6. Mai 2023, Coronation Day

Was heu­te zu Lon­don geschieht, voll­zieht sich dort in schö­ner Regel­mä­ßig­keit seit tau­send Jah­ren, es han­delt sich also um etwas, das nach Ansicht der Ewigm­or­gi­gen ewig­gest­rig ist und auf den „Müll­hau­fen der Geschich­te” gehört, was aber jam­mer­scha­de wäre, denn war­um soll­te die präch­ti­ge Königs­kro­ne dort neben der Jako­bi­ner­müt­ze, dem Mao-Anzug und Fischer­jo­ckels Turn­schu­hen lie­gen? Die Häme, die vor allem das eng­li­sche Königs­haus in der deut­schen Pres­se erfährt, hat viel mit den schmuck­lo­sen Vor­or­ten zu tun, aus denen die meis­ten Jour­na­lis­ten stam­men. Ein Königs­haus ist doch etwas Herr­li­ches. „Die Kul­tu­ren”, notier­te Nicolás Gómez Dávila, „sind Gebäu­de, die aris­to­kra­ti­sche Hän­de errich­ten und die Demo­kra­tien mit Gewalt nie­der­rei­ßen”, wes­halb man die­sen Gedan­ken unter Pro­gessi­ven auch nicht aus­spre­chen darf.

Im mon­ar­chen­am­pu­tier­ten Deutsch­land gilt der Bun­des­prä­si­dent als eine Art Ersatz­kö­nig. Bezeich­nen­der­wei­se ist ein Schloss sein Amts­sitz, und nicht ganz unbe­zeich­nen­der­wei­se habe ich im Gar­ten davor schon sehr wohl­ge­nähr­te Rat­ten her­um­lau­fen sehen (und ich mei­ne kei­ne anthro­po­mor­phen). Der Bun­des­prä­si­dent wird nicht vom kon­stru­ier­ten Volk gewählt, son­dern von einer nicht beson­ders demo­kra­tisch rekru­tier­ten Bun­des­ver­samm­lung. Er steht über den Par­tei­en; zumin­dest wird von ihm erwar­tet, dass er über­par­tei­lich agiert. Im Para­graph 90 StGB „Ver­un­glimp­fung des Bun­des­prä­si­den­ten“ hat der alte Majes­täts­be­lei­di­gungs­pa­ra­graph über­dau­ert. Der Bun­des­prä­si­dent besitzt kei­ne wirk­li­che Macht. Statt­des­sen soll er das Land repräsentieren.

In Wirk­lich­keit ähnelt der Bun­des­prä­si­dent weni­ger einem Mon­ar­chen als viel­mehr einem Pre­di­ger. Der augen­fäl­ligs­te Unter­schied zwi­schen einem Mon­ar­chen und einem Bun­des­prä­si­den­ten besteht dar­in, dass der Mon­arch gemein­hin kei­ne Reden vor gro­ßem Publi­kum hält; unser vor­erst letz­ter Kai­ser Wil­helm II. war die gro­ße und, wie man­che mei­nen, unrühm­li­che Aus­nah­me. Eigent­lich ver­bie­tet die Eti­ket­te dem Mon­ar­chen, sich mit Reden ans Volk zu wen­den – von Extrem­si­tua­tio­nen wie einem Kriegs­aus­bruch abge­se­hen; der Film „The King’s Speech“ über den eng­li­schen König Georg VI. behan­delt eine sol­che Welt­se­kun­de. Bun­des­prä­si­den­ten dage­gen reden bei jeder Gele­gen­heit – und wie wir beim aktu­el­len beob­ach­ten müs­sen, oft unglaub­li­chen ahis­to­ri­schen Stuss. Herr Stein­mei­er hat auch mit der Idee gebro­chen, das demo­kra­ti­sche Ersatz­kö­nig­lein möge sich der par­tei­po­li­ti­schen Stel­lung­nah­me entraten.

Der Mon­arch indes steht tat­säch­lich über den Par­tei­en, und Reprä­sen­tie­ren ist sei­ne eigent­li­che Auf­ga­be. Die Wur­zeln der Majes­tä­ten rei­chen tief in die Ver­gan­gen­heit ihrer Völ­ker, sie reprä­sen­tie­ren ihr Land in über­zeit­li­cher, über­per­sön­li­cher Wei­se und sind das leben­di­ge Zeug­nis dafür, dass zwi­schen dem Land und der Regie­rungs­form kei­ne voll­stän­di­ge Über­ein­stim­mung besteht. Sie bezeu­gen viel­mehr, dass es nach einem mög­li­chen Ende des gera­de herr­schen­den Sys­tems trotz­dem wei­ter­ge­hen kann. In man­chen Län­dern wur­den die Mon­ar­chen von den neu­en Herr­schern des­we­gen geköpft oder erschos­sen oder ver­trie­ben. Im Hass auf die Majes­tä­ten waren sich Demo­kra­ten und Dik­ta­to­ren stets einig. Eng­land hat das Sakri­leg des Königs­mor­des immer­hin wie­der korrigiert.

Die Köni­ge ent­stam­men dem Adel, der bekannt­lich ver­pflich­tet. „Die euro­päi­sche Auf­fas­sung über das, was schön und ange­mes­sen ist im Umgang der Men­schen mit­ein­an­der, hat der Adel for­mu­liert“, schreibt Asfa-Wos­sen Asse­r­a­te in sei­nem ent­zü­cken­den Buch „Manie­ren“. Es sind die Aris­to­kra­tien gewe­sen, die den Völ­kern die Frisch­luft ihrer Sit­ten zufä­chel­ten. Die Zivi­li­sa­ti­on lebt von aris­to­kra­ti­schen Gewohn­hei­ten bezie­hungs­wei­se deren Über­bleib­seln. Für die euro­päi­schen Län­der waren die Herr­scher­häu­ser stil­bil­dend. Auch für deren Küchen. Es war ein wei­ter Weg von den eher rus­ti­ka­len Bra­ten­ver­zehr­sor­gi­en am Hofe Hein­richs VIII. bis zur Tafel Lud­wigs XIV. in Versailles.

Die Tafel, wie sie uns heu­te vor­schwebt, ist höfi­schen Ursprungs. Bei Hofe war sie eine Insze­nie­rung; Essen nur um satt zu wer­den, galt dem Adel als ani­ma­lisch. Des­halb war die gemein­sa­me Mahl­zeit mit Gefol­ge und Gäs­ten ein von Musik, Tanz, Thea­ter und Feu­er­werk umrahm­tes Gesamt­kunst­werk, das sich, wenn es etwas Bedeu­ten­des zu fei­ern gab, eine dynas­ti­sche Hoch­zeit, die Geburt eines Thron­fol­gers oder einen Sieg in der Schlacht, über Tage hin­zie­hen konn­te. Am Anfang des 18. Jahr­hun­derts bil­de­ten sich Tafel­sit­ten und die For­men des Tafel­schmucks, wie sie heu­te noch in vie­len Tei­len Euro­pas gel­ten. Kein euro­päi­scher Hof war dabei wich­ti­ger als der des Son­nen­kö­nigs. Dort wur­de natur­ge­mäß auch am bes­ten geges­sen. Wobei mir ein guter Freund nahe­zu glaub­wür­dig ver­si­chert hat, dass die fran­zö­si­sche Küche ledig­lich ein Able­ger der könig­lich-säch­si­schen Hof­kü­che sei.

Das ist Geschich­te. Der Adel, nament­lich der deut­sche, lebt heu­te beschei­de­ner. Der Adel, nament­lich der deut­sche, protzt nicht mehr. Der Adel, nicht zwin­gend der deut­sche, hat viel­mehr Stil. Wir beka­men unlängst die Gele­gen­heit zum Ver­gleich, nicht zwi­schen deut­schem und eng­li­schem Adel, son­dern etwas unfai­rer­wei­se zwi­schen eng­li­schem Hoch­adel und deut­scher Sozi­al­de­mo­kra­tie, näm­lich beim Staats­be­such von Charles III. und sei­ner Frau Camil­la in Deutsch­land. King Charles ist zwar der tris­te Beweis dafür, dass der woke Blöd­sinn auch bei Hofe ange­kom­men ist, doch an der Sei­te von Stein­mei­er wirk­te er wie eine atti­sche Sta­tue neben einer Fas­nachts­pup­pe. Charles reprä­sen­tier­te nicht nur das eng­li­sche König­tum und das Haus Wind­sor, son­dern auch das Schnei­der­hand­werk sei­nes Lan­des. Ohne jeden Pomp, aber mit einer Gar­de­ro­be, deren Form, Schnitt und Sitz man nur mit dem Wort impec­ca­ble beschrei­ben kann: tadel­los. Am bes­ten, Sie schau­en sich die Bil­der selbst an; wenn ich jetzt Stein­mei­er beschrei­be, wen­det man am Ende noch den oben genann­ten Para­gra­phen auf mich an. Unse­re soge­nann­te First Lady, also Stein­mei­ers Frau Elke Büden­ben­der, schnitt im Ver­gleich mit Camil­la übri­gens noch schlech­ter ab. Am Bran­den­bur­ger Tor kreuz­te sie mit einem knitt­ri­gen hell­ro­ten Man­tel und einem Som­mer­hüt­chen auf, als wan­de­re sie an der Ost­see, beim abend­li­chen Staats­ban­kett hat­te sich die Frau des Bun­des­prä­si­den­ten in einen flie­der­far­be­nen Taft-Schlauch gequetscht, mit einem ähn­lich­far­be­nen Tore­ro­jäck­chen dar­über. Sie wäre die idea­le Part­ne­rin der eben­falls anwe­sen­den Toten Hose Cam­pi­no gewe­sen, der sich so per­fekt in sei­nem Leih­frack füg­te wie in den alten Kalau­er „Ein Wrack im Frack“.

Ich weiß, es schmerzt die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche deut­sche See­le, aber es unter­schei­det Men­schen ein Leben lang, wenn der eine im Buck­ing­ham Palast und der ande­re in der Ent­bin­dungs­sta­ti­on des Kli­ni­kums Lip­pe-Det­mold das Licht die­ser unge­rech­ten Welt erblickt hat.

Es gab beim Staats­ban­kett im Schloss Bel­le­vue fol­gen­des Menü: gebeiz­ter Karp­fen mit Erfur­ter Brun­nen­kres­se, sodann Kraft­brü­he vom Heck­rind, als Haupt­gang Wei­de­huhn und Baum­pilz, zum Abschluss Back­pflau­me, ost­frie­si­scher Schwarz­tee und Sand­ge­bäck. Ob die Ries­ling-Spät­le­se aus dem Rhein­gau den Karp­fen ins Genieß­ba­re geret­tet hat, kann ich nicht beur­tei­len, ich fin­de aller­dings, dass ein Karp­fen als sol­cher bes­tens mit dem Gast­ge­ber har­mo­niert. Wenn man dem Staats­gast mit­tei­len woll­te, dass Ger­ma­ny ein Land ist, das von stil­un­si­che­ren Klein­bür­gern, die allen­falls heim­lich schlem­men, regiert wird, dann ist es gelun­gen. Offen­bar woll­te man dem King etwas Ein­fa­ches, aber nichts Tri­via­les kre­den­zen, und zugleich den mit Infla­ti­on, den welt­höchs­ten Ener­gie­prei­sen und Stein­mei­er-Reden gequäl­ten Men­schen da drau­ßen im Land den Ein­druck von Beschei­den­heit ver­mit­teln. Für Charles war das übri­gens nichts völ­lig Neu­es; als er 1987, damals noch Prin­ce of Wales, Franz Her­zog von Bay­ern in Nym­phen­burg besuch­te, wur­den eine Rin­der­bouil­lon, ein Tafel­spitz und zum Des­sert Maril­len­knö­del ser­viert. Wie gesagt, der deut­sche Adel ver­steht inzwi­schen etwas von Beschei­den­heit, er wird aller­dings auch nicht mit Steu­er­mil­li­ar­den gemästet.

Was folgt aus all dem? Ganz ein­fach: Glück­lich ein Land, das noch einen König hat – so albern sich ein­zel­ne Mit­glie­der des eng­li­schen Königs­hau­ses auch zuwei­len auf­füh­ren –, weil das König­tum etwas ist, das sich sowohl demo­kra­ti­scher Wähl­bar­keit als auch demo­kra­ti­scher Rhe­to­rik und nicht zuletzt dem Rang­ord­nungs­kri­te­ri­um des Reich­tums ent­zieht. „Die Rei­chen sind nur dort unschäd­lich, wo eine Aris­to­kra­tie sie gering­schätzt“, notier­te der treff­li­che Nicolás Gómez Dávila. König­tum ist Form, König­tum ist Tra­di­ti­on. Die ent­setz­li­che deut­sche Form­lo­sig­keit hängt auch mit der Abdan­kung des Adels zusam­men. Wo eine Sozi­al­de­mo­kra­tie eine Aris­to­kra­tie ersetzt, kann es ästhe­tisch nur berg­ab gehen.

God save the King!

 

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