Schweißnass erwachte sie aus einem schrecklichen Alptraum: Sie hatte geträumt, ihre strukturelle Benachteiligung sei überraschend von der Liste der derzeit gültigen strukturellen Benachteiligungen gestrichen worden.
***
Wenn sie im Bundestag von „demokratischen Parteien” reden, meinen sie sozialdemokratische Parteien.
***
„Das Übel des Kapitalismus ist die ungleiche Verteilung des Reichtums, das Übel des Sozialismus ist die gleichmäßige Verteilung des Elends.”
Churchill
***
Vergangenen Mittwoch veranstaltete die Schwefelpartei im Bundestag ein Friedenskonzert. Der Cellist Matthias Moosdorf – er konzertierte mit dem Leipziger Streichquartett in mehr als sechzig Ländern, war Solocellist des Leipziger Kammerorchesters, spielte 120 CDs ein, war fünf Jahre Gastprofessor in Tokio und Jurymitglied internationaler Wettbewerbe – und seine am Pianoforte exzellierende Frau Olga Gollej spielten Tschaikowskis „Valse sentimentale” sowie Rachmaninows g‑moll-Sonate op.19 (ich las dazwischen ein paar Seiten von Wassili Grossman vor). Zu diesem schönen Behufe wurde natürlich ein Flügel benötigt und auch bei mehreren Berliner Verleihern, Steinway zuvörderst, bestellt. Was folgte, waren Absagen, die meisten mit der Begründung, ausgerechnet an diesem Tage, leiderleider, kein Instrument vorrätig zu haben.
Ebenfalls ablehnend reagierte die Firma Bechstein, allerdings mit einem beigefügten Statement.
Bechstein, da war doch was? Ungern erinnere ich daran, weil mir diese moralische Erpressungsfolklore mit zunehmendem Abstand zum Dritten Reich zunehmend zuwider ist, aber hier fügt es sich. Edwin Bechstein und seine Frau Helene waren äußerst frühe, geradezu bratenriecherisch frühe Verehrer Hitlers; sie besuchten ihn während seiner Festungshaft in Landsberg regelmäßig; Helene Bechstein unterrichtete ihr „Wölfchen” in Sachen Garderobe und Manieren und führte ihn in die Berliner Schickeria ein; die Bechsteins unterstützten Hitler mit erheblichen Geldsummen, bürgten für Kredite (oder tilgten sie selbst, wie Edwin Bechstein anno 1924 jenen für des führerscheinlosen Führers nagelneuen Benz) und finanzierten die ersten Nummern des Völkischen Beobachters. Helene war Trägerin des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP.
Nach dem Sieg der Roten Armee beschlagnahmten die Russen zahlreiche Kunstwerke aus der Privatsammlung von Helene Bechstein; sie befinden sich heute als Beutekunst in Mordor.
Wenn die Firma Bechstein der Schwefelpartei keinen Flügel geben mag, kommen dafür vier Erklärungen in Frage. Erstens: Sie glauben dort, die Blauen seien Wiedergänger der Braunen, die Bechstein weiland vergeblich gesponsert hatte, und wollen den Fehler der Zusammenarbeit nicht einmal auf dem normalen Geschäftswege wiederholen. Zweitens: Sie glauben dort, die Blauen seien Wiedergänger der Braunen, und wollen demonstrieren, dass sie ihre Nie wieder!-Lektion gelernt haben – wobei in diesem Falle eine gewisse Irritation dadurch entstehen müsste, dass die heutigen „Nazis” ausgerechnet Frieden mit Russland wollen. Drittens: Sie wollen eine neue Ostfront eröffnen und sich die Beutekunstwerke zurückholen. Viertens: Die Firma Bechstein dient sich einfach jedem Zeitgeist und jeder gerade herrschenden Regierung an.
Als ich wiedervereinigt wurde, ging mir die sogenannte Vergangenheitsbewältigung rasch auf die Nerven, weil ich sie für Heuchelei und Lippenbekenntniszwang zum elenden Zwecke politischer Herrschaft hielt, für eine Streberei von Gesinnungspennälern nach Moralbienchen. Heute sehe ich das zwar immer noch so, aber nur zu einem Teil. Im Wesentlichen hat sich meiner Ansicht nach – die regelmäßigen Besucher des Kleinen Eckladens wissen es und können es vermutlich kaum mehr hören – die Nazimentalität fortgezeugt und nur pro forma die Seiten gewechselt.
Der Flügel, auf dem am Ende gespielt wurde, musste deshalb eigens aus Leipzig herangekarrt werden.
Wenn’s denn dem Klima dient.
PS: Es war einiges an Presse da, ARD und ZDF mit Kameraleuten, und doch ist bislang nirgends ein Fitzelchen davon gesendet worden. Das heißt, die Veranstaltung verlief tadellos.
***
Apropos Klima.
Das Klimarettungsfreikorps scheint in der stern-Redaktion ein publizistisches MG-Nest installiert zu haben.
Immerhin zielen sie allmählich auf den Kern des Problems: die Biomasse Mensch.
Wer von der Bevölkerungsexplosion in Afrika und Asien nicht reden will, soll vom Klimawandel schweigen.
***
Hier spricht der Sponsor.
In heiklen Zeiten: Vorräte bilden.
Die aktuelle Lage gebietet geradezu die Vorratshaltung. Was man früher nach der Ernte in Keller und Speisekammer verstaute – vor allem durch Einkochen haltbar gemachtes Gemüse –, bieten wir Ihnen in vorteilhaften und sehr lange haltbaren Großgebinden an. Übrigens: Die Sorge, auf Vorrat gekaufte Lebensmittel irgendwann wegwerfen zu müssen, ist meist unbegründet. Nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) sind sie keineswegs automatisch verdorben oder ungenießbar. Bei richtiger Lagerung sind sie meist deutlich länger zum Verzehr geeignet. Dosenbrot aus dem Zweiten Weltkrieg war zum Beispiel nach 50 Jahren noch genießbar; Schmalz aus einem Care-Paket auch nach 64 Jahren noch. Anschauung, Geruch und Geschmack reichen in der Regel aus, um die Brauchbarkeit ‚abgelaufener’ Lebensmittel einzuschätzen.
Bei manchen unserer Dauerartikel liegt das MHD noch in relativ weiter Ferne, was sie für die Vorratsbildung besonders empfehlenswert macht. Für unseren Grünkohl lautete es zum Beispiel im September 2022 auf Ende 2026, für das Filderkraut auf Ende 2025, für die Pasta Afeltra auf November 2023. Beim Pumpernickel ist die Frist kürzer (Mai 2023), was nach unserer Erfahrung aber auch nur auf eine Warnung vor möglicher, leichter Trockenheit der äußeren Scheiben hinausläuft. Kurzum: Bei der Bevorratung mit unseren haltbaren Lebensmitteln steht Ihnen das MHD nicht im Wege.
Vier Beispiele:
Da Sie als Klonovsky-Leser dem Klonovsky-Verleger prinzipiell sympathisch sind, gewährt Ihnen die Thomas-Hoof-Gruppe einen Rabatt von fünf Prozent (außer bei Büchern). Bitte bei der Bestellung einfach den Code „Actadiurna5“ eingeben.
(Das war eine Anzeige.)
***
Sie nennen es Nachrichtenkanal.
„Menschenhandel, Verräter, Trump”, das ist wie „Vetternwirtschaft, Päderasten, Habeck” und nennt sich Framing. Der „dunkle Schatten” unterscheidet sich vom hellen Schatten nur um eine Winzigkeit mehr als Donald Trump von Murnaus Nosferatu.
Noch einmal die Zusammenfassung in der Unterzeile:
Dieser Super Bowl, soviel ist klar, hätte besser nicht stattfinden sollen. Er wird ja ohnehin zerfleischt. Außerdem zieht er die falschen Politiker sowie Prostituierte an, die das alte heteronormative Rein-raus-Spiel fortsetzen und zum Teil minderjährig sind.
Religiöse Fanatiker in Übersee unterscheiden sich von Klimaaktivisten in Good Old Germany dadurch, dass sie Cowboyhüte tragen und die Passanten anplärren, statt sich schweigend festzukleben und nur ein groß Geschrei anzustimmen, wenn ihnen die Hände vom Asphalt gerissen werden (Tapete lassen, nennen es die Radrennfahrer, wenn nach dem Sturz ein bisschen Haut am Straßenbelag zurückbleibt). Im Gegensatz beispielsweise zu den meisten Moslems sind diese radikalen Christen homophob und gegen Abtreibung. Also rechtsextrem. Wer meint, dass Föten ein Lebensrecht haben, der will Frauen unterdrücken, liebt Waffen und macht gern Jagd auf Ne‑, auf Fremde. Vertrauen Sie Ihrem Nachrichtenkanal!
Über Trump lesen wir weiter: „Der Republikaner lässt sich natürlich auch dieses Jahr nicht zweimal bitten, seinen persönlichen dunklen Schatten über den Super Bowl zu legen – und schon wird das NFL-Endspiel im Jahr vor der Präsidentschaftswahl zu einem politischen Spektakel.”
Der „dunkle Schatten” – nobilitiert zum „persönlichen dunklen Schatten” – ist Leitmotiv und running gag dieses journalistischen Meisterinnen- und Meisterwerks.
„Indem Trump gegen Rihanna poltert, ein Star im linken Spektrum und vor allem Vorbild für viele Schwarze Frauen, verkommt der Super Bowl zum Stimmenfang am rechten Rand. Im konservativen Arizona, wo Trump 2016 knapp gewann und 2020 knapp verlor, kommt seine Botschaft bei vielen gut an. Wenn in Phoenix das Thema Politik angesprochen wird, beginnt schnell die Hetze gegen die ‚inkompetente’ Regierung.”
n‑tv schreibt bei den Worten „schwarze Frauen” das Attribut tatsächlich groß, wie es sogenannte Antirassisten in ihrem fanatischen Weißenhass fordern – Schwarz groß, weiß klein –, obwohl resp. weil es meistens selbst Weiße sind. Wer die Biden-Regierung – wo ist eigentlich Kamala Harris? („Who?” – Joe Biden) – der Inkompetenz zeiht, gilt im Nachrichtenkanal n‑tv als „Hetzer”, nicht als Kritiker wie bei der Vorgängerregierung. Und Stimmenfang am rechten Rand geht natürlich gar nicht.
Seiner Plastizität und poetischen Kraft wegen sei der im Journalistensprech so genannte „Ausstieg” des Nachrichtenartikels hier noch zur Gänze eingerückt.
Ein Kollege des betreuenden Berichtens setzte seinerseits ein Zeichen.
Wir sind gespannt, wie sich die Spielerinnen und Spielerinnenfrauen des FC Bayern heute Abend bei Paris Saint-Germain schlagen!
***
Es ist merkwürdig, wenn trotz eines abrupten Themenwechsels eigentlich keiner stattfindet. Wie ich das meine? Gemach.
Ich zitiere: „Die EU lässt immer mehr Insekten als Nahrungsmittel zu. Seit einigen Wochen dürfen beispielsweise Larven des Getreideschimmelkäfers verarbeitet werden. (…) Scharlachschildläuse und Lackschildläuse kommen schon viel länger in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz. Aus Scharlachschildläusen wird ein roter Farbstoff gewonnen, der in vielen Nahrungsmitteln und Kosmetika zu finden ist. Der Farbstoff wird als ‚roter Karmin’, ‚Karmin’ oder ‚E 120’ in der Zutatenliste aufgeführt. (…) Hergestellt wird der Farbstoff, indem die trächtige Läuse erst getrocknet und dann ausgekocht werden. Der Zusatzstoff ist somit nicht vegan – aber weit verbreitet. Beliebte Süßigkeiten wie M&Ms führen ‚Karmin’ auf der Zutatenliste. Auch die ‚Sauren Glühwürmchen’ von Trolli enthalten den Stoff.
Schellack wird aus den Ausscheidungen der Lackschildläuse gewonnen. Dabei handelt es sich um eine harzige Substanz, in denen der Nachwuchs der Läuse heranwächst. Die Tierschutzorganisation Peta beklagt: Der Läuse-Nachwuchs ist zwar irgendwann nicht mehr auf den Schellack angewiesen. Aber darauf wartet die Industrie nicht immer. ‚So landet nicht nur das Harz in der Produktion, sondern mit ihm auch jede Menge lebender Läuse.’ ”
Guten Appetit!
Nahezu gleichzeitig haben wir also erfahren, dass der Tierschutzverein Peta für das Lebensrecht von Nachwuchsläusen kämpft, aber Abtreibungsgegner rechtsextrem sind und dunkle Schatten werfen.
Was werden dann aber erst diejenigen sein, die sich in Zukunft gegen die Weiterverarbeitung abgetriebener Föten engagieren?
***
Zwei Fliegen vor einer Klappe rettet derweil die Österreichische Bundesbahn in ihrer Familieninitiative.
Die Frage, wer von beiden die Frau ist, erübrigt sich aufgrund der Existenz philippinischer Leihmütter. Aber warum ist das Balg bleichgesichtig? Wie lange noch erhebt die weiße Suprematie ihr schreckliches Haupt?
Oder findet hier lediglich eine Reisebaby-Übergabe statt (www.rent-a-baby-for-travel.com)?
***
Höhepunkte des Qualitätsjournalismus, eins.
Die Aachener Zeitung teilt mit:
Müsse es nicht eher „Abbruchstimmung” heißen?, fragt Leser ***, der mir diesen Link sandte, und fügt „zum Verständnis” hinzu: „Mitten in der Innenstadt wurde ein Parkhaus abgerissen (die Grünen regieren in Aachen). Wozu braucht’s demnächst noch Mode? Auf den Kartoffeläckern der Städte ist das überflüssig.”
Noch dazu.
***
Höhepunkte des Qualitätsjournalismus, zwei.
Herrje, von der Sonne ist ein Stück abgebrochen. Hoffentlich fällt es uns nicht auf den Kopf!