Es ist nicht rügenswert, dass die Deutschen mit dem Begriff „Handy“ einen Anglizismus erfunden haben, den es im Englischen nicht gibt. Es ist vielmehr zu tadeln, dass sie nicht „Händi“ schreiben.
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Freund *** hat die absonderliche und für meine Begriffe der seelischen Gesundheit nicht eben förderliche Gewohnheit angenommen, jeden Tag mit der Lektüre der „Morgenlage“ des Spiegels zu beginnen, um danach seine höhnischen Kommentare über die Unbildung, das groteske Deutsch und die devote Regierungstreue der Redakteure meistens ausgerechnet an mich zu whatsappen. Es scheint eine masochistische Neigung zu sein, der er folgt: Willst du dir den Tag versauen,/Musst du in den Spiegel schauen.
Ich bin ein Mensch, der sein Inwendiges am Morgen als eine Art mentalen Virgin Snow betrachtet: Man ist frisch, noch nicht verschmutzt vom politischen Straßenlärm der Nachrichten, Schlagzeilen und idiotischen Begebenheiten, der Tagesanbruch gehört der Muße, der Stille, den guten Autoren, gern auch der eigenen Produktion, aber nimmermehr dem Geschreibs, Geschwätz oder Geplärr irgendwelcher sich als Journalisten ausgebenden Propagandisten, und ich habe mehrmals versucht, dem Guten seinen Spleen auszureden – offenbar vergeblich. Heute sandte er mir wieder den Link, und ich Tölpel klickte ihn an.
Ich bin mit dem Augstein- und später mit dem Aust-Spiegel journalistisch sozialisiert worden (und natürlich habe ich an dieser Fern-Universität gelernt, wie man eine Magazin-Story schreibt; handwerklich waren die damals state of the art). Der Spiegel stand immer links, war stets ein Gesinnungsblatt, aber nicht im Ansatz so porentief wie heute; er konnte perfide und denunziatorisch sein, dazu hämisch und schadenfroh, also sehr deutsch, obendrein manieriert bis ins Lächerliche, aber niemals verbreitete das Magazin plumpe Regierungspropaganda, man verstand sich als grundsätzlich regierungskritisch – was Augstein zu Annalena und dem Kinderbuchautor gesagt hätte, würde inzwischen unter „Delegitimierung der Bundesregierung” fallen – und duldete von der Blattlinie abweichende Meinungen (bevor man deren Vertreter in der nächsten Nummer zu schlachten versuchte); außerdem schrieben dort immer auch Autoren, die hinreichend amüsant und eigensinnig waren, dass man das Blatt allein ihretwegen las (Rumler, Wiedemann, Bittorf, Stolle, Marie Luise Scherer, Matussek, Karasek, der Pointennotzüchter Umbach, um ein paar Beispiele zu nennen) – tempi passati. Inzwischen werden die Artikel von einer journalistischen Klonarmee fabriziert, einer ist wie der andere, und alle sind sie woke. Kein Mensch kennt den Namen des aktuellen Chefredakteurs, und es ist ja auch egal. Die Uniformität, die völlige Abwesenheit von Freisinn, der Mangel an Witz, von Esprit zu schweigen, sind im Vergleich zu damals durchaus entsetzlich. Deswegen verliert der Spiegel scharenweise Leser; ich glaube nicht, dass viele von den alten Lesern, wie links sie auch sein mögen, dem Laden die Treue gehalten haben, der Niveauabfall – sprachlich, handwerklich, intellektuell – ist einfach zu enorm.
Die heutige „Lage am Morgen“ (hier) ist ein sogenanntes Musterbeispiel dafür. Im Bestreben, sich gleichzeitig dem Publikum – kumpelhaft-vertraulich – und der politischen Klasse – liebedienernd-verständnisvoll – anzudienen, sind diese Beiträge von einer entzückenden Grundschmierigkeit. Der erste Teil behandelt die von hiesigen Journalisten geradezu, man verzeihe das Wort, notgeil ersehnten Prozesse gegen den schlimmen Donald in Übersee, anekdotisch begleitet von einer Erinnerung der Autorin an eine sechs Monate zurückliegende Washington-Reise, bei welcher sie sich einer Führung durch das Kapitol anschloss. „In meiner Gruppe waren überwiegend Amerikanerinnen und Amerikaner”, schreibt die Maid, es sei ein Film über die Geschichte des Hauses gezeigt worden, aber darin sei kein Wort über das schrecklichste Ereignis derselben gefallen, den sogenannten Sturm auf den Kongresssitz. Wie bei der gesamten weiteren Führung nicht. „Zum Schluss durften wir Fragen stellen. Ich selbst hielt mich zurück, als Gast, als Ausländerin. Ich war auch neugierig, ob irgendwer nach dem Sturm auf das Kapitol fragen würde. Es geschah nicht. Die Fragen kreisten um die Säulen, die Gemälde, die Bodenfliesen.” Seither denke sie „immer an dieses beklommene Lavieren, sobald das Kapitol im Fernsehen zu sehen ist”.
Als Gast, als Ausländerin, hielt sie sich zurück und nahm ihre Beklommenheit diskret mit nach Hause. Dort fühlt sie sich deutlich unbeklommener: Der dem Trump-Bashing folgende schleimtriefend-schülerzeitungshafte Text über die deutsche Innenministerin hätte, leicht modifiziert, Ende der 1980er auch in DDR-Unterhaltungsmagazinen wie der Wochenpost oder der Für dich stehen können (zumal dort ja ähnliche Megären solche Jobs verrichteten). Das ist kein Journalismus. Das sind Bewerbungsschreiben um ein Pöstchen bei der Regierung und staatliche Fördergelder.
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Jemand sagte, er habe als Hospitant der Tour de France keine Windräder gesehen. Die Landschaften dortzulande seien unbeschädigt geblieben.
Für die Deutschen indes ist das Windrad die neue Wunderwaffe, die grüne V2. Das Durchhalten um jeden Preis kostete sie weiland die Innenstädte, heute wird eben die Landschaft preisgegeben.
Gott, wie ich diese Vergleiche liebe.
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Apropos.
„Diese Wahlplakate hängen seit kurzem hier überall in der Stadt”, schreibt Leser *** aus Augsburg.
„Im ersten Moment dachte ich, daß es sich eigentlich nur um eine böse ‚false flag Aktion’ der Schwefelbrüder handeln kann. Aber nein, das Plakat ist tatsächlich echt. Nun frage ich mich, was um alles in der Welt muss man für einen Sprung in der Schüssel haben, um erst die Bürger so zynisch zu verhöhnen und dann zu erwarten, dass man hinterher deswegen gewählt wird?!”
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Nochmals apropos.
In den vergangenen Tagen häuften sich die Meldungen, dass Grünen-Politiker bei öffentlichen Auftritten ausgepfiffen und niedergebuht wurden, und das keineswegs nur bei den Wilden in Dunkeldeutschland. Unter anderem traf es Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir und das bayerische Teletubby Lala Schulze. Deren Statements im Anschluss an die Missfallensbekundungen kreisten stets um den Tatbestand der Insubordination: Demokratieunfähige, von den Entwicklungen überforderte Hinterwäldler begreifen die Notwendigkeit der Großen Transformation nicht, missbrauchen ihr Demonstrationsrecht und wissen die segensreiche Arbeit der Grünen für das Wohl von Menschheit und Erde einfach nicht zu schätzen. Sie selbst, die Grünen, haben nichts falsch gemacht, allenfalls ist es ihnen nicht gelungen, ihre Politik „an den Wähler zu bringen”. Unser Bundesfreiheitsbuffo a.D., J. Gauck, hat diesen zu klärenden Sachverhalt einmal trefflich in die Worte gefasst, dass nicht die politischen Eliten das Problem seien, sondern die Bevölkerungen.
Im Grunde ist es nichts Besonderes, nur eine der zahlreichen Ironien der Geschichte, doch festhaltenswert genug. Eine Göring-Eckardt war in der DDR Mitglied des protestantischen „Arbeitskreises Solidarische Kirche”, gehörte später zum „Demokratischen Aufbruch“, tat mit bei „Demokratie jetzt“ und landete schließlich im „Bündnis 90“, wie vernachlässigbar ihre Leistung dort auch gewesen sein mag, und heute findet sie sich habituell in der Rolle eines SED-Politbürokraten wieder, der sich im Besitz der Wahrheit wähnt, seine Ansichten für alternativlos hält und mit selbstgerechter Empörung sowie der mechanischen Absonderung so linientreuer wie inhaltsloser Worthülsen auf eine Unverschämtheit namens Opposition reagiert.
An dieser Stelle wird der Vergleich mit der ruhmreichen DDR hoffentlich noch nicht enden.
PS: Wer es nicht vermeiden kann, dieser steindummen Person mit ihrer penetranten Stimme auch nur zwei Minuten zuzuhören, begreift zum einen, wie recht der Apostel Paulus mit seinem Mulier taceat in ecclesia hatte, zum anderen aber, dass der heilige Mann diesen Satz keineswegs als herrische Anordnung, sondern als genervten Seufzer ausgestoßen haben dürfte.
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Aber warum sollte man ein gewünschtes Resultat korrigieren wollen?
Auf eine gewisse, propagandistisch vermittelte Weise stimmt diese Feststellung also:
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Leser *** notiert: „In einer Rede sagte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dass ‚kein mündiger Wähler sich auf mildernde Umstände herausreden kann, wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen’.
Die Rede wurde im Kontext der Diskussion über die Herausforderungen der Demokratie in Deutschland gehalten und betonte die Notwendigkeit einer neuen politischen Kultur, die einen respektvollen Dialog und eine Debatte fördert. Steinmeiers Aussage deutet darauf hin, dass Wähler eine Verantwortung haben, sich über die politischen Kräfte zu informieren, die sie unterstützen, und über die Auswirkungen, die diese Kräfte auf die Gesellschaft und die Demokratie haben können.
Es ist nicht klar, ob Frank-Walter Steinmeier in seiner Aussage speziell auf die Grünen abzielt oder auf politische Kräfte im Allgemeinen, die zur Verrohung der Gesellschaft und zur Aushöhlung der Demokratie beitragen.
Es ist wichtig zu betonen, dass es in einer Demokratie die Verantwortung jedes Wählers ist, sich über die politischen Kräfte zu informieren, die er unterstützt, und die Auswirkungen, die diese Kräfte auf die Gesellschaft und die Demokratie haben können.”
Noch dazu:
Der Blähhals ist übrigens „deutscher Flüchtlingshelfer” (Schrottsammelstelle), also eine Art En-gros-Importeur ohne Schleppergage.
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Wie wäre es, by the way, dem schönen deutschen Vornamen Volker – bekanntester Träger war der Spielmann des Nibelungenliedes, der mit Fidel und Schwert das Tor der Halle Hirsch vor den Hunnen schirmte –, als modernes, toraufreißendes Pendant den Umvolker beizugesellen? „Guten Tag, mein Name ist Umvolker Kauder” – das fände ich doch reizend.
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Recht ungnädig geht der Rezensent der Sezession (Printausgabe) mit meinem Erzählbändchen „Die schöne Apothekerin” um; die Geschichten sind ihm zu frivol und offenbar nicht politisch bzw. politisierbar genug (das genau ist die Pointe – sie stammen, um das Jahr 2009 verfasst, tatsächlich aus einem anderen Land). Über die letzte Erzählung – sie trägt den Titel „Um derentwillen die Sonne scheint” (den ich von Amenophis IV. alias Echnaton gemopst habe, der diese Worte zum Preis seiner Gemahlin Nofretete in Stein meißeln ließ) – heißt es, sie handle von einem „Verzweifelten, der Frau und Sohn verloren hat, mit dem Leben abschließt, aber dann – und hier sind wir nahe an amerikanischer Erbauungsliteratur – durch mehrere Begegnungen von seinem Vorhaben abgehalten wird, möglicherweise dauerhaft”. Ich weiß nicht, was mit amerikanischer Erbauungsliteratur gemeint ist, will aber das Geheimnis lüften, wer der Ideengeber war, kein Ami, sondern Friedrich Hebbel. In dessen Tagebuch stieß ich auf diese Notiz (ich bitte um Pardon für den miesen Schnappschuss, ich finde das Original in meinem Bücherchaos nicht mehr):
Wenn ich das Motiv gleichsam hollywoodisiert haben sollte: von mir aus. Der Stoff ist heikel, kaum zu meistern, der Autor muss zwischen der Scylla der Sentimentalität und der Charybdis des Kitsches hindurchsegeln. Was bei dieser Erzählung übrigens niemandem auffiel, mir nicht, dem Lektor nicht, keinem der Freunde, die sie vor der Drucklegung lasen, und auch keinem Rezensenten, ist die ulkige Tatsache, dass der einstige Schulfreund, den die Hauptperson wiedertrifft, anfangs „Dornberg” heißt und sich ein paar Seiten später in einen „Dornfeld” verwandelt (ist in der zweiten Auflage korrigiert worden). Ein Leser machte mich darauf aufmerksam, mit dem witzigen Hinweis, ich sei womöglich durch den gleichnamigen Wein traumatisiert worden, ein ganz und gar unbegründeter Verdacht – –