­zi­schen Juden abstam­men­des und zum Katho­li­zis­mus kon­ver­tier­tes Mit­glied des Jesui­ten­or­dens. Naph­ta plä­diert für den revo­lu­tio­nä­ren „Ter­ror” und die Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats als Pur­ga­to­ri­um auf dem Weg zum urkom­mu­nis­tisch orga­ni­sier­ten Got­tes­staat. An Naph­tas welt­an­schau­li­cher Ein­ord­nung ist des­halb schon man­cher Inter­pret geschei­tert, aber um ihn „völ­kisch” zu nen­nen, bedarf es schon, neben gewal­ti­ger Lek­tür­elü­cken, eines veri­ta­blen Vergangenheitsbewältigungsdachschadens.

Gleich­wohl erschie­nen mir die Ansich­ten des scharf­zün­gi­gen Jesui­ten mit der blit­zen­den Bril­le bei der Lek­tü­re schon arg dis­pa­rat und kon­stru­iert. Das mag damit zusam­men­hän­gen, dass, wie ich damals schrieb, die­se Figur ein Gruß aus einer Zeit ist, als die Men­schen, um ein Bild Gómez Dávil­as zu gebrau­chen, noch auf dem Bahn­steig dar­über dis­ku­tier­ten, wohin die Rei­se gehen soll, wäh­rend alle heu­ti­gen Debat­ten nur noch Gesprä­che im sel­ben Zug sind. Naph­ta ist eine schil­lern­de, ja schril­le Figur. Aber das heißt ja nicht, dass es sich um eine unrea­lis­ti­sche Figur handelt.

In Eck­art Pete­richs groß­ar­ti­gem Ita­li­en­buch (Band 3, S. 352) stieß ich nun, im Kapi­tel über Lok­ris, auf die­sen Einschub.

Ich schlug im Lexi­kon nach und erfuhr, dass Tom­ma­so Cam­pa­nella der Autor des Buches „La cit­tà del Sole” ist (Civi­tas solis, „Die Son­nen­stadt”, auch: „Der Son­nen­staat”), geschrie­ben 1602, eine der wei­land gän­gi­gen Uto­pien – die namens­ge­ben­de des Tho­mas Morus war 1516 erschie­nen –, wel­che im Fal­le Cam­pa­nell­as lau­ter schein­ba­re Unver­ein­bar­kei­ten zusam­men­führ­te: die spa­ni­sche Uni­ver­sal­mon­ar­chie, den Katho­li­zis­mus, den Sozia­lis­mus bzw. Kom­mu­nis­mus und Pla­tons „Staat”. Cam­pa­nella ist ein Vor­läu­fer Rous­se­aus, er führt alle sozia­len Miss­stän­de auf das Pri­vat­ei­gen­tum zurück, wel­ches im Son­nen­staat fol­ge­rich­ti­ger­wei­se abge­schafft wird. Das Leben der Men­schen ist gemein­schaft­lich orga­ni­siert, das Kol­lek­tiv beherrscht sämt­li­che Lebens­be­rei­che, und es gibt auch eine Art frü­her Plan­wirt­schaft, an der sich die Pro­duk­ti­on der not­wen­di­gen Güter ori­en­tiert. Die Fami­lie als Insti­tu­ti­on und Quel­le des Pri­va­te­go­is­mus ist auf­ge­löst, die Kin­der wer­den kol­lek­tiv erzo­gen. Im „Son­nen­staat“ spielt das Indi­vi­du­um kei­ne Rol­le mehr; es muss sich, wie reich­lich andert­halb Jahr­hun­der­te spä­ter bei Rous­se­au, der volon­té générale unter­wer­fen. Wie spä­ter der fran­zö­si­sche Cha­rak­ter­lump stand auch der cha­rak­ter­lich weit stand­haf­te­re Ita­lie­ner vor dem Pro­blem, wer in einer sol­chen Gesell­schaft von Glei­chen regie­ren sol­le. Cam­pa­nella schweb­te so etwas wie ein Uni­ver­sal­papst­tum vor; im „Son­nen­staat“ herrscht eine pries­ter­ar­ti­ge Hierarchie.

Die Zuta­ten die­ses Welt­an­schau­ungs­cock­tails erin­nern durch­aus an Leo Naph­ta, und ich mein­te, dass Tho­mas Mann das Werk des ita­lie­ni­schen Domi­ni­ka­ners gewiss gekannt hat. Aller­dings fand ich sei­nen Namen nicht im Regis­ter des „Zauberberg”-Kommentarbandes der Gro­ßen Kom­men­tier­ten Frank­fur­ter Ausgabe.

Übri­gens: Dem Ober­haupt von Cam­pa­nell­as Ide­al­staat, „Son­ne” gehei­ßen, obliegt das letz­te Wort in allen Fra­gen des öffent­li­chen Lebens. Den­noch herrscht er nicht als Tyrann, denn er berät sich über alle Ent­schei­dun­gen mit den drei rang­höchs­ten Fürs­ten oder Wesi­ren Pon, Sin und Mor, die Tri­um­virn genannt. Sämt­li­che Belan­ge des öffent­li­chen Lebens sind unter die­sen drei­en auf­ge­teilt (bei Rous­se­au herrscht ein Komi­tee wei­ser Gesetz­ge­ber). Pon steht für Macht; er befiehlt das Mili­tär. Sin bedeu­tet Weis­heit; er steht den Wis­sen­schaf­ten vor. Mor steht für Lie­be; er regelt u. a. die Fort­pflan­zung der Bewohner.

Wie schnell die bei­den rea­len Tri­um­vi­ra­te im alten Rom zer­fie­len, war dem Son­nen­staats­träu­mer bekannt. Die Tri­as „Macht“, „Weis­heit“ und „Lie­be“ erin­nert an die Orwell­schen Minis­te­ri­en. Cam­pa­nella starb 1639 im Pari­ser Exil. Sein Grab fiel 1795 den Wir­ren der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on zum Opfer.

Mit­un­ter fres­sen die Revo­lu­tio­nen neben ihren Kin­dern auch die Grä­ber ihrer Ahnen.

 

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