Die Sonntage immer (mal wieder) den Künsten (im weitesten, aber wahrhaftigen Sinne)!
Es war Pallas Athene, die den Griechen den Ölbaum brachte. Die Zeustochter und ihr Onkel Poseidon erhoben einst Anspruch auf die Schutzherrschaft über Attika. Der Göttervater hatte entschieden, dass diese Herrschaft demjenigen der beiden zufalle, der den Bewohnern das nutzbringendere Geschenk mache. Athene ließ daraufhin einen Olivenbaum sprießen. Es war gleichgültig, womit Poseidon dagegenhalten würde. Was sollte neben der Olive bestehen? Einzig Dionysos, der Herr der Reben, hätte bei diesem Kräftemessen mithalten können.
Das Olivenöl ist so alt wie der Wein, womöglich noch älter, und es war gewissermaßen das Erdöl der Antike. Mit ihm wurden die Häuser, Paläste und Tempel beleuchtet, es diente der Körperpflege, man verwendete es als Medizin – und natürlich als Speisebegleiter sowie zum Braten. Der Ölbaum und der Rebstock als landschaftsprägende Pflanzen gehören fest zusammen, sie verkörpern wie nichts sonst die mediterrane Kultur und stecken zugleich deren geographische Grenzen ab. Es gab im Norden nicht nur eine Wein-Bier-Grenze, sondern auch eine Olivenöl-Schweinefett-Grenze, die die Barbaren von den Lateinern und Hellenen schied.
Beide Pflanzen, der Weinstock wie der Ölbaum, vollbringen tägliche Wunder der Verwandlung, indem sie unter Zuhilfenahme des Sonnenlichts aus kargen Böden Früchte hervorbringen, ohne die das Leben unserer Gattung öd und leer wäre. Diese Früchte sind schon als Speise ein Labsal, doch ihre wahre Pracht und Herrlichkeit entfalten sie in flüssiger Form. Während der Saft der Weinbeere bereits unter leichtem Druck zu fließen beginnt, muss er der Olive regelrecht abgepresst werden. Während der Weinstock es kühler mag, erträgt die stoische Olive große Hitze und lange Trockenheit. Deshalb ist die Verbreitung dieser beiden Segensgewächse nicht ganz deckungsgleich; der Weinbau dehnt sich weiter nach Norden aus als die Olive, die wiederum in den heißen Gegenden Nordafrikas gedeiht. Längst haben beide ebenfalls die Neue Welt friedlich erobert. Wie alte Weinstöcke wachsen sich auch alte Olivenbäume ins Bizarre und Knorrige aus, nur kennt der Ölbaum ganz andere Altersdimensionen als die Rebe: Tausend Jahre und älter kann er werden. Der Methusalem unter den Olivenbäumen steht auf Kreta, im Hinterland des Fischerdorfs Kolimbari, und hat mindestens 3500 Jahre auf seinem knorrigen Buckel.
Olivenöl ist das einzige Öl, das aus einer Frucht, nicht aus Samen gewonnen wird. Diese Frucht ist unter allen Schöpfungen der Natur ein Unikat; sie gehört weder zum Obst noch zum Gemüse und besitzt doch von beidem etwas, obendrein ist sie fleischig – ein wahres Einhorn. Von einzigartiger Schönheit ist auch das mattschimmernde Silbergrau der ganzjährig belaubten Olivenhaine, mit dem die Bäume auf die drückende Sonne des Südens antworten.
In der berühmten endgültigen Wiedererkennungsszene der „Odyssee“ erklärt Penelope, um den Fremden zu prüfen, der sich als ihr heimgekehrter Gemahl ausgibt und die lästigen Freier getötet hat, sie habe ihr Ehebett aus dem Haus in den Hof stellen lassen – sie weiß, dass es unmöglich ist –, und der Leser erfährt von Odysseus, warum (ich bevorzuge bei der Odyssee die Übertragung von Roland Hampe):
„Von den Männern könnte kein Sterblicher auch mit der Jugend
Kräften hinweg es wuchten; es ist ein besonderes Zeichen
In dem kunstvollen Bett; ich hab es gemacht und kein andrer.
Drin im Gehege wuchs ein blätterbreitender Ölbaum,
Ausgewachsen und voll, an Umfang wie eine Säule;
Rings um diesen erbaut ich das Schlafgemach, bis es vollendet,
Aus dicht schließenden Steinen, es oben gut überdachend.“
Ein Ölbaum ist der Pfeiler des Ehegemachs. Was sonst? Auch die Taube der Arche Noah kehrt mit einem Ölzweig im Schnabel zurück. Maria Magdalena salbt die Füße Christi mit Öl, und als der göttliche Dulder Odysseus zu den Phäaken verschlagen wird, will er zuerst das Salz des Meeres mit Salböl vom Leibe waschen, „denn wahrlich, schon lang entbehr‘ ich dieser Erfrischung“. Das ist heute aus der Mode gekommen, doch wenn Sie zum Beispiel irgendein Hautproblem haben, dann sollten Sie durchaus versuchen, es mit Olivenöl zu behandeln. Allerdings keines aus dem Supermarkt.
Was beim Wein das terroir, ist beim Ölbaum das territorio. Wie jeder gute Wein eine Geschichte erzählt, von der Landschaft, in der er wuchs, dem Klima seines Jahrgangs, der Arbeit des Kellermeisters, nimmt auch jeder, der ein gutes Olivenöl verzehrt, dessen Geschichte in sich auf, die von dem unverwechselbaren Flecken Erde handelt, in dem der Baum wurzelt, und von den Menschen, die seine Früchte geerntet und gepresst haben, übrigens viel später im Jahr, als man den Wein liest. Wie die Rebensäfte unterscheiden sich auch Olivenöle von Jahr zu Jahr, nur legt man bei ihnen keinen Wert auf Jahrgangsangaben, weil sie schnell verbraucht werden müssen.
Nicht so häufig wie Weinproben, doch in schöner Regelmäßigkeit finden auch Olivenöl-Degustationen statt, und in ihrem Verlauf unterscheiden sich beide kaum voneinander. Ein großes Öl ist wie ein großer Wein, aber leider wissen das selbst manche Sterneköche nicht. Anders als beim Wein verrät das Etikett meistens nichts Genaues über die Herkunft des Öls, wie beim Wein müssen Zusatzstoffe nicht deklariert werden, „nativ extra“ und das im Zeitalter der Zentrifugen sinnlos gewordene „kaltgepresst“ steht auf nahezu jedem Öl.
Seit alten Tagen bestrafen die Götter denjenigen, der einen Ölbaum zerstört. In Italien übernimmt manchmal auch die Justiz diese Bestrafung. Der Ölbaum ist heilig. Das Millionengeschäft mit dem Olivenöl dagegen ist oft schmutzig. Dass Olivenhaine angezündet werden, weil deren Besitzer dem lokalen Paten nicht gehorchen wollten, kommt natürlich weit seltener vor als das Panschen von Ölen und das Fälschen von Etiketten.
Eine wirklich reines, natives Olivenöl unterscheidet sich von industrieller Massenware wie ein großer Bordeaux von einem Supermarktwein. Allerdings gibt es auch beim Öl deutlich mehr Massenware als Hochqualität. So wird beispielsweise minderwertiges Öl in sogenannten Desodorierungsanlagen „geschönt“, das heißt von unangenehmen Geschmacksnoten und Duftstoffen befreit, doch es erhält, wie auch raffiniertes Öl, das durch die Bearbeitung alle geschmacklichen Qualitäten und gesunden Substanzen verloren hat, ein Etikett, auf dem „nativ extra“ steht. Handfestere Betrüger strecken Olivenöl mit anderen Substanzen, Rapsöl beispielsweise, doch es kommen auch üblere Zutaten in den angeblichen olio d‘oliva. Der häufigste Etikettenschwindel betrifft allerdings die Herkunft. Zwar hat Apulien mehr Olivenbäume als Italien Einwohner, doch die müssen vor allem dafür herhalten, dass auf bemerkenswert vielen Flaschen „Toscana“ stehen kann; andere „italienische“ Öle kommen aus Marokko oder Spanien. Ölbetrug ist im Mittelmeerraum ein Riesengeschäft.
Die Schattenwirtschaft ist dafür verantwortlich, dass die meisten außerhalb der Anbaugebiete lebenden Menschen wahrscheinlich noch nie ein wirklich gutes Olivenöl genossen haben.
Woran erkennt man, ob ein Öl gut ist? Als Dilettant auch auf diesem Gebiet habe ich nur eine Antwort: Ein gutes Öl will ich pur trinken. Nur dann schmeckt man es wirklich. Und das tue ich, in täglich größeren Portionen und im ruhigen Bewusstsein, dass die Bauern im Süden seit Jahrhunderten ihr Öl nicht nur großzügig über jede Speise verteilen, sondern auch trinken. Die einen, was die Menge betrifft, wie Schnaps, andere wie Wein (ich befinde mich derzeit ungefähr in der Mitte dazwischen). Bereits den Kindern wird der nahrhafte und gesunde Nektar in fingerhutgroßer Dosierung verabreicht. Selbstverständlich gieße ich das Öl auch über den Fisch oder den Salat und brate Fleisch, Pasta und Gemüse darin. Noch lieber tunke ich ein kleine Stücke guten Weißbrotes ins leicht gesalzene Öl, so lange, bis das Brot wirklich trieft, und spüle den Bissen mit einem Extra-Schluck hinunter. Überhaupt sollte das Mengenverhältnis Öl-Brot eindeutig zugunsten des Ersten ausfallen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich erstmals ein kleines Wasserglas richtig voll goss, um es dann in zwei Schlucken zu leeren – und sofort nachzuschenken. Für jedes Hantieren mit der Frucht des Ölbaums gilt die alte italienische Maxime: Aceto come un avaro, sale come un saggio, ma olio come un pazzo – Nimm Essig wie ein Geizkragen, Salz wie ein Weiser, aber Olivenöl wie ein Verrückter.
Gutes, natives, nicht industriell bearbeitetes Olivenöl ist schwerflüssig, fast sämig. Es schmeckt fruchtig, aber zugleich ein bisschen bitter. In seinem Geschmack finden sich vor allem vegetabile Noten wieder, die mit der Farbe grün assoziiert werden: gemähtes Gras, grüner Apfel, grüne Tomate, Artischocke. Aber auch Pfeffer. Wenn ein Olivenöl ein bisschen im Hals kratzt, ist es genau richtig. Die Farbe ist übrigens eher egal. Im Idealfall kennt man den Importeur seines Öls, noch besser den Bauern selbst, oder die Ölmühle ist auf dem Etikett vermerkt. Die Bezeichnung „Hergestellt mit Oliven aus der EU“ klingt jedenfalls wenig vertrauenerweckend. Letztlich – wenn auch nicht ganz zuverlässig – erteilt der Preis Auskunft über die Qualität. Ich habe zwar, auf eine Empfehlung hin, ein Öl für alle Tage gefunden, dessen Literpreis unter zehn Euro liegt, aber das ist normalerweise viel zu wenig, und dieses Öl trinke ich auch nicht pur. Wenn der Liter über 20 Euro kostet, ist er das meistens wert.
Ungern erwähne ich am Schluss, dass echtes natives Olivenöl Antioxidanzien enthält, entzündungshemmende Substanzen, die eine heilende Wirkung entfalten, Herzkreislauf-Erkrankungen reduzieren, der Demenz wehren und sogar zur Verhütung von Krebs beitragen sollen. Nahezu jede Betrachtung der Mittelmeerküche gelangt zu dem Punkt ihrer Bekömmlichkeit und gesundheitsfördernden Wirkung, weil den Jetztmenschen nichts mehr interessiert als seine Gesundheit und sein möglichst langes Leben. Doch ich trinke mein Öl keineswegs deshalb, sondern weil die Götter es so wollen.
PS: Leserin *** verweist darauf, dass die Salbung Christi nicht mit Oliven‑, sondern mit Nardenöl geschah. Und Leser *** merkt an, dass mit der Avocado noch eine weitere Frucht für die Ölgewinnung verwendet werde.