Das Wort zum Sonntag.
„Findest Du es gut, verachtet zu sein?”, frug mich vergangene Woche ein Mitarbeiter der Schwefelpartei, ein gebildeter, studierter, sonst eigentlich eher zum Scherzen aufgelegter und den schönen Dingen des Lebens entschieden zugeneigter Zeitgenosse. Es lag Bitterkeit in seiner Stimme, sogar Gram. Intellektuelle können ja bestürzend dünnhäutig sein. Wer für die AfD arbeitet und sich zugleich in der Kulturszene (im weiten Sinne) bewegen möchte, muss sich im besten ’schland ever ein stabiles Incognito zulegen. Der besagte Herr achtet im Interesse seiner Lebenspartnerin penibel darauf, dass niemals bekannt wird, wo er seine Baguettes verdient, denn das würde sie in ihrem Job rasch isolieren. Gemeinsame Auftritte in Gesellschaft sind große Ausnahmen, weil die Gespräche früher oder später auf den Eiertanz des Und-was-machen-Sie-so-beruflich? hinauslaufen. Zartere Gemüter betrübt das. Und selbst dort, wo sie die Maske ablegen dürfen, werden sie in Mithaftung genommen für das, was die Rüpel und Harthirne dieses Vereins (auch die von außerhalb bezahlten) gelegentlich so posten oder anderweitig von sich geben oder was regierungsnahe sogenannte Recherchekollektive vermittels mulitmedialer Kampagnenverstärker ins Land lügen.
„Ich finde es scheiße”, sagte der Kollege, „wie sie uns behandeln. Man kann nirgendwo hingehen. Man muss sich überall verstellen.” Noch der größte Trottel, noch der schäbigste Opportunist, noch der letzte Kleinkriminelle könne sich als „Kämpfer” gegen „Rechts” aufspielen. Diese Stigmatisierung habe etwas Vorzivilisatorisches. „Was bilden sich diese Typen eigentlich ein, wer sie sind, dass sie so etwas mit unsereinem veranstalten können?”
So etwas zum Beispiel.
Dergleichen Exklusionsvollzugsmeldungen liest man im Wochentakt.
(Als ich dort Textchef war, hätte die Verwendung des Begriffes „Ikone” im außersakralen Zusammenhang zu einer Gefährderinnenansprache geführt.)
Man erfährt im Filmchen leider nicht, welche bleiche Maid mit diesem Kettchen zugleich Gesicht zeigt und von ihrem ablenkt. (Es sei die Schauspielerin Pheline Roggan, klärt mich Leser *** auf; möge das bekennerische Halseisen ihr die Mühen der Besetzungcouch ersparen.)
Egal, wo man hinschaut oder ‑leuchtet, irgendwo nimmt jemand in Kein-schöner-Land just in diesem Augenblick Haltung gegen die Schwefelpartei an oder setzt ein Zeichen gegen Rechts.
Die heute endende Leipziger Buchmesse stand ganz im Zeichen des individuellen Zeichensetzens. Wenngleich das gemeinsame Hochhalten bunter Pappschildchen in der Messestadt schon mal professioneller und koordinierter ablief. Aber das war ja auch im Freien.
Die gesamte Gesellschaft zieht bei der Vielfaltsvollstreckung mit: vom bayerischen Steuerhinterzieher und hessischen Kokainsachverständigen in der Bundesliga bis zu den Karnevalsvereinen, und ich will doch hoffen, dass auch die Kleintierzüchter, Philatelisten und Numismatiker sich nicht lumpen lassen. Die wochenlangen gutorganisierten Demonstrationen der grün-roten Gesellschaftsmitte nach der erschütternden Correctiv-Enthüllung einer Wannseekonferenz am Lehnitzsee mögen äußerlich effektvoller sein, doch was wären solche Großauftritte ohne die Mühen der Ebene gegen Rechts, ohne die zahlreichen Gaststättenverbote und Auftrittsboykotte, ohne die regelmäßige Verweigerung oder rechtzeitige Kündigung von Veranstaltungssälen, ohne die couragierten weltoffenen Hotels, die keinem Schwefelparteiler Unterschlupf gewähren – eine prominente AfD-Politikerin erklärte unlängst in kleiner Runde, dass von zehn Übernachtungsanfragen, die sie im besten ’schland ever in Auftrag gebe, ca. neun abgelehnt würden; das jeweils zehnte Hotel wird sich demnächst kritischen Fragen stellen müssen. Zum Beispiel angesichts der – obendrein schon vor sechs Jahren verkündeten – mutigen Entscheidung des Berliner Arbeiter-Samariter-Bunds, keine Erste-Hilfe-Kurse für AfD-Mitarbeiter abzuhalten.
„Findest Du es gut, verachtet zu sein?” Ich meine, in der Stimme des Fragers habe Gram gelegen. Kein Grimm? Nein, der Kollege fragte eher grämlich. Gram und Grimm sind übrigens etymologisch verwandt. Gram heißt das Schwert von Sigurd (Siegfried) in der Edda, und so viel Kummer diese Waffe zu bereiten vermochte, dürfte wohl doch der Grimm ihres Besitzers namensgebend gewesen sein. Irgendwann hat der Gram semantisch den Grimm verlassen und sich dem Kummer angenähert. Die heute noch gebräuchliche Formulierung „Bist du mir gram?” markiert gewissermaßen die halbe Wegstrecke. Als passender Begriff für diesen Zwischenaufenthalt käme der Groll in Betracht. Vom Gram über den Groll zurück zum Grimm – wäre das nicht ein passabler Weg?
„Findest Du es gut, verachtet zu sein?”, lautete die Frage, und sie ging an mich. Zunächst einmal: Viele dieser Leute verachten nicht, sondern haben bloß Angst. Sie genießen nicht das Privileg, bei einem Arbeitgeber beschäftig zu sein, bei dem man sie nicht denunzieren kann. Sie lassen sich gut deutsch von einigen Tausendschaften staatlich eingefetteter Propagandisten und Politkommissare in jedes Bockshorn jagen. Diese Dackel – ich weiß, liebe Dackelbesitzer, dass das charakterlich einwandfreie Tiere sind, ich wähle sie bloß als Metapher – würde ich bemitleiden, wenn sie mir nicht schnurz wären. Es sind Füllsel.
Verächtlich indes ist jener Typus Denunziant, Blockwart, Systemschranze, wie er in all seiner verklemmten und latent sadistischen Beflissenheit zuletzt in Gestalt eines Schuldirektors in Ribnitz-Damgarten in Erscheinung trat. In der „Ehemaligen” fand dieser Typus zwar keinen so fabelhaften Nährboden wie im spätbundesrepublikanischen „Kampf” gegen „Rechts”, doch es standen ihm dort ganz andere Mittel zur Verfügung resp. Repressionsorgane zur Seite. Alexander Wendt, aus der Zukunft stammend wie ich, hat dem ewigen Diederich Heßling eine exzellente, autobiographisch gefärbte Betrachtung zugeeignet.
Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob dieser Menschenschlag tatsächlich andere verachtet und nicht vielmehr tief in seinem Innern die eigene Schäbigkeit deutlich spürt.
Apropos „Ehemalige”: In dem oben verlinkten Filmchen zur Berlinale sagt die Mimin Heike Makatsch, dass sie die „Menschenkette für Demokratie” sehr gut und wichtig fand, sich aber leider nicht habe einreihen können: „Eigentlich wollte ich dabei sein, aber irgendwie habe ich sie nicht gefunden.” So entschuldigte man sich in der Zone übrigens, wenn man zur Demonstration am 1. Mai oder am Tag der DDR seinen Marschblock entweder tatsächlich nicht gefunden hatte oder renitent daheim geblieben war. Nur erklärte niemand nachträglich, er habe den Marschblock gut und wichtig gefunden.
Es steht noch die Frage im Raum, ob ich es gut finde, verachtet zu werden. Sie ist freilich falsch gestellt. Tatsächlich müsste es heißen, ob ich es gut finde, (bisweilen) gemieden, geschnitten, boykottiert, denunziert, in irgendwelchen online-Kloaken beleidigt zu werden. Ich glaube nämlich nicht, dass es auf der Seite der Meider, Schneider, Boykottierer, Denunzianten und Beleidiger auch nur einen gibt, der es mit meiner umgekehrten Verachtung aufnehmen könnte. Nicht eine Sekunde möchte ich im Kreise solcher Leute verbringen. Lieber befinde ich mich allein im schreiendsten Unrecht als auch nur in der Nähe dieser Meute feiler Sklavenseelen. Es ist nicht mehr nur eine Frage des Ekels. Es ist inzwischen auch eine Frage der ganz persönlichen, ganz individuellen Ehre.
Da capo: „Deine Haltung sehend, interessiert mich dein Ziel nicht.”
(Brecht, „Geschichten vom Herrn Keuner”)
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Ich kann aber jeden verstehen, der es nicht mehr erträgt.
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PS: Der zitierte Kollege sagt, ich hätte den vielleicht wichtigsten Punkt vergessen: Was ihn am meisten anwidere, sei die völlige Unfairness gegenüber der Schwefelpartei, der fehlende Sportsgeist, das ständige vorsätzliche Foulspiel.
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Wenn sich die Zivilgesellschaft im Ganzen aufführt, als sei sie von Goebbels instruiert worden, diesmal eben gegen „Rechts” zu kämpfen (was nicht ausreichend getan zu haben der Führer nach dem 20. Juli 1944 ja heftig bedauerte), ist es wenig erstaunlich, dass die Grünen in Thüringen ungefähr das fordern, was nach ihrer Darstellung eigentlich der Höcke tun will: die Errichtung eines autoritären Maßnahmestaates samt Beseitigung der Opposition unter pro forma-Wahrung des demokratischen Anscheins.
Da ein Regionalableger der Satrapen Washingtons nicht alles im Blick haben kann, sei noch Punkt elf nachgelegt.
Er meint, glaube ich, aber noch nicht den Bürgerkrieg.
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Zum Terror in Moskau nur so viel: Es war von Anfang an klar, welchem Weltteil dieser letztlich ja Bruderkrieg schaden, welchen Weltteil er schwächen wird. Dieser Anschlag war nur ein Vorgeschmack, auch für Westeuropa, wo das Personal für solche Aktionen, geborgen im großen Schwarm der Katrin Göring-Eckardt geschenkten Menschen, beschwingt einwandern durfte – und darf! Die sogenannten Eliten wird es eher nicht treffen; es sei denn, ihre Kinder verirren sich mal ins falsche Konzert/den falschen Klub, oder es erwischt doch mal wieder ein Flugzeug.
Man muss aber schon eine sehr spezielle Molluske sein, um aus dem Anschlag die Notwendigkeit für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine herzuleiten.
„Wenn man annimmt, dass ISIS den Zeitpunkt nicht zufällig gewählt, sondern gewartet hat, bis sich Russland möglichst weit mit dem Ukraine-Krieg selbst verbraucht hat und nicht zeitnah zurückschlagen kann, dürfte dann auch für Westeuropa und Deutschland bald der passende Augenblick gekommen sein, wenn nicht nur die Bundeswehr und der Staat im Eimer, sondern auch die Munitionslager möglichst leer sind”, spekuliert Danisch. „Wird noch lustig, wenn die dann in allen großen europäischen Ländern gleichzeitig losschlagen.”
Lieb’ Elter 2‑Land, magst ruhig sein.
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Es ist ein sonderbares Land: Leute, gegen die eigentlich ermittelt werden müsste, werden zu Ermittlern nobilitiert.
Die Merkel-Reihe ist sogar verfilmt worden (nein, geehrter Herr ***, ich werde darüber nichts schreiben).
Bernd Zeller hat es schon getan.
Was diese Bücher und der Film tatsächlich zum Ausdruck bringen, ist eine Mischung aus Infantilität und Untertanen-Gesinnung mit Hang zur Idolatrie, wie sie in der jüngeren deutschen Geschichte nicht ohne Tradition ist. Deutsch sein heißt, mit Freuden regiert zu werden – und am Ende aus allen Wolken zu fallen.
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Vorschlag für einen neuen, diesmal in Deutschland spielenden Superman-Comic: Hate-Man. Hate-Man trägt eine blaue Maske, eine Hundekrawatte und bezieht seine Superkräfte aus der illegalen Nutzung von Atomenergie. Er warnt Rechtspopulisten rechtzeitig vor Hausdurchsuchungen, versteckt die Wurfgeschosse von Antifanten, verwandelt den Leim von Klimaklebern in Erbrochenes und verbiegt die Trillerpfeifen von „Omas gegen rechts”, die er aber trotzdem sicher über die Straße geleitet. Hate-Man unterstützt zugleich die Polizei im Kampf gegen Gewaltverbrecher. Er macht Messer stumpf und hilft Frauen, Schwulen, Transen oder Juden, die versehentlich in die Party- und Eventszene geraten sind, unbeschadet heimzukommen. In seiner Freizeit bringt er Windräder zum Stehen. Sein großer Gegner ist Brandmauer-Man.
Die erste Folge spielt übrigens in Stuttgart.
Das war am Neckarstrom nie anders.
Aber jetzt ist es ein Fall für Hate-Man!
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Auf meine Besprechung von Mathias Brodkorbs Buch über den Verfassungschutz (Acta vom 21. März) folgten einige Reaktionen. Leserin *** nimmt den Text zum Anlass, mich auf die Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung hinzuweisen, wo sich ein Beitrag mit dem vom VS-Präsidenten Haldenwang und seiner Dienstherrin Nanny Faeser kreierten „Phänomenbereich Delegitimierung des Staates” beschäftigt, und zwar akklamierend. Konrad Adenauer, falls es jemandem entfallen ist, war Mitglied der CDU, und die nach ihm benannte Stiftung ist ein sogenannter Think Tank der Union. Der Text stammt allerdings von einem Gastbeiträger, Professor Stefan Goertz von der Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei.
Um zu illustrieren, was nach seinem Dafürhalten „extremistisch” sei und unter die genannte „Delegitimierung” falle, nennt er folgende Beispiele:
– „Einzelne Protagonisten der Querdenken-Bewegung haben im Kontext von Corona-Protesten sowie über Soziale Medien mittelbar zum Umsturz der bestehenden politischen Ordnung unseres Landes aufgerufen.”
Da wüsste ich doch gern, ob sie tatsächlich die politische Ordnung oder bloß den von der Regierung installierten samthandschuhbefreiten Pandemiestaat „umstürzen” wollten, der vorsätzlich Angst in der Bevölkerung schürte und dessen überzogene Maßnahmen inzwischen sogar im ZDF kritisiert werden.
– „Analogien zu Diktaturen, unter anderem zum Nationalsozialismus, werden immer wieder bewusst hergestellt, um der Bundesregierung, den Landesregierungen sowie der Exekutive die Legitimität abzusprechen.”
Zur Delegitimierung der Opposition sind sie aber erlaubt, erwünscht und deshalb Alltag.
– „Nationalsozialistische Verbrechen werden relativiert, indem die staatliche Corona-Impfkampagne mit der Verfolgung der Juden gleichgesetzt wird.”
Und wie verhält es sich mit Wannseekonferenz 2.0, „Nazis” im Bundestag und so?
– „Die deutsche Volkssouveränität wird agitatorisch verächtlich gemacht und angezweifelt.”
Der schreibt echt „Volkssouveränität”. Die komplette Bundesregierung zweifelt daran und schickt Leuten den Verfassungschutz auf den Hals, die dieses Wort im Munde führen. Es muss mindestens „Staatsvolkssouveränität” heißen!
– „Der Bundesrepublik Deutschland wird gezielt die Eigenschaft abgesprochen, ein Rechtsstaat zu sein (Prinzip der Gesetzesbindung).”
Das ist eine Delegitimierung, die auch ich mir in mein Kerbholz gravieren lassen muss. Das Land der Hausdurchsuchungen und Computerbeschlagnahmungen wegen Meinungsdelikten, der Politisierung der Polizei durch Faeser und die Grünen, der seit über einem Jahr ohne Gerichtsverhandlung einsitzenden bzw. auf ihre Anklage wartenden greisen Armbrustputschisten, von denen der erste jetzt verstorben ist, das Land der wie Wunden offengehaltenen Grenzen, in dem Hunderttausende ohne Aufenthaltstitel leben und zahlreiche Gewalttäter auf freiem Fuße sind, und eines von den Parteien gekaperten Bundesverfassungsgerichts, das der Regierung zur Rettung des globalen Klimas erlaubt hat, die Grundrechte der Bürger einzuschränken und auch sonst politisch auf Linie gebracht worden ist, ist kein Rechtsstaat mehr – und zwar nicht verglichen mit Venezuela oder Russland, sondern mit der Bundesrepublik vor zwanzig Jahren.
– „Rhetorisch und körperlich aggressiver Umgang mit Medienvertretern, Polizeibeamten und anderen Mitarbeitern der Verwaltung.”
Rhetorisch aggressiver Umgang mit Medienvertretern ist Delegitimierung des Staates – anders hätten Honecker und Mielke die Sache auch nicht gesehen. Aber schön, dass es ein staatsfinanzierter Polizeiprofessor mal so unverblümt ausspricht!
– „Das Verbreiten von antisemitischen Verschwörungserzählungen.”
Dafür sähe ich auch gern Exempel. Tatsächlich verhält es sich ja meistens so, dass jede Rede von der Macht der globalistischen Klasse von interessierter Seite stracks in eine „jüdische Weltverschwörung” umgedeutet wird – „Globalisten” sei ein rechtsextremes Codewort für Juden, erklärte unter anderem die Konrad-Adenauer-Stiftung –, womit sich eigentlich die Umdeuter als antisemitische Verschwörungserzähler zu erkennen geben (es sei denn, sie meinen, alle Globalisten seien Juden).
– „Aufrufe zur Ausübung von Gewalt gegen Andersdenkende.”
Antifa? Böhmermann? Die Forderung, Impfverweigerern die Beteiligung am öffentlichen Leben zu verwehren?
„Weil das Zuordnen der maßgeblichen Personenzusammenschlüsse und Einzelpersonen im Bereich Delegitimierung des Staates für die deutschen Verfassungsschutzbehörden in vielen Fällen weder zu einem bestehenden Beobachtungsobjekt von Extremismus noch zu einem der Phänomenbereiche von Extremismus ohne Einschränkungen möglich war, ist die Einrichtung des neuen Phänomenbereiches ‚Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates’ folgerichtig”, apportiert Professor Goertz sein Resümee.
Auf deutsch: Weil es bei einer Vielzahl von Regierungskritikern nicht möglich war, sie in einer der bislang im Bundesamt für Verfassungsschutz verwendeten Schubladen für verfassungsfeindliche Bestrebungen unterzubekommen, musste ein neues, möglichst schwammiges und umfassend anwendbares Kriterium gefunden werden, so wie es in jeder gut aufgeräumten Küche ja auch eine Schublade für all jene Utensilien gibt, die sich in die anderen nicht recht einsortieren lassen.
Der semantische Taschenspielertrick besteht darin, Staat und Regierung gleichzusetzen. So lässt sich Regierungskritik auf Wunsch in verfassungsfeindliche Delegitimierung des Staates verwandeln. Nun kann man der Opposition, deren Mission in der Kritik (i.e.: Delegitimierung) der Regierung besteht, unterstellen, sie verfolge das Ziel, den Staat und damit die verfassungsmäßige Ordnung zu beschädigen. In der DDR gab es keine Gewaltenteilung, Regierung und Staat waren eins. Im Kopf von Frau Faeser dürfte es sich ähnlich verhalten.
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Sowohl das Landesamt als auch das Bundesamt für Verfassungschutz haben die Partei Freie Sachsen als Verdachtsfall für verfassungsfeindliche rechtsextreme Bestrebungen eingestuft. Leser *** sandte mir nun ein Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden, welches, wenn ich’s recht google, kein Medium vermeldet hat, weshalb ich es als getreulicher Chronist hier festhalten will, zumal es jenen Befund über die Seriosität des Verfassungsschutzes bestätigt, den ich im oben genannten Eintrag referierte.
In der „Verwaltungsrechtssache der Freie Sachsen gegen den Freistaat Sachsen, vertreten durch das Landesamt für Verfassungsschutz, vertreten durch den Präsidenten”, entschied das Gericht am 12. März 2024:
Es ist derselbe Vorwurf, wie ihn das Bundesinnenministerium vor Gericht unter Berufung auf den Verfassungsschutz gegen das Institut für Staatspolitik erhoben hat (siehe Acta vom 21. März), und wieder erweist er sich als aus der Luft gegriffen und nicht belegt. Man versteht wieder ein bisschen mehr, warum die beiden im genannten Acta-Eintrag zitierten Extremismusforscher bzw. Verfassungsschutzversteher den Inlandsgeheimdienst der richterlichen Kontrolle wenigstens teilweise zu entziehen wünschen.
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Zum selben Thema.
„Die Rivalität von Politologen/Soziologen und Verfassungsjuristen” ist Leser *** „zuerst aufgefallen anhand der Tatsache, dass ‚rechtsradikal’ und ‚rechtsextrem’ sozialwissenschaftliche Begriffe sind und auf das Verfassungsrecht keine Rücksicht nehmen müssen – die seinerzeitige Sinus-Studie berief sich ausdrücklich darauf – und dass die Rechtextremismus-Definition des VS und vieler Gerichte von dem Soziologen Hans-Gerd Jaschke stammt, einem Frankfurter Schüler, der auch an eine Fachhochschule für öffentliche Verwaltung gegangen ist. Wie weit gab es da bewusste Unterwanderung, und wie weit wurde einfach eine Alterskohorte linker Sozialwissenschaftler von der öffentlichen Verwaltung ‚aufgesogen’?”
Na was denn sonst!
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„In Ihrem Text zum Deutschen Volk und der Volkszugehörigkeit verweisen Sie auf die in den Osten Ausgewanderten, die dann doch auch Deutsche seien (oder sind)”, schreibt Leser ***. „Sie sollten aber auch einmal einen Blick in den Westen werfen. Meines Wissens hat jeder das Anrecht auf einen deutschen Paß, ist somit (Volks?-)Deutscher, dessen Vorfahren als Deutsche 1914 in Deutschland gelebt haben. Nun ist Deutschland dank der glorreichen Feldzüge der letzten Politikergenerationen seit 1914 ziemlich geschrumpft und zwar nicht nur im Osten. Nach der Logik hat aber jeder Elsässer und Deutsch-Lothringer (das umfaßt die französischen Departements mit den Nummern 54, 57, 67 und 68) also das Anrecht auf einen deutschen Paß. Ob die den heute noch wollen, sei dahingestellt, da es sich mittlerweile in Ostfrankreich deutlich besser lebt als im Irrenhaus Europas. Aber das hat ja mit der Grundsätzlichkeit der Angelegenheit nichts zu tun. Ich gehe davon aus, für die ‚Belgier’ in Eupen-Malmedy gilt dasselbe.
Viele Grüße aus Französisch-Lothringen, direkt von der ehemaligen Grenze.”
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Um ethnische Herkunft geht es auch im folgenden Falle, freilich um die Tücken derselben.
Für meine Generation in der DDR – ich komme von diesem Ländchen heute nicht los – war die Amerikanerin Angela Davis das, was herren- oder textcheflose Journalist:*innen inzwischen eine „Ikone” nennen würden. Die Propaganda verkaufte uns die schwarze Kommunistin als Widerstandskämpferin gegen das imperialistische System der USA, und die Maid, die mit den Ostblock-Diktaturen weniger Probleme hatte als mit ihrem Heimat- oder Herkunftsland, schaute sogar persönlich in Erichs des Einzigen festumfriedeten Arbeiter- und Bauerngehege vorbei.
Als typische Linke und Angehörige der „Black Panther” gehörte Mrs. Davis zu den Wegbereitern der rassistischen Identity Politics. Nun, in ihrem 80. Lebensjahr, musste sie erfahren, dass sie nicht nur Weiße in ihrem Stammbaum hat, sondern dass einer ihrer Vorfahren ausgerechnet an Bord der „Mayflower” die Neue Welt erreichte.
(Quelle)
„Sie stammen von den 101 Menschen ab, die auf der Mayflower gesegelt sind“, wird der Direktor des Hutchins Center for African and African American Research an der Harvard University zitiert. Mehr noch, sie stamme sogar von Sklavenhaltern ab.
In den sozialen Medien wurde diskutiert, ob Davis nach einer gewissen Logik jetzt Wiedergutmachung an Schwarze zahlen sollte. „Das verdeutlicht anschaulich die Absurdität des Konzepts der Wiedergutmachung“, kommentiert jemand auf Twitter. „Ich denke, viele Menschen wären schockiert, wenn sie erfahren würden, von wem sie abstammen“, twitterte ein anderer.
Ausgenommen vielleicht der besonders eifrige Teil der bundesdeutschen Vergangenheitsbewältiger in der Alterskohorte 65 plus: Die wissen ganz genau, von wem sie abstammen.
PS: „Dass sehr viele Amerikaner ‚rassisch gemischte’ Vorfahren haben, ist nicht der Ausnahmefall, sondern normal”, weiß Leser ***. „Eine Gen-Studie aus dem Jahr 2015 zeigte anhand recht großer Samples, dass zum Beispiel Menschen, die sich als ’schwarze’ Amerikaner sehen, im Durchschnitt einen Gen-Anteil von ca. 73% afrikanischer Herkunft, 24% europäischer Herkunft und knapp 1% indianischer Herkunft in sich tragen. (‚The genetic ancestry of African Americans, Latinos, and European Americans across the United States’, in: ‚American Journal of Human Genetics’, 1/2015, by Katarzyna Bryc et al., siehe ‚Results’). Bei den sich selbst als ‚weiß’ bezeichnenden Probanden ist der Anteil afrikanischer Gene sehr viel niedriger, dafür vor allem in einigen südlichen und westlichen Staaten der indianische Genprozentsatz nicht unbeträchtlich.
***
Wir bleiben in Übersee, wechseln aber das Genre. Meine Frau und mein Jüngster waren gestern in der Met, gegeben wurde Puccinis „Turandot”, die Inszenierung prachtvoll und konventionell, in einem sagenhaften alten China spielend. Das Publikum ward vorgewarnt, cultural appropriation und so. (Die Chinesen eignen sich ja nie etwas an.)
Interessanterweise war das Publikum im Schnitt recht jung – die Metropolitan Opera ist mit knapp 4000 Plätzen übrigens fast doppelt so groß wie die Staatsoper München –, während die Musiktheater- oder Konzertbesucherschaft hierzulande bekanntlich überwiegend aus Senioren besteht. Seit Jahrzehnten erzählt man uns, der Sinn des sogenannten Regietheaters bestehe darin, das jüngere Publikum in die Opernhäuser zu „locken”. Anscheinend funktioniert es nicht besonders; stattdessen sitzen die Alten da und ertragen die meisten Inszenierungen bloß. Die Met ist dagegen bekannt für ihre unanstößigen Regiearbeiten.
Ein Schelm, der einen Zusammenhang konstruiert. Die meisten jungen Leute kamen bestimmt nur wegen der Triggerwarnung und der anschließenden Diskussionen in die Oper.
***
Zu meiner Frage, warum, wenn Bach „pure Mathematik” sei, niemand ganz mathematisch sein Werk fortgesetzt habe, verweisen zwei Leser auf Zeitgenossen, die tatsächlich im Stile des Thomaskantors „weiterkomponiert” haben. Der Bach-Interpret Rudolf Lutz aus St. Gallen verfasste als Auftragskomposition ein Konzert im Stile Bachs, das, wie Leser *** meint, „in seiner Komplexität und dem Melodienreichtum als ‚7. Brandenburgisches’ bezeichnet werden könnte, wenn es denn möglich wäre” (hier). „Natürlich fällt der Gesichtspunkt einer ‚mathematischen’ Kompositionsweise Bachs mangels Relevanz weg.” Noch komplexer und beeindruckender sind die dreißig Präludien und Fugen im Bach’schen Stil, die der französische Komponist Stéphane Delplace geschrieben und eingespielt hat (ich vermute, er spielt sie selbst). Auch hier mag Leser *** der Mathematik nicht das Feld überlassen: „Sie haben natürlich Recht: von einem ‚mathematisch Weiterkomponieren’ kann nicht die Rede sein. Dafür ist es zu unverschämt schön.”
Leser *** indes, Dr. math., beantwortet meine Frage mit der Feststellung: „Weil es auch in der Mathematik kein kanonisches Verfahren zur Entdeckung neuer, bis dato unbekannter Strukturen gibt.”
Das ist nun freilich ein sachtes Missverständnis. Selbstverständlich besteht eine enge und alles andere als ehrenrührige Verwandtschaft zwischen Musik und Mathematik, doch diejenigen, die behaupten, Bachs Musik sei Mathematik, meinen das in der Regel ja etwas abschätzig, im Sinne von „bloß” Mathematik. Sie wollen ausdrücken, diese Musik sei etwas nach festen Regeln Konstruiertes, Uninspiriertes, Mechanisches. Nur auf diese Leute zielte meine Bemerkung.
***
Das Wort zum Sonntag, Wiederaufnahme, Fortsetzung und Ende. Eine kurze Meditation über den Satz: Das beste Argument für die Religion sind Statements von Atheisten.
Es gab zu DDR-Zeiten (schon wieder!) eine Leipziger (!) Rockband mit dem infantilen Namen „Karussell”, von der ich mir irgendwann um 1980 ein Konzert in Berlin anhörte, weil zwei Mitglieder der Gruppe zuvor der von mir geschätzten und 1974 verbotenen Klaus-Renft-Combo angehört hatten. „Karussell” spielte damals einen Song, dessen letzte Strophe mir seit jenen Teenagertagen im Gedächtnis blieb.
Das Lied heißt „Das einzige Leben”, der Text geht so:
Und keiner der dazwischen war,
Das war der Mutter und der Mutter Mutter Brauch,
Und streng gescheitelt war ihr Haar.
Die zog sie auf, die zogen fort.
Der Mutter und Mutter Mutter Lohn:
Ein leeres Haus, ein leerer Hort.
Die man beim lieben Gott für später hat bestellt.
Bitte sei du mein Retter.
Sie sang: Oh Jesu Christ,
Komm zu mir.
So glücklich stehen wir selten da.
Sagt, warum tat diese Frau mir leid?
War ich betrübt wenn ich sie sah?
Die man beim lieben Gott für später hat bestellt.
Da sah man sich betroffen an,
Weil man aus einem Leben nur allein
Doch nicht so fröhlich scheiden kann.
Weil man aus einem Leben nur allein
Doch nicht so fröhlich scheiden kann.