Wenn Sie einen anderen Menschen zum ersten Mal sehen, läuft in Ihrem Kopf spontan, unbewusst und ganz unwillkürlich ein Klassifizierungsmechanismus ab. Dieser Mechanismus versucht, zwei Fragen zu beantworten, die beide von so existentieller Art sind, dass es töricht wäre, sie dem Großhirn für eine längere Reflexion zu überantworten; sie müssen sofort geklärt werden, nämlich: Ist der andere eine Gefahr für mich? Und: Ist er ein möglicher Sexualpartner?
Natürlich fällt die Gewichtung dieser beiden Genres je nach dem Ort der Erstbegegnung unterschiedlich aus. Als Frau nehmen Sie ein und denselben Mann in einer dunklen Straße eines anrüchigen Viertels anders wahr als auf einer Party. Auf Letzterer können Sie sich ganz ungestört der Attraktivitätsfrage widmen. Ab einem gewissen Alter, heißt es, erlischt diese Frage im praktischen Sinne, doch die automatische Unterscheidung in attraktiv-unattraktiv endet wohl nie.
Um beurteilen zu können, ob der andere eine mögliche Bedrohung darstellt oder als potentieller Fortpflanzungspartner in Frage kommt, ermitteln Sie – immer noch automatisch und unbewusst – in Sekundenbruchteilen dessen Geschlecht, dessen Ethnie und dessen Alter. Das tut jeder Mensch auf Erden, auch alle, die Ihnen heute etwas über Gender und Transidentitäten erzählen. In 99,9 Prozent aller Fälle gelangen Sie beim Geschlecht zu einem eindeutigen Resultat. Die dahinter ablaufenden Prozesse sind Millionen Jahre alt, sie waren für das Überleben der Spezies unentbehrlich, und so schnell wird sie niemand abstellen. Das heißt, alle Menschen – außer vielleicht Jesus Christus – beurteilen ihre Gegenüber spontan nach Kriterien, die heutzutage als sexistisch und rassistisch der pflichtschuldigen Verdammung verfallen. Wenn man sich das vor Augen führt, versteht man auch die tieferen Motive der Hysterie, mit welcher dieses Thema in der Öffentlichkeit traktiert wird. Es ist ein Chor von Kleptomanen, der ruft: Haltet den Dieb!
Es gehört zum Wesen existentieller Fragen, dass die falsche Antwort verhängnisvolle Folgen haben kann. Bei der Fehleinschätzung der Gefährlichkeit eines Gegenübers ist das eindeutig. Die Wahl des falschen Sexualpartners zählt dagegen zu den statistisch unumgänglichen, meistens harmlos endenden Missgeschicken im Leben eines Menschen. Die Folgen können zwar auch hier gefährlich sein, im Allgemeinen aber sind sie nur peinlich, frustrierend, eklig oder kurios. Zum Beispiel, wenn ein europäischer Tourist in Thailand einen Ladyboy für eine Frau hält. Ist der Ladyboy, dem unser Europäer in seinem dunklen Drange folgte, aber nun ein Mann oder eine Frau? Er ist natürlich ein Mann. Deswegen war die Begegnung am Ende auch peinlich. Die vermeintliche Frau hat sich als Kerl entpuppt, und der Freier ist nicht schwul.
In den Künsten und beim Karneval ist die bewusste Vertauschung der Geschlechter ein alter Topos bzw. Hut. Insbesondere als Männer verkleidete Frauen haben seit Jahrhunderten in der Literatur und auf der Bühne erotische Spannung produziert und die Rollentausch-Phantasien des Publikums bedient. Kein Geringerer als Achilleus verkleidete sich als Mädchen, um dem Gestellungsbefehl zum Trojanischen Krieg zu entgehen (das war natürlich nicht erotisch konnotiert). Es ist dem Menschengeschlecht seit Olims Zeiten bewusst, dass es Männer gibt, die Männer lieben, und Frauen, die Frauen begehren; die antiken Griechen haben geradezu einen Kult daraus gemacht, ohne aber gleich die Fortpflanzung einzustellen.
Mit Sappho erhebt die weibliche Homosexualität bereits im 7. vorchristlichen Jahrhundert ihre Stimme; die Herkunftsinsel der Dichterin, Lesbos, verlieh dem gesamten Phänomen ihren Namen. Straussens „Rosenkavalier“ erfreut sich wegen der Hosenrolle des Octavian bis heute großer Popularität bei gebildeten Lesben – eine Frau spielt darin einen Mann, der mit einer Frau schläft und sich später als Frau verkleidet, um einen anderen Mann hereinzulegen. Aber kein Homosexueller kam und kommt auf die Idee, sich wegen seiner Orientierung ein drittes Geschlecht zuzuschreiben, im Gegenteil: Die Homosexualität folgt der Heteronormativität, der schönen Normalität der Zweigeschlechtlichkeit. Auch Geschlechtsumwandlungen finden nach den Kriterien der Heteronormativität statt, mit welchem bescheidenen Erfolg auch immer. Niemand lässt sich in ein drittes oder siebzehntes Geschlecht umwandeln, weil weder er noch der Chirurg wissen, was das ist.
Jetzt ist das Wort gefallen, um das in den letzten Jahren ein veritabler Kulturkampf entbrannt ist: Zweigeschlechtlichkeit. Es ist in der Tat ein Kulturkampf – für die Natur ist die Sache sonnenklar: Es gibt nur zwei Geschlechter. Kein Biologe wird Ihnen etwas anderes sagen, es sei denn, er bekommt Geld dafür oder er hat Angst. Geschlecht ist untrennbar verbunden mit Fortpflanzung. In dieser Basistatsache des Lebens hat sich die Natur eindeutig festgelegt, immerhin geht es um die Bereitstellung der nächsten Generation, also um Alles. Deswegen gibt es nur zwei biologische Geschlechter, auch bei Zwittern übrigens, von denen das Tierreich einige kennt und die Pflanzenwelt voll ist. Entweder Samenzelle oder Eizelle; bei Zwittern beides in einem Organismus, aber es gibt kein Drittes, allenfalls das Fehlen von Fortpflanzungszellen, also eine Dysfunktion. Niemals ist eine dritte Gametenform entdeckt worden, beispielsweise eine Kombination aus Spermien und Eizellen.
Primäre Geschlechtsorgane sind dadurch definiert, dass sie unmittelbar der Fortpflanzung dienen: Vulva, Vagina, Uterus, Ovarien auf der einen, Penis, Samenwege, Hoden auf der anderen Seite. Wenn man es ganz eng fasst, bleiben als primäre Geschlechtsorgane nur Ovarien und Hoden übrig. Sie sind praktisch das, was der Motor beim Auto ist. Ohne sie wäre der Rest überflüssig.
Man las zuletzt in den Gazetten oft die rhetorische Frage, was eine Frau ausmacht und was einen Mann. Mit verlässlich manipulativen, also falschen Antworten, die so weit führen, dass besonders exponierte Tatsachenverdreher behaupten, Männer könnten schwanger werden oder menstruieren. Die Universität Bonn versucht gerade, sich mit einem „Pilotprojekt“ an die Spitze dieser Zeitgeisterei zu setzen: Sie stellt nicht nur Tampons und Binden gratis (also auf Steuerzahlerkosten) zur Verfügung, sondern will beides auch auf den Herrentoiletten anbieten. „Denn auch männliche Studierende menstruieren”, versicherte ein AStA-Funktionär auf der Webseite der Uni.
Tun sie nicht. Nicht einmal beim Bonner AStA.
Also nochmals: Was ist eine Frau? Eine Frau ist eine Person, die Kinder gebären kann. Was ist ein Mann? Eine Person, die Kinder zeugen kann. Eine Frau ist ein Wesen, das Eizellen produziert, ein Mann dagegen produziert Samenzellen. Umgekehrt formuliert: Ein Wesen, das Eizellen produziert, ist weiblich, ein Wesen, das Samenzellen produziert, männlich. Das ist alles. Diese beiden Aussagen werden demnächst wahrscheinlich bei Strafe verboten sein, doch aufs Ganze der Geschichte gesehen scheint das ein normales Schicksal von Wahrheiten zu sein.
Um es noch etwas genauer zu formulieren und blöden Einwänden zu entgehen: Eine Frau ist ein menschliches Wesen, das während einer bestimmten Zeit seines Lebens befruchtbare Eizellen bereitstellt, ein Mann ist ein Wesen, das während einer bestimmten Zeit seines Lebens Samenzellen produziert. Ein Mädchen ist eine Frau in statu nascendi, eine Greisin bleibt ebenso eine Frau wie eine weibliche Person, der die Gebärmutter entfernt wurde, weil sie Krebs hatte. Auch ein kastrierter Mann bleibt als ein männliches Wesen übrig. Zwar sind seine primären Geschlechtsorgane entfernt worden, aber er bleibt aufgrund seiner Gehirnstruktur ein Mann. Das männliche Gehirn entwickelt sich nämlich hormonell bedingt – man könnte auch sagen: hodenbedingt – nach wenigen Tagen aus dem ursprünglich weiblichen Gehirn.
Jemand, der sich für eine Frau hält, Perücke und Frauenkleider trägt, sich Brüste bauen, vielleicht sogar den Penis entfernen lässt, wird damit nicht in die Lage versetzt, Eizellen zu produzieren und Kinder zu gebären. Kein Mensch kann Hoden in Eierstöcke verwandeln oder umgekehrt. Es hat noch nie ein Mann ein Kind bekommen und noch nie eine Frau ein Kind gezeugt. Es hat noch nie ein Mensch sein biologisches Geschlecht gewechselt, so wie noch nie ein Mensch seine Rasse gewechselt hat, auch der strebsame Michael Jackson nicht, und alle wohlmeinenden Versuche der Grünroten, den Begriff Rasse aus dem Grundgesetz zu streichen, werden das nicht ändern – genau deswegen wollen sie den Begriff ja streichen. Wäre es tatsächlich möglich, sein Geschlecht und seine Rasse zu wechseln, gäbe es das ganze antisexistische, antirassistische Geplärr nicht. Die Linke hat seit jeher ein gewaltiges Problem mit der Biologie – eigentlich: mit dem Bios, den der Logos ja nur beschreibt –, weil die Biologie verlässlich alle linken Gleichheitsvorstellungen unterläuft, unterminiert, zertrümmert.
Und das ist der wahre Grund für den ganzen Lärm um die angebliche Existenz beliebig vieler Geschlechter. Es gibt ja nicht mal ein drittes. Der in Stanford lehrende und forschende Biologe Ulrich Kutschera hat diese Tatsache in das entzückende Bonmot gekleidet: „Die Biologen suchen seit über 300 Jahren nach dem dritten Geschlecht, und die Juristen haben es gefunden.“ Halten wir hier schon einmal fest: Das dritte Geschlecht ist eine juristische Zuschreibung, kein biologisches Phänomen.
Liebe und geschätzte Zuhörer, wie viele Menschen kennen Sie persönlich, die sich weder als Mann noch als Frau verstehen? Es ist nicht so einfach, eine solche Person kennenzulernen. Stand Februar vergangenen Jahres hatten knapp 1600 Menschen in Deutschland die Neufassung des Personenstandsgesetzes von 2018 zum Anlass genommen, ihren Geschlechtseintrag zu ändern, sie haben ihr Geschlecht also neu definiert, die meisten davon allerdings konventionell heteronormativ, von männlich zu weiblich oder umgekehrt. Nur ca. 400 Menschen hatten sich bis Februar 2021 in Kein-schöner-Land als „divers“ registrieren lassen. 400 von 83,7 Millionen, das entspricht 0,00047 Prozent der Bevölkerung. Am 2. Mai dieses Jahres meldete der rbb, dass in Berlin 106 Menschen im Melderegister als „divers“ eingetragen seien, 0,0028 Prozent der Berliner.
Was die Registrierung des Geschlechts bei der Geburt betrifft, gilt: Ist das Kind aufgrund seiner äußeren Geschlechtsmerkmale nicht zuordenbar, kann „weiblich“ oder „männlich“ oder gar nichts eingetragen werden, seit 2018 besteht die Möglichkeit, „divers“ einzusetzen. Beim Eintritt der Volljährigkeit können solche Menschen selbst entscheiden, wohin sie gehören wollen. Das ist übrigens hierzulande seit langem Praxis; im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 heißt es dazu:
„Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Eltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frei, zu welchem Geschlechte er sich halten wolle.“
Intersexuelle Menschen sind übrigens keine Zwitter, sondern meistens Personen mit einer gestörten Geschlechtsentwicklung. Es gibt in Übersee Gender-Identity-Kliniken für Menschen, die an Gender Dysphorie leiden, dort werden die seelischen Belastungen und psychischen Beschwerden von Patienten behandelt, die mit ihrer körperlichen Geschlechtsidentität nicht übereinstimmen. Mit der hier in Rede stehenden kleinen Minderheit würden sich normalerweise lediglich ein paar Experten beschäftigen, Psychologen, Therapeuten, Chirurgen, special interest-Journalisten. Wir haben uns zwar in der späten BRD daran gewöhnen müssen, wie unter linker Diskurshegemonie eine Minderheit nach der anderen entdeckt wurde und vom Steuerzahler gepampert werden musste, doch wie konnte es dazu kommen, dass eine dermaßen kleine, exotische Randgruppe ins Zentrum aller westlichen Gesellschaften vorzudringen vermochte?
An der Randgruppe selbst lag es, wie gewohnt, eher nicht. Dafür sind ihre Anwälte verantwortlich, die sich das Mandat, ebenfalls wie gewohnt, selbst erteilt haben. Bei diesen Anwälten, die das Thema mit einem unglaublichen moralischen Erpressungsdruck in sämtliche Kapillaren der westlichen Öffentlichkeit pressen, handelt es sich um woke Linke mit einer klaren politischen Agenda. Sie wollen der Biologie das Geschlechter-Thema wegnehmen, um es als Waffe im politischen Kampf einzusetzen. Seit Jahren drehen sie das gesellschaftliche Debattenklima in diese Richtung. Eine solche Klimaänderung betrifft natürlich auch die Wissenschaft. Die Wissenschaft hat bislang noch in allen autoritären Gesellschaften mitgespielt, nach Hannah Arendt ist die Berufung auf die Wissenschaft sogar ein Hauptkennzeichen des modernen Totalitarismus.
Ich fasse Arendts Theorie der Elemente totalitärer Herrschaft hier in extremer Kürze zusammen, sie trifft verblüffend gut auf die heutige Lage zu.
Die Gesellschaft ist atomisiert und zugleich homogenisiert – das nennt sich heute „Diversity“. Aus der Orientierungs- und Bindungslosigkeit der Einzelnen resultiert ein kollektiver Mangel an Urteilskraft. Arendt schreibt – wir sind im Jahr 1951 –: „Die Mentalität moderner Massen (…) beruht darauf, daß sie an die Realität der sichtbaren Welt nicht glauben, sich auf eigene, kontrollierbare Erfahrungen nie verlassen, ihren fünf Sinnen mißtrauen und darum eine Einbildungskraft entwickeln, die durch jegliches in Bewegung gesetzt werden kann, was scheinbar universelle Bedeutung hat.”
Die intellektuellen Eliten haben sich freiwillig gleichgeschaltet und betreiben mehrheitlich Systempropaganda. Gerade sie hegen eine „Neigung für die abstraktesten Vorstellungen, diese leidenschaftliche Vorliebe, ihr Leben nach sinnlosen Begriffen zu gestalten, wenn sie dadurch nur dem Alltag und dem gesunden Menschenverstand, den sie mehr verachten als irgend etwas sonst, entgehen konnten”. Alexander Wendt definiert dieses Phänomen als „kulturelle Verachtung“: Jener gesunde Menschenverstand, der sieht, dass es zwei Geschlechter gibt, und sich diese Tatsache deshalb nicht ausreden lässt, entstammt dem Denken der einfachen, sesshaften, malochenden, niemals en vogue und fernab der urbanen Schickeria lebenden Menschen, und die sind es, die der kulturellen Verachtung der sogenannten Eliten verfallen. Die Mehrheit der einfachen Menschen übernimmt gleichwohl die Ansichten der Eliten. Vor zwei Wochen vermeldete die Bild-Zeitung eine Insa-Umfrage, der zufolge 49 Prozent der Deutschen meinen, es gebe mehr als zwei Geschlechter, während 38 Prozent weiter ihren fünf Sinnen trauen wollen.
Das heißt, ich folge weiter Hannah Arendt, dass frei erfundene, aber in sich logische Systeme das Denken der Menschen beherrschen und eine Hyperrealität erzeugen. Deswegen ähneln sich überzeugte Kommunisten, überzeugte Nazis und überzeugte Woke in ihrem heilsdurchglühten Eskapismus auch so sehr. Die Massen werden mit sogenannten wissenschaftlichen Beweisen von der Stichhaltigkeit der staatlichen Maßnahmen überzeugt. Arendt schreibt: „Diese ideologisch verankerten Lügen (sind) unantastbar. Sie werden mit sorgfältig ausgearbeiteten Systemen pseudowissenschaftlicher Beweise geschützt.” Und: „Im Gegensatz zu älteren Formen politischer Propaganda, die dazu neigt, sich auf die Vergangenheit zu berufen, um Gegenwärtiges zu rechtfertigen, benutzt totalitäre Propaganda die Wissenschaft, um die Zukunft zu prophezeien.”
Gemäß dem strikten Determinismus jeder Ideologie steht am Ende des eingeschlagenen Weges eine Transformation der menschlichen Natur, das Erreichen einer neuen Gattungsqualität. Soweit die inzwischen auch schon der Verdammnis überantwortete Hannah Arendt, damals janusköpfig zugleich in die Vergangenheit und die Zukunft blickend.
Ein wesentliches Glied in der totalitären Symptomkette ist also das Misstrauen gegen die eigene Wahrnehmung und deren Ersetzung durch staatlich verbreitete sogenannte wissenschaftliche Theorien. Kehren wir zu unserem Thema zurück und schauen wir, wie die Leute, die den Zeitgeist in eine Hyperrealität drehen wollen, sich dabei der Wissenschaft bedienen.
Schon vor einigen Jahren erschien auf der Webseite Spektrum.de, dem online-Ableger der Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft, ein ursprünglich in Nature veröffentlichter Artikel unter dem Abrakadabra-Titel „Intersexualität: Die Neudefinition des Geschlechts“. „Immer mehr Studien zeigen“, heißt es dort, „unsere Vorstellung von zwei Geschlechtern ist allzu simpel – nicht nur aus anatomischer, sondern auch aus genetischer Sicht.“
Die Autorin, eine englische Wissenschaftsjournalistin, lehnt die binäre Definition des Geschlechts ab und zitiert als Belege eine Reihe von Beispielen, Menschen mit Chromosomen-Anomalien oder ‑Bizarrerien, die sich aus der An- oder Abwesenheit oder Überzähligkeit von Chromosomen ergeben. Es handelt sich also um Ausnahmen und Einzelfälle. Anders als die Einzelfälle auf nächtlichen deutschen Straßen und obwohl sie weit seltener vorkommen, addieren sich solche Einzelfälle und Ausnahmen offenbar zu einer Struktur, die das Gesamtbild beeinflusst. Faszinierend, würde Mr. Spock sagen. Weil es Ausnahmen gibt, ist unsere „Vorstellung“ von zwei Geschlechtern zu simpel. Auch die Menschen mit Chromosomen-Anomalien sind übrigens entweder männlich oder weiblich, produzieren also entweder Ovarien oder Spermien, nichts Drittes, allenfalls überhaupt nichts.
Wer aber die biologischen Binsen der Zweigeschlechtlichkeit öffentlich vortragen will, erleidet heute die Wonnen des Boykottiertwerdens, wie die Biologin Marie-Luise Vollbrecht an der Berliner Humboldt-Uni, unter den hiesigen almae matres eine der heißesten Kandidatinnen auf den Titel: „Epizentrum der Wokeness“.
In der Berliner Zeitung kommentierte ein Gastautor, ein Philosoph – also studierter Philosoph – namens Martin Krohs, diesen Vorgang mit den Worten: „XX versus XY: Das ist zwar in der Tat Biologie, aber es ist, in dieser rohen Form, die Biologie von vor vierzig Jahren.“
Hui, das war knapp. Stellen Sie sich vor, es wäre die Biologe von vor achtzig Jahren gewesen!
Tatsächlich ist es die Biologie der Jahrmillionen, ohne die es uns nicht gäbe, aber unser Philosoph will, wie alle, die in dieser Debatte das Wort führen, nicht auf die Regel, sondern auf die wenigen Ausnahmen hinaus. Als Freund der Ausnahme wäre ich übrigens ganz bei ihm, wenn diese Ausnahmepräferierung nicht längst Mainstream wäre. Krohs fährt fort:
„Die aktuelle Forschung sieht die Fragen von Chromosomen und Geschlecht deutlich subtiler. Sie betrachtet das Genom nicht als starren Bauplan für den Organismus.“ Das Vorliegen der beiden Chromosomensätze eröffne „lediglich Entwicklungspfade für Zellen und Gewebe, die dann in den meisten Fällen zu einer charakteristischen Organausstattung führen. Aber da die Biologie bekanntlich wet and messy ist, eine feuchte und unordentliche Angelegenheit und keine schwäbische Ingenieurskunst, sind diese Pfade offen für Variation: Man hat schon bei kinderreichen Vätern Gebärmütter gefunden, außerdem gibt es nicht wenige Individuen, die genetische Chimären sind, also sowohl XX als auch XY-Zellen aufweisen – und so weiter und so fort.“
Man hat schon bei kinderreichen Vätern Gebärmütter gefunden. Man achte auf den Plural: bei Vätern Gebärmütter gefunden. Vielleicht bei einem Jack the Ripper-Nachahmer daheim in der Tiefkühltruhe? Im Frühjahr 2009 wurde ein solcher Fall tatsächlich aus der südindischen Stadt Tiruvarur berichtet. Chirurgen hatten bei einer Hernien-Operation im Bauch eines 70jährigen Mannes eine Gebärmutter entdeckt. Der Mann war vierfacher Vater, besaß also ein funktionstüchtiges männliches Genital, während der Uterus in seinem Bauch ein funktionsuntüchtiger Irrläufer war, eine Art blinder Passagier. „Such cases are unique“, gab der behandelnde Arzt denn auch stracks zu Protokoll. Es gibt biologische Skurrilitäten und Fehlbildungen, Menschen mit primatenhafter Gesichtsbehaarung etwa oder sechs Fingern an jeder Hand, Elefantenmenschen, siamesische Zwillinge, und in diese Wunderkammer gehört auch die Gebärmutter des kinderreichen Pensionärs. Für die Regel bedeutet das – nichts.
Das weiß unser studierter Philosoph natürlich selbst, er wollte nur ein bisschen Trockennebel auf die Bühne bringen, bevor die Illusionsshow beginnt, für die er einfach den betrachteten Gegenstand wechselt. Auf einmal kommt er nämlich zum Gehirn. „Innerhalb ein und desselben Hirns sind die verschiedensten Kombinationen von Weiblichkeit und Männlichkeit möglich und können sich auch während des individuellen Lebens, je nach Tätigkeit und ‚Training‘, recht kurzfristig verändern“, behauptet er unter Berufung auf zwei Forscherinnen, von deren einer gleich die Rede sein wird (die zweite ist bei näherer Betrachtung nur eine Buchautorin). „Und da“, fährt er fort, „sind wir bereits mitten in der Gender-Thematik, beim Sozio-Geschlecht.“
Es ist ein Hütchenspielertrick: Eben waren wir noch beim biologischen Geschlecht, dann plötzlich beim Gehirn, und nun sind wir in der „Gender-Thematik“, die mit dem biologischen Geschlecht noch weniger zu tun hat als das Kamasutra mit dem Katechismus. Aber die Gender-Thematik hat immerhin eine Gemeinsamkeit mit der akademischen Philosophie: Es gibt in ihr keine einzige im strengen Sinne wissenschaftliche Arbeit. Das ist alles Sprachspiel, Feuilleton, Geplauder, unüberprüfbar, morgen schon vergessen und durch neues Geplauder ersetzt, who cares? Wenn sich so etwas mit der Wissenschaft vermischt, um so zu tun, als sei es selber Wissenschaft, leidet darunter immer nur – die Wissenschaft.
„Es wäre der größte Irrtum, zu meinen, es könne nur entweder Sex oder Gender als ‚eigentliche‘ Kategorie geben und man habe dann das jeweils andere als irrelevant abzutun“, dekretiert der Berliner Zeitung-Gastautor; er könnte ebenso gut schreiben, es wäre der größte Irrtum, zu meinen, es könne nur entweder Astronomie oder Astrologie als „eigentliche“ Kategorie geben.
Der semantische Trick besteht darin, angeblich von Geschlecht zu sprechen, aber die primären Geschlechtsorgane beiseite zu lassen, um stattdessen beim Gehirn zu landen. Unser Philosoph beruft sich auf „die wegweisenden Forschungen“ der israelischen Neurowissenschaftlerin Daphna Joel und deren These, das Gehirn habe kein Geschlecht. Diese These ist alles andere als akzeptiert, aber in unserem Kontext wäre das vollkommen egal, denn das Gehirn ist kein Geschlechtsorgan und insofern für die Zweigeschlechtlichkeit irrelevant. Dass sich männliche und weibliche Gehirne unterscheiden, gilt als gut gesichert, wir stellen ja auch täglich fest, dass sich Männer und Frauen unterscheiden. Allein die Wirkungslosigkeit der Frauenförderung würde als Bestätigung genügen. Eben meldete der Sydney Morning Herald, dass trotz aller Förderung der Anteil der Frauen in den MINT-Fächern in Down Under abnehme. Woran mag’s liegen? Eher am Patriarchat, oder eher am Unterschied? Und wenn am Unterschied, wo mag er sich verstecken?
Im Deutschlandfunk begann ein Beitrag über die Israelin mit der Frage: „Warum erscheinen Frauen und Männer so unterschiedlich? ‚Die Antwort liegt in der Einteilung der Menschen in eben jene zwei soziale Kategorien: Frauen und Männer‘, sagt Daphne Joel. Es geht nicht um Biologie, sondern um Gesellschaft.“
Wer teilt ein? Nicht die Biologie, sondern die Gesellschaft. So redet keine Naturwissenschaftlerin, sondern eher eine feministische Aktivistin. In der englischen Wikipedia firmiert Daphna Joel übrigens als „Anwältin für Neurofeminismus“.
„Ich hoffe“, erklärt sie weiter, „dass Kinder, wenn das Thema Gender aufkommt, ihre Eltern (oder Großeltern) bitten müssen, ihnen zu erklären, was um Himmels willen man sich früher einmal dabei gedacht hat, Menschen nach der Form ihrer Genitalien einzuteilen.“
Also ich habe Menschen nie primär nach der Form ihrer Genitalien eingeteilt, sondern vor allem nach der Größe und der Leistungskraft. Deal?
Ernst beiseite. Von Ausnahmen in homöopathischer Größenordnung abgesehen, identifiziert jeder Mensch sein Geschlecht schon in früher Kindheit anhand seiner Geschlechtsorgane und derer des jeweils anderen Geschlechts. Nicht Mama und Papa bringen den Kindern bei, dass sie Junge oder Mädchen sind, sondern die Kinder sehen anhand von Mama und Papa, dass es zwei Geschlechter gibt. Eine der ersten Fragen, die sich Kinder untereinander stellen, lautet: Bist du ein Junge oder ein Mädchen? – sofern es nicht eh klar ist. Dass sich bereits Kinder entsprechend ihres Geschlechts verschieden verhalten, ist nicht nur empirisch belegt, sondern sonnenklar. Das biologische Geschlecht ist die fundamentalste Erfahrung des Menschen, zumindest des gesunden Menschen. Die Erkenntnisprobleme vieler Feministinnen und Genderistas haben mit ihrem fehlenden Realitätsbezug als beklagenswerte Folge von Kinderlosigkeit zu tun.
Aber will ich etwa bestreiten, dass es ein soziales Geschlecht gibt? Dass es Gender gibt? Diese Frage liegt ungefähr auf der Ebene wie die, ob ich der Ansicht sei, die Heisenbergsche Unschärferelation gelte auch für Gespräche, gerade mit Sozialwissenschaftlern, oder emotionale Intelligenz sei genauso mess- und skalierbar wie kognitive Intelligenz. Kann man alles machen, im Feuilleton, in der Uni oder auf der Bühne, aber besonders seriös und aussagekräftig ist es nicht. Es gibt keine exakte sozialwissenschaftliche Definition von „Gender“.
Der Begriff wurde übrigens bereits um 1880 eingeführt, erfuhr ich bei Ulrich Kutschera, und zwar in einem zunächst rein biologischen Kontext, bei Zwittern wie dem Blutegel. Zwitter erfüllen erst die männliche, befruchtende, danach die weibliche, gebärende Rolle, und diese Rollen nannte man damals „Gender“. Erst sehr viel später prägten ihn progressive Sozialwissenschaftler_*:Innen zu den sogenannten Geschlechterrollen um, die Männern und vor allem Frauen von der Gesellschaft mehr oder weniger aufgezwungen werden. Die biologische Determiniertheit solcher Rollen ist übrigens der blinde Fleck der Genderistas. Gleichsam unter der Hand verwandelte sich die Tatsache, dass es Geschlechterrollen gibt, in die Behauptung, Geschlecht sei nur eine Rolle.
Dieser Behauptung heute nicht zuzustimmen, kann das Ende der akademischen Karriere bedeuten, auch in den harten Wissenschaften. Auch Naturwissenschaftler brauchen Publicity, sie benötigen Drittmittel für ihre Forschung, und sie möchten keine Boykotte ihrer Vorlesungen. Es geht, wie gesagt, bei diesem Thema nicht um Wissenschaft, sondern um Politik, um eine Machtdemonstration durch die Unterwerfung Andersmeinender unter das Regime von Zivilgesellschaft und Twittermob.
Es ist von einer tiefen Symbolik, dass an der Berliner Humboldt-Uni ein Arbeitskreis sogenannter „kritischer Jurist*innen“ den Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht boykottiert hat. Viele Biologen und andere Naturwissenschaftler, sagte Frau Vollbrecht später, hätten ihr nach den Berliner Vorfällen geschrieben, dass ihnen Ähnliches widerfahren sei und sie Angst hätten, öffentlich aufzutreten. Die Wissenschaft, und zwar jede Wissenschaft, ist der natürliche Feind der Wokeness, zum einen wegen ihrer diskriminierenden Erkenntnisse, zum anderen durch den nicht weniger diskriminierenden Mechanismus der Begabtenauslese. Deswegen haben die Realsozialisten des Ostblocks den Wissenschaften eine Kontrollinstanz übergeordnet: die Partei. Heute gibt es keine Einheitspartei mehr, sondern ein Kartell aus Einheitsparteien, eng verzahnt mit der eben erwähnten Zivilgesellschaft, die sich vor allem aus der Medien- und Kulturszene, den sozialwissenschaftlichen Fakultäten sowie sogenannten NGOs rekrutiert. Zusammen bilden sie die woke Partei neuen Typs. Diese Partei will das Geschlechterthema nicht den Biologen überlassen. Die Juristen – also diejenigen unter ihnen, die schon zuverlässig auf Linie urteilen – sollen es den Biologen wegnehmen. Mit der Erfindung des dritten Geschlechtes haben sie bereits geliefert, parallel dazu werden Juristen die Forschungs- und Meinungsfreiheit so weit ramponieren, dass Kritik an der Aufweichung der Heteronormativität als Hetze bestraft werden kann. Als nächstes werden sie den Biologen das Vererbungsthema und das Intelligenzthema, überhaupt genetische Themen mit einer Tendenz zur Diskriminierung, aus den Händen nehmen und in jene der Zivilgesellschaft legen.
Wie sich solche zivilgesellschaftlichen Betreuer der Wissenschaften anhören werden, hat der Spiegel-Kolumnist Stefan Kuzmany vorgeführt, der Frau Vollbrecht bescheinigte, sie habe als Biologin eben „eine sehr verengte Sichtweise“ auf das Thema. Anders als Kuzmany selbst, der besitzt den Drauf- und Durchblick, den ihm ein Abschluss der Deutschen Journalistenschule in München verleiht. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis Journalisten, Universitätsphilosophen und Queerbeauftragte den Biologen erklären, wie die Natur funktioniert, so wie unsere Völkerrechtlerin der Herzen und Außenamtschefin bereits den Physikern verklickerte, dass das Netz als Stromspeicher arbeitet.
Wie überall, wo gehobelt wird, fallen auch in der Schönen Queeren Welt ein paar Späne. Gestern schickte mir ein Leser eine Zeitungsmeldung zu, sie stammt aus einem Frauengefängnis in Trenton, New Jersey. Eine 27jährige Transfrau namens Demi Minor, wegen Totschlags zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, hat dort zwei Mitinsassinnen geschwängert. Ein im vergangenen Jahr in New Jersey verabschiedetes Gesetz erlaubt es, als Transfrau seine – seine! – Strafe in einer Haftanstalt für Frauen abzusitzen. Das dem Text beigefügte Foto zeigt einen schwarzen Mann mit feschen Zöpfchen. An die Konterfeis solcher „Ladys“ hat sich der zeitgenössische Medienkonsument vor allem durch Nachrichten aus dem Frauensport gewöhnt, wo ehemalige Männer ihren von Natur aus weiblichen Konkurrentinnen davonschwimmen oder ‑laufen, ihnen das Gesicht blutig schlagen, den Kiefer brechen oder sie beim Handball einfach umrennen. Der Transgender-Schwimmer Lia Thomas, ein Drittel größer, schwerer und muskulöser als seine Konkurrentinnen, wurde gerade von irgendeinem Gremium als „Woman of the Year“ nominiert. So spuckt man der Mehrheitsgesellschaft triumphierend ins Gesicht.
Das mag für den einen oder anderen Zuschauer noch ulkig sein. Nicht mehr komisch sind die Auswirkungen dieses Kultes auf viele Minderjährige. Die tristen Figuren, die derzeit vor allem jungen Leute einreden, sie lebten im falschen Körper, die Pubertierenden die Lösung aller ihrer Probleme durch eine Geschlechtsumwandlung verheißen und sämtlichen Kritikern irgendwelche Phobien unterstellen und sie mit Klagen überziehen, das sind durchaus Kriminelle. Kriminell ist es ebenfalls, wenn Regierungen Minderjährigen erlauben wollen, ohne Zustimmung der Eltern ihr Geschlecht zu ändern. Diese kriminelle Energie lässt sich wahrscheinlich nur aus dem ideologischen Todhass der Linken auf die bürgerliche Familie erklären.
Überall, wo das Versalienungetüm LGBTQ und-weiß-die-Geierin-was-noch auftaucht, wird ja nicht nur die Geschlechtsidentität der Mehrheit in Frage gestellt, sondern auch die Familie als Schutzraum gegen den staatlichen und zivilgesellschaftlichen Zugriff. Bekanntlich hat bereits das Kommunistische Manifest die Abschaffung der Familie als Ziel formuliert, und die Neo‑, Krypto- und Kulturmarxisten haben dieses Ziel nicht aufgegeben. Das sogenannte neue Familienbild der Ampel weist in diese Richtung. Kinder sollen bis zu vier Eltern haben können. Jedes Kind hat aber zwei Eltern, eine Mutter und einen Vater. Auch ein Kind, das, sagen wir, bei einem schwulen Paar aufwächst, das sich eine Leihmutter genommen hat, hat zwei Eltern. Nur haben die beiden Papis ihm die Mama weggenommen. Aus Egoismus. Deswegen muss das Kind zeitlebens auf das Elementarste verzichten, was ein Kind besitzt: seine Mutter. Vielleicht sollte ich bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass es kein Recht auf ein Kind gibt.
Ich komme zum Schluss und fasse zusammen. Es gibt zwei biologische Geschlechter. Die klitzekleinen Abweichlergruppen werfen das Gesamtbild nicht um; sie sind interessant, aber nicht repräsentativ. Jeder Wissenschaftler oder Wissenschaftsjournalist, der aus Gründen von Publicity und Trendsetterei bei ihrer Idolisierung zu gesamtgesellschaftlichen Vor- und Leitbildern mittut, wird sich fragen lassen müssen, inwieweit er sich zum Helfershelfer von Pubertierendenverstümmlern und Familienzerstörern macht.