Elon Musk hat Twitter übernommen. Für das Kommentariat scheint das ein Riesenproblem zu sein.
Der wankelmütige Milliardär – beim Spiegel, wo keiner wankt noch weicht, findet man stets das treffende Attribut; wie sollte ein Einzelner so reich werden ohne Wankelmut? – will bei Twitter die Meinungsfreiheit durchsetzen und, angeblich, auf einen Frieden mit Russland hinwirken. Meinungsfreiheit und Frieden, schlimm, ganz schlimm; das sind die derzeit größten Bedrohungen, zumindest für die woken Gouvernanten der globalistischen Medienöffentlichkeit. Also Zeitgenossen, die bekanntlich genau wissen, was gut für die Welt, die Gesellschaft und den eigenen Kontostand ist, weshalb sie ein öffentliches Mitplappern all der Rückständigen, Unaufgeklärten, Unbelehrbaren, mit einem Wort: des Pöbels (= white trash), nicht dulden wollen.
Dahinter steckt die so bizarre wie übergeschnappte Selbstwahrnehmung, der zufolge Falschnachrichten, Desinformation, Hass & Hetze immer von rechts kommen. Tatsächlich vermag aber außer Gott und, in Detailfragen, späteren Historikern, vielleicht aktuell ein paar Geheimdienstlern, niemand „objektiv” zu sagen, was nun Fake News sind und was die Wahrheit ist. Dasselbe gilt für den alten Bruder Hass und, recht besehen, auch für die Angst.
Hass und Desinformation kommen von allen Seiten; wer etwas anderes behauptet, verbreitet Desinformation und verfolgt Interessen.
Hier zum Beispiel eine Auswahl erfolgloser Kandidaten für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.
„Das Recht zu kritisieren; das Recht, unpopuläre Überzeugungen zu vertreten; das Recht zu protestieren; das Recht auf unabhängiges Denken: die Ausübung dieser Rechte sollte keinen einzigen amerikanischen Bürger seinen Ruf oder sein Recht auf Lebensunterhalt kosten, noch sollte er Gefahr laufen, seinen Ruf oder seinen Lebensunterhalt zu verlieren, nur weil er zufällig jemanden kennt, der unpopuläre Überzeugungen vertritt. Wer von uns (tut dies) nicht?* Sonst könnte keiner von uns seine Seele sein Eigen nennen. Sonst hätte die Gedankenkontrolle eingesetzt.” Erklärte Margaret Chase Smith, die erste Frau in der Geschichte des US-Kongresses, die in beide Kammern gewählt wurde, eine entschiedene Gegnerin des Senators Joseph McCarthy.
* Im Original: Who of us doesn’t? Dass jeder Mensch unpopuläre Gedanken denke, scheint die Lady in den 1950ern noch für eine Tatsache gehalten zu haben. Heute wäre ich mir da nicht mehr so sicher.
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„Wir brauchen aktive, ja widerstandskräftige Bürgerinnen und Bürger.”
Also sprach Frank-Walter Steinmeier in seiner „Rede an die Nation”. Also an ein Dingens, das es, ginge es nach Frank-Walter, seinen Genossen und ihren grünen Spießgesellen, am besten heute schon nicht mehr geben sollte. Und so klang die Rede ja auch; sogar der regierungsfromme Nachrichtensender n‑tv bescheinigte dem Redner das „Charisma einer Scheibe Graubrot, die jemand in der Spüle liegengelassen hat” und folgerte: „Als Trostredner in der Palliativstation würde man ihn ohne Honorar vor die Tür setzen und am gleichen Tag die Schlösser austauschen.”
Allerdings verlangt der Kommentator des Senders etwas vom Bundespräsidenten, das nicht nur dessen Möglichkeiten überschreitet, sondern vor allem jenseits der Steinmeierschen Absichten liegt. Der Mann ist nicht nur nicht imstande, sondern auch gar nicht willens, eine Rede an die Nation zu halten, weil er deren Kernbestandteil, dem Volk, misstraut, es in Teilen verachtet, ja fürchtet, weil er genau weiß, dass eine solche Rede, womöglich gar mit „Blut, Schweiß und Tränen”-Attitüde, noch verlogener wäre als das, was offizielle Redner sonst so von sich geben.
„Wir brauchen aktive, ja widerstandskräftige Bürgerinnen und Bürger.” Das ist ein Kernsatz, im typischen Steinmeier-Sprech, jedes Wort halb Phrase, halb Drohung. Das „Wir brauchen” ist autoritär – woher will der Uhu vom Schloss Bellevue wissen, was „wir” „brauchen”? „Aktiv” sind übrigens auch die „Querdenker”, aber die zählen für Steinmeier wahrscheinlich nicht zu den Bürgern. Und „widerstandskräftig” ist etwas ganz anderes als „widerständig”, strenggenommen das Gegenteil; der „widerstandskräftige Bürger”, dieser neueste Nippes aus der Steinmeierschen Phrasenmanufaktur, soll gegen den widerständigen in Stellung gebracht werden.
Was meint überhaupt dieses „Wir”? Entweder, Steinmeier maßt sich an, im Namen aller zu sprechen – dann ist dieser Satz eine Tautologie: Wir brauchen uns –, oder er verwendet dieses „Wir” in jenem präpotenten Sinne, in dem Margot Honecker weiland von „unseren Menschen” sprach. In Fall zwei landet ein autoritärer Sozialist dann schnell bei den Querulanten, die sich vom Kollektiv ausschließen, bei den feindlich-negativen Kräften, die mit ihrer Insubordination den Staat delegitimieren. Gegen solche Unholde ruft Steinmeier die „aktiven, widerstandskräftigen Bürgerinnen und Bürger” zusammen. Wie passend, dass ich vor drei Tagen hier Peter J. Brenners Bonmot zitierte: „Wer ‚Zusammenhalt’ sagt, will Zwietracht säen”; das ist Steinmeier in einem Satz.
Gibt es dafür Belege? Aber ja.
Fast jeden dieser Sätze könnte Margot Honecker um das Jahr 1988 gesagt haben. Steinmeier, der dieses Floskel-Stakkato wahrscheinlich für geschliffene Rhetorik hält, spricht vom „Gift des Populismus” – es leben also toxische Finstermänner (und ‑frauen! Am Ende sogar Finsterdiverse?) mitten unter „uns” –, um kurz darauf an die „widerstandskräftigen Bürger” zu appellieren, sie sollten „das Verbindende stärken”. Das nennt sich Frontziehung, Spaltung, Ausrufung eines geistigen Bürgerkriegs. Knecht Haldenwang hat ja bereits apportiert.
Sowohl Genosse Steinmeier als auch Kam’rad Haltungszwang sollten einmal überschlagen, wie groß der Kreis derer eigentlich ist, die unsere hoffentlich hinreichend widerstandskräftige Bevölkerung mit dem „Gift des Populismus” boostern wollen bzw. derjenigen, die vom Gift genascht haben. Die sechs Millionen AfD-Wähler dürften geschlossen dazugehören, außerdem die „Querdenker” sowie jene Negativ-Diskutanten, die derzeit wegen der gerade mal zehnprozentigen Inflation und des drohenden oder bereits erfolgten Jobverlustes auf die Straße gehen, außerdem die ca. 18 Millionen Impfverweigerer (vulgo: Ungeimpften), die meisten Sachsen… Und all diejenigen, die momentan ihre Hoffnungen darein setzen, dass die Neopopulistin Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründet. Und was ist mit denen, die Frieden mit Russland wünschen? Gut, das sind lauter Teilmengen, aber ich würde meinen, eine zweistellige Millionentruppe hatte und hat mindestens Giftkontakt.
Schließen wir mit einem Witz.
Aus: Martina Peucker, „Staatsorganisationsrecht”. 3. Auflage, Heidelberg 2013
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Und noch einer.
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Hier spricht der Sponsor.
Acht Prüfungen muß es bestehen: Das KUM-Meisterstück
Dieser seit 100 Jahren von der Kunststoff- und Metallwarenfabrik in Erlangen gefertigte Bleistiftspitzer wird als KUM-Masterpiece von Grafikern, Zeichnern und Schreibern in aller Welt hoch gepriesen und gerühmt, während er hierzulande fast unbekannt und schwer zu kriegen ist. Der Grund für den (auf YouTube einsehbaren) Kult: Das feinwerktechnische Meisterwerk spitzt den Bleistift in zwei Stufen. Das erste Messer legt die Graphitmine unter dem Holz frei, das zweite widmet sich dann der Mine und spitzt sie je nach Ansatzwinkel in die für Schreib- oder Schraffurzwecke optimale Form. Faszinierend ist es, allein den auf 64 HRC gehärteten Messern aus Kohlenstoffstahl bei ihrer Feinarbeit an Holz und Graphit zuzusehen. – Näher kommen Sie diesem kleinen Wunderwerk mit seinen acht Qualitätsprüfungen hier.
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(Das war eine Anzeige.)
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Höhepunkte der Willkommenskultur, x.-te Folge.
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Höhepunkte der Willkommenskultur, Fortsetzung.
Wenn deren Gemeinde groß genug ist, wird auch das Verbot erweitert. Ein paar Heißsporne exekutieren es ja heute bereits. Fällt übrigens alles statistisch unter Rechtsextremismus.
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Was ist eigentlich der neue englische Premier für einer?
So einer.
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Die Bayern führen gerade 6:2 gegen Mainz, doch verglichen mit der Führung der „Schwurbler” gegen die Etablierten ist das gar nix. Eben haben die Schwurbler wieder zwei Treffer nachgelegt.
Wiedervorlage:
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Im Interview mit der Frankfurter Rundschau erklärt die „Transformationsforscherin” Maja Göpel:
Auch mal Banden bilden gegen Besitzstandswahrung: Das müsste mal ein AfDler vorschlagen. Gut, die FR liest kein Mensch; es gab mal einen Film namens „Interview mit einem Vampir”, mit Beteiligung der Frankfurter Rundschau könnte es heißen: „Interview mit einem Zombie”, aber ich kann alle Eckladenbesucher nur ermuntern, das Interview zu lesen, um die dummdreiste, trendbefolgungsgeile, schaumschlägerische Technokratensprache dieser Bescheidstoßerin zu genießen.
Man träfe das minnigliche Mägdelein gern mal an einem „sozialen Kipppunkt”.
„FR: Was kann ich denn im Alltag konkret tun, um das Klima zu schützen?
Göpel: Wir haben ja fantastisch viele Rollen. Sie können als Mutter etwas tun, Sie können als Kollegin in Ihrer Firma etwas vorschlagen, Sie können sich informieren, wie Sie in Haus und Garten CO2 reduzieren und Biodiversität schützen, Sie können sich an Ihre politischen Vertreter wenden, an Ihre Zeitung schreiben oder in eine Bürgerinitiative oder mitgliederbasierte zivilgesellschaftliche Organisation eintreten. Sie können spenden oder eine eigene neue Initiative gründen, ob nun für bessere Information oder Angebote der Alltagsgestaltung, ob ehrenamtlich oder in Unternehmensform.”
Sie können als Mutter etwas tun – auf weitere Kinder verzichten? –, und als Kollegin ihrer Firma etwas vorschlagen – die Produktion nach Asien zu verlagern? Sie können sich an Ihren politischen Vertreter wenden oder an Ihre Zeitung schreiben. Oder an Ihre SED-Kreisleitung.
„Das sind viele Möglichkeiten”, sekundiert die wahrscheinlich auch enorm transformationskundige Interviewerin (sie könnte das ironisch meinen, aber im Gesprächsverlauf deutet nichts darauf hin). Da fällt der Expertin wohl auf, was für einen komplett inhaltslosen Floskelsalat sie absondert – und die Bandenbildung ein.
Wer mehr über Frau Göpel erfahren will: Alexander Wendt hat der Maid in seinem Wachsfigurenkabinett des Expertenpersonals der späten Bundesrepublik eine Nische freigeräumt.
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„Ich habe die friedlichste Gesinnung. Meine Wünsche sind: eine bescheidene Hütte, ein Strohdach, aber ein gutes Bett, gutes Essen, Milch und Butter, sehr frisch, vor dem Fenster Blumen, vor der Tür einige schöne Bäume, und wenn der liebe Gott mich ganz glücklich machen will, läßt er mich die Freude erleben, daß an diesen Bäumen etwa sechs bis sieben meiner Feinde aufgehängt werden. Mit gerührtem Herzen werde ich ihnen vor ihrem Tode alle Unbill verzeihen, die sie mir im Leben zugefügt.”
Ich gestatte mir eine kleine Anleihe bei Heinrich Heine (der Text stammt aus dessen Nachlass, postum veröffentlicht unter dem Titel „Gedanken und Einfälle”): Auch ich habe die friedlichste Gesinnung, gegen jedermann, aber wenn ein Sterblicher seine schwitzende Epidermis an ein Gemälde von Vermeer zu kleben wagt, soll ihm jedes Stück Haut, das Kontakt zur Leinwand hatte, weiträumig, unter großem Hallo und in aller Öffentlichkeit abgezogen werden, was in diesem Falle wohl auf eine Art Skalpierung hinauslaufen würde:
Zuletzt hatten sich diese Endzeit-Deppen an Bilder von Monet und van Gogh geklebt, was mich unerzürnt ließ, weil mir weder van Gogh noch Monet etwas bedeuten (ganz anders verhält es sich bei Manet!), aber wenn sich diese Irren an die Unsterblichen wagen, sollte endlich einer von ihnen wenigstens mit einer abschreckenden Geldstrafe bedacht werden.
Da schau her, Klein-Sixtus würde so gern in die SA eintreten, aber wir haben ja den Krieg verloren!
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Der Impressionismus, apropos van Gogh und Monet, ist so recht Kunst für Frauen: keine Kriterien mehr, nur noch Gefühle.
„Alles ist nach seiner Art: an ihr wirst du nichts ändern”, spricht der Wanderer im „Siegfried”. Es hat ja auch sein Gutes. Ich zitiere aus einer noch unveröffentlichten Novelle meines Freundes Artur Abramovych.
Ich bin in Stänkerlaune, merken Sie’s?