„‚Liberalisierung des Islam’, spottete Naphta. ‚Vorzüglich. Der aufgeklärte Fanatismus, – sehr gut.’ ”
„Der Zauberberg”, Kapitel „Noch jemand”
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Ich erlaube mir, vorzustellen: Toxische Männlichkeit, das ist der Achim. Er hat irgendwas mit Naturwissenschaften oder Technik studiert und glaubt nun, er sei etwas Besseres als zum Beispiel eine Sozialpsychologin. Er war sauer, dass er einen Job nicht bekam, weil ihm eine Bewerberin, die er für weniger qualifiziert als sich selbst hielt, wegen ihrer weiblichen Kompetenzen vorgezogen wurde. In der Kantine lächelt er die Katrin immer lüstern an und macht ihr sexistische Komplimente über ihr Äußeres. Er träumt davon, ihr obendrein zwei Kinder zu machen, um sich zum Patriarchen zu erhöhen und sie zur Mutter und Hausfrau zu erniedrigen, weiß allerdings nicht, ob er sich das bei der Steuerbelastung und den Energiekosten überhaupt leisten könnte.
Verträgliche, unsere Kultur bereichernde Männlichkeit, das ist der Achmed. Er hat nichts studiert, aber gelegentlich im Heiligen Koran gelesen und weiß nun, er ist etwas Besseres. Er kam mit seinen zwei Frauen und sechs Kindern aus Syrien nach Deutschland und bezieht seither Sozialhilfe von Allah, gehört also zu jenen speziell von Frau Göring-Eckardt gebrauchten Einwanderern, „die sich in unseren Sozialsystemen wohlfühlen”. Achmed behandelt seine Frauen gut, sofern sie parieren; sie dürfen auch – einzeln, in seiner Begleitung und züchtig bedeckt – das Haus verlassen. Er träumt davon, ihnen noch weitere sechs Kinder zu machen, die ebenfalls von Allah bzw. Achim bezahlt und von Frau Göring-Eckardt gebraucht werden.
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Deutscher Spätherbst.
Nach den propalästinensisch-islamischen Aufmärschen Friedensdemonstrationen in mehreren deutschen Großstädten …
… lieferte das Auswärtsspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Türkei im Berliner Olympiastadion dem Bundesamt für Verfassungsschutz und seiner Dienstherrin Nanny F. den nächsten Anlass, entschieden gegen die Verbreiter der rechtsextremistischen Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch” bzw. der „Umvolkung” vorzugehen.
Die Frau, die dem grünen Freundschaftsspielgast diese Frage stellt, ist dessen Sitznachbarin im Berliner Olympiastadion: „Die Dame hat zwei türkische Fahnen. Mit der einen wedelt sie in der Hand, die andere hat sie über ihr Kopftuch geklemmt.”
Gevatter Mack, ein ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter der Guten & Edlen, der inzwischen für Mercedes lobbyiert, die beliebteste deutsche Automarke im arabischen Raum by the way, versteht die Frage nicht. Fingiert er zumindest. Denn: „Es gibt keinen Grund, sich für unsere Staatssymbole zu schämen. (…) Die freiheitlich-demokratische Grundordnung soll sichtbar sein über Symbole, und sie soll von der Polizei und Justiz durchgesetzt werden.” Besser als mit der Aussage, „dass sich Glück nur dann entfalten kann, wenn Einigkeit und Recht und Freiheit garantiert sind”, könne man „den Rahmen nicht beschreiben, den wir für Integration wie Rechtsstaatlichkeit brauchen”.
Ob er diese Worte nur für seinen Kommentar geschrieben oder auch im Stadion den Türken gepredigt hat, bleibt offen.
Bekanntlich ist die deutsche National-, nein: Die Mannschaft im Olympiastadion vom türkischen Publikum ausgepfiffen worden, als fände die Partie in Istanbul statt und nicht in Klein-Istanbul. Auch der deutsche Spielmacher Ilkay Gündogan (einer meiner Lieblingskicker übrigens, die nahezu perfekte Kombination aus Spielintelligenz und Pressingresistenz) wurde mit einem sogenannten Pfeifkonzert empfangen, weil er für die falsche Mannschaft – also für die falsche Nation – auflief und deshalb vom pfeifenden Teil des Publikums als Verräter bzw., Einschub für Robert den Dreitagebärtigen, als Vaterlandsverräter betrachtet wird. Die meisten in Deutschland lebenden Türken halten eben die Türkei nach wie vor für ihre Heimat (Heymat), und über 60 Prozent von ihnen – genauer: der Wahlberechtigten unter ihnen – stimmen für Erdoğan. Wir erinnern uns: Für Recep den Prächtigen haben auf symbolischer Ebene auch die beiden deutschen Nationalspieler Mesut Özil und eben Gündoğan votiert, als sie vor der Weltmeisterschaft 2018 den türkischen Staatspräsidenten in London trafen, ihm Trikots ihrer Vereine FC Arsenal und Manchester City überreichten und sich dabei medienwirksam ablichten ließen. Auf Gündoğans Trikot stand: ‚Mit Respekt für meinen Präsidenten.’ Bündiger hätte niemand den ganzen deutschen Integrationsklimbim zerlegen können. Wir sind Türken, taten die beiden Kicker kund, obwohl wir einen deutschen Pass haben und für die deutsche Nationalmannschaft spielen.
Özil spielt inzwischen nicht mehr, er hat seine andymöllerhafte Sensibelchenkarriere mit allerlei Diskriminierungsknatsch und Rassismusnachtreterei beendet – die deutschen Fans hatten aber kein Problem mit ihm, weil er ein Türke, sondern weil er eine Mimose war –, weshalb ihm seine Landsleute nachträglich das karrieredienliche Tragen des falschen Trikots verziehen haben. Nicht so bei Gündoğan. „Er ist ein Opfer. Er war mal so wie Mesut Özil, für Herrn Erdogan. Wir hassen ihn alle. Er ist keiner mehr von uns”, erklärte die bekopftuchte Sitznachbarin dem Welt-Gastautor.
Ich zitiere den gesamten Schlussteil des Artikels (er steht hinter der Bezahlschranke): „Es ist die Folge jahrzehntelanger deutscher Naivität – vor allem im Umgang mit Religionsvertretungen, die Hunderte Imame in deutschen Moscheen stellen und der türkischen Religionsbehörde unterstellt sind. Die Ditib ist eine Organisation, die antisemitische Narrative verbreitet und einem Taliban-Funktionär einen Auftritt in einer Moschee ermöglichte. Wie lange wollen wir noch dabei zuschauen? Wann stoppen wir die öffentliche Förderung der rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung? Wann setzen wir ein Verbot der Grauen Wölfe um?
Der Mann in der Reihe vor mir dreht sich um. Ich solle, sagt er, mir Gedanken machen, auf welcher Seite ich stehe, wenn man bald in der Mehrheit sei. ‚Mit all den anderen’.
Wir haben in Deutschland ein Problem. Nicht nur auf dem Platz.”
Ich halte es für naiv zu glauben, man müsse nur ein paar radikale Organisationen verbieten, und schon herrsche Willkommensfriede, Integrationsfreude und Deutschwerdungseierkuchen. Es bedarf überhaupt keiner Radikalen, um dem in ’schland siedelnden Durchschnittstürken ein türkisches Bewusstsein zu verschaffen. Der Aufbruch in die Illusion der „multikulturellen” Gesellschaft endet für gewöhnlich in der Einsicht in deren Unmöglichkeit. „Alles ist nach seiner Art, an ihr wirst du nichts ändern” (zum wiederholten Male: Wotan, „Siegfried”, Zweiter Aufzug, Erste Szene).
Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Wenn die Umvolkung vollzogen ist, lässt die Stasi diejenigen in Ruhe, die es behaupten. Zumindest diejenigen, die dann die Mehrheit bilden.
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Wenn alles glatt geht, befindet sich die Hamas-Zentrale bald in ’schland.
„Bei Sicherheitsbehörden, die beim sogenannten Visa-Konsultationsverfahren eingebunden sind, besteht die große Sorge, dass unter dem Deckmantel des Familiennachzuges auch Hamas-Terroristen nach Deutschland gelangen könnten”, notiert Bild.
Dann sind se halt da.
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Hetzer.
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Eine Hochbegabtenstiftung zur Stählung künftiger Friedensnobelpreisträger, genannt Junge Union, hat herausgefunden, wohin die migrationspolitische Reise zu führen hat.
Es ist eine jener Ideen, die in den sogenannten besseren Wohngegenden geboren werden. Mit dem iranischen Arzt, dem ägptischen Geschäftsmann und dem syrischen Maler lässt es sich im durchmischten Gründerzeitaltbau prima leben (sofern man ihre Frauen in Ruhe lässt). In den Unterschichten läuft Durchmischung fast immer auf Verteilungskonflikte und Revierkämpfe entlang ethnisch-kultureller Bruchlinien hinaus. Irgendwer muss die Rolle des Omega-Tieres übernehmen und die Last des Untergetretenwerdens tragen. Dass in ihr die Kriminalität gedeiht und das Solidarische verdampft, ist geradezu das Markenzeichen einer multikulturellen Gesellschaft – die Binnensolidarität in den jeweiligen Tribes natürlich ausgenommen.
Deshalb bin ich der Ansicht, dass nicht der Vermischung, sondern der Entmischung die Zukunft gehört. (Außer in der besseren Gesellschaft, dort darf sich weiterhin fröhlich hineinmischen, wer zu den exklusiveren Zirkeln überhaupt Zutritt erhält.) Wie bei Paaren, die es partout nicht miteinander aushalten, eine Scheidung die beste Lösung – für beide – ist, allein schon, damit nicht der eine den anderen irgendwann im Affekt umbringt, ist auch bei Kollektiven, die es nicht zusammen aushalten, weil sie zu verschiedene Vorstellungen des richtigen Lebens haben, eine räumliche Trennung der beste und recht eigentlich der einzige Weg. Von mir aus – ich bitte um Pardon dafür, dass ich mich wiederhole – können die Moslems NRW, Bremen und Berlin haben. Mauern drum, Berlin kennt das ja, den Aachener Dom abbauen und nach München bringen, das auch zwischenzeitlich die neue Hauptstadt wird, fertig. Ich sage zwischenzeitlich, weil die Kapitale der neuen Südunion aus Bayern, Sachsen, Österreich, Ungarn und mal sehen, wer sich noch anschließen will, natürlich Wien heißen muss. Selbstverständlich kann sich jeder Muslim auch entscheiden, woanders zu leben, aber dann eben nach den Sitten derer, die es dort schon länger tun – sonst halt ab ins Kalifat NRW. Deal?
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„Ja, sogar die mittelhohen Stellen
Sind durchaus besetzt mit Kriminellen.”
Peter Hacks
Der so redet, ist ein fernab der Problemgebiete lebender grüner Pfaffe, kinderlos, zukunftslos, zukunftsinteresselos, in seiner Selbstwahrnehmung Wirtschaftsexperte.
Schaun wir auf ca. 50.000 Paradebeispiele unfalscher Benötigter aus dem vergangenen Jahr.
Auch die Nutzmenschen von Rotherham lassen schön grüßen:
„Alle nach Deutschland Zugewanderten werden hier benötigt” – zumal jedes Jahr an die 200.000 unbenötigte Deutsche auswandern, denen es „zu bunt” wird in ihrer ehemaligen Heimat. So spricht ein grüner Pfaffe, gewiss, und offenbar mit dem Gemüt eines Metzgerhundes.
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Professor Michael Meyen, 56, lehrt seit 2002 an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Der gebürtige Rügener ist verbeamteter Lehrstuhlinhaber am Institut für Kommunikationswissenschaften. In den Corona-Jahren hatte er sich mehrfach kritisch über die Maßnahmen der Regierung und die Konformität der journalistischen Berichterstattung geäußert. An dem vorlauten Kommunikationswissenschaftler soll deshalb ein Exempel statuiert werden.
Momentan liegt der „Fall“ Meyen bei der Disziplinarbehörde der Landesanwaltschaft Bayern. Wie er dorthin kam, darüber existieren Mutmaßungen sowie eine Auskunft der Landesregierung. Die Landesanwaltschaft sei von der Universität „über den Verdacht auf das Vorliegen eines Dienstvergehens informiert und um Prüfung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gebeten“ worden, heißt es in der Antwort von Kulturstaatsminister Markus Blume auf eine Kleine Anfrage der AfD im Oktober. Die Schwefelpartei wollte wissen, ob es politischen Einfluss auf die Einleitung des Verfahrens gegeben habe. „Das Präsidium der Universität“, heißt es in dem Antwortschreiben, habe das Ministerium telefonisch über „die Übergabe des Vorgangs an die Landesanwaltschaft informiert.“ Das soll heißen, die Universität sei von selbst tätig geworden und nicht auf Anweisung „von oben”. Für einen aus der „Ehemaligen” Hereingeschneiten ist diese Behauptung wirklich komisch.
Alle weiteren Fragen der Opposition wehrte die Landesregierung mit der Begründung ab, über laufende Verfahren könne keine Auskunft erteilt werden. Auch die leicht zu beantwortende Erkundigung, ob es Vorwürfe gegen Meyen gebe, die auf Äußerungen im Rahmen seiner Lehrtätigkeit beruhten, blieb unbeantwortet.
Disziplinarverfahren gegen Beamte sind „zügig” einzuleiten und „zügig” zu führen (so das Bundesverwaltungsgericht 2018). Das Verfahren gegen Meyen läuft nun schon seit Mai. Dabei wären die drei Vorwürfe, die man ihm macht, tatsächlich zügig zu klären. In zwei Fällen handelt es sich um Werbung für die Kleinstzeitschrift „Demokratischer Widerstand“, die sich vor allem der Kritik an der Corona-Politik widmet und vom Verfassungsschutz dem „Phänomenbereich verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zugeordnet wird. Für eine kurze Zeit führte sie den Professor – nach dessen Auskunft ohne sein Wissen – als Herausgeber. Als solche firmierten dort allerdings auch der Philosoph Giorgio Agamben und der Pink-Floyd-Sänger Roger Waters, ebenfalls ohne ihr Wissen; das Blättchen scheint recht originell zu sein. Da Meyen in zwei Ausgaben als Herausgeber stand, machte die Landesanwaltschaft zwei Fälle daraus. Der dritte Vorwurf bezieht sich auf eine Spende, die der Professor 2019 an den linksradikalen, aber legalen Verein „Rote Hilfe“ überwiesen haben soll, für den unter anderen Kevin Kühnert trommelte.
CSU-Staatsminister Blume hat den Casus Meyen mit einer durchaus suggestiven Formulierung kommentiert: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Ob denn die Staatsregierung der Ansicht sei, dass der Professor mit seiner Kritik an den staatlichen Coronamaßnahmen die „Treue zur Verfassung“ gebrochen habe, wollte die AfD wissen. Antwort: Die „suggestive Formulierung“ dieser Frage unterstelle „eine spezifische Wertung“ der Aussage Blumes, welche die Staatsregierung zurückweise. Auch das zeugt von einem gewissen rumänischen Humor.
Wie immer in solchen Fällen hatten Vertreter der Gesinnungspresse die Anklageschrift verfasst. Zeit Campus titelte: „Ein Professor driftet ab“ und schob in der Unterzeile – man kennt dort offenbar das Grundgesetz nicht – die Frage nach: „Warum darf er noch lehren?“ Der Süddeutsche Beobachter überschrieb einen Artikel mit: „Professor Meyen wird ein Fall für den Verfassungsschutz”. In keinem der Artikel fand sich ein Beleg dafür, dass der Angeschuldigte etwas gesagt oder getan hat, was im Widerspruch zur Bayerischen Landesverfassung steht.
Der gewünschte Effekt ist gleichwohl eingetreten. Meyen sieht sich heute „im Kollegenkreis isoliert“, und der Forschungsverbund „Das mediale Erbe der DDR“, dessen Sprecher er war, hat sich öffentlich von ihm distanziert. Die Begründung der Erkunder des medialen DDR-Erbes bezeugt tiefe Vertrautheit mit der Materie: Meyen sei „mit Äußerungen aufgetreten, die wir für problematisch halten“, so habe er zum Beispiel „dem Staat unterstellt, Medieninhalte systematisch zu steuern und abweichende Meinungen zu unterdrücken“. Meyen, der in der DDR aufgewachsen ist und in Leipzig Journalismus studiert hat, fühlt sich skandalöserweise an die damalige Zeit erinnert – ein weiterer Anklagepunkt gegen ihn. So geht Dialektik, Genossen, sogar heute noch!
Zeit gewonnen, alles gewonnen: Das ist die Maxime der Herrschenden keineswegs nur im Fall Meyen. Auch im Fall Ballweg. Womöglich auch im Falle der meisten Beteiligten des Senioren- und Armbrustschützen-Staatsstreichs, den die Staatsmacht vor einem Jahr und live übertragen niederwarf. Es geht darum, ein Verfahren, das, was den Münchner Professor betrifft, auf offenkundig haltlosen Vorwürfen gründet, möglichst lange schweben zu lassen, um die schiere Dauer des Verdachts in eine mit jedem Tag nachhaltigere Rufschädigung umzumünzen. Ist der Ruf ruiniert, kann das Verfahren eingestellt werden.
Dieses etwas ausführliche Präludium soll nur überleiten auf ein Interview, das der Frevler, den offenbar nichts mehr schreckt, der Sezession gegeben hat. Hier beschreibt er vortrefflich die Mechanismen, mit denen eine staatlich gelenkte und finanzierte sogenannte Zivilgesellschaft Abweichler diskriminiert, stigmatisiert, cancelt und in ihre Rattenlöcher bzw. medialen Nischen treibt, ohne ihnen, in den meisten Fällen, ein Haar zu krümmen:
„Cancel Culture geht von den Leitmedien aus und von den Institutionen, die der Parteienstaat genau für diesen Zweck geschaffen hat. Sie stützt sich auf ein intellektuelles Prekariat, das um bezahlte Posten in Redaktionen, Universitäten und NGOs buhlt, und auf eine Regierungspropaganda, die so tut, als ob Gleichberechtigung, Umweltschutz oder Antirassismus Avantgarde-Themen wären, entdeckt von wenigen Aufgeklärten, durchzusetzen gegen eine Mehrheit der Ewiggestrigen.
Heute geht nichts ohne öffentliche Zustimmung. Ich brauche positive Berichte in den Leitmedien oder wenigstens keine negativen. Das ist der Hebel, den jede Cancel Culture nutzt. Niemand interessiert sich für irgendeinen Studenten, für eine kleine Demo oder einen namenlosen Twitter-Nutzer, der irgendwen oder irgendwas nicht mag. Aber jeder hat Angst davor, daß ein Journalist daraus eine Geschichte macht und einen an den Pranger stellt. Oft rufen die Journalisten auch von sich aus an oder werden dazu von irgendwoher gedrängt, ganz ohne jeden Protest.
Die Angst vor öffentlicher Bloßstellung und Isolation führt dazu, daß man sich distanziert und Säle kündigt, Konten, Buchverträge. Letztlich reicht ein einziger Artikel, weil Wikipedia die Leitmedien als seriöse Quelle einstuft und bei Google ganz oben steht. Wenn ich jemanden einladen will und dort nachschaue, dann weiß ich, was mich erwartet. (…)
Wir haben inzwischen eine Hochschulquote von fast 55 Prozent. Das heißt: Jeder zweite junge Mensch studiert. In den 1980ern war das nur jeder fünfte. Ich habe keine Zahlen zu Spitzenpositionen gefunden, vermute aber, daß sich die Vermehrung da in Grenzen hält. Man muß sich ja nur umschauen in den angesagten Großstadtvierteln. Man sieht dort Menschen, die oft keinen festen Job haben und gar nicht sehr viel Geld, immer auf dem Sprung zwischen zwei Aufträgen oder zwei Projekten. Menschen, die unter sich bleiben und ins Bodenlose fallen würden, wenn sie plötzlich von ihrer Hände Arbeit leben müßten oder gar ihr Digitalprofil verlieren würden.
Der Staat ist hier inzwischen die erste Anlaufstelle, wenn es ums Geldverdienen geht. (…)
Man kann weiter glauben, kritisch zu sein und für Gerechtigkeit zu kämpfen, obwohl man objektiv die Interessen von Konzernen bedient und hilft, die soziale Kluft zu vergrößern. Selbst der Begriff Cancel Culture wird ja verdreht und zu einem Machtmittel der alten Eliten erklärt, die einfach nicht begreifen wollen, daß ihre Zeit vorbei ist und jetzt endlich auch die mitreden können, die früher keiner hören wollte.
Das ist besonders perfide, weil es jede Debatte blockiert und verschleiert, daß Cancel Culture auf alles zielt, was die hegemonialen Narrative herausfordert und trotzdem durch die Fangnetze der Digitalzensur flutscht – weil es nicht im Internet spielt oder zu klein ist für die großen Dogmen. Cancel Culture reinigt das Gedächtnis der Gesellschaft im Sinne der Macht. Sie geht von denen aus, die gerade die Deutungshoheit haben. Deshalb ist sie nur von denen zu sehen, die nicht dazugehören.”
(Das ganze Interview hier.)
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Nach meinen Erweiterungsvorschlägen zum „Palliativökonomie”-Bonmot Peter Sloterdijks (Acta vom 17.) weist mich Freund *** darauf hin, dass der Philosoph Byung-Chul Han 2020 ein Buch des Titels „Palliativgesellschaft” veröffentlich hat, womit alle meine Vorschläge also längst eingemeindet wären.
Leser *** indes fragt: „Ist die Bezeichnung ‚Palliativökonomie’ denn noch zutreffend oder müßte man nicht schon von ‚ökonomischer Euthanasie’, ‚aktiver ökonomischer Sterbehilfe’ oder gar von einer ‚Ökonomie der verbrannten Erde’ sprechen?”