12. November 2023

Und schon wie­der ist es Sonn­tag! Schnell ist die Zeit zwi­schen den Ruhe­ta­gen des Herrn ver­zischt, gefüllt mit dem immer­glei­chen, wenn auch eska­lie­ren­den Unsinn, an dem nicht teil­zu­ha­ben ein Pri­vi­leg wäre, besä­ße die Wirk­lich­keit nicht die Eigen­art, auch dem Welt­ab­ge­wand­tes­ten, wie der jun­ge Fried­rich Engels for­mu­lier­te, gele­gent­lich ein paar Kano­nen­ku­geln vor­bei­zu­sen­den. Zum Bei­spiel diese:
Mit Zusatz­fra­ge:
Momen­tan tut sich vor allem der Ost­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung, Wan­der­witz (CDU), damit her­vor, dass er den run­ning gag des Ver­bo­tes einer Par­tei, die in vie­len Tei­len des Lan­des Volks­par­tei und im Osten die stärks­te ist, ins Par­la­ment tra­gen will. Ein Kom­men­ta­tor auf X, vor­mals Twit­ter, erkun­digt sich, ob ich den Spie­gel-Arti­kel gele­sen habe. (Ja – obwohl sich das Neue Deutsch­land sogar unter Erich dem Ein­zi­gen kür­zer zu fas­sen pfleg­te.) Er woll­te wohl dar­auf anspie­len, dass die Gazet­te schließ­lich das Für und Wider eines sol­chen Ver­bo­tes erwä­ge. Ja und? Allein die­ses Titel­bild, die so sug­ges­ti­ve wie imper­ti­nen­te Fra­ge, das durch­ge­kra­kel­te Par­tei­sym­bol, die­ses wider­wär­ti­ge, stur­heil­deut­sche, auto­ri­tä­re Auf-Linie-Fra­gen eines Maga­zins, das Regie­rungs­kri­tik ein­mal zu sei­ner eigent­li­chen Mis­si­on erklärt (und prak­ti­ziert) hat­te, all das, sage ich, genügt voll­kom­men, um die Gegen­for­de­rung – ledig­lich in den Raum – zu stel­len, um die­se staat­lich ein­ge­fet­te­ten, mit ihrem Oppor­tu­nis­mus nicht tätig frei zwar, doch sicher sich füh­len­den Jour­na­lis­ten­dar­stel­ler nur einen Lid­schlag lang mit dem Gedan­ken zu kon­fron­tie­ren, dass es auch mal anders­her­um lau­fen könn­te – nicht nach dem Wil­len der Schwe­fel­par­tei, die wird kei­ne ein­zi­ge Zei­tung ver­bie­ten, son­dern nur die Ali­men­tie­rung lin­ker Medi­en und GOs been­den –, um den Spieß gedank­lich ein­mal unzu­dre­hen und die­sen anma­ßen­den Aus­gren­zern, Ver­fol­gern, Stig­ma­ti­sie­rern, Feind­bil­de­si­gnern zu signa­li­sie­ren, dass man auch sie aus­gren­zen, stig­ma­ti­sie­ren und ver­fol­gen kann. Oder, wie Botho Strauß ein­mal schrieb: „Es soll­te all jenen, die heu­te die leich­te Zun­ge haben und das Sagen, nicht erspart blei­ben, ein­mal in ihrem Leben unter den Schock des Aus­ge­schlos­sen­seins zu gera­ten, ein­mal von der Kult­herr­schaft Anders­ge­stimm­ter, die nie­man­den ver­folgt, son­dern nur aus­schließt, ver­weist, exkom­mu­ni­ziert, ent­netzt – es soll­te ihnen ein­mal das Gefühl, nicht dazu­zu­ge­hö­ren, bestimmt werden.”
Gäbe es eine freie Pres­se, wür­den sich die Regie­rungs­par­tei­en, jene der Mer­kel­ka­bi­net­te inbe­grif­fen, zwar nicht unbe­dingt mit Ver­bots­phan­ta­sien kon­fron­tiert, aber wegen gehäuft ver­fas­sungs­wid­ri­gen Han­delns an den Pran­ger gestellt sehen. Etwa wegen ihrer regel­mä­ßi­gen Angrif­fe auf die Grund­rech­te wie deren noch immer unge­ahn­de­ten und jetzt wie­der von Neu­em dro­hen­den Beschnei­dun­gen wegen einer soge­nann­ten Pan­de­mie, aber auch ver­mit­tels Haus­durch­su­chun­gen wegen straf­recht­lich irrele­van­ter „Gesin­nungs­de­lik­te”. Oder wegen der Aus­he­be­lung der Gewal­ten­tei­lung durch die Kape­rung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts – sowie über­dies des Ver­fas­sungs­schut­zes – zu rein par­tei­po­li­ti­schen Zwe­cken (scham­freie Abend­essen von Ange­hö­ri­gen der Regie­rung mit Obers­ten Rich­tern vor wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen inclu­si­ve). Oder die Ver­wen­dung von Steu­er­gel­dern in inzwi­schen Mil­li­ar­den­hö­he zur ver­fas­sungs­wid­ri­gen Bekämp­fung eines gan­zen poli­ti­schen Milieus (1,6 Mil­li­ar­den Euro­nen sei­en seit 2001 und mit einem rapi­den Anstieg 2017 in den sog. „Kampf gegen rechts” geflos­sen, ant­wor­te­te die Bun­des­re­gie­rung am 6. Novem­ber auf eine Klei­ne Anfra­ge des MdB Moos­dorf, Schwe­fel­par­tei). Oder die immer wei­te­re Ent­mach­tung des Grund­ge­setz-Sou­ve­räns durch die Über­tra­gung von Befug­nis­sen an von besag­tem Sou­ve­rän kei­nes­wegs legi­ti­mier­te Orga­ni­sa­tio­nen wie die EU, UN oder WHO zum einen, durch die auf Per­ma­nenz gestell­te Migra­ti­on zum anderen.
Nie­mand kann bestrei­ten, dass in allen die­sen Punk­ten die Schwe­fel­par­tei treu­er zum Grund­ge­setz steht als die Alt­par­tei­en, die sich in bil­li­ger, durch­aus selbst­ent­lar­ven­der Rhe­to­rik „die demo­kra­ti­schen Par­tei­en” nen­nen – die auf demo­kra­ti­schem Wege gewähl­ten Ver­fas­sungs­schlei­fer klän­ge pas­sen­der. Wer all­zu lan­ge ohne Oppo­si­ti­on herrscht, bil­det auch in einer soge­nann­ten Demo­kra­tie feu­da­le Allü­ren aus. Ver­fas­sungs­wid­rig ist es, die Oppo­si­ti­on vom fai­ren und chan­cen­glei­chen Wett­be­werb um die Wäh­ler­stim­men aus­zu­schlie­ßen. Seit Jah­ren ver­wei­gern die Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten von der SED-Lin­ken bis zur CSU der AfD die ihr zuste­hen­den Pos­ten, vom Vize­prä­si­den­ten des Bun­des­ta­ges bis zum Aus­schuss­vor­sitz, und wäh­rend sie ihre jeweils eige­nen par­tei­na­hen Stif­tun­gen mit Steu­er­geld ein­fet­ten, ver­wei­gern sie der AfD die Mit­tel dafür. „Besorg­nis­er­re­gend demo­kra­tie­feind­lich“ nann­te Vera Lengs­feld den Umgang der Alt­par­tei­en und der Medi­en mit der AfD; als DDR-Bür­ger­recht­le­rin besitzt sie ein­schlä­gi­ge Erfah­run­gen mit auto­ri­tä­ren Demokratiefeinden.
Wor­in besteht das Wesen einer Demo­kra­tie? Im Ant­ago­nis­mus von Regie­rung und Oppo­si­ti­on, nicht in der for­ma­len Exis­tenz ver­schie­de­ner Par­tei­en – die gab es in der DDR-Volks­kam­mer auch. Zugleich ist es die ele­men­tars­te Auf­ga­be der Oppo­si­ti­on, die Regie­rung zu dele­gi­ti­mie­ren. Sie kann die Regie­rung ver­höh­nen, ver­spot­ten, der Lächer­lich­keit preis­ge­ben (was bei der der­zei­ti­gen Füh­rung, die in die­ser Dis­zi­plin die Lat­te selbst denk­bar hoch gelegt hat, nicht ein­fach ist), und sie ist auch nicht ver­pflich­tet, Lösun­gen anzu­bie­ten; ihr demo­kra­ti­scher Job ist die Regie­rungs­kri­tik. Die Oppo­si­ti­on legi­ti­miert die Demo­kra­tie. Wo sie fehlt – und Oppo­si­ti­on heißt, dass die Mög­lich­keit besteht, eine fun­da­men­tal ande­re Poli­tik zu wäh­len –, gibt es kei­ne Demo­kra­tie und, wie wir sehen, bald auch kei­ne unab­hän­gi­ge Jus­tiz mehr.
Ich habe das hier so oft geschrie­ben, dass es mir zum Hal­se her­aus­hängt, und doch wird es wahr­schein­lich nicht das letz­te Mal gewe­sen sein.

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Zum Vori­gen gehört natür­lich auch die täg­li­che zwangs­steu­er­fi­nan­zier­te All­ka­nal­pro­pa­gan­da gegen die Opposition.

„Da ich ver­mu­te, dass Sie kaum Kri­mis des ÖRR sehen”, schreibt mir Leser ***, „möch­te ich Sie auf ein ges­tern Abend im ZDF gesen­de­tes Mach­werk auf­merk­sam machen. Kurz zur Hand­lung: Ein jun­ges, von einem unbe­glei­te­ten Flücht­ling geschwän­ger­tes Mäd­chen wird tot auf­ge­fun­den. Sie hat­te kurz zuvor in einem alten Berg­werks­stol­len ent­bun­den, wo auch der unter­kühl­te Säug­ling gefun­den wird. Die Eltern des Mäd­chens wer­den bereits leicht hin­ter­wäld­le­risch geschil­dert, aber das Haupt­in­ter­es­se des Films gilt dem Bru­der des Vaters, der im Ort viel Ein­fluss haben soll und sehr agil ist. Es wird kei­ne Mühe gescheut, ihm sämt­li­che ‚rech­ten’ Ste­reo­ty­pe anzu­hän­gen, bis hin zum ver­such­ten Mord an dem schwar­zen Kinds­va­ter, nach­dem er her­aus­ge­fun­den hat­te, dass der eigent­li­che Mör­der der Bru­der des Mäd­chens war und ver­hin­dern woll­te, dass nach dem Tod des Mäd­chens nun auch noch der Sohn ver­haf­tet wür­de, und er durch das spur­lo­se Ver­schwin­den die­ses Schwar­zen den Ver­dacht allein auf die­sen len­ken wollte.

Das alles noch die übli­che Het­ze, aber wenn Sie einen Blick auf den Film wer­fen wol­len, und zwar auf die Minu­te 23:10 bis 24:10, dann erle­ben wir, dass (für mich jeden­falls erst­mals) unge­niert eine ein­deu­ti­ge Anspie­lung auf die AfD lan­ciert wird: ‚Aber wir wis­sen doch alle, für wel­che Par­tei sie im Gemein­de­rat sit­zen.’ Der AfD-Gemein­de­rat als Ras­sist und nur knapp ver­hin­der­ter Flücht­lings-Mör­der – das hat eine neue Qualität.

In Sach­sen soll­te man sich die Mühe machen und mal den gesam­ten Film anschau­en. Er strotzt nur so von vie­len klei­nen per­fi­den Unter­stel­lun­gen und sog. ‚Framings’. Damit hat das ZDF mit den ‚bes­ten’ Tat­ort-Fol­gen zumin­dest gleich­ge­zo­gen, wenn die­se nicht sogar getoppt. Hof­fent­lich erle­be ich noch den Tag, an dem Meck-Pomm, Sachsen(-Anhalt), Bran­den­burg und Thü­rin­gen auf­grund von AfD-Mehr­hei­ten gemein­sam den Aus­stieg aus der ARD verkünden.”

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Von den deut­schen und nicht nur von den deut­schen Medi­en nahe­zu unbe­ach­tet, ging in der ers­ten Novem­ber­wo­che zu Lon­don eine Vor­trags­ver­an­stal­tung über die Büh­ne, die der stets sehr nüch­tern urtei­len­de, kei­nes­wegs im Ruch einer Nei­gung zum Über­schwäng­li­chen ste­hen­de Alex­an­der Wendt, der für Publi­co und Tichys Ein­blick dar­über berich­te­te, das „Ereig­nis des Jahr­zehnts” nennt. Ver­an­stal­ter der Kon­fe­renz war die „Alli­ance for Respon­si­ble Citi­zen­ship”, kurz ARC, und wäh­rend der drei Kon­fe­renz­ta­ge mit 1500 Gäs­ten aus den USA, Kana­da, Süd­ame­ri­ka, Asi­en, Euro­pa, Afri­ka und Aus­tra­li­en, kurz­um: aus der gan­zen Welt, lausch­ten Kon­ser­va­ti­ve, Libe­ral-Kon­ser­va­ti­ve und Liber­tä­re den Red­nern und debat­tier­ten in den Pau­sen oder spä­ter beim Abend­essen. Was Wendt zu dem Super­la­tiv ver­an­lass­te, ist die Tat­sa­che, dass sich „zum ers­ten Mal in der poli­ti­schen und intel­lek­tu­el­len Welt des Wes­tens ein­fluss­rei­che Men­schen zusam­men­ge­fun­den haben, um eine Gegen­be­we­gung zur woken Wel­le zu eta­blie­ren”. Nicht nur habe er dort eine „hohe intel­lek­tu­el­le Dich­te” regis­triert, son­dern auch „Leu­te mit Geld”, Unter­neh­mer, Inves­to­ren, dar­un­ter Paul Mar­shall, des­sen Fonds Mar­shall Wace gut 60 Mil­li­ar­den Dol­lar ver­wal­tet, Alan McCor­mick vom Invest­ment­un­ter­neh­men Lega­tum, der Vor­stands­chef des Ener­gie­för­de­rung-Aus­rüs­ters Liber­ty Ener­gy Chris Wright und ande­re mehr; Jor­dan Peter­son war da, der His­to­ri­ker Niall Fer­gu­son, der däni­sche Kli­ma­öko­nom Bjørn Lom­borg, die Autorin und Frau­en­recht­le­rin Aya­an Hir­si Ali, der Phy­si­ker und Kli­ma­prag­ma­ti­ker Ste­ven Koonin, vie­le ande­re For­scher und Hoch­schul­leh­rer, außer­dem eine gro­ße Rie­ge von Poli­ti­kern, dar­un­ter meh­re­re Dut­zend Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­te aus der angel­säch­si­schen Welt.

Noch wäh­rend der Kon­fe­renz sei das Wort vom „Anti-Davos” umge­gan­gen, schreibt Wendt, „das es nicht ganz trifft. Denn die Ver­an­stal­tung ver­folg­te ja gera­de den Zweck, über ein blo­ßes Gegen­bild hin­aus­zu­kom­men.” Ande­rer­seits pas­se es zumin­dest soweit, als die ARC dem WEF in ihrer Struk­tur ähne­le. „Das Leit­mo­tiv der Kon­fe­renz lau­te­te A Bet­ter Sto­ry; es soll­te also dar­um gehen, eine bes­se­re Geschich­te zu erzäh­len als die Iden­ti­täts­po­li­ti­ker, die Kri­ti­schen Ras­sen- und Post­ko­lo­ni­al­theo­re­ti­ker von Ber­ke­ley bis Ber­lin, kurz, die Regres­siv-Pro­gres­si­ven, die mitt­ler­wei­le gro­ße Tei­le der Sinn­pro­duk­ti­on im Wes­ten beherrschen.”

Als die kon­ser­va­ti­ven Ober­haus­ab­ge­ord­ne­te Phil­ip­pa Stroud, Jor­dan Peter­son und ande­re sich anno 2022 dar­an mach­ten, die Kon­fe­renz zu orga­ni­sie­ren, „setz­ten sie sich ers­tens mit einem fun­da­men­ta­len Irr­tum und zwei­tens mit einem eben­so grund­le­gen­den Unwil­len unter den Nicht­lin­ken aus­ein­an­der. Deren Irr­tum bestand dar­in zu glau­ben, Ideen wie die Bür­ger­ge­sell­schaft, Eigen­ver­ant­wor­tung, freie Rede, Gewal­ten­tei­lung und vie­les mehr besä­ßen von sich aus eine sol­che Strahl­kraft, dass ihnen die Atta­cken der Illi­be­ra­len mit der Fort­schritts­fah­ne nicht beson­ders viel anha­ben könnten.”

(Den gesam­ten Bericht fin­den Sie hier.)

Dass die Kon­ser­va­ti­ven den immer neu­en Trä­nen­trock­nungs­ver­spre­chen und Wol­ken­ku­ckucks­heim­ver­hei­ßun­gen der Lin­ken nichts ent­ge­gen­zu­set­zen wis­sen als das Grau­brot der „lang­wei­li­gen bür­ger­li­chen Ver­nunft und ihrer Tugen­den” (Franz Josef Strauß), ist in der Tat ein gro­ßer Nach­teil in Zei­ten, da Poli­tik mas­sen­kom­pa­ti­bel gemacht wer­den und sich dafür stets irgend­wel­cher „Nar­ra­ti­ve” bedie­nen muss.

***

Aber die Sonn­ta­ge lie­ber den Künsten!
Wel­che Musik passt zum letz­ten Ein­trag bzw. über­haupt zur Lage? Ich schla­ge Beet­ho­vens A‑Dur-Sin­fo­nie vor. Die Sie­ben­te kann man als eine Zurück­nah­me der Drit­ten betrach­ten. Bei­de Wer­ke haben mit Napo­le­on zu tun, doch wäh­rend die „Eroi­ca” den Kor­sen als Send­bo­ten der Frei­heit fei­er­te, stimm­te die Sieb­te das Publi­kum auf den Kampf gegen sei­ne Tyran­nei ein (so läuft das bekannt­lich mit allen Befrei­ern; die Bol­sche­wo­ken – der Sie­ger von Maren­go und Aus­ter­litz möge mir den Ver­gleich ver­zei­hen – sind das der­zeit aktu­ells­te Exem­pel). Zwi­schen bei­den Wer­ken lagen acht Jah­re, und wäh­rend Beet­ho­ven sie kom­po­nier­te, änder­te sich die poli­ti­sche Situa­ti­on in Euro­pa sowohl jeweils als auch ins­ge­samt gra­vie­rend. Die Kom­po­si­ti­on der Drit­ten war Ende 1803/Anfang 1804 been­det, das Werk wur­de aber erst im April 1805 öffent­lich urauf­ge­führt (es gab im Juni 1804 eine Pre­mie­re im klei­nen Kreis); inzwi­schen hat­te sich Bona­par­te zum Kai­ser gekrönt und Lud­wig van, die­ses merk­wür­di­ge ken­tau­ri­sche Wesen aus Ple­be­jer und Gott, war böse auf sein Idol und soll die Wid­mung zer­ris­sen haben. Als er an der Sie­ben­ten schrieb, mar­schier­te Napo­le­on gen Russ­land, doch die Sin­fo­nie erleb­te ihre Urauf­füh­rung andert­halb Mona­te nach der Leip­zi­ger Völ­ker­schlacht; der musi­ka­li­sche Don­ner war dem his­to­ri­schen Blitz gewis­ser­ma­ßen vor­aus­ge­eilt, frei­lich hat­te ihn nie­mand hören kön­nen. Ich möch­te sie die „Tau­rog­gen-Sin­fo­nie” nen­nen. In die­sem Werk lebt der Geist des Auf­ruhrs und der Opfer­be­reit­schaft, sein Opti­mis­mus ist gebro­chen durch Schmerz und am Ende ein biss­chen hys­te­risch. Das Fina­le, Alle­gro con aber so was von brio, ist eine ein­zi­ge Rase­rei, es gleicht einem wil­den Ritt über die Toten von Freund und Feind hin­weg, und berühm­te Zeit­ge­nos­sen haben den Kom­po­nis­ten des­we­gen für ver­rückt erklärt. Es ist einem zumin­dest nicht ganz wohl zumu­te, wenn die­ser Schluss­satz endet; man weiß nicht recht, ob man sich selbst noch heil befin­det nach die­sem veits­tän­ze­ri­schen Gewir­bel und Gestamp­fe. Die Befrei­ung, noch dazu von einem Befrei­er, mag eine gute Sache sein, ist aber nichts für sen­si­ble Naturen.
Richard Wag­ner hat die Sie­ben­te als eine „Apo­theo­se des Tan­zes” bezeich­net. Das meint den Schluss­satz und den kaum weni­ger wil­den Kopf­satz. Ent­hemmt getanzt wur­de bekannt­lich auch bei den gro­ßen Dio­ny­si­en. Geht man fehl, Beet­ho­vens A‑Dur-Sin­fo­nie sein dio­ny­sischs­tes Opus zu nennen?
Das führt uns zu der Fra­ge, wel­che Ein­spie­lung Sie sich anhö­ren müs­sen. Auch wenn Sie sie längst kennen.
Spricht man mit Diri­gen­ten über die mehr oder weni­ger heim­li­chen Herr­scher im Reich der Kapell­meis­ter, fal­len zwei Namen mit abso­lu­ter Sicher­heit: Wil­helm Furtwäng­ler und Car­los Klei­ber. Ich lie­be, ver­eh­re, bewun­de­re bei­de. Wäh­rend Klei­ber die Orches­ter zu einer ein­zig­ar­ti­gen beseel­ten Klar­heit des Musi­zie­rens ani­mier­te, steckt in den geheim­nis­vol­len, rausch­haf­ten, mit­un­ter gera­de­zu bar­ba­ri­schen Auf­nah­men Furtwäng­lers etwas Uner­klär­li­ches, steht man als Hörer stän­dig vor dem Rät­sel, wie er die­sen Klang oder jene Erup­ti­on wie­der hin­be­kom­men hat und wel­che Wir­kun­gen sich der Pati­na des His­to­ri­schen ver­dan­ken. Unter Inkauf­nah­me von Miss­ver­ständ­nis­sen und mit kecker Zuspit­zung lie­ße sich Klei­ber als der eher apol­li­ni­sche und Furtwäng­ler als der eher dio­ny­si­sche der bei­den cha­rak­te­ri­sie­ren (in Rech­nung gestellt, dass Musik immer mehr dio­ny­sisch als apol­li­nisch ist). Das hängt natür­lich auch damit zusam­men, dass die bes­ten Furtwäng­ler-Auf­nah­men im Welt­krieg ent­stan­den, also zu einer Zeit, in der allen­falls noch ein paar Inge­nieu­re Apolli­ni­ker waren.
Beson­ders die­se Kriegs­auf­nah­men umgibt ein eso­te­ri­scher Ruhm; sie gel­ten vie­len als das Ein­drucks­volls­te, was über­haupt je auf der Schall­plat­te fest­ge­hal­ten wur­de. Sie sind Takt für Takt von einer uner­bitt­li­chen Inten­si­tät. Die Gewalt­tä­tig­keit der Zeit scheint in die­se Musik ein­ge­drun­gen zu sein; Erschüt­te­run­gen und Zärt­lich­kei­ten fol­gen im jähen Wech­sel. Zu die­sen Mira­keln gehört die Auf­nah­me der A‑Dur-Sin­fo­nie mit den Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­kern vom 31. Okto­ber 1943. Der Mit­schnitt offen­bart die rät­sel­haf­te Grö­ße und Urge­walt Furtwäng­lers wie weni­ge sonst, in der Viva­ce-Orgie des ers­ten Sat­zes eben­so wie im Alle­gret­to, ohne­hin das gewal­tigs­te Cre­scen­do der Musik, aber was Furtwäng­ler hier aus Not und Hoff­nung gemischt anschwel­len und auf den Hörer ein­bre­chen lässt, ist unglaub­lich.
Car­los Klei­ber beim Diri­gie­ren zuzu­se­hen, ist ein Genuss son­der­glei­chen, die­se Bil­der sind geeig­net, einem Tau­ben zu ver­deut­li­chen, was Musik ist und wel­ches Stück gera­de gespielt wird (schau­en Sie nur, wie er bei 26.38 die Stac­ca­ti mitdirigiert).

Wie gesagt, Beet­ho­vens Sie­ben­te ist Auf­stands­mu­sik, Trup­pen­samm­lungs­mu­sik, Opfer­be­reit­schafts­mu­sik, schluss­end­li­che Tri­umph­mu­sik. Musik for a Bet­ter Story.

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