Es hat eine Weile gedauert, bis ich es begreifen sollte: Radu Lupu war der größte Pianist, dessen Zeitgenosse zu sein ich die Ehre und das unendliche Vergnügen hatte. Er ist am 17. April gestorben.
Niemand spielte schöner, niemand besaß einen reineren Anschlag als Lupu. Der Rumäne war insbesondere als Interpret der Werke Schuberts konkurrenzlos; er hat gewissermaßen das Reinheitsgebot ins Schubert-Spiel eingeführt. Es ist eine Reinheit – ich wechsle ins Präsens der Unsterblichkeit – ohne den geringsten Anflug von Kühle. Jeder seiner Töne besitzt seine eigene Dignität und „steht” unvergleichlich im Raum. Wenn Lupu ein Fortissimo anschlägt, dann dröhnt es nicht, sondern klingt, und zwar jeder einzelne Ton des Akkords für sich.
Wer Muße findet, möge sich anhören (und, im Falle des Mozart-Konzerts, auch ansehen):
Schubert, Impromptus Op. 90
Schubert, Andante sostenutu aus der B‑Dur-Sonate
Mozart, Klavierkonzert in A‑Dur, KV 488 (Das Adagio – es beginnt bei 11.29 – gehört zu den größten seelischen Herausforderungen der Klavierliteratur, mit denen ein Interpret konfrontiert werden kann.)
Brahms, Sonate Nr. 3 in f‑Moll
R.I.P.
PS: Leser *** teilt mir mit (bzw. fällt das Werturteil über mich), ich sei ein „emotionaler Musikhörer, der leider immer wieder der Hybris erliegt, Werturteile über Musiker fällen zu müssen, (…) obwohl Sie von der Sache keine Ahnung haben. Jeder emotionale Hörer hat das Recht, ein Geschmacksurteil zu fällen (‚mir gefällt Radu Lupus’ Schubert am besten’ etc), und es stände Ihnen sehr gut an, es auch dabei zu belassen.”
Ei, wie konnte ich das bloß vergessen? Lag’s am allzu emotionalen Hören? Als ich schrieb, Radu Lupu sei „der größte Pianist gewesen, dessen Zeitgenosse zu sein ich die Ehre und das unendliche Vergnügen hatte”, muss ich in der Höhenluft meiner Hybris tatsächlich geglaubt haben, dies einfach so diktieren zu können, als eine Art ästhetischer Putin. Man stelle sich das vor!
Ich habe Leser *** zunächst und zur Beruhigung einen screenshot gesendet, jenen nämlich:
Gleichwohl finde ich es löblich und sogar wichtig, mich daran zu erinnern, dass meine Meinung – mögen mich auch Musen gesäugt und auf ihren Armen gewiegt haben, auf dass ich später in ihrem Namen dilettantische Werturteile fälle – nur eine Meinung unter anderen ist. Käme ich aber jemals an die Macht, würde ich sie ohne Zaudern zur Staatsräson erheben; offene Grenzen sind schlimm genug, aber offene Rangordnungsfragen unter Pianisten, das ist unerträglich.
Ich gestehe, dass ich bei dieser Formulierung, wie zuweilen, auf empörte oder indignierte Reaktionen spekuliert habe. Irgendwer wird sich schon daran stoßen, dachte ich mir. Das ändert natürlich nichts daran, dass Radu Lupu der größte Pianist etc. pp.