4. Juni 2023

Die Sonn­ta­ge immer (mal wie­der) den Küns­ten (im wei­tes­ten, aber wahr­haf­ti­gen Sinne)!

Es war Pal­las Athe­ne, die den Grie­chen den Ölbaum brach­te. Die Zeus­toch­ter und ihr Onkel Posei­don erho­ben einst Anspruch auf die Schutz­herr­schaft über Atti­ka. Der Göt­ter­va­ter hat­te ent­schie­den, dass die­se Herr­schaft dem­je­ni­gen der bei­den zufal­le, der den Bewoh­nern das nutz­brin­gen­de­re Geschenk mache. Athe­ne ließ dar­auf­hin einen Oli­ven­baum sprie­ßen. Es war gleich­gül­tig, womit Posei­don dage­gen­hal­ten wür­de. Was soll­te neben der Oli­ve bestehen? Ein­zig Dio­ny­sos, der Herr der Reben, hät­te bei die­sem Kräf­te­mes­sen mit­hal­ten können.

Das Oli­ven­öl ist so alt wie der Wein, womög­lich noch älter, und es war gewis­ser­ma­ßen das Erd­öl der Anti­ke. Mit ihm wur­den die Häu­ser, Paläs­te und Tem­pel beleuch­tet, es dien­te der Kör­per­pfle­ge, man ver­wen­de­te es als Medi­zin – und natür­lich als Spei­se­be­glei­ter sowie zum Bra­ten. Der Ölbaum und der Reb­stock als land­schafts­prä­gen­de Pflan­zen gehö­ren fest zusam­men, sie ver­kör­pern wie nichts sonst die medi­ter­ra­ne Kul­tur und ste­cken zugleich deren geo­gra­phi­sche Gren­zen ab. Es gab im Nor­den nicht nur eine Wein-Bier-Gren­ze, son­dern auch eine Oli­ven­öl-Schwei­ne­fett-Gren­ze, die die Bar­ba­ren von den Latei­nern und Hel­le­nen schied.

Bei­de Pflan­zen, der Wein­stock wie der Ölbaum, voll­brin­gen täg­li­che Wun­der der Ver­wand­lung, indem sie unter Zuhil­fe­nah­me des Son­nen­lichts aus kar­gen Böden Früch­te her­vor­brin­gen, ohne die das Leben unse­rer Gat­tung öd und leer wäre. Die­se Früch­te sind schon als Spei­se ein Lab­sal, doch ihre wah­re Pracht und Herr­lich­keit ent­fal­ten sie in flüs­si­ger Form. Wäh­rend der Saft der Wein­bee­re bereits unter leich­tem Druck zu flie­ßen beginnt, muss er der Oli­ve regel­recht abge­presst wer­den. Wäh­rend der Wein­stock es küh­ler mag, erträgt die stoi­sche Oli­ve gro­ße Hit­ze und lan­ge Tro­cken­heit. Des­halb ist die Ver­brei­tung die­ser bei­den Segens­ge­wäch­se nicht ganz deckungs­gleich; der Wein­bau dehnt sich wei­ter nach Nor­den aus als die Oli­ve, die wie­der­um in den hei­ßen Gegen­den Nord­afri­kas gedeiht. Längst haben bei­de eben­falls die Neue Welt fried­lich erobert. Wie alte Wein­stö­cke wach­sen sich auch alte Oli­ven­bäu­me ins Bizar­re und Knor­ri­ge aus, nur kennt der Ölbaum ganz ande­re Alters­di­men­sio­nen als die Rebe: Tau­send Jah­re und älter kann er wer­den. Der Methu­sa­lem unter den Oli­ven­bäu­men steht auf Kre­ta, im Hin­ter­land des Fischer­dorfs Kolim­ba­ri, und hat min­des­tens 3500 Jah­re auf sei­nem knor­ri­gen Buckel.

Oli­ven­öl ist das ein­zi­ge Öl, das aus einer Frucht, nicht aus Samen gewon­nen wird. Die­se Frucht ist unter allen Schöp­fun­gen der Natur ein Uni­kat; sie gehört weder zum Obst noch zum Gemü­se und besitzt doch von bei­dem etwas, oben­drein ist sie flei­schig – ein wah­res Ein­horn. Von ein­zig­ar­ti­ger Schön­heit ist auch das matt­schim­mern­de Sil­ber­grau der ganz­jäh­rig belaub­ten Oli­ven­hai­ne, mit dem die Bäu­me auf die drü­cken­de Son­ne des Südens antworten.

In der berühm­ten end­gül­ti­gen Wie­der­erken­nungs­sze­ne der „Odys­see“ erklärt Pene­lo­pe, um den Frem­den zu prü­fen, der sich als ihr heim­ge­kehr­ter Gemahl aus­gibt und die läs­ti­gen Frei­er getö­tet hat, sie habe ihr Ehe­bett aus dem Haus in den Hof stel­len las­sen – sie weiß, dass es unmög­lich ist –, und der Leser erfährt von Odys­seus, war­um (ich bevor­zu­ge bei der Odys­see die Über­tra­gung von Roland Hampe):

„Von den Män­nern könn­te kein Sterb­li­cher auch mit der Jugend
Kräf­ten hin­weg es wuch­ten; es ist ein beson­de­res Zeichen
In dem kunst­vol­len Bett; ich hab es gemacht und kein andrer.
Drin im Gehe­ge wuchs ein blät­ter­brei­ten­der Ölbaum,
Aus­ge­wach­sen und voll, an Umfang wie eine Säule;
Rings um die­sen erbaut ich das Schlaf­ge­mach, bis es vollendet,
Aus dicht schlie­ßen­den Stei­nen, es oben gut überdachend.“

Ein Ölbaum ist der Pfei­ler des Ehe­ge­machs. Was sonst? Auch die Tau­be der Arche Noah kehrt mit einem Ölzweig im Schna­bel zurück. Maria Mag­da­le­na salbt die Füße Chris­ti mit Öl, und als der gött­li­che Duld­er Odys­seus zu den Phäaken ver­schla­gen wird, will er zuerst das Salz des Mee­res mit Salb­öl vom Lei­be waschen, „denn wahr­lich, schon lang ent­behr‘ ich die­ser Erfri­schung“. Das ist heu­te aus der Mode gekom­men, doch wenn Sie zum Bei­spiel irgend­ein Haut­pro­blem haben, dann soll­ten Sie durch­aus ver­su­chen, es mit Oli­ven­öl zu behan­deln. Aller­dings kei­nes aus dem Supermarkt.

Was beim Wein das ter­ro­ir, ist beim Ölbaum das ter­ri­to­rio. Wie jeder gute Wein eine Geschich­te erzählt, von der Land­schaft, in der er wuchs, dem Kli­ma sei­nes Jahr­gangs, der Arbeit des Kel­ler­meis­ters, nimmt auch jeder, der ein gutes Oli­ven­öl ver­zehrt, des­sen Geschich­te in sich auf, die von dem unver­wech­sel­ba­ren Fle­cken Erde han­delt, in dem der Baum wur­zelt, und von den Men­schen, die sei­ne Früch­te geern­tet und gepresst haben, übri­gens viel spä­ter im Jahr, als man den Wein liest. Wie die Reben­säf­te unter­schei­den sich auch Oli­ven­öle von Jahr zu Jahr, nur legt man bei ihnen kei­nen Wert auf Jahr­gangs­an­ga­ben, weil sie schnell ver­braucht wer­den müssen.

Nicht so häu­fig wie Wein­pro­ben, doch in schö­ner Regel­mä­ßig­keit fin­den auch Oli­ven­öl-Degus­ta­tio­nen statt, und in ihrem Ver­lauf unter­schei­den sich bei­de kaum von­ein­an­der. Ein gro­ßes Öl ist wie ein gro­ßer Wein, aber lei­der wis­sen das selbst man­che Ster­ne­kö­che nicht. Anders als beim Wein ver­rät das Eti­kett meis­tens nichts Genau­es über die Her­kunft des Öls, wie beim Wein müs­sen Zusatz­stof­fe nicht dekla­riert wer­den, „nativ extra“ und das im Zeit­al­ter der Zen­tri­fu­gen sinn­los gewor­de­ne „kalt­ge­presst“ steht auf nahe­zu jedem Öl.

Seit alten Tagen bestra­fen die Göt­ter den­je­ni­gen, der einen Ölbaum zer­stört. In Ita­li­en über­nimmt manch­mal auch die Jus­tiz die­se Bestra­fung. Der Ölbaum ist hei­lig. Das Mil­lio­nen­ge­schäft mit dem Oli­ven­öl dage­gen ist oft schmut­zig. Dass Oli­ven­hai­ne ange­zün­det wer­den, weil deren Besit­zer dem loka­len Paten nicht gehor­chen woll­ten, kommt natür­lich weit sel­te­ner vor als das Pan­schen von Ölen und das Fäl­schen von Etiketten.

Eine wirk­lich rei­nes, nati­ves Oli­ven­öl unter­schei­det sich von indus­tri­el­ler Mas­sen­wa­re wie ein gro­ßer Bor­deaux von einem Super­markt­wein. Aller­dings gibt es auch beim Öl deut­lich mehr Mas­sen­wa­re als Hoch­qua­li­tät. So wird bei­spiels­wei­se min­der­wer­ti­ges Öl in soge­nann­ten Des­odo­rie­rungs­an­la­gen „geschönt“, das heißt von unan­ge­neh­men Geschmacks­no­ten und Duft­stof­fen befreit, doch es erhält, wie auch raf­fi­nier­tes Öl, das durch die Bear­bei­tung alle geschmack­li­chen Qua­li­tä­ten und gesun­den Sub­stan­zen ver­lo­ren hat, ein Eti­kett, auf dem „nativ extra“ steht. Hand­fes­te­re Betrü­ger stre­cken Oli­ven­öl mit ande­ren Sub­stan­zen, Raps­öl bei­spiels­wei­se, doch es kom­men auch üble­re Zuta­ten in den angeb­li­chen olio d‘oliva. Der häu­figs­te Eti­ket­ten­schwin­del betrifft aller­dings die Her­kunft. Zwar hat Apu­li­en mehr Oli­ven­bäu­me als Ita­li­en Ein­woh­ner, doch die müs­sen vor allem dafür her­hal­ten, dass auf bemer­kens­wert vie­len Fla­schen „Tos­ca­na“ ste­hen kann; ande­re „ita­lie­ni­sche“ Öle kom­men aus Marok­ko oder Spa­ni­en. Ölbe­trug ist im Mit­tel­meer­raum ein Riesengeschäft.

Die Schat­ten­wirt­schaft ist dafür ver­ant­wort­lich, dass die meis­ten außer­halb der Anbau­ge­bie­te leben­den Men­schen wahr­schein­lich noch nie ein wirk­lich gutes Oli­ven­öl genos­sen haben.

Wor­an erkennt man, ob ein Öl gut ist? Als Dilet­tant auch auf die­sem Gebiet habe ich nur eine Ant­wort: Ein gutes Öl will ich pur trin­ken. Nur dann schmeckt man es wirk­lich. Und das tue ich, in täg­lich grö­ße­ren Por­tio­nen und im ruhi­gen Bewusst­sein, dass die Bau­ern im Süden seit Jahr­hun­der­ten ihr Öl nicht nur groß­zü­gig über jede Spei­se ver­tei­len, son­dern auch trin­ken. Die einen, was die Men­ge betrifft, wie Schnaps, ande­re wie Wein (ich befin­de mich der­zeit unge­fähr in der Mit­te dazwi­schen). Bereits den Kin­dern wird der nahr­haf­te und gesun­de Nek­tar in fin­ger­hut­gro­ßer Dosie­rung ver­ab­reicht. Selbst­ver­ständ­lich gie­ße ich das Öl auch über den Fisch oder den Salat und bra­te Fleisch, Pas­ta und Gemü­se dar­in. Noch lie­ber tun­ke ich ein klei­ne Stü­cke guten Weiß­bro­tes ins leicht gesal­ze­ne Öl, so lan­ge, bis das Brot wirk­lich trieft, und spü­le den Bis­sen mit einem Extra-Schluck hin­un­ter. Über­haupt soll­te das Men­gen­ver­hält­nis Öl-Brot ein­deu­tig zuguns­ten des Ers­ten aus­fal­len. Es hat eine Wei­le gedau­ert, bis ich erst­mals ein klei­nes Was­ser­glas rich­tig voll goss, um es dann in zwei Schlu­cken zu lee­ren – und sofort nach­zu­schen­ken. Für jedes Han­tie­ren mit der Frucht des Ölbaums gilt die alte ita­lie­ni­sche Maxi­me: Ace­to come un ava­ro, sale come un sag­gio, ma olio come un paz­zo – Nimm Essig wie ein Geiz­kra­gen, Salz wie ein Wei­ser, aber Oli­ven­öl wie ein Verrückter.

Gutes, nati­ves, nicht indus­tri­ell bear­bei­te­tes Oli­ven­öl ist schwer­flüs­sig, fast sämig. Es schmeckt fruch­tig, aber zugleich ein biss­chen bit­ter. In sei­nem Geschmack fin­den sich vor allem vege­ta­bi­le Noten wie­der, die mit der Far­be grün asso­zi­iert wer­den: gemäh­tes Gras, grü­ner Apfel, grü­ne Toma­te, Arti­scho­cke. Aber auch Pfef­fer. Wenn ein Oli­ven­öl ein biss­chen im Hals kratzt, ist es genau rich­tig. Die Far­be ist übri­gens eher egal. Im Ide­al­fall kennt man den Impor­teur sei­nes Öls, noch bes­ser den Bau­ern selbst, oder die Ölmüh­le ist auf dem Eti­kett ver­merkt. Die Bezeich­nung „Her­ge­stellt mit Oli­ven aus der EU“ klingt jeden­falls wenig ver­trau­en­er­we­ckend. Letzt­lich – wenn auch nicht ganz zuver­läs­sig – erteilt der Preis Aus­kunft über die Qua­li­tät. Ich habe zwar, auf eine Emp­feh­lung hin, ein Öl für alle Tage gefun­den, des­sen Liter­preis unter zehn Euro liegt, aber das ist nor­ma­ler­wei­se viel zu wenig, und die­ses Öl trin­ke ich auch nicht pur. Wenn der Liter über 20 Euro kos­tet, ist er das meis­tens wert.

Ungern erwäh­ne ich am Schluss, dass ech­tes nati­ves Oli­ven­öl Anti­oxi­dan­zi­en ent­hält, ent­zün­dungs­hem­men­de Sub­stan­zen, die eine hei­len­de Wir­kung ent­fal­ten, Herz­kreis­lauf-Erkran­kun­gen redu­zie­ren, der Demenz weh­ren und sogar zur Ver­hü­tung von Krebs bei­tra­gen sol­len. Nahe­zu jede Betrach­tung der Mit­tel­meer­kü­che gelangt zu dem Punkt ihrer Bekömm­lich­keit und gesund­heits­för­dern­den Wir­kung, weil den Jetzt­men­schen nichts mehr inter­es­siert als sei­ne Gesund­heit und sein mög­lichst lan­ges Leben. Doch ich trin­ke mein Öl kei­nes­wegs des­halb, son­dern weil die Göt­ter es so wollen.

PS: Lese­rin *** ver­weist dar­auf, dass die Sal­bung Chris­ti nicht mit Oliven‑, son­dern mit Nar­den­öl geschah. Und Leser *** merkt an, dass mit der Avo­ca­do noch eine wei­te­re Frucht für die Ölge­win­nung ver­wen­det werde.

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