Was ist die Aufgabe der Regierungspresse? Dem Publikum die Arbeit der Regierung als gut, richtig und wichtig sowie deren Mitglieder als so vertrauenswürdige wie bedeutende Persönlichkeiten zu verkaufen. Notfalls auf etwas bizarre Weise – Widerspruch und Spott drohen schließlich nur von den schlimmen, aber ignorierbaren publizistischen Rändern.
Die Bundeskanzlerin Merkel wurde ja im März 2021 auch als „Beste Bloggerin Deutschlands” nominiert, obwohl sie „im eigentlichen Sinne keinen Blog betreibt”, wie die Jury des „Golden-Blogger-Award” damals einräumte; warum soll Robert der Dreitagebärtige nicht eine Auszeichnung für Essayistik bekommen, obwohl er keine Essays schreibt und niemals, auch bei großzügiger Auslegung des Begriffs, ein Essayist – ein Homme de lettres – war. Das ist einfach sozialistischer Humor, der in seiner rumänischen Variante besonders launig hervorstach.
Nominiert hat den Grünen der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube, einer der männlichsten Geister bzw. geistvollsten Männer der BRD, jeder Zoll eine Charakternatur, im Felde der Opportunität unbesiegt.
Der Spiegel notiert: „Kaube verwies in seiner Begründung auf die stete Gefahr, dass im politischen Gespräch Argumente nichts mehr zählten, sondern ‚Narrative’. Habeck rage unter denjenigen heraus, die sich dem als Politiker und politischer Publizist widersetzten. Die Äußerungen des Vize-Bundeskanzlers seien von gesellschaftswissenschaftlich informierter und lebensweltlich grundierter Reflexion geprägt. ‚In den Zwängen der Politik erkämpft er sich auf beeindruckende Weise Freiräume durch Nachdenklichkeit’, erklärte Kaube.”
Der ragende Robert erhält den Preis für seine Nachdenklichkeit, ein etwas vergiftetes Lob angesichts der bekannten Tatsache, „dass ein Gedanke kommt, wenn ‚er’ will, und nicht, wenn ‚ich’ will” (Nietzsche). Was kann unser Grüner dafür, wenn nie, ich wiederhole: nie ein eigener Gedanke in seinem nachdenklichen Kopf vorstellig werden wollte? Noch komischer wäre es freilich gewesen, man hätte ihm für die Neubegründung der Marktwirtschaft den Ludwig-Erhard-Preis verliehen.
Nicht der Mensch ist zu klein, das Amt ist zu groß, bemerkte Montesquieu. Aber kaum einer macht bei seinen gar zu großen Amtsgeschäften ein so nachdenklich-versonnenes „Gitarrensolo-Gesicht” (also seufzte ein Habeck-Groupie bei der Zeit) wie Robert der Ragende.
Im Übrigen kann man den deutschen Vormärz getrost vergessen, Börne eingeschlossen (ich rechne Heine, die Rumpelreime des „Wintermärchens” vielleicht ausgenommen, nachdrücklich nicht dazu), das ist aufgeregte politische Tendenzliteratur, durchtränkt von jenem Ressentiment, das den Progressisten enthusiasmiert, fabriziert von Bürgersöhnchen (und ‑töchtern), die einen eigenen Stil durch ein allgemeines Engagement ersetzt hatten. Diese Beschreibung würde zwar auch auf Habeck passen, aber der kann ja keinen einzigen literarischen Satz schreiben. Der kann überhaupt nicht schreiben. Ich habe mir vor zwei Jahren den Tort angetan, sein Vorwort zur Neuausgabe von Orwells „1984” zu lesen und zu kommentieren. Dieser späte Bub kann lediglich auf einer Welle des Zeitgeistes mitschwimmen, wobei er sich bei den Grünen immerhin jenen solide durchfinanzierten Lebensabend ergaunert hat, der ihm, müsste er von seiner Schreiberei leben, niemals vergönnt gewesen wäre.
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Ich schaue mir dieses alljährlich zu Mainz, Köln, Aachen und andernorts zelebrierte Evolutionsdementi nie an, doch einige offenkundig hartgesottenere Leser wiesen mich darauf hin.
Wenn der gute Deutsche aus dem Schutze der Mehrheit eine Gruppe Andersmeinender gefahrlos verteufeln und das als „Ein Zeichen setzen” bzw. „Haltung zeigen” verkaufen kann, blüht er auf. Ein anthropomorphes Zäpfchen, das den Machthabern und Wortführern beflissen durch jenes Tor zur Seligkeit kriecht, nennt andere Leute „Arschlöcher”: The same procedure as every year (in the past ten).
In der Wahrnehmung der Schreibkraft aus der Lokalpresse ist dieser Regierungspropagandist ein „Kabarettist”. Es ist übrigens der nämliche Wichtel, der vor ein paar Jahren beim selben Anlass die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry eine Hexe nannte, während ein anderer Büttenplärrer erklärte: „Die AfD ist die Bremsspur in der Unterhose Deutschlands“ – mit der Analfixierung haben sie es offenbar –, und diese vor Publikum dargebotene Koprolalie bezeichnet der Lokaljournalist als „deutliche Worte”.
Die SPD-Pressestelle Redaktionsnetzwerk Deutschland (rnd) sieht das ähnlich.
Im Publikum saß in Person von Nanny Faeser die Dienstherrin aller Spitzel und Denunzianten, also der wohl größten deutschen Wählergruppe; vielleicht war es deswegen. Auch hier wird auf den „langanhaltenden Applaus” des Publikums verwiesen; viele (ich habe es mir nachträglich angeschaut) haben sich angehörs der mutigen bzw. deutlichen Worte von ihren Plätzen erhoben, und „ein Hauch von Sportpalast”, wie der Süddeutsche Beobachter bei einer anderen Gelegenheit schrieb, wehte durch den Narrensaal.
Die Webseite Der Westen indes meldete:
Wegen der koprophilen Oppositionsbeschimpfung? I wo – das ist doch die vornehmste Aufgabe eines „Komödianten” im besten Deutschland ever! Nein, es war etwas anderes. „In einem kurzen Videoausschnitt, der bei Twitter gerade die Runde macht, scheuen sich Sitzungs-Akteure Thomas Becker und Kati Greule nicht davor, sich öffentlich über Transgender und den Klimaschutz lustig zu machen.”
Es folgen einige mehr oder weniger lustige Bemerkungen wie: „Auch ich fühlte mich ja schon monatelang als Mann gefangen im Körper einer Frau, aber dann wurde ich halt geboren.“ Oder: „Mit welcher Begründung sagen wir dann später unseren Kindern, dass wir uns keine Gedanken über den Klimawandel gemacht haben?“ – „Dann sagen wir halt, liebe Kinder, es ist in den letzten 30 Jahren immer was dazwischengekommen, wir mussten uns ja erst mal Gedanken um Gender-Sternchen machen, dann hatten wir Pandemie, Endemie, Annemie, Putin, Energieknappheit – dann hat sich auch noch die Menüführung von Sky Go geändert.“
Ein paar eilends zusammengecastete Wutbürger haben sich angeblich über diese Gags beschwert; die Gazette zitiert ohne Quellenangabe, also wahrscheinlich aus dem Twittermob, zwei Kommentare: „Transfeindlich! Ekelhaft!” und „Sich über marginalisierte lustig machen, ist wirklich ein toller Humor.“
Die tatsächlich Marginalisierten, die beim Karneval beschimpft wurden, waren die AfD-Leute. Als Transsexueller indes ist man heutzutage bekanntlich eine Art Herrenmensch, unkritisierbar, mit einplärrbarem Recht auf grenzenloses Verständnis, Personenstandswechsel und staatliche Förderung, Minderheit hin oder her – es sind ja immer Minderheiten, die herrschen. Wobei es in diesem Falle nicht direkt die Transsexuellen, Queeren oder sonstwie Andersgearteten sind, sondern diejenigen, die sich als deren Sprecher und Anwälte aufspielen (man sagt, dass die meisten Betroffenen das überhaupt nicht wollen, doch wollten etwa die meisten Proletarier von den Linken vertreten werden?). Jeder, der in den Ruch der „Transphobie” gerät, riskiert Ruf, Job und Karriere. Insofern haben die beiden Querulanten das Image dieser Veranstaltung ein kleines bisschen korrigiert.
Eigentlich müssen sie beim Karneval ja gegen die da oben lästern, den Zeitgeist verspotten, dessen Wortführer und natürlich die Regierung durch den Kakao ziehen, aber das hat schon 1933 ff. schlecht funktioniert.
Gott, wie ich diese Vergleiche liebe.
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Apropos.
„Als 2010 eine öffentliche Kampagne in Deutschland versuchte, mich zu ächten, trat Hans-Jürgen Hübner, unterstützt von Helmut Diez, als fairer und furchtloser Online-Wächter meines Rufs auf. Ich hatte – in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Präsident Clintons Sozialpolitik auch für Deutschland vorgeschlagen. Jeder Bürger wird mit dem Recht auf 5 Jahre Sozialhilfe geboren. Er kann sparen, auf einmal oder in Tranchen nehmen oder gar nicht. Großzügig Hilfe sollte in echter Not geleistet, Wohlfahrt aber als lebenslange Existenzform auf Kosten der Mitbürger beendet werden. Ich wurde in den Medien oder in öffentlichen Verkehrsmitteln und Restaurants als Volksfeind hingestellt, wo Kollegen und Normalbürger mich anbrüllten. Mein Universitätsbüro wurde unzugänglich gemacht, indem Sekundenkleber in das Schloss gespritzt wurde. Ich traute mich nicht mehr, meine Familie am Wochenende von Danzig nach Bremen zu holen. Dann trat Peter Mikolasch als Heilsbringer auf und bot mir ein Exil in Niederösterreich an. Das hat meine Nervosität beruhigt.”
Gunnar Heinsohn (R. I. P.) in seinem Abschiedsbrief.
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Alexander Wendt hat einen würdigen Nachruf auf Heinsohn verfasst.
Ich kannte diesen beeindruckenden Polyhistor ausschließlich vom Kontakt via Mail und Telefon; ich las seine Sachen mit Gewinn und brachte weiland als Debattenchef beim Focus immer mal wieder Beiträge von ihm, was in den Konferenzen verlässlich von jenen Mollusken bemault wurde, die sich in Ermangelung des Rückgrats einer eigenen Meinung ein Exoskelett aus Zeitgeistchitin zugelegt hatten.
Nur ein Mal trafen wir uns leibhaftig, in irgendeiner DB-Lounge (es könnte in Frankfurt gewesen sein, ich bin mir aber nicht sicher). Heinsohn kam herein, sah mich, nahm neben mir Platz und begann zu plaudern – es ging um eines seiner Lieblingsthemen: Unstimmigkeiten der frühgeschichtlichen Chronolgie –, als setze er ein Gespräch fort, das er eben nur unterbrochen hatte, um sich einen Kaffee zu holen. Und so verließ er mich denn ein halbe Stunde später auch; sein Zug ging vor meinem. Ich fand das entzückend.
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Zum Zustand des Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland.
Die sogenannte Vierte Gewalt hat Angst, die skandalösen Zustände auch zu skandalisieren. Aus diesem Grunde sind es keine Skandale. Gäbe es in diesem Land eine funktionierende (statt einer gelenkten und gekauften) Presse, keine Faeser, kein Buschmann, kein Habeck, kein Lauterbach wäre mehr im Amt.
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Pharisäer.
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Hier spricht der Sponsor.
Habeck: „Wir haben ein Wärmeproblem, kein Stromproblem.“ Na, denn, auch dabei hilft (ein wenig) die echte Glühlampe. Sie ist eine der feinsten Erfindungen zur Lebenserleichterung der letzten 200 Jahre: Eine sauerstoffarme Glaskugel, in der elektrische Spannung Wolframfäden zum Glühen bringt. Das Wunderding hat wenig Materialbedarf, stellt eine im Vergleich simple Technik dar und liefert ein völlig kontinuierliches Lichtspektrum, das von LED-Leuchtmitteln nie erreicht wird.
Den Glühlampen wurde vorgeworfen, 90 Prozent ihrer Energieaufnahme in Wärme umzusetzen. Das könnte demnächst eine sehr erwünsche Eigenschaft sein. Wir haben um das Jahr 2009 größere Vorräte angelegt, die noch nicht ganz verkauft wurden. Darum hier eine Gelegenheit: Radium 60 W klar E27 – 4er Pack.
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(Das war eine Anzeige.)
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Es steht zu befürchten, dass wir in ein Zeitalter eintreten, in welchem das Feiern ausschweifender Feste zunehmend als anstößig empfunden wird. Die Gegner der Ausschweifung sind zahlreich, ihre Argumente ertönen auf allen Kanälen, von Bühnen, Kanzeln, Rednerpulten, in den Schulen, Universitäten, Parlamenten und Arztpraxen. Es sind dies:
– Erstens die Gesundheit, zuvörderst die persönliche, aber auch jene der Gruppe, für die der Einzelne angeblich ebenso mitverantwortlich ist wie der Ungeimpfte für die Gesundheit des vielfach Geimpften;
– Zweitens die sogenannte Lebenserwartung – obwohl sie ja eigentlich Todeserwartung heißen und so behandelt werden müsste;
– Drittens die private Energie- oder CO2-Bilanz; überhaupt die Verschwendung von Ressourcen angesichts schlimmer sozialer Ungleichheit (obwohl Verschwendung ja eigentlich Jobs schafft, doch die erzeugen schon wieder CO2);
– Viertens sollen gerade männliche Angehörige der weißen Universalschuldrasse sich gefälligst zurückhalten und Buße tun, statt orgiastisch ihre Existenz zu feiern;
— Fünftens ist das Verzehren gewisser Speisen und vor allem Getränke kulturunsensibel bzw. haram und könnte Menschen aus anderen, besseren, weniger unterdrückerischen, weniger umweltzerstörenden Kulturen beleidigen;
— Sechstens diskriminiert die Ausschweifung an der Tafel alle Abstinenzler, Veganer, mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten Hausierenden, Schonkostler und Diätophilen;
— Siebtens ist ein Bacchanal unweigerlich mit heteronormativen und sexistischen Enthemmungen verbunden.
Das sollte genügen. Bessere Argumente für Ausschweifungen werden Sie so schnell nicht finden. Allein schon aus Trotz gegen die exakt bemessenen Vergnügungen unserer Tage und das Genäsel der Gesundheitsapostel sollte ein Mensch von Geschmack bisweilen gewaltig über die Stränge schlagen. Wie? Zum Beispiel so:
Anno 1787 tagte in Philadelphia der amerikanische Verfassungskonvent und brachte die bis heute gültige Verfassung der Vereinigten Staaten zu Papier. Am Ende der Versammlung, es war der 14. September, lud George Washington die Spitzen der amerikanischen Politik in die City Taverne von Philadelphia zu einem Abschiedsbankett. Die Rechnung hält fest, was die 55 Herren dort verzehrten; es waren 54 Flaschen Madeira, 60 Flaschen Clairet oder Claret, acht Flaschen Whisky, acht Flaschen Cider, 22 Flaschen Porter, zwölf Bier und sieben Schüsseln Punsch. Das heißt, die munteren Zecher leerten pro Kopf ungefähr eine Flasche schweren Likörwein, eine Flasche Rotwein sowie noch einige Gläser Whisky, Bier, Punsch und Schaumwein. Dabei handelte es sich um Herren durchaus gesetzteren Alters – George Washington war damals 55 Jahre alt. Trotzdem überlebten alle den Abend ohne erwähnenswerte Schäden und wahrscheinlich mit guten Erinnerungen an ein rauschendes Fest.
Ein Bacchanal ist etwas anderes als ein Besäufnis. Es erhebt und entrückt seine Teilnehmer einen Abend lang in höhere Sphären. Es ist eine Kulturtat. Das wirft die Frage auf: Wie organisiert man ein Bacchanal?
Schauen wir in die Geschichte. Platons Symposion und die Orgien des Heliogabal lasse ich aus, es möge jeder sein Pläsier finden, wie es ihm behagt, aber für mich als Hetero ist das nichts, so dass ich mich lieber stracks ins 18. Jahrhundert verfüge. Näherhin zu Alexandre Balthazar Laurent Grimod de la Reynière, einem der großen Vordenker, Wegbereiter und Steigbügelhalter des französischen Feinschmeckertums, der zwischen 1803 und 1812 den ersten Restaurantführer der Welt veröffentlichte. Dieser brave Mann veranstaltete in seinem Palais an den Champs-Élysées legendäre Bankette. Das berühmteste fand am 1. Februar 1783 statt.
Die Einladungsbillets gestaltete Grimod nach dem Muster von Todesanzeigen – eine dieser Karten soll Ludwig XVI. erreicht und ihn so beeindruckt haben, dass er sie sich einrahmen ließ. Das gesamte Diner war als ein Memento mori inszeniert. Leichenblass geschminkte Bedienstete begrüßten die Besucher, die sich an einem Empfangstisch, auf dem ein Totenschädel zwischen flackernden Kerzen lag, in die Gästeliste eintrugen. Die Wände des Speisesaales waren mit schwarzen Tüchern verhängt. Klagende Mandolinenklänge und Weihrauch durchzogen den von hunderten Kerzen erhellten Raum, der wie eine Aussegnungshalle wirkte. In dieser Nekropole wurden 14 Gänge gereicht, serviert auf Totenbahren von zweihundert schwarz gekleideten, an Friedhofsbedienstete erinnernden Kellnern. Später hielt der Hausherr eine Rede, er feierte den Tod als den wahren Herren des Lebens; nur vor dem Hintergrund der Endlichkeit könne der Mensch wahrhaft genießen, sagte er und pries die großen Gehilfen des Todes: den Krieg, die Krankheiten und die Ärzte.
In Joris-Karl Huysmans Roman „À rebours“ heißt es über die männliche Hauptperson, er habe sich den Ruf eines Exzentrikers dadurch erworben, dass er den Literaten aufsehenerregende Diners gab, „unter anderem eines, das so ähnlich schon einmal im 18. Jahrhundert stattgefunden hatte“, und zwar in Form eines Leichenschmauses. „Im schwarz ausgeschlagenen Speisezimmer mit seiner Öffnung auf den nun verwandelten Hausgarten hin, der seine mit Kohle bestäubten Wege, sein mit Tinte gefülltes Bassin und seine ganz aus Zypressen und Fichten bestehenden Baumgruppen dem Blick darbot, war das Diner auf einem schwarzen Tischtuch serviert worden, auf dem Körbe voller Veilchen und Skabiosen standen und Kandelaber mit grünen Flammen und Leuchter mit brennenden Wachskerzen Licht spendeten. Während ein verborgenes Orchester Trauermärsche spielte, wurden die Gäste von nackten Negerinnen bedient, die Pantoffeln und Strümpfe aus silbernen, mit Perlen besticktem Stoff trugen.
Aus schwarz umrandeten Tellern hatte man Schildkrötensuppe, russisches Roggenbrot, reife Oliven aus der Türkei, Kaviar, Rogen von Meeräschen, geräucherte Blutwurst aus Frankfurt, Wildbret in lakritzenfarbigen Saucen, Trüffelkraftbrühe, ambraduftende Schokoladencreme, Pudding, Blutpfirsiche, Traubenmus, Brombeeren und Herzkirschen gegessen; getrunken hatte man aus dunklen Gläsern die Weine der Limagne und des Roussillon, Tenedos‑, Val-de-Penas- und Portweine und nach dem Kaffee und dem Nussbranntwein Kwaß, Porter und Stout genossen.“
Ich gebe zu, mit diesen Exempeln ist die Latte ziemlich hoch gelegt. Ein Bacchanal bedarf jedenfalls eines gewissen Rahmens, der Inszenierung sowie angenehmer Gäste, die zu plaudern und ihr Gegenüber zu amüsieren verstehen, Zeit haben, lange trinken können, ohne sich zu betrinken, die alles essen und nicht dauernd etwas nicht vertragen oder aus albernen Gründen ablehnen. Der Gastgeber hat durch eine abwechslungsreiche Bewirtung dafür zu sorgen, dass niemand in der Runde abfällt und schläfrig oder lustlos wird. Die Speisen müssen vielfältig und leicht sein, die Getränkefolge unorthodox und ohne ein erkennbares Ende. Hat die Feier mit Aperitifs und zum Beispiel Chablis begonnen, ist die Runde sodann zum Roten übergegangen, sind alle gesättigt und vom Weine ein wenig eingelullt, muss sofort Champagner oder wieder ein kühler, frischer Weißwein kredenzt werden, um wieder Schwung in die Runde zu bringen; immer neue Reize müssen folgen: Liköre, Brände, Portwein, Sauternes, dazwischen Espresso, Desserts, Eis, sodann wieder Scharfes und Salziges, vielleicht Austern, Räucherfisch, Käse, Omelette – und so immerfort, bei anregenden Gesprächen und dem strikten Verbot, die Uhrzeit zu erwähnen.
Freilich, heute bekommen Sie eher eine Selbsthilfegruppe anonymer Alkoholiker, einen Philosophenkongress oder eine Straßenblockade fürs Weltklima organisiert als ein veritables Bacchanal. Zum einen ist ein solches Bankett in hinreichend großer Runde kostspielig, zum anderen findet sich kaum ein seiner würdiger Gast, denn der Jetztmensch kann nicht heute trinken, ohne an morgen zu denken, an seinen Job, an seine Gesundheit, sein Gewicht, seine Geldbörse, sein eiferndes Weib, seine Termine.
Der Hauptfeind des Bacchanals ist der Gedanke an alles andere, die Unfähigkeit, ausschließlich im Jetzt zu leben.
Es gibt eine große massentaugliche Gruppenberauschung, die in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben kann: das Oktoberfest. Wie verhält es sich damit? Nun, ich heiße es gut, aber ein Bacchanal ist das natürlich nicht, dafür sind Publikum und Getränke zu demokratisch oder besser: zu plebejisch. Der Bierrausch erhebt den Menschen nicht, sondern macht ihn schwer und dröge. Aber immerhin: Die Wiesn bedeutet eine Auszeit vom alltäglichen Reglementiertwerden. Der von Verhaltensvorschriften und Vernunftgründen umstellte, durchoptimierte Mensch der Spätzivilisation darf ausnahmsweise einmal in der Ekstase des kollektiven Rausches versinken.
Mit dem Bacchanten gemeinsam hat der Wiesnbesucher das Problem des nächsten Morgens, auch wenn das Oktoberfestbier einen aggressiveren Kater macht als jede beliebige Abfolge von Weinen und Digestifs. Der alte Ernst Jünger, der noch mit hundert Lenzen dem Champagner so beschwingt zusprach, dass ihn der 30 Jahre jüngere Rudolf Augstein glühend beneidete, hat einmal beklagt, dass die heutige Jugend den Anstrengungen des Trankes nicht mehr gewachsen sei. Für alle großen Freuden hat der Mensch einen Preis zu zahlen. Aber ohne den Preis zu entrichten, erlangt er sie nie.