Christian Thielemann wird nur noch bis zum Sommer 2024 die Staatskapelle Dresden leiten. Die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) gab bekannt, der Vertrag des Chefdirigenten werde nicht verlängert. Peter Theiler, der Intendant der Semperoper, soll zum selben Termin abschiedshalber leise Servus sagen. Müssen.
Diese Nachricht ist zunächst einmal völlig unverständlich. Thielemann ist einer der bedeutendsten Dirigenten der Welt, der legitime Erbe der großen deutschen Kapellmeistertradition, im spätromantischen Repertoire konkurrenzlos. Wenn man das Engagement eines solchen Hochkaräters auslaufen lässt, ist das ungefähr so – man verzeihe mir den abrupten Genre-Wechsel –, als wenn Manchester City bekannt gäbe, den Vertrag mit Pep Guardiola nicht zu verlängern. Da ist, wie Herr Jackopp in Eckhard Henscheids „Vollidioten” wiederholt moniert, „ein Bruch in der Logik”. Beziehungsweise es gilt offenkundig eine andere Logik, der man auf die Spur oder Schliche kommen muss.
Nehmen wir an, Manchester City, um bei diesem nicht zufällig gewählten Gleichnis zu bleiben, gäbe außerdem bekannt, man trenne sich vom derzeit besten Trainer der Welt, weil man vorhabe, in Zukunft eine andere, zeitgemäßere Art Fußball zu spielen, diverser, vielfältiger, nach neuen Regeln und für neue Zielgruppen, nicht nur mit den Stars, sondern unter Einbeziehung von Frauen, Behinderten, Transsexuellen, Geisteswissenschaftler:innen, Hobbits und Übergewichtigen, für ein moderneres, bunteres Publikum. Das nenne sich „Perspektive ManCity 2030” (im Original „Perspektive Semper 2030”). Im Übrigen ist sogar das nicht unwahrscheinlich; dieser Tage machte eine Meldung die Runde, wie sie absurder kaum sein könnte.
(Was sogar Frauennationalmannschaften gegen männliche Schülertruppen ausrichten, sieht man hier oder hier.)
In ihrer Pressemitteilung spricht die sächsischen Kulturministerin Klepsch von der „Chance, einen neuen Chefdirigenten oder eine Chefdirigentin zu berufen” – ich tippe auf Variante zwei –; die Rede ist außerdem von „neuen Publikumsschichten” und „digitalen Angeboten”. Und weiter die Kulturkammerchefin: „Eine Oper in zehn Jahren wird eine andere als die Oper von heute sein: Sie wird teilweise neue Wege zwischen tradierten Opern- und Konzertaufführungen und zeitgemäßer Interpretation von Musiktheater und konzertanter Kunst gehen müssen.” Eine Ministerin, die von der Hochkultur beinahe so viel versteht wie Annalena B. vom Völkerrecht, stößt der Staatskapelle und der Semperoper Bescheid, welchen Weg sie gehen „müssen”. Es ist derselbe anfangs leicht abschüssige und zuletzt steil abfallende Weg, den nach den Vorstellungen der grünschwarzbunten Spitzbuben, denen dieses Land nicht ganz unverschuldet in die Hände gefallen ist, sämtliche kulturellen Institutionen, aber auch Schulen, Universitäten, Unternehmen, Vereine, Stiftungen gehen „müssen”: der Weg in die postnationale, postkulturelle, posttraditionelle, geschlechtergerechte, okzidentophobe und tribalistische Idiotenwelt von Identitätspolitik, rassistischem Antirassismus und jener wundervollen Diversity, deren Resultate wir derzeit auf den Straßen von Jerusalem, Köln, Berlin-Neukölln, Gelsenkirchen und in Permanenz in den Vorstädten von Paris bestaunen dürfen.
Für Wagners Dresdner „Wunderharfe” mit ihrem von Thielemann favorisierten traditionssatten deutschen Klang ist diese Zukunft versperrt. Alles, wofür der Dirigent steht, versetzt die Zeitgeist-Vollstrecker in sozialhygienische Lynchlaune: Er ist konservativ, deutsch und ein Meister, im Neusprech: ein weißer Suprematist und Ableist. Wenn an den Universitäten speziell im angelsächsischen Raum die weiße abendländische Kultur als „rassistisch” und „kolonialistisch” abgeräumt wird und sogar Musikprofessoren im ehrwürdigen Oxford statuieren, die „weiße europäische Musik aus der Sklavenzeit”, etwa die Werke Bachs, Mozarts, Beethovens, mitsamt des „kolonialistischen Repräsentationssystems” Notenschrift sollte nicht länger als lehrplanverbindlich gelten, man müsse stattdessen afrikanischer Musik und HipHop mehr Raum geben, dann wird es wohl nicht lange dauern, bis die Staatskapelle mit Bongotrommel, Djembé, Kalimba und Rassel kulturbereichert wird – man sagt, dass die Zulu ihren Kampf gegen die Buren nur dank ihrer hervorragenden Trommler gewonnen haben –, derweil auf den Gängen der Semperoper schwarze Rapper und progressive Grafittikünstler neue Zielgruppen erschließen. Die Porträtbüste von Richard Strauss ist bis dahin selbstredend durch eine von George Floyd ersetzt worden. (War ja eh ein Fall von Blackfacing, wie sämtliche Bronzebüsten weißer Suprematisten.)
Der kulturpolitische Schienenwolf befindet sich im Einsatz. Er folgt den Nerobefehlen einer Kanzlerin – Gott, wie ich diese Vergleiche liebe –, die ihre innere Leere, Gemütsvergammeltheit und Zukunftslosigkeit mit dem stündlichen Ableiern des globalistischen Glaubensbekenntnisses zu kompensieren sucht. Man muss die faktische Entlassung Thielemanns und die berühmte Deutschlandfahnenentsorgung Merkels auf der CDU-Wahlparty 2013 als verwandte Gesten begreifen.
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Ich habe keine Ahnung, ob diese Meldung seriös ist, aber ich nehme Wetten an, dass die Heimsuchung aus der Uckermark ihren Lebensabend, den der Teufel möglichst lange ausdehnen möge, nicht in Kein-schöner-Land-zu-andrer-Zeit verbringen wird.
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Unlängst war ich des Lobes voll für den Offenen Brief der französischen Generäle i.R. an die Regierung Macron, in dem die Militärs den Zerfall ihrer Nation durch Islamisierung, Identitätspolitik und die Angriffe der Linken auf die französische Kultur anprangerten und die Regierung aufforderten, endlich Maßnahmen zu ergreifen, um den drohenden Bürgerkrieg zu verhindern. Während jenseits des Rheins ranghohe Militärs die Stimme erheben, verhalten sich hiesige Hohe Tiere traditionell auch dann servil zur Führung, wenn die gegen die Interessen der Nation handelt. Ein deutscher General widerspricht nicht einmal im Ruhestand. Wenngleich man zugestehen muss, dass Frankreich in der demografischen Selbstauflösung schon deutlich weiter ist als sein ebenfalls talwärts rauschender einstiger Erbfeind.
Aber es gibt auch auf der rechten Rheinseite Ausnahmen, etwa die Generäle Gerhard Schulze-Ronhof und Franz Uhle-Wettler, die sich nach ihrer Pensionierung als Verfasser „geschichtsrevisionistischer” Schriften einen „umstrittenen” Namen machten – als geschichtsrevisionistisch gelten sämtliche Befunde, die Deutschland in seiner Erb- und Alleinschuld von 1914 bis 1945 ent- und seine einstigen Kriegsgegner belasten –, sowie zuletzt jene Offiziere, die den Rubikon zur AfD überquerten, wie Uwe Junge, Rüdiger Lucassen oder Georg Pazderski.
Bei den kommenden Bundestagswahlen kandidiert nun ein veritabler Dreisternegeneral für die Schwefelpartei. Der Landesverband Niedersachsen wählte Joachim Wundrak, bis 2018 Generalleutnant der Luftwaffe, zum niedersächsischen Spitzenkandidaten. Der 65jährige tritt außerdem gemeinsam mit der Bundestagsabgeordneten Joana Cotar zur internen Abstimmung für das Spitzenduo der Bundestagswahl an
Wundrak hat viele Jahre im Führungsstab der Luftwaffe gearbeitet, er war verantwortlich für die Luftverteidigung von Mittel- und Nordeuropa sowie die Sicherheit des deutschen Luftraums. Nach 44 Dienstjahren wurder er im September 2018 mit Großem Zapfenstreich verabschiedet. Neun Monate zuvor war er in die AfD eingetreten. Ich bin gespannt, wie die politische Konkurrenz und die Genossen Journalisten einem Mann mit einer solchen Reputation zu Leibe rücken wollen. Derzeit behandeln ihn die Medien ja betont zahm, wahrscheinlich weil sie darauf spekulieren, dass er wegen seiner relativen Unbekanntheit beim Spitzenkandidatenvotum unterliegt und sie dann schreiben können: Schaut her, so ein moderater Bürgerlicher wird in dieser Partei nicht gewählt, wir haben es doch immer gesagt.
Was aber, wenn doch?
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Apropos.
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Gestern auf den Tag genau vor 80 Jahren legte Georgi Schukow, Chef des Generalstabs der Roten Armee und stellvertretender sowjetischer Verteidigungsminister, dem Genossen Stalin einen Angriffsplan gegen Deutschland vor. „Wenn man in Betracht zieht, dass Deutschland sein gesamtes Heer einschließlich rückwärtiger Dienste mobilisiert hat, so besteht die Möglichkeit, dass es uns beim Aufmarsch zuvorkommt”, schrieb der Armeegeneral. Das Wort „zuvorkommen” hatte er unterstrichen. Schukows Plan sah Vorstöße bis Königsberg, Danzig, Posen, Breslau und im Süden bis nach Böhmen im Zeitraum bis Ende August vor.
Das war fünf Wochen vor Beginn des deutschen Angriffs.
Damals massierte die UdSSR an ihrer Westgrenze die größte Armee, welche die Welt jemals gesehen hat: 2,9 Millionen Soldaten, 15 000 Panzer und Sturmgeschütze, 35 000 Geschütze und 9000 Flugzeuge. Im Hinterland standen noch weitere 9000 Panzer, 14.000 Flugzeuge, über 100.000 Geschütze und zwei Millionen Soldaten bereit. Die Rote Armee verfügte 1941 über 1861 moderne schwere Panzer vom Typ T 34 und KW, die Wehrmacht über keinen einzigen (Zahlen aus: „Der Angriff auf die Sowjetunion”, herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg, Fischer 1991; mag sein, dass sie inzwischen noch etwas präzisiert worden sind).
Offenkundig ist Schukow mit seinem Plan bei Stalin nicht erfolgreich gewesen. Der Generalissimus glaubte nicht an den bevorstehenden deutschen Angriff, über welchen sein fähigster General so gut im Bilde war. Dass die Wehrmacht sowohl von der Masse des militärischen Gerätes auf der Gegenseite als auch von der offensiven Aufstellung der Roten Armee mit ihrer Konzentrierung in den beiden Frontbögen von Lemberg und Bialystok überrascht war, ist vielfach bezeugt. Hätten die Sowjets sich verteidigen wollen, wären sie viel tiefer gestaffelt gewesen; die Wehrmacht hätte in diesem Fall niemals so schnell vorstoßen, ganze Armeen einkesseln und dermaßen viele Gefangene machen können.
„Für den Beginn des Krieges gegen Rußland glaubten wir mit einer technischen Überlegenheit unserer Panzer über die bis dahin bekannten russischen Typen rechnen zu können, welche die uns bekannte gewaltige Übermacht der Russen an Zahl – wir gingen mit etwa 3200 Panzern in den Rußlandfeldzug – einigermaßen auszugleichen vermocht hätte. Ein eigenartiger Umstand machte mich allerdings in Bezug auf das Panzergerät stutzig: Noch im Frühjahr 1941 hatte Hitler einer russischen Offizierskommission ausdrücklich gestattet, unsere Panzerschulen und Panzerfabriken zu besichtigen, und hatte befohlen, den Russen alles zu zeigen. Hierbei wollten die Russen bei der Betrachtung des Panzers IV nicht glauben, daß dieser unseren schwersten Typ darstellte. Sie erklärten immer wieder, wir verheimlichten ihnen unsere neuesten Konstruktionen, deren Vorführung ihnen Hitler zugesagt habe. Die Zudringlichkeit der Kommission war so groß, daß unsere Fabrikanten und Waffenamtsoffiziere schließlich sagten: ‚Die Russen scheinen selbst bereits schwere und bessere Typen zu besitzen als wir.’ Der Ende 1941 vor unserer Front auftretende Panzer T 34 offenbarte uns die russische Neukonstruktion.”
(Heinz Guderian, „Erinnerungen eines Soldaten”, Neckargemünd 1960, S. 129)
Es gab Zeiten, da haben mich die tendenziösen Bücher und Artikel über den Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges und das Kräfteverhältnis beider Seiten – den angeblichen „Überfall” der Wehrmacht auf die Sowjetunion – aufgeregt (ein Pitbull kann einen Bären schwerlich überfallen; er kann ihn nur angreifen). Ich war abgestoßen von der unter westdeutschen Historikern verbreiteten Beflissenheit, die Position der Sieger zu übernehmen und diejenigen als Revisionisten, Relativierer, NS-Verharmloser etc. pp. zu verunglimpfen, die bei dieser Streberei in historicis nicht mittun mochten (es gibt in dem letztgenannten Detachement auch unappetitliche Figuren, Aufrechner, Verharmloser, Kryptonazis; das will ich nicht verhehlen). Heute ist es mir egal. Die Wahrheit wird sich auch hier durchsetzen, vielleicht nicht dort, wo Grüne regieren, vielleicht auch noch nicht in den nächsten Jahren. Aber spätestens, wenn Deutschland als Kulturnation und Schicksalsgemeinschaft nicht mehr existiert, werden diese Historikermohren ihre Schuldigkeit getan haben und gehen können (nein, das ist keine rassistische Anspielung, sondern „Fiesco”), dann wird jene Art Historiographie, die im Grunde nur geschichtspolitische Siegersichtfestschreibung gewesen ist, nicht mehr gebraucht, dann kann das Schreckgespenst des Vierten Reichs oder anderer deutscher Wiedergeburten, an das nach dieser Niederlage ohnehin nur Wahnsinnige und intellektuelle Kretins glauben konnten, eingemottet werden. Und dann können Historiker aus wahrscheinlich anderen Kulturkreisen ganz unbefangen, unmanipulativ, unaufgeregt und, so weit dies überhaupt möglich ist, wahrheitsgetreu die Geschichte des vielleicht absonderlichsten Volkes der Welt schreiben.
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Der Süddeutsche Beobachter verbreitet Verschwörungstheorien.
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Annalena Baerbock erlangte ihren ersten nationalen Berühmtheitsdurchbruch mit ihrer nobelpreiswürdigen Entdeckung, dass unser Stromnetz Energie speichert. Ich bin ein großer Fan des grünen Schnatterinchens und würde ihr, wenn ich darüber entscheiden könnte, die Türen des Kanzleramts persönlich aufstoßen. Ich will, dass dieses Land endlich die grüne Impfung bzw. Infektion verabreicht bekommt. Ich will endlich die Talsohle sehen! Im Übrigen kann ich mir wenig Komischeres vorstellen als das erste Treffen von Annalena mit Wladimir Wladimirowitsch. Oder wenn sie das deutsche Schiff mit ruhiger Hand durch die Finanzkrise steuert. Oder nach dem ersten Blackout vor die Presse tritt.
Ich habe mir noch einmal das vergleichsweise legendäre Interview vom Januar 2018 angeschaut, in dem die Völkerrechtlerin, vordiplomierte Wirtschaftshistorikerin und Trampolin-Athletin ihre physikalische Entdeckung en passant „heraushaut” (Dieter Bohlen). Überhaupt haut sie dort einige Zitierwürdigkeiten heraus; im Gegensatz zu Merkel hat ihr Stummel- und Phrasendeutsch noch den fidelen Pep juveniler Harthirnigkeit, obwohl die wonnige Maid eigentlich schon damals erwachsen war. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:
„Dieses Land sieht eine Menge von Themen. Wir haben große Zukunftsfragen in ganz Europa, die angegangen werden müssen. Das ist mir total wichtig. Ich bin leidenschaftliche Europäerin.”
„Aus meiner Sicht kommt es jetzt nicht darauf an, in welcher Quantität man auf den Stühlen des Bundestages sitzt, sondern mit welcher Qualität man wirklich für seine politischen Themen streitet. Und dazu will ich massiv mit beitragen.”
„Ich bin leidenschaftliche Klimapolitikerin. Das habe ich in den letzten Jahren massiv hier bei uns im Bundestag mit vorangetrieben. Europäerin vom Herzen her. So bin ich auch dann bei den Grünen aktiv geworden.”
„Und das ist meine Motivation, dass wir diesen programmatischen Prozess so führen, dass es Debatten sind, die auch gesellschaftlich unter die Haut gehen und wieder Menschen auch mitreißen.”
„Und da müssen wir laut und deutlich in der Sprache sein. Ich trete daher für die Gesamtpartei an, wo alle Stimmen gehört werden müssen. Das ist für mich vollkommen klar. Ich war auch Landesvorsitzende. So habe ich das immer gemacht.”
„Und ich hoffe, ich mache es jetzt nicht zu komplex. Dazu neigt man manchmal als Fachpolitikerin ja.”
„Und natürlich gibt es Schwankungen. Das ist vollkommen klar. An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien. Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet. Ich habe irgendwie keine wirkliche Lust, mir gerade mit den politischen Akteuren, die das besser wissen, zu sagen, das kann nicht funktionieren.”
Eine Plattitüdendreschmaschine, reflektiert wie ein Teletubby, mit anderen Worten: eine Idealbesetzung. Leider werden unsere ikarischen Grünen bis September wohl etwas an Umfrage-Flughöhe verlieren und nur als Juniorpartner in die schwarzgrüne Koalition gehen; dann wird Annalena womöglich bloß Vizekanzlerin und Außenministerin. Immerhin das Treffen mit Wladimir Wladimirowitsch könnte trotzdem stattfinden.