„Unsere gesamte Nachkriegsordnung”? Hat er. Man fasst es nicht. Nachkriegsordnung, das war der Kalte Krieg, die Teilung Europas in NATO und Warschauer Pakt, Sozialismus bis zur Elbe, Sozialdemokraten zu Gast bei Honecker, Juso Scholz beim Ober-FDJler Aurich.
Die Ukraine war damals eine von Moskau regierte Sowjetrepublik. Die Nachkriegsordnung ist etwas, das nicht einmal Putin anstrebt. Die DDR und den Ostblock will der Kreml-Chef gar nicht zurück. Wie kommt ein Kanzler auf den Hund dieses Begriffs?
Wahrscheinlich gibt es nur eine plausible Erklärung dafür. Die derzeitige Bundesregierung besteht aus Personen, die über keinerlei zusammenhängende kulturelle Bildung verfügen und historisch völlig ahnungslos sind. Der einzige historische Fixpunkt ist für sie das Dritte Reich. Es teilt die Geschichte in ein dunkles Davor und ein helles Danach. Wozu sich um Kenntnisse bemühen, wenn ein Bekenntnis genügt? „Nachkriegsordnung” ist deshalb ein guter, ein geradezu chiliastisch aufgeladener Begriff: nach Hitler. Dass der Bolschewismus vor Hitler entstand und den Faschismus-Nationalsozialismus erst auf den Plan rief – egal. Kommunismus, Stalinismus, Realsozialismus, deutscher Mauerstaat – alles „Nachkriegsordnung”, n. H., „unsere Nachkriegsordnung”, denn wir sind ja auch Rote, Hellrote zwar, aber die Dunkel- und Blutroten waren Verwandte, unangenehme Verwandte, aber Familie ist Familie.
Die Einordnung Putins in diese gnostische Welt gewinnt eine gewisse Stimmigkeit, wenn man ihn als den diensthabenden Hitler-Wiedergänger betrachtet, der „unsere Nachkriegsordnung” bedroht, pikanterweise indem er diese Nachkriegsordnung zu Teilen wiederherstellen und die Ukraine „entnazifizieren” will (hier macht der Linke Gysi ein paar interessante Anmerkungen über „Faschisten” in der ukrainischen Regierung).
O glücklich, wer noch hoffen kann,
aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!
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Apropos. Die „Zeitung für Deutschland” stellt, leider ohne Bodentruppen und Unterstützung aus der Luft, die folgende Frage:
Wenn Putin vor einen internationalen Gerichtshof „gehören sollte” – es ist ja nicht ganz sicher, ob er dorthin kommt bzw. welches journalistische Sondereinsatzkommando ihn dorthin bringt –, dann aber nach George W. Bush jun., nach Obama und H. Clinton, nach Schröder und dem Fischerjockel, denn wir wollen ja chronologisch vorgehen, nicht wahr?
Den zweiten Irakkrieg haben die USA mit erlogenen Massenvernichtungswaffen begründet, so wie sie 1964 den Tonkin-Zwischenfall herbeigelogen haben; die „spezielle Operation” gegen Saddam hätte, „regierte Recht”, (Schiller, „Maria Stuart”) eine ebensolche gegen George Dabbeljuh nach sich ziehen müssen.
Staaten haben das Recht, Kriege zu führen. Unter der Pax Americana aber hatten ausschließlich die Amerikaner dieses Recht, weil sie, egal welche Massaker sie verrichteten, gerechte Kriege führten – das sind jene ewigen Kriege, die den Ewigen Frieden vorbereiten. Das alte europäische Völkerrecht wurde so zerstört, wie Günter Maschke gelehrt hat, weil die amerikanischen Kriege den Frieden abschafften, der klassische Grundsatz Inter pacem et bellum nihil medium nicht mehr galt und aus dem Gegner der Feind der Menschheit wurde, mit dem man nicht Frieden schließen konnte, sondern den man vernichten musste.
Nun betrachten wir unter diesem Aspekt die Situation Putins. Realpolitisch geht es darum, ihn zum Friedensschluss zu bewegen. Wer ihn aber nach Den Haag bringen will – egal, wie übergeschnappt und illusorisch das angesichts der Kräfteverhältnisse ist –, soll sich vergewärtigen, dass eine solche Forderung, die den Gegner zum Kriminellen erklärt und ihm keine Option lässt, auf ein totales Gemetzel hinausläuft.