Dieser Tage sandte mir jemand ein Plakat der chinesischen Kommunisten aus der Zeit der Kulturrevolution zu. Die Überschrift lautete: „Zerschlagt die alte Welt, baut die neue Welt auf“. Das ist die Attitüde der radikalen Linken, wenn sie es schaffen, irgendwo eine Revolution anzuzetteln. So sprachen und dachten die Jakobiner, Lenins Bolschewiken, die Maoisten, die Roten Khmer, und heute denken und sprechen die Bolschewoken beziehungsweise Bunten Khmer so.
Das Neue, was sie aufbauen wollen, bleibt stets ein leeres Versprechen, während sie mit dem Zerschlagen der alten Welt in der Regel gut vorankommen. Die Jakobiner zum Beispiel haben nicht nur die alten Aristokraten enthauptet, sondern eine neue Zeitrechnung und einen neuen Kalender eingeführt und per Dekret den lieben alten Gott abgeschafft. Die Angriffe der Linken gelten den alten Institutionen und der alten Kultur als Träger der alten Mentalität. Zu den anscheinend unverzichtbaren Bestandteilen des revolutionären Furors gehören das Umschreiben der Geschichte – praktisch die Verleumdung sämtlicher Vorgängergesellschaften – sowie die Neuprägung der Sprache. Beides, Geschichtsumschreibung und Neusprech-Schöpfung, fließt ineinander über. Über die Sprache soll das Denken und letztlich die Gesellschaft verändert werden. Ein Buch, wie es Victor Klemperer über die „Lingua tertii imperii“ schrieb, ließe sich auch über die Sprache der Jakobiner, der Sowjetunion, Rotchinas oder der DDR schreiben. Über die Sprache des woken Reichs gibt es übrigens auch schon ein solches Buch: „Sprachregime. Die Macht der politischen Wahrheitssysteme“ von Michael Esders.
„Wir wohnen nicht in einem Land, sondern in einer Sprache“, schrieb Emile Cioran. Sprache ist Wohnung – das „Haus des Seins“, wie Heidegger sie nannte –, Sprache ist Heimat. Sprache ist ein Werkzeug zur Weltaneignung und das Hauptverkehrsmittel im Umgang mit anderen Menschen. Mit Worten formulieren wir unser Wissen und unsere Pläne, mit Worten bringen wir unsere Liebe zum Ausdruck, aber auch unseren Kummer. Und Hass und Hetze! Mit Worten preisen wir das Leben, mit Worten streiten wir und tragen Konflikte aus. Diese Worte werden im Volk geboren, sie erblühen und reifen im Munde der Dichter und sie verwelken in Politikerreden und Zeitungsartikeln. Ohne Dichtung ist kein Volk, ohne Hochsprache keine Hochkultur.
Eine Hochsprache ist etwas organisch über Generationen und Jahrhunderte Gewachsenes und immer weiter Wachsendes, ein kollektives Geschöpf mit teils anarchischen und willkürlichen Regeln, aber zugleich ermöglicht sie sowohl die Hervorbringung atemberaubender Schönheiten als auch die Darlegung komplexer Sachverhalte. Sprachen sind entstanden, man kann sie nicht gezielt herstellen. Die einzige künstlich geschaffene Sprache, die sich im Leben halten konnte, Esperanto, hat keinen Sprecherkreis von relevanter Größe gefunden. Offenbar mögen die Menschen die mit Geschichte, Tradition und Bedeutung aufgeladenen Worte als auch die oft unlogischen Strukturen ihre Elter-1-Sprachen.
„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, sagt Wittgenstein. (Das stimmt nicht ganz, es gibt speziell Begabte, die mit Formeln und Gleichungen die Grenze der Welt weit über die Sprache gezogen haben, allerdings können sie damit nichts Menschliches ausdrücken.*) Künstliche Grenzen in die Sprache einzuziehen, verbotene Zonen zu schaffen, wenigstens Drahtverhaue, Poller, Fußfallen zu installieren, die chaotische, anarchisch-freie Welt der Rede zu regulieren, zu normieren, Worte zu besetzen oder neue zu prägen, Gedanken zu verhindern, indem man Begriffe, mit denen sie gedacht werden, ächtet, das war und ist die Praxis von Diktaturen. Wenn ein Staat oder staatliche Medien Sprachregeln vorgeben, bedeutet das immer einen Angriff auf die Freiheit des Einzelnen. Sehen wir zu.
„Das Publikum wird sich ans Gendern gewöhnen“, erklärte eine öffentlich-rechtliche Textvorleserin und ZDF-Angestellte namens Petra Gerster, nachdem sich Zuschauer:innen darüber beschwert hatten, dass sie Pluralbegriffe auf einmal nur noch in der weiblichen Form und mit einer Kunstpause vortrug. Diese Pause wirkte nicht allein ungewohnt, sondern schlechterdings beknackt. Sie erinnert allenfalls an sogenannte Ejektive, in vielen Indianersprachen sowie in Ost- und Südafrika verbreitete spezielle Klick- und Kehlkopflaute, bei denen nicht ausgeatmet wird. Das käme freilich in gefährliche Nähe zu kultureller Aneignung.
Gersters Statement stammt aus dem Januar 2021. Natürlich haben die Volkserzieher mit der Genderei weitergemacht, obwohl bislang jede Umfrage ergab, dass die meisten Menschen sie ablehnen. Ich zitiere hier, da wir es mit einer ZDF-Frau zu tun haben, das ZDF-Politbarometer vom 20. Juli 2021: „Mehrheit der Deutschen ist gegen Gendersprache in Medien. 71 Prozent finden Verwendung von Gendersternchen und Sprechpausen ‚nicht gut‘. Gendersprache in den Medien finden 48 Prozent zudem ‚überhaupt nicht wichtig‘.“
Zum Lohn für ihre Pioniertat erhielt Gerster die ausschließlich an Frauen vergebene „Hedwig-Dohm-Urkunde” des ausschließlich aus Frauen bestehenden und deswegen nicht gegenderten Journalistinnenbundes. In der Begründung der Auszeichnung hieß es, dass sie in ihren Moderationen „klug und elegant” gendere, was allenfalls zur Hälfte stimmen kann, denn es mag aus Konformismus und Hedwig-Dohm-Urkunden-Abgreifgründen klug sein, doch dabei elegant zu wirken, ist bislang noch niemandem gelungen.
Das Publikum wird sich schon daran gewöhnen. Die braven Deutschen sind Meister*innen darin. Sie haben sich daran gewöhnt, bei jeder Gelegenheit den rechten Arm in die Luft zu reißen und „Heil Hitler!” zu rufen. Sie haben sich daran gewöhnt, Briefe mit dem „deutschen” oder dem „sozialistischen Gruß” zu unterschreiben. Sie haben sich an die Nachrichten vom Heldensterben an der Ostfront genauso gewöhnt wie an die bizarren Rituale der bundesrepublikanischen Entmännlichungsdressur. Sie haben sich an die Hässlichkeit ihrer Innenstädte gewöhnt, sie haben sich an die Zerstörung ihrer Landschaften durch Windräder gewöhnt, sie haben sich daran gewöhnt, für andere Länder oder für Migranten zu bezahlen, ohne je etwas zurückzufordern, sie haben sich an die höchsten Strompreise und die zweithöchsten Steuern Europas gewöhnt. Sie haben sich daran gewöhnt, im öffentlichen Nahverkehr Masken zu tragen und sie danach im Kaufhaus oder im Bierzelt abzusetzen. Derzeit gewöhnen sie sich an eine zweistellige Inflation und die Aussicht, im Winter kalt duschen zu müssen. Sie haben sich, wenn wir schon bei der Verhunzung ihrer Sprache sind, auch an das Stümperdeutsch und die Worthülsen der Politiker gewöhnt. Sie haben solche Gewohnheiten in der Vergangenheit aber im Zuge politischer Wetterwechsel immer wieder vollständig abgelegt, um sich zur jeweils nächsten zu bekehren. Ich würde, siedelte ich steuergemästet auf dem Mainzer Märchenberg, nicht auf die Konstanz der gerade aktuellen Gewohnheiten derer daheim an den Tätervolksempfängern wetten. Nebenbei: Der fromme Muselmann wird bestimmt nicht mitgendern, und falls jemand auf die Idee kommt, den Koran in gerechter Sprache zu veröffentlichen: Viel Glück!
Die Genderei dürfte einer der Gründe sein, warum viele Menschen den Wahrheits- und Qualitätsmedien und folglich auch dem Staatsfunk zum Abschied leise Servus sagen. Müssten sich Gerster und Genossinnen mit ihren Beiträgen auf den freien Markt begeben und zahlte ihr Publikum nicht eine Zwangsabgabe, unsere Schelminnen würden sich daran gewöhnen müssen, auf dem Arbeitsamt zu gendern.
In einem Leserbrief an die FAZ heißt es: „Die nicht regelkonforme sprachliche Vergewaltigung des Kulturgutes deutsche Sprache kann durchaus als ideologiebasierte Diskriminierung der deutschsprachigen Völkerfamilie bezeichnet werden. Diese Spielart des strukturellen Rassismus durch genötigtes Wegmoderieren der geltenden Sprachnormen wird auch noch pädagogisch verpackt gezielt über die Jugendprogramme der ARD eingesetzt.“
***
Hier spricht der Sponsor.
Es gibt ein echtes Brot, das einen Namen wie im Märchen trägt: Allenfalls dem wunderlichen Namen nach bekannt uns stets unterschätzt ist das münster- und emsländische Pumpernickel. Es ist, sagen wir mit ebensoviel Lokalpatriotismus wie Überzeugung, das beste Schwarz- und Vollkornbrot weltweit. Aus einem 24stündigen Backprozeß wächst ihm (durch natürliche Karamelisierung) eine leichte Süße zu, die zusammen mit dem runden Brotgeschmack eine unvergleichliche Vollmundigkeit ergibt. Bei uns entfaltet sich das Pumpernickel nach zwei Seiten: Ein geborener Geselle ist der Schinken, der auf dick gebuttertes Pumpernickel kommt. Dieses ersetzt aber auch den Kuchen, wenn es nachmittags, wiederum dick gebuttert, entweder allein oder im Sandwich mit einem guten Münsterländer Stuten einer fruchtigen Marmelade als Unterlage dient. Da man nicht weiß, wie lang wir einander noch elektronisch erreichen, empfehlen wir das Vorratspaket.
Da Sie als Klonovsky-Leser dem Klonovsky-Verleger prinzipiell sympathisch sind, gewähren wir Ihnen einen Rabatt von fünf Prozent. Bitte bei der Bestellung einfach den Code „Actadiurna5“ eingeben.
(Das war eine Anzeige.)
***
Die Genderei ist vor allem: hässlich. Es gibt keinen einzigen literarisch wertvollen gegenderten Text (war er es vorher, wird er es hinterher nicht mehr sein); im Gegenteil, Schönheit, Sinn und Lesefluss werden durch diese semantischen Poller zerstört. Unter dem Vorwand, zu differenzieren, primitiviert Gendern die Sprache. Das beginnt schon beim optischen Eindruck. Eine gegenderte Seite sieht aus, als habe ein an Durchfall leidender Wellensittich seine Exkremente über sie verteilt. Eine Moderatörin, die versucht, Unterstriche, Sternchen oder das Binnen‑I, diesen „orthografischen Umschnalldildo” (Lisa Eckhart), mitzusprechen, wirkt nicht elegant, sondern bescheuert, sie wirkt nicht klug, sondern dressiert. Ich habe diese Sonderzeichen einmal semantische Hijabs genannt, weil beider Sinn derselbe ist: Reviermarkierung, Raumgewinn, optische Landnahme, Herr(!)schaftsanspruch. Andere sollen gezwungen werden, sich diesem Ritus zu unterwerfen.
Der Vorstand der Stiftung deutsche Sprache hat sich dezidiert dazu geäußert. In der Dokumentation „Die deutsche Sprache und ihre Geschlechter“, herausgegeben von Jessica Ammer (Schriften der Stiftung Deutsche Sprache, Band 3, Paderborn 2019), Vorbemerkungen des Vorstandes, heißt es:
„In den Debatten über die sprachliche ‚Sichtbarmachung der Frau‘, über das generische Maskulinum, über ‚Differentialgenus‘, über ‚Gender*stern‘ und ‚Gender_gap‘ dürfen keinesfalls Ansichten, Meinungen und Gefühle im Mittelpunkt stehen, die sich lediglich auf politische Überzeugungen stützen können. Denn für die Analyse und die Erklärung grammatischer Sachverhalte ist die Wissenschaft von der Grammatik unentbehrlich. Grammatik ist eine Strukturwissenschaft, und sie hat mit Weltanschauungen, Gefühl oder gar Moral nichts zu tun. Wer dies in Frage stellt, verabschiedet sich aus der Wissenschaft in die Beliebigkeit. Richtig und gut ist dann nur noch das, was gefällt, die Wissenschaft wird zum Störfaktor im juste milieu ‚progressiver‘ Meinungen.“
Das einzige, in desto enervierender Indolenz vorgetragene Argument der feministischen „Sprachkritiker” lautet bekanntlich, Frauen würden durch das generische Maskulinum unsichtbar gemacht, also diskriminiert. Es ist aber gerade das Hauptmerkmal dieses generischen Maskulinums, dass es sich auf ganze Gruppen ohne Geschlechtsdifferenzierung bezieht: Lehrer, Sportler, Spinner. Die Sexusneutralität ergibt sich aus dem Modus der Wortbildung. Im Deutschen kann an jeden Verbstamm das Suffix ‑er angehängt werden, und schon hat man ein Substantiv, das eine Gruppe bezeichnet, deren Geschlechtsneutralität bei nichtbelebten Gegenständen (Bohrer, Träger, Schraubenzieher, Türöffner) noch niemand bezweifelt hat. Wäre -er eine männliche Nachsilbe analog zum weiblichen -in, müsste man beide einfach austauschen können, um aus dem männlichen Bohrer die weibliche Bohrin zu schaffen. Offenkundig funktioniert das nicht.
Die Idée fixe, das Deutsche trage ungerechte Vorstellungen in unsere Köpfe, indem es uns zu viel Männliches und zu wenig Weibliches sehen lasse, ist gleichwohl der unhinterfragte Standard in allen Diskussionen. „Wir lesen ‚ein Arzt’ – und vor dem inneren Auge erscheint: ein Mann“, schreibt das Magazin GEO in einem Themenheft. Beweise? Überflüssig.
Wenn ich lese: „Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist…“, erscheint dann das Bild eines Mannes vor meinem inneren Auge? Nein. Wenn mir jemand erzählt, der Hörsaal sei voller Studenten gewesen, denke ich da vor allem an Männer? Nein. Wenn ich lese: „In dieser Gegend siedelten Germanen vom Stamm der Cherusker“, dann denke ich an beide Geschlechter. Wenn ich aber lese: „Die Germanen schlugen die Römer im Teutoburger Wald“, denke ich an Männer. Deswegen sagt ja auch kein Mensch: Germaninnen und Germanen überfielen Römerinnen und Römer im Teutoburger Wald. Es kämpfen derzeit übrigens auch nicht Ukrainerinnen und Ukrainer gegen Russinnen und Russen, und es kommt auch kein Journalist auf den Gedanken, das zu schreiben. Und außer ein paar Narren kommt auch niemand darauf, ich hätte eben nur männliche Journalisten gemeint.
Grammatisches und biologisches Geschlecht haben nur bedingt – und auf den gesamten Wortschatz gerechnet ziemlich wenig – miteinander zu tun. Insofern ist auch die Formulierung falsch, Frauen seien im generischen Maskulinum „mitgemeint”. Wie der Linguist Peter Eisenberg festhält, ist der(!)jenige, der das generische Maskulinum verwendet, „vom Bezug auf ein natürliches Geschlecht befreit”. Diese Elementartatsache der Sprache, die niemand geschaffen hat, sondern die ein Resultat der kulturellen Evolution ist, wie jede Sprache, wie Sprache überhaupt, ist durch die feministische Unterstellung umetikettiert worden, grammatikalische Maskulina seien „männliche Worte” und das generische Maskulinum sei quasi sprachlich geronnenes Patriarchiat. Diese Hütchenspielerinnen wollen dem Publikum weismachen, ein grammatikalischer Mechanismus namens Genus sei eine „strukturelle” Diskriminierung der Frauen, denn wenn die gesamte Gesellschaft, wenn jede Brücke, jeder Turm, jede Formel, jede Wissenschaft, jedes Sportgerät, jedes Werkzeug, jede Institution, jede Firma, jedes Jobprofil, jede Sexualpraktik, ja sogar das Klima Frauen diskriminiert, dann kann das in der Sprache ja unmöglich nicht der Fall sein. „Das Maskulinum”, schreibt Eisenberg, zuletzt Professor für deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam, „wurde regelrecht sexualisiert.”
Auf diese Weise ist die geschlechtsneutrale Gruppenbezeichnung „Bürger” in die Bezeichnung aller männlichen Bürger umgemogelt worden – als ob der „Bürgersaal” nicht allen 64 Geschlechtern offenstünde –, und jeder politische Redner begrüßt die Frauen im Publikum inzwischen zweimal, wenn er die „lieben Bürgerinnen und Bürger“ anspricht. Wer behauptet, es gebe keinen fundamentalen Unterschied zwischen den Aussagen: „Ich gehe heute Abend zum Italiener” und „Ich gehe heute Abend zur Italienerin”, der will Ihnen eine Bärin aufbinden (im Fall zwei könnte es sich übrigens empfehlen, eine Pariserin einzustecken).
Natürlich werden unsere Genderistas als letztes Argument immer wieder behaupten, das generische Maskulinum sei strukturell patriarchalisch, weil Männer diese Gesellschaft und folglich auch die Sprache geschaffen haben, und deswegen müsse es eben geschleift werden. Wenn das so ist, dann sollen die Mädels aber auch nicht mehr in Häusern wohnen, nicht mehr Auto fahren und nicht mehr mit Händis telefonieren, denn das haben auch Männer geschaffen.
Der Deutschländer:innenfunk verkündete gleichwohl: „Kaum Überlebenschancen für das generische Maskulinum.“ Mit dem Terminus „Überlebenschancen” gestehen sie immerhin ein, dass wir uns auf einem Kampfplatz befinden. Die Interviewpartnerin des Senders, Heidrun Kämper, ist laut Schrottsammelstelle Philologin – wir denken sogleich an Nietzsche: „Wir Philologen” –, hat aber bloß Germanistik und Politologie studiert, trug danach zum Thema „Schulddiskurs in der frühen Nachkriegszeit” in damals noch genderungerechter Sprache gewiss Bedeutendes zusammen, lehrt als außerplanmäßige Professorin in Mannheim; überdies oder praktischerweise ist sie SPD-Mitglied, Mitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung und Diversitätsbeauftragte am Leibniz-Institut für deutsche Sprache. Nach dieser Vorstellung ahnen wir, warum sie überhaupt zum Interview gebeten wurde.
Die Leiterin des Arbeitsbereichs „Sprachliche Umbrüche” des Leibniz-Instituts für deutsche Sprache mag zwar das Binnen‑I nicht besonders, weil es im Wort eine „Störung” erzeuge, findet aber den Genderstern okay, wahrscheinlich weil der bloß wie ein Vogelschiss zwischen den Buchstaben klebt. Am zeitgemäßesten und zukunftstauglichsten indes erscheint ihr der eingefügte Doppelpunkt. Dem generischen Maskulinum prophezeit sie das Aussterben. Überhaupt ist die Gute eine ausgewiesene Kennerin des semantischen Stirb und Werde, sie gab zu Protokoll: „Generell unterscheiden die Linguisten zwischen aktuellen, aber vorübergehenden Sprachphänomenen und solchen, die sich später einmal als echter Umbruch erweisen.“ Zum Beispiel werde die aktuell durch Corona geprägte Begrifflichkeit nach der sogenannten Pandemie wieder verschwinden.
Nun, ich wage die Prognose: Wenn die Genderpandemie vorbei ist, werden auch diese Ausdrücke und Schreibweisen verschwinden.
***
Hier spricht der Sponsor.
Salz ist Salz ist Natriumchlorid? Nein! Schmecken Sie den Unterschied. Unsere Hällischen Steinsalze haben sich bei allen Verkostungen als erheblich runder im Geschmack, weniger zugespitzt salzig und fähiger zum Verbund mit den Geschmacksnoten der zu würzenden Speise erwiesen. Es ist ein Unterschied, der allerdings sprachlich schwer zu fassen ist, am besten in einer musikalischen Analogie: Der reine Sinuston ist immer schmerzend, erst durch Obertöne wird er zum musikalischen Wohlklang. Das ergibt übrigens auch eine rationale Erklärung für die höhere Geschmacksverträglichkeit unserer Steinsalze: Sie sind nicht raffiniert, enthalten also noch alle Mineralien und Spurenelemente, die sich ihnen im Laufe von 200 Millionen Jahren beigesellt haben. (Dafür fehlen ihnen alle Zusatzstoffe und Rieselhilfen.) Also: Es ist ein Unterschied. Probieren Sie’s hier, und Sie werden uns beipflichten.
Da Sie als Klonovsky-Leser dem Klonovsky-Verleger prinzipiell sympathisch sind, gewähren wir Ihnen einen Rabatt von fünf Prozent. Bitte bei der Bestellung einfach den Code „Actadiurna5“ eingeben.
(Das war eine Anzeige.)
***
Es fällt übrigens auf, dass nie Literaten um ihr Urteil zur Genderei befragt werden, also Menschen, die zur Sprache ein ästhetisches, ja libidinöses Verhältnis haben. Er stelle sich „auf die Seite der Opponenten gegen diese geplante Verarmung, Verhässlichung und Verundeutlichung des deutschen Schriftbildes”, antwortete Thomas Mann im Juni 1954 auf eine Umfrage der Zürcher Weltwoche zu den sogenannten „Stuttgarter Empfehlungen” für eine Vereinfachung der deutschen „ortografi” (auch Hesse und Dürrenmatt sprachen sich weiland gegen solche Pläne aus). „Mich stößt die Brutalität ab, die darin liegt, über die etymologische Geschichte der Worte rücksichtslos hinwegzugehen.” Brutalität ist die treffende Assoziation; es ist die Brutalität von ideologisierten Gesellschaftsumstürzern und Sozialingenieuren, die keinerlei Respekt vor dem kulturell Gewachsenen kennen. Was Mann, Hesse und Dürrenmatt zum Gendern sagen würden, liegt auf der Hand, doch alte weiße Suprematisten sollten besser ihre alte weiße Suprematistenfresse halten.
Ein anderes Stilmittel der Genderistas, um den Katafalkdeckel sprachstruktureller Benachteiligung von ihrem zarter konstruierten Geschlecht zu wälzen, ist das substantivierte Partizip I. Ein Pars pro toto. Die taz hat einen Artikel überschrieben mit: „Am O‑Saft nippen. Der Verzicht auf Alkohol provoziert Trinkende.“
Wenn ich zum Arzt gehe, soll ich künftig sagen: Ich bin ein Trinkender. Und der Arzt wird fragen: Aber wann trinken Sie denn?
Der Verzicht auf Alkohol provoziert Trinkende. Die feministische Frisierende mag keine Lebensschützenden. Die Preistragenden bedankten sich bei den Gutachtenden. Abends im Lokal traf ich einen meiner Dozierenden. Die Richtenden verhängten ein mildes Urteil über den Raubenden. Die Straftuenden-Statistik wäre armselig ohne die Fliehenden. Im Gefängnis saß ein Vergewaltigender in einer Zelle mit einem Gliedvorzeigenden (tatsächlich waren sie gerade Kartenspielende). „Sind Sie Rauchender?”, fragte ein Verbindungsstudierender – das ist übrigens weder jemand, der die Verbindung Berlin-München studiert, noch ein Eheberatender. Wer ist Ihr Lieblingsschauspielender?
Auch in dieser Frage ist das Urteil der Linguisten längst gefällt, wobei jenes der Zurechnungsfähigen bereits genügt hätte. Alle diese Formen sind semantisch unsinnig, wenn sie nicht eine Tätigkeit meinen, die jetzt, in diesem Augenblick, ausgeübt wird. Ein Blogger hat dazu das ultimative Gleichnis geliefert: Ein sterbender Studierender stirbt beim Studieren; ein sterbender Student kann auch im Schlaf oder beim Wandern sterben.
Wenn offenkundiger Nonsens Anhänger und Verfechter findet, bis ins Staatsfernsehen, in die Stadtverwaltung von Hannover, in die Universitäten, Schulen, Stiftungen, NGOs und so ad nauseam weiter, wenn etwas Widersinniges, Hässliches, Unhandliches und im Kern Destruktives mit hohem moralischen Erpressungsdruck in die Öffentlichkeit gewuchtet wird, dann geht es nicht um die Sache selbst, dann ist sie nur ein Vorwand. Deswegen perlt jede Kritik, jede Satire, jeder Spott an diesen Sprachklempnern ab. Deswegen interessieren auch die Einwände von Linguisten nicht. Es geht nicht um Argumente. Es geht nicht einmal um Sprache. Es geht um Macht.
Vor ein paar Tagen sandte mir ein Leser ein Schreiben der Gleichstellungsbeauftragten der TU Darmstadt an Lehrkörper und Studentenschaft. Es handelt sich um eine Richtlinie zur Angabe von Pronomen.
Ich zitiere: „Auch wenn die Vorstellung der Zweigeschlechtlichkeit tief in unserer Gesellschaft verankert ist, entspricht sie nicht der Realität aller Menschen und auch nicht den Erkenntnissen der Medizin. Es gibt
- Personen, die sich nicht in dieser Zweigeschlechtlichkeit verorten (abinäre Menschen),
- Personen, deren Geschlecht aus medizinischer Perspektive, d.h. rein körperlich betrachtet und nach aktuell geltenden medizinischen Normen, nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann (inter*Menschen),
- Personen, die bei Geburt einem der binären Geschlechter zugeordnet wurden, sich aber einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen (trans*Menschen),
- Personen, die sich zeitweise einem Geschlecht zugehörig fühlen und zeitweise einem anderen (genderfluide Menschen),
- Personen, deren Geschlechtsidentität neutral ist (Neutrois) oder die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen (agender Menschen).“
Es gibt auch originelle Personen, die sich für einen Prominenten halten, zuweilen sogar für einen toten, aber die kommen in der Auflistung nicht vor; offenbar sind deren Rechte der Gleichstellungsbeauftragten gleichgültig.
„Wir können also weder anhand von äußerlichen Merkmalen noch anhand des Vornamens eindeutig die Geschlechtsidentität einer Person ableiten. Als Geschlechtsidentität wird die gefühlte Zugehörigkeit zu einem oder mehreren Geschlechtern bezeichnet. Die Angabe von Pronomen zeigt an, wie eine Person angesprochen werden möchte bzw. mit welchem Pronomen sich eine Person identifiziert. Nehmen wir eine Person ernst und achten ihre Würde, sprechen wir sie ihren Wünschen entsprechend an.“
Nun folgt „eine (unvollständige) Auflistung von Pronomen, die abinäre Personen teilweise für sich selbst gewählt haben“. Und zwar Nominativ, Dativ, Possesivpronomen, üblichweise er, ihm, sein; sie, ihr, ihr; nunmehr:
em – em – em
hen – hen – hens
nin – nim – nins
per – per – pers
xier – xiem – xies
Manche der Nichtbinären oder Identitätsverwirrten kämen aber auch gut mit der üblichen Form aus, schließt das Schreiben versöhnlich.
Ende der Darmstädter Toleranzdurchsage.
Und das ausgerechnet an einer Technischen Universität! Also an einer Uni, wo praktische Dinge gelernt und gelehrt werden, wo Ingenieure ein- und ausgehen, keine Sozialpsychologen oder Absolventinnen von „Blender-Studies” (Thomas Kapielski). Auch die Praktiker sollen lernen, auf Kommando über das Gesinnungsstöckchen zu springen.
Es stünde diesen Gender-Agitatoren ja frei, ein Beispiel zu geben, statt die anderen zu nötigen. Soll doch privat gendern, wer mag; es steht auch jederfrau frei, künftig „Korkenzieherin“, „Stahlträgerin“ oder „Zapfhenne“ zu sagen, wir werden ja sehen, ob es sich durchsetzt. Aber diese Leute wissen, dass niemand mitzöge.
Übrigens verlautbarte die „Académie Française“ bereits 2018, dass die Gendersprache das Französische in „tödliche Gefahr“ bringen werde und lehnte sie deshalb ab. Im Mai 2021 hat Frankreichs Bildungsminister Jean-Michel Blanquer die Gendersprache an Schulen und in seinem Ministerium verboten. Gleichzeitig aber sollen Berufe und andere Funktionen, wenn sie von Frauen ausgeübt werden, künftig in der weiblichen Form genannt werden. Auch die Spanier und die Italiener ziehen beim Gendern nicht mit. Die meisten Titel werden dort in der männlichen Form gebraucht, zum Beispiel nennt sich die schönste Ministerin Europas: Ministro per il Sud e la coesione territoriale, Mara Carfagna. Ministro, nicht Ministra. Das Gender-Gaga ist eine Krankheit, die offenbar nur den nördlichen Teil des Kontinents befällt.
Und es wird immer schlimmer. In Huxleys „Brave New World” gilt es als äußerst unanständig, die – frühere – Existenz von Eltern zu erwähnen. Die Embryonen entwickeln sich dort in künstlichen Gebärmüttern (!), „Flaschen” genannt, denn das Wort „Mutter” gilt als schmutzig, und ich erinnere mich noch lebhaft, wie sehr mich das bei der Lektüre empörte. Die Zeitschrift Brigitte Mom meldete im Februar 2021 große Fortschritte auf dem Weg in die Brave New World: Muttermilch soll nicht länger Muttermilch heißen, sondern: „Menschenmilch”. Die Uni-Kliniken von Sussex und Brighton, schreibt die Gazette, „ermutigen ihre Angestellten, auf den Geburtsstationen ab sofort eine geschlechtsneutrale Sprache zu verwenden, um die Vielfalt ihrer Patient*innen zu würdigen. Damit sich auch transsexuelle Gebärende angesprochen und zugehörig fühlen, wurden sogar neue Begriffe kreiert.”
Ärzte und Hebammen sollen neben den herkömmlichen auch „diskriminierungsfreie” und transfreundliche Begriffe verwenden: „Person” etwa statt „Frau”, „Geburtselternteil” (birthing parent) statt „Mutter”. Das Wort „Muttermilch” (breastmilk) könne durch „Menschenmilch” (human milk) oder „Milch des stillenden Elternteils” (milk from the feeding parent) ersetzt werden. „Elternteil” oder „Co-Elternteil” soll als Alternative für „Vater” verwendet werden. Und niemand lacht diese Leute aus.
Brigitte Mom müsste also umbenannt werden in Brigitte Person. Oder Brigitte Feeding Parent. Analog dazu stellte das Deutschlandradio ein „Handbuch für genderneutrale Begriffe“ vor: Die Mutter ist darin das „austragende Elternteil“, der Vater das „nichtgebärende Elternteil“.
Es gibt keinen Vater, der ein Kind zur Welt bringt, das ist biologisch unmöglich. Jemand, der sich für einen Vater hält, obwohl er eine Gebärmutter hat und seine Brüste Milch geben, obliegt einer Privatpassion oder ‑obsession, so wie sich mancher für Napoleon hält oder ich mich für eine lesbische schwarze Afghanin, die im Körper eines weißen Cis-Sexisten eingesperrt ist, aber schon aufgrund der äußersten Seltenheit dieser Passion und aus Gründen der guten Manieren sollte man die Allgemeinheit nicht damit behelligen und sich gerade bei einem solch elementaren, in die Bezirke des Chtonischen reichenden Phänomen wie der Mutterschaft in Zurückhaltung üben. Ich habe keine Ahnung, wie viele Personen überhaupt auf Erden existieren, die „Menschenmilch” (zu) geben (glauben), ich habe aber eine recht genaue Vorstellung davon, wann ein Bogen überspannt wird. „Mutter” ist das elementarste Menschenwort. Wer daran rührt, sollte sich auf einiges gefasst machen. Und was mich betrifft, ich werde dann applaudieren.
Wir könnten die Hände falten und seufzen: Co-Elternteil, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Aber sie wissen es ja. Deswegen will ich heute mit Voltaires bekanntem Ausruf schließen: Écrasez l’infâme!
* Leser *** hat einen Einwand zum Passus: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt’, sagt Wittgenstein. (Das stimmt nicht ganz, es gibt speziell Begabte, die mit Formeln und Gleichungen die Grenze der Welt weit über die Sprache gezogen haben, allerdings können sie damit nichts Menschliches ausdrücken.)”
Er schreibt: „Da Sie meinen Säulenheiligen Ludwig Wittgenstein ins Spiel gebracht haben, muss ich Sie leider belehren. Ich nehme mir dieses Recht als jemand heraus, der mit 18 Jahren ein Erweckungserlebnis durch die Lektüre des Blauen Buchs erlitt und daher Analytische Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie bis zur Promotion studiert hat.