Das meint der Leser

Eins.

„Die Raus­schmis­se von Ger­giev und Netreb­ko sind veri­ta­ble Straf­ta­ten durch die Ver­ant­wort­li­chen der Bay­er. Staats­oper und der Stadt Mün­chen. Und zwar jeweils ‚ver­such­te Nöti­gun­gen’ nach §§ 240 I‑III, 22ff StGB. Ver­such des­we­gen, weil die bei­den Tat­op­fer die von ihnen ver­lang­ten Erklä­run­gen nicht abge­ge­ben haben, also der von den Tätern ange­streb­te Nöti­gungs­er­folg nicht ein­ge­tre­ten ist. Es mag in bei­den Arbeits- bzw. Auf­tritts­ver­trä­gen die Klau­sel ent­hal­ten sein, daß sie – was für Kul­tur­schaf­fen­de in einem Ver­trags­ver­hält­nis ohne­hin selbst­ver­ständ­lich sein müß­te – öffent­lich poli­ti­sche Aus­sa­gen jeg­li­cher Art zu ‚unter­las­sen’ haben. Wenn sie dage­gen ver­sto­ßen, kön­nen sie zu Recht ent­las­sen wer­den, weil sie ja indi­rekt ihren Arbeit­ge­ber bzw Dienst­herrn kom­pro­mit­tie­ren. Und hier soll plötz­lich das Gegen­teil gel­ten: Die Dienst­herrn machen gegen­über ‚ihren’ Künst­lern einen ver­trags­recht­li­chen Anspruch gel­tend, daß die­se öffent­lich poli­ti­sche Äuße­run­gen gegen ihren ‚eige­nen Wil­len’ abzu­ge­ben hät­ten, völ­lig unab­hän­gig vom Inhalt, und gleich, wel­che Über­zeu­gung die Künst­ler per­sön­lich haben.
Nun wur­de aber die Straf­vor­schrift zum Schutz der frei­en Wil­lens­bil­dung geschaf­fen, sie gehört zum Kapi­tel ‚Straf­ta­ten gegen die per­sön­li­che Frei­heit’. Nun gilt es als ‚ver­werf­lich’ im Sin­ne der Straf­vor­schrift, die Kün­di­gung eines Arbeits- oder ähn­li­chen Ver­trags­ver­hält­nis­sen anzu­dro­hen, um um die Betrof­fe­nen zur öffent­li­chen Abga­be poli­ti­scher  Äuße­run­gen, noch dazu nach den Vor­ga­ben des Täters, zu zwin­gen. Übri­gens: Selbst wenn eine der­ar­ti­ge Klau­sel in den Ver­trä­gen von Netreb­ko und Ger­giev ent­hal­ten wäre, wäre sie offen­sicht­lich unwirk­sam, und zwar wegen – raten Sie mal – kla­ren ‚Ver­sto­ßes gegen die Men­schen­wür­de’.  Inso­weit ent­fal­tet das Grund­ge­setz sei­ne Drittwirkung.
Nun soll kei­ner erzäh­len, daß der Herr Ober­bür­ger­meis­ter der Lan­des­haupt­stadt und der Herr Opern­in­ten­dant das nicht wuß­ten (oder wis­sen konn­ten: Die­ter Rei­ter kommt aus der öffent­li­chen Ver­wal­tung und Rechts­pfle­ge, und der Inten­dant hat Rechts­be­ra­ter). Für bei­de wird es jetzt eng: Ers­tens haben sie vor aller Augen ein Straf­de­likt began­gen, gegen sie muß die Staats­an­walt­schaft Mün­chen I von Amts wegen ermit­teln; und zwei­tens erfüllt ihr Vor­ge­hen die Vor­aus­set­zun­gen eines ‚beson­ders schwe­ren Fal­les’ nach § 240 Abs. III Nr. 3 StGB, weil sie ihre ‚Befug­nis­se oder ihre Stel­lun­gen als Amts­trä­ger’ miß­brauch­ten. Wenn es so läuft wie sonst bei harm­lo­sen Belei­di­gun­gen von Poli­ti­kern in Ber­lin oder Ham­burg, steht mor­gen früh die Kri­po in den Amts­räu­men und durch­sucht alles und nimmt alle Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel mit.
Was mich gar nicht wun­dert ist, daß die Medi­en die­sen Skan­dal gar nicht als das, was er ist – näm­lich poli­tisch moti­vier­te Kri­mi­na­li­tät ‚von oben’ —, erken­nen wol­len. Dies zeigt, wie tief die Per­ver­tie­rung des Rechts­be­wußteins in unse­re Gesell­schaft ein­ge­si­ckert ist. Und wie weit das Kli­ma der Ein­schüch­te­rung schon reicht.”
Zwei.   
Bei der Ach­se fand ich in einem Bei­trag Georg Etscheits fol­gen­de bemer­kens­wer­te Aus­sa­ge: ‚Gewiss, Ger­giev hat nie ein Hehl dar­aus gemacht, dass er Putin für einen bedeu­ten­den Poli­ti­ker hielt. Der habe, so sag­te er immer wie­der, Russ­land aus dem Cha­os der Jel­zin-Ära geret­tet. Ohne ihn wäre das Land in einem Bür­ger­krieg ver­sun­ken, eine uner­träg­li­che Vor­stel­lung für einen Patrio­ten vom Schla­ge Gergievs.’
Mani­fes­tiert sich hier, unfrei­wil­lig, nicht wun­der­bar die Erwar­tungs­hal­tung des Wes­tens gegen­über Russ­land? Ein gutes Russ­land ist ein Russ­land, dass im Cha­os ver­sinkt, wer das nicht wünscht, muss ein ‚Patri­ot vom Schla­ge Ger­gievs’ sein. Dies sagt nicht nur etwas über die gehei­men Wün­sche hin­sicht­lich der Zukunft Russ­lands aus, es zeugt unfrei­wil­lig auch von der Deka­denz des Wes­tens. Patri­ot sein, sich ein star­kes Hei­mat­land wün­schen, ist per se schon furcht­bar, und weil wir das im Wes­ten nicht wol­len, sol­len es auch ande­re nicht bekom­men. Putin war irre, in die Ukrai­ne ein­zu­mar­schie­ren. Er sel­ber hät­te es ver­mut­lich nicht mehr erlebt, aber Russ­land hät­te nur ein paar Jahr­zehn­te war­ten müs­sen, und der Wes­ten wäre in Cha­os und Bür­ger­krieg ver­sun­ken. Nun wird alles ver­sin­ken, inklu­si­ve der Russen.”
Drei.
„So sehr ich Ihre ela­bo­rier­ten Gesell­schafts­ana­ly­sen und ‑kom­men­ta­re ansons­ten schät­ze; aber zu Putins völ­lig sinn­lo­sem und unfass­ba­rem Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne (auch nicht ast­rein – aber nun ast­rei­nes Opfer) eine Bit­te: ent­we­der klar ver­ur­tei­len oder ein­fach mal die Klap­pe hal­ten. Vie­len Dank.”
PS. Also vier.
„Die infan­ti­le Dicho­to­mie gut/böse: Man wünscht sich, Gün­ter Maschke wäre noch ein klein wenig mehr Zeit ver­gönnt gewe­sen, um das erle­ben zu dür­fen; er hät­te wohl sei­ne hel­le Freu­de an die­ser ein­drucks­vol­len Bestä­ti­gung von Carl Schmitts Leh­re über die Zer­stö­rung des klas­si­schen Kriegs­be­griffs oder über die Tyran­nei der Wer­te gehabt.

Das alles über­span­nen­de Leit­mo­tiv der letz­ten Tage scheint mir klar her­vor­zu­tre­ten: End­lich, nach Jahr­zehn­ten soge­nann­ter Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, in denen Gene­ra­tio­nen ihren eil­fer­ti­gen Wider­stand gegen Hit­ler nur gleich­sam rück­wir­kend aus­üben konn­ten, kann dies nun in der unmit­tel­ba­ren Gegen­wart und mit Wir­kung für die Zukunft getan, ja zele­briert wer­den. Zum aller­größ­ten Teil bleibt es aber bei den Metho­den lach­haf­ter Sym­bol­po­li­tik, bei einem ängst­lich-gehetz­ten: ‚Ich bin auch dabei!’ Wie­der ein­mal gilt als mutig, wer das tut, was alle tun und wofür kei­ne Kon­se­quen­zen zu befürch­ten sind; wer nicht umge­hend appor­tiert, wird für ehr­los erklärt (J. v. Alten­bo­ckum über G. Schrö­der). Jeder Hotel­por­tier, der ein­mal einem rus­si­schen Tou­ris­ten die Tür auf­ge­hal­ten hat, wird bald, um der frist­lo­sen Kün­di­gung zu ent­ge­hen, unter Trä­nen beteu­ern müs­sen, er habe ihn für einen Ukrai­ner gehal­ten, die Spra­chen klän­gen so ähnlich. (…)

Der drit­te von Ihnen ver­öf­fent­lich­te Leser­brief (‚Ver­ur­tei­len oder Klap­pe hal­ten’) ließ mich erschau­dern. Was zum Teu­fel ist hier eigent­lich los, wie nennt man eine poli­ti­sche Ord­nung, in der in Ange­le­gen­hei­ten des öffent­li­chen Lebens allein immer­glei­che vor­ge­stanz­te Bekennt­nis­for­meln zuläs­sig sein sollen?”

 

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