Schöner Neologismus im soeben veröffentlichten Tagebuch-Band von Peter Sloterdijk – es geht um notorische Schuldenstaaten –: „Palliativökonomie” (13. Juli 2015). Erheblich erweiterbar: Palliativsoziologie. Palliativgermanistik. Palliativgeschichtsschreibung („Weiße Verbrechenslehre”). Palliativgräzistik. Palliativethnologie. Für den Einsatz in Schwerpunktschulen werden künftig Expert:_*Innen für Palliativpädagogik ausgebildet. Und nicht zu vergessen: Palliativjournalismus.
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Die Grenzen des Sagbaren werden im besten Deutschland, das es je gab, fast so rigide, ja zähnefletschend bewacht wie die Landesgrenzen des zweitbesten Deutschlands, das es auch einmal gab – auf jeden Fall aber weit entschiedener als jene, die das allerbeste Deutschland vom partizipationswilligen Rest der grundgesetzgeschützten Welt allahlob nicht mehr geographisch trennen.
Gevatter Precht, der „André Rieu der Philosophie” (schon wieder Sloterdijk), spricht gern und viel und diesmal über die Frage, was in Deutschland eigentlich „Identität stiftet“, was die „Leiterzählung“ dieses bekanntlich leitkultur- und leitideelosen Ländchens sei. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei es das „Wohlstandsversprechen“ gewesen, sagte Precht, um dann hinzuzufügen: „In Deutschland hat der Mercedes-Stern das Hakenkreuz ersetzt.“
„Das war die Formulierung, die nicht wenige im ausverkauften Plenum zusammenzucken ließ”, meldet das Hamburger Abendblatt. „Katastrophe“, „geht gar nicht“, „lernt der nicht aus seinen Fehlern?“, seien Kommentare von Gästen gewesen; ob auch die Worte „Autobahn” und „innerer Reichsparteitag” fielen, ist unbekannt. In der Unternehmenszentrale – aus der man wenig Kritik über die grünrote Demolierung der Automobilwirtschaft hört – war man jedenfalls „fassungslos”. Daimler möchte den Schwarzbraunen Symbolpeter wahrscheinlich lieber an die Reichsregenbogenflagge weiterschieben. Heiliges Blechle!
Jeder, auch noch der letzte Depp von Automobilmanager, weiß, dass es sich bei diesen Worten um ein Bild handelte, ein Gleichnis, eine Metapher, und trotzdem jaulen sie auf wie dressierte Pudel. In einem solchen Klima ist es quasi unmöglich, überhaupt noch etwas zu äußern, ohne dass irgendwer beleidigt ist. In einem solchen Klima – ich weigere mich, „geistiges Klima” zu schreiben, – hält man am besten den Mund oder sondert nichtssagende Worthülsen ab, bis die öffentliche Rede den Sterilitätsgrad einer Infektionsklinik erreicht hat. „Der Raum der geistigen Freiheit ist buchstäblich verdampft”, sprach schon vor Jahren Günter Maschke, Gott habe ihn selig. Wenn Jesus Christus heute umherginge und in Gleichnissen spräche, man wiese ihm im TV die Tür. Irgendwelche Hysteriker würden behaupten, dieser schlimme Tierquäler wolle doch allen Ernstes ein armes unschuldiges Kamel durch ein Nadelöhr quetschen.
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Apropos Maschke:
„Die Bundeswehr ähnelte damals noch einer Armee, es gab noch Offiziere und Unteroffiziere, die den Zweiten Weltkrieg mitgemacht hatten. Der Drill war ziemlich scharf, und das gefiel mir. In der Ausbildungskompanie stellte sich der Hauptmann vor uns hin und schmetterte: ‚Männer, ihr seid hier, um das rationelle Töten von Menschen zu erlernen!’ Sowas gäbe heute ein furchtbares Theater.
Ich lernte später die cubanische Miliz und die Marineinfanterie in Peru näher kennen – in beiden Fällen ging es weniger ängstlich, ging es freier zu. Aus einem verzagten Hintern kommt kein fröhlicher Furz – und der Hintern war im demokratischen Deutschland verzagter als im totalitären Cuba und im autoritären Peru.”
(aus: „Verräter schlafen nicht”, Gespräch mit Günter Maschke, Hrsg. Sebastian Maaß, 2011)
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Themenwechsel.
(Netzfund)
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Bereits anno 2017, im dritten Jahr des freundlichen Gesichts, untersuchte die Universität Bielefeld – näherhin das dortige Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung – „Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland”, und zwar als „Studienbericht für den Expertenrat Antisemitismus”. Das Ergebnis, graphisch verdichtet, lautete so:
Das las sich nicht schön und hätte eine Gramesfalte in das besagte freundliche Gesicht der damals noch regierenden und für den nächsten Äon führenden Palliativpolitikerin ’schlands kerben können, doch die Universität hatte prophylaktisch längst tiefer geschürft, bis auf den antisemitischen Grund; in der einen Monat zuvor erschienenen Studie „Verbreitung von Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung. Ergebnisse ausgewählter repräsentativer Umfragen. Expertise für den unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus” – über den Unterschied zwischen „Expertenkreis” und „Expertenrat” dürfen Sie gern meditieren – heißt es (man gendert dort fünfmal am Tag gegen den Mond):
„Wenn man nach den Ursachen für einen Antisemitismus unter Muslim_innen in Deutschland sucht, so sind zunächst eigene Erfahrungen von Ausgrenzung und Marginalisierung von Menschen muslimischen Glaubens beziehungsweise von Migrant_innen in der deutschen Gesellschaft zu nennen. Besonders die Vertreter_innen der Migrant_innen-Organisationen betonen dieses Problem. Der Studie von Mansel und Spaiser (2012) zufolge hatten mehr als zwei Drittel der muslimischen Jugendlichen mindestens einmal das Gefühl, aufgrund ihrer Religion diskriminiert worden zu sein.“
Die bisweilen zu beobachtende muslimische Judenfeindschaft ist, leiderleider, eine Reaktion darauf, dass Moslems (m/w/d) in Deutschland das Gefühl haben, aufgrund ihrer Religion (m) diskriminiert zu werden. Da immer mehr Moslems in ’schland siedeln, werden auch immer mehr fromme Diener*_:Innen Allahs Diskriminierung verspüren und nolens volens in antisemitischen Handlungen umlenken. Die Konstanz des deutschen Antisemitismus bleibt damit ungebrochen.
Und nun freue wenigstens du dich, Stadt der inneren Reichsparteitage!
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Zum Vorigen gab es einen Gastbeitrag in der Berliner Zeitung (Bezahlschranke). Der Michel wird sich an solche Beiträge genauso gewöhnen wie ans Gendern.
Ick jestatte mir, den Jevatter Imam zu zitieren: „Betrachtet man den Heiligen Koran, wie es ihm gebührt, in seiner Ganzheit als ein kohärentes Werk, ist kein anderer Schluss zulässig, als die islamische Theologie als zutiefst menschen- und in diesem Fall judenfreundlich anzuerkennen.”
Lediglich im Falle, ein Kāfir oder Giaur zöge unzulässige Schlüsse, könnte kurz mal Schluss sein mit der tiefen schlüssigen Menschenfreundlichkeit. Einem Götzendiener oder Ungläubigen droht der Koran x‑fach die Hölle an, am apartesten und an die antiken Strafen – Prometheus – erinnernd: „Wahrlich, bald werden wir diejenigen, die unsere Verse leugnen, ins Feuer werfen. Jedesmal, wenn ihre Haut verbrannt ist, tauschen Wir sie ihnen gegen eine andere Haut aus, damit sie die Strafe kosten. Allah ist allmächtig und allweise” (Sure 4,56). Die in Sure 33, 26–27 geschilderte Auslöschung der Banu Quraiza – mit Billigung Mohammeds wurden alle Männer dieses jüdischen Stammes in Medina getötet und alle Frauen und Kinder versklavt – fällt dann wohl eher unter menschen- statt judenfreundlich.
„Paradoxerweise führen die Spuren zurück nach Europa, weshalb einige Historiker behaupten, dass der europäische Antisemitismus als koloniales Erbe in die muslimischen Länder exportiert wurde.”
Irgendwas mussten die Kolonialwestler den früheren Sklavereipiraten und Neger-Kastrierern schließlich als Ersatz anbieten.
„Während man sich im mittelalterlichen Europa mit schweren antisemitischen Anschuldigungen und Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung richtete, erlebten Juden in muslimischen Reichen weitgehend friedliche Zeiten. Der erste antisemitische Vorfall in den muslimischen Ländern ereignete sich ‚erst’ 1840 in Damaskus, als ein katholischer Mönch verschwand und die Juden für seine Entführung beschuldigt wurden. Initiiert wurde dieser Vorwurf nicht von einem arabischen Muslim, sondern vom französischen Konsul, der dieses Ereignis nutzte, um in Damaskus antisemitische Narrative zu verbreiten.”
So exportierten die Froschfresser (haram!) den Antisemitismus nach Damaskus! Der „Vorfall” erreichte pogromartige Ausmaße, Juden wurden gefangengenommen, gefoltert, getötet, ein muslimischer Mob stürmte die Synagoge, im ganzen Nahen Osten kam es zu Ausschreitungen gegen die jüdischen Gemeinden. Es war auch keineswegs der erste „Vorfall” dieser Art. Das Massaker von Granada beispielsweise, dem anno 1066 mehrere tausend Juden zum Opfer fielen, fast die gesamte jüdische Bevölkerung der Stadt, fand allerdings nicht in einem muslimischen, sondern nur in einem jahrhundertelang muslimisch besetzten Land statt. Der Philosoph Moses Maimonides, der aus al-Andalus fliehen musste, um der Zwangsbekehrung zu entkommen, schrieb in einem Brief an die jüdische Gemeinde des Jemen: „Liebe Brüder, wegen unserer vielen Sünden hat uns der Höchste unter dieses Volk, die Araber, geworfen, die uns schlecht behandeln. Sie erlassen Gesetze zum Zweck unserer Bedrückung und um uns verächtlich zu machen. (…) Nie war ein Volk, das uns so sehr hasste, demütigte und verachtete wie dieses.“
Der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi listet in seinem Buch „Die Juden im Koran. Ein Zerrbild mit fatalen Folgen” weitere muslimische Pogrome an Juden: „Fez 1565, Bengasi 1758, Algier 1815.” Die Liste sei „sehr lang”, und „die Juden waren oft drastischen Restriktionen unterworfen. Ab dem 8. Jahrhundert mussten sie etwa gelbe Flecken auf der Kleidung tragen, um sich von den Muslimen zu unterscheiden.“ Als Dhimmis waren Juden unter islamischer Herrschaft verpflichtet, eine Kopfsteuer zu zahlen. In Algerien und Marokko, so Ourghi, seien sie bei der Entrichtung dieser Steuer durch Ohrfeige oder Stockschlag gedemütigt worden.
„Die jüdische Bevölkerung der Iberischen Halbinsel wuchs durch Zuwanderung aus den islamisch eroberten Gebieten Nordafrikas im Lauf des 8. Jahrhunderts stark an”, weiß wiederum die Schrottsammelstelle, und man fragt sich, warum die Ebräer aus diesen menschenfreundlichen Gebieten auswanderten. Mehr als tausend Jahre später, 1948, wiederholte sich die Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern, und diesmal war sie beinahe total. Vor 1948 lebten etwa 900.000 Juden in arabischen Ländern, heute sind davon nur ein paar Tausend übriggeblieben; die meisten flohen unmittelbar nach der Staatsgründung Israels ins Heilige Land, weil sie ihres Lebens nicht mehr sicher waren.
Zustimmend zitiert Khalid einen Zeugen namens Peter Wien, Professor für Geschichte des modernen Nahen Ostens an der University of Maryland, der behauptet haben soll: „Im Islam gibt es keinen traditionellen, religiös oder rassistisch begründeten Antisemitismus. […] Ohne die koloniale Unterwerfung der arabischen Welt im 19. und 20. Jahrhundert ist die Verbreitung antisemitischen Gedankenguts auch in anderen islamischen Ländern kaum denkbar.” Der Imam schließt messerscharf: „Ergo ist muslimischer Antisemitismus ein Produkt des Westens.”
Auch der Judenhass der Araber ist, wie die Philosophie, die Atomphysik, der Flugverkehr, das Internet, die Pumps und das Toilettenpapier, das Werk weißer Männer. Nicht mal die Steinigung, den Schleier und den Monotheismus haben die Araber erfunden. Ist das endlich verstanden worden?
Kommt noch eine Conclusio? Aber ja!
„Erstens: Der ‚importierte’ Antisemitismus stellt trotz gängiger polemischer Rhetorik nicht die primäre Bedrohung dar. Zweitens: Die wahre Gefahr für das jüdische als auch das muslimische Leben in Deutschland ist der Rechtsextremismus.”
Zur „polemischen Rhetorik” gehören folglich auch die oben genannten Umfragen unter Juden in Germanistan (aus Frankreich sind bereits mehrere zehntausend dieser Spinner vor den Moslems nach Israel geflohen, anstatt die Rechtsextremen zu bekämpfen; manche wählen sie sogar!)
„Folglich können wir die herausfordernden innenpolitischen Spannungen nicht lösen, wenn wir den Nahostkonflikt religiös untermalen und Juden gegen Muslime ausspielen. Beide sind der gleichen Gefahr ausgesetzt, beide sind Zielscheibe rechtsextremer Gewalt.”
Kann ich aus meinen Erfahrungen mit den Security-Leuten der jüdischen Gemeinde München oder des Fußballvereins Makkabi bestätigen; die standen praktisch nur wegen deutscher Rechtsextremisten an den Sicherheitsschleusen, hielten stets sorgenvoll Ausschau nach Glatzen, und wenn Springerstiefel nahten, saßen ihnen die Knarren besonders locker.
Es heißt, Nanny Faeser, deren Roter Kinderladen für Inneres sicherheitshalber jede antisemitische Straftat ohne ermittelten Täter den Rechtsextremen auflädt, sei bei der Lektüre dieses Gastbeitrags der Berliner Zeitung in ein zufriedenes Brummen verfallen. Oder war es ein Grunzen? Womöglich auch das. Das Restrisiko eines Zusammengehens von rechtsextremen und muslimischen Judenfeinden soll fürs erste von den Genossen der Antifada minimiert werden.
PS: „Sie erwähnen das Massaker von Granada von 1066, dem zahlreiche Juden zum Opfer fielen”, schreibt Leser ***. „Vorher war ähnliches geschehen in Fes (1033, wo 6000 getötet, Frauen und Kinder in die Sklaverei geführt wurden), sowie in Cordoba, diesem Hort der andalusischen Zivilisation, wo 1011 etwa 2000 umgebracht wurden. Man beachte: Das war lange vor den deutschen Pogromen im Rheintal. Man könnte sogar spekulieren, ob sich die Mode des Judentötens von muslimischen Landen nach Mitteleuropa verbreitet hat.
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Immer noch zum Vorigen.
Interessanterweise unterstützen die Palästinenser in der West Bank den Terrorangriff der Hamas stärker als die Bewohner Gazas. (Ich Huschelchen hatte anfangs gemutmaßt, WB bedeute Westberlin.)
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Über meine Bezeichnung des Sonntags als „Ruhetag des Herrn” (am letzten nämlichen) verwundert sich Leser ***:
„Wenn Sie damit die Ruhetage meinen, die die Kirche zu Ehren von Jesus eingerichtet hat, haben Sie sicher Recht – aber dann ist die Formulierung ‚Ruhetag des Herrn’ etwas irreführend. Wenn Sie damit meinen, dass Jesus an diesen Tagen geruht hätte, würde ich mich über einen Beleg freuen. In der Bibel finde ich vielmehr Hinweise, dass Jesus – als geborener Jude und Rabbi – am Shabbat (heute Samstag) geruht und den Gottesdienst in der Synagoge besucht hat. Insbesondere wenn ich mir in der Bibel die Ereignisse um Ostern anschaue, scheint mir der Shabbat doch eher der Ruhetag von Jesus gewesen zu sein, als der Sonntag: Jesus starb am (Kar)freitag, ruhte am Samstag im Grab – wie auch die Frauen ruhten, die ihn einbalsamieren wollten – und am ersten Tag der Woche (also Sonntag – bis zur Kalenderreform um 1972 war Sonntag der erste Wochentag) ist er auferstanden, siehe Lukas 23,54 bis 24,3.
Geschichtlich betrachtet war der Shabbat der Ruhetag der jungen christlichen Kirche in den ersten Jahrhunderten (als einer aus dem Judentum entstandenen Kirche), während der Dies Solis (Sonntag) aus dem römischen Reich kommend immer mehr Bedeutung erlangte und im 3. und 4. Jahrhundert dann aus verschiedenen Gründen den Shabbat als Ruhetag ersetzte.
Die Frage ist dann nur, welcher heutige Wochentag dem siebten Tag entspricht; sind Sie sicher, dass das der Sonntag ist – nachdem die Juden, mit denen wir das Alte Testament teilen, über Jahrtausende den Shabbat (also unser Samstag) als siebten Tag und Ruhetag gehalten haben? Sogar die meisten christlichen Theologen sind überzeugt, dass der siebte Tag aus der Schöpfung dem Schabbat und nicht dem Sonntag entspricht.
Wie schon geschrieben, war bis in die 1970er Jahre hinein auf jedem Kalender der siebte Wochentag ein Samstag. Davon auszugehen, dass Gott bei der Schöpfung an einem Sonntag ruhte, nur weil heute am Ende der Woche ein Sonntag steht, ist vielleicht ein wenig zu kurz gesprungen. Haben Sie sich schon mal gefragt, warum der Mittwoch gar nicht mehr in der Mitte der Woche ist?”